© 2016 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 119/16 Einzelfragen zu einer Vereinbarung nach § 41 Satz 3 SGB VI im Kontext mit tarifvertraglichen Altersgrenzen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Sachgrund 10 2.5. Mitbestimmung 10 2.6. Rechtsfolge und Reichweite 10 3. Unionsrecht 11 3.1. Alter 12 3.2. Befristung 12 4. Praxisvorschlag aus dem Schrifttum 13 5. Fazit 13 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 119/16 Seite 4 1. Ausgangspunkt des § 41 Satz 3 SGB VI Das Erreichen der Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung selbst führt nicht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Arbeitnehmer können auch im Rentenalter berufstätig sein. Jedoch führt die in Deutschland bestehende Praxis kollektiv- oder individualvertraglich vereinbarter Altersgrenzen, die ein Ausscheiden mit Erreichen der Regelaltersgrenze vorsehen, zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses.1 Eine derartige Vereinbarung, wonach ein Arbeitsverhältnis mit Erreichen bestimmter Altersgrenzen endet, ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht auflösend bedingt, sondern befristet, weil der Beendigungszeitpunkt hinreichend bestimmbar ist.2 Einer Weiterbeschäftigung eines Rentners über die Regelaltersgrenze hinaus stand häufig der Wunsch des Arbeitgebers entgegen, auch künftig noch eine sichere Beendigungsmöglichkeit zu haben. Im Hinblick auf die typischerweise im Alter nachlassende Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers mochte sich kein Arbeitgeber darauf einlassen, einen Arbeitnehmer auf unbestimmte Zeit weiter zu beschäftigen. Bislang war jedoch bei einer Beschäftigung von Arbeitnehmern, die die Regelaltersgrenze erreicht hatten, weder eine Befristung möglich, noch war eine sichere Kündigungsmöglichkeit gegeben. Das Kündigungsschutzgesetz findet auch nach Erreichen der Regelaltersgrenze ohne Einschränkungen Anwendung und das Alter als solches ist kein rechtfertigender Kündigungsgrund. Die Beschäftigung von Mitarbeitern nach Erreichen der Regelaltersgrenze als solche ist kein Sachgrund, der eine weitere Befristung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt. Zeitlich kurz befristete Ausnahmen wurden vom Bundesarbeitsgericht lediglich für die Einarbeitung eines Nachfolgers anerkannt.3 Der Gesetzgeber wollte in dieser Situation mit § 41 Satz 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) gesetzlich für den Arbeitgeber eine rechtssichere Befristungsmöglichkeit schaffen. Der folgende Satz ist im Zuge des Rentenversicherungs-Leistungsverbesserungsgesetzes zum 1.Juli 2014 neu eingefügt worden: „Sieht eine Vereinbarung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze vor, können die Arbeitsvertragsparteien durch Vereinbarung während des Arbeitsverhältnisses den Beendigungszeitpunkt, gegebenenfalls auch mehrfach, hinausschieben .“ In der Begründung dazu heißt es: „In der Praxis gibt es Wünsche von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, auch nach Erreichen der Regelaltersgrenze und darauf bezogener Beendigungsvereinbarungen einvernehmlich das Arbeitsverhältnis für einen von vornherein bestimmten Zeitraum rechtssicher fortsetzen zu 1 BT-Drs. 18/1489, 25. 2 Bundesarbeitsgericht Urt. v. 27.7.2005 – 7 AZR 443/04. 3 Zeitschrift für das öffentliche Arbeits- und Tarifrecht 2016, 67, beck-online; m.w.N.. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 119/16 Seite 5 können. Dieses Anliegen greift die Ergänzung des § 41 auf, indem ein bereits vereinbarter Beendigungszeitpunkt – gegebenenfalls auch mehrfach – zeitlich hinausgeschoben werden kann.“ 4 2. Voraussetzungen 2.1. Formerfordernis Das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) ist nicht abschließend, vielmehr formuliert § 23 TzBfG, dass besondere Regelungen über Teilzeitarbeit und über die Befristung von Arbeitsverträgen nach anderen gesetzlichen Vorschriften unberührt, mithin wirksam bleiben. Eine dementsprechende Regelung stellt der § 41 Satz 3 SGB VI dar. Soweit dieser aber keine Sonderregelungen enthält, gelten die Bestimmungen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes. Deshalb ist bei einem Hinausschieben des Beendigungszeitpunkts, bei dem es sich um nichts anderes als eine Befristung handelt, das Schriftformgebot des § 14 Abs. 4 TzBfG zu beachten.5 Probleme bereitet das Schriftformerfordernis für Arbeitsverträge ab dem Inkrafttreten des TzBfG (= ab dem 1. Januar 2001) sowie bereits zuvor ab dem Inkrafttreten der Fassung des § 623 BGB, die auch die Befristung von Arbeitsverhältnissen in die dort geregelte Schriftform einbezog (so in Geltung vom 1. Mai 2000 bis zum 31. Dezember 2000), dann, wenn die Altersgrenze nicht im Arbeitsvertrag selbst vereinbart ist, sondern auf einen Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung verwiesen ist. Jedenfalls die Inbezugnahme als solche muss bei fehlender Tarifbindung, sofern es um einen Tarifvertag geht, schriftlich erfolgen.6 Im Übrigen ist das Meinungsbild hinsichtlich der Einbeziehung uneinheitlich, es gibt abgesehen von einzelnen differenzierenden bzw. vermittelnden Ansätzen im Wesentlichen zwei Auffassungen . Es wird einerseits vertreten, dass es nicht zusätzlich einer körperlichen Verbindung etwa des Tarifvertragstextes mit dem Arbeitsvertrag bedürfe, auch nicht einer Wiederholung des Tarifvertragstextes im Arbeitsvertrag. Die Gegenansicht argumentiert mit der Warnfunktion des § 14 Abs. 4 TzBfG, auf Grund derer von den Grundsätzen der Urkundeneinheit zu § 126 BGB nicht abgewichen werden könne. Die Frage ist bislang vom Bundesarbeitsgericht nicht entschieden. Damit bleibt es dann, wenn nur eine schriftliche Inbezugnahme vorliegt, derzeit unsicher, ob wirklich eine tragfähige Grundlage für das Hinausschieben des Endes des Arbeitsverhältnisses gem. § 41 Satz 3 SGB VI besteht.7 4 BT-Drs. 18/1489, 25. 5 BOECKEN in: Boecken/Joussen, Teilzeit- und Befristungsgesetz, SGB VI § 41 Rn. 2, beck-online; m.w.N.. 6 MÜLLER-GLÖGE IN: ErfK, § 14 TzBfG, Rn. 117. 7 BADER, NZA 2014, 749, (751); m.w.N.. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 119/16 Seite 6 Ist die Vereinbarung, dass das Arbeitsverhältnis mit der Regelaltersgrenze enden soll, hingegen in einem Tarifvertrag enthalten, der auf Grund beiderseitiger Tarifbindung oder Allgemeinverbindlicherklärung gilt, bedarf es aber keiner schriftlichen Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien über die Befristung.8 2.2. Vereinbarung hinsichtlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Abgesehen von der Schriftform setzt § 41 Satz 3 SGB VI zum einen in Halbsatz 1 voraus, dass eine Vereinbarung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze vorsieht. Gemeint ist die Regelaltersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung, die nach §§ 35, 235 SGB VI für jeden Arbeitnehmer individuell zu bestimmen ist. Fraglich ist, ob die Vereinbarung i.S.d. § 41 Satz 3 1. Halbsatz SGB VI individualrechtlicher Natur sein muss, oder ob auch mittels einer kollektivrechtlichen Altersbegrenzung bzw. bei Bezugnahme auf eine kollektivrechtliche Regelung, eine Vereinbarung i.S.d. § 41 Satz 3 2. Halbsatz SGB VI getroffen werden kann. 2.2.1. Altersgrenzen Altersgrenzen bewirken zwar zunächst eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters. Nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November 2000 können die Mitgliedstaaten aber Regelungen treffen, wonach Differenzierungen nach dem Alter zulässig sind, wenn sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sind. Nach § 10 Nr. 5 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) kann eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters bei einer Vereinbarung, die die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ohne Kündigung zu einem Zeitpunkt vorsieht, zu dem eine Rente wegen Alters beantragt wird, gerechtfertigt sein. Tarifvertragliche Altersgrenzen müssen den Anforderungen einer arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle genügen. Ist dies der Fall, sind sie auch mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar. In der Sache Rosenbladt hat der Europäische Gerichtshof auf einen Vorlagebeschluss des Arbeitsgerichts Hamburg diese Rechtsprechung ausdrücklich als unionsrechtskonform bestätigt.9 Dies rechtfertigt sich zunächst durch die Erwartung, dass ein Arbeitnehmer durch Bezug einer gesetzlichen Altersrente wirtschaftlich abgesichert ist. Es kommt dabei nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer individuell eine Altersversorgung aufgebaut hat. Das verfassungsrechtliche Untermaßverbot erfordert keine am individuellen Lebensstandard des Arbeitnehmers und seinen subjektiven Bedürfnissen orientierte Altersversorgung. Die Wirksamkeit der Befristung ist deshalb nicht von der konkreten wirtschaftlichen Absicherung des Arbeitnehmers bei Erreichen der Altersgrenze abhängig. Ist ein Arbeitnehmer nach den gesetzlichen Regelungen versicherungsfrei, weil der Gesetzgeber den Aufbau einer Altersversorgung in der gesetzlichen Rentenversicherung 8 MÜLLER-GLÖGE IN: ErfK, § 14 TzBfG Rn. 117. 9 Europäischer Gerichtshof Urt. v. 12.10.2010 „Rosenbladt“ – C-45/09. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 119/16 Seite 7 für entbehrlich halten durfte, ist die Befristung ohne weiteres wirksam, auch wenn der Arbeitnehmer individuell nicht vorgesorgt hat.10 Nachdem die Frage der Zulässigkeit von Altersgrenzen, insbesondere aus europarechtlicher Sicht, lange Zeit strittig war, steht somit mittlerweile durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs wie auch des Bundesarbeitsgerichts sicher fest, dass Altersgrenzen in Arbeitsaber auch in Tarifverträgen (wie z.B. § 33 Abs. 1 TVöD) grundsätzlich wirksam sind. Der Europäische Gerichtshof führt aus, dass die in der Vereinbarung von Altersgrenzen liegende Benachteiligung wegen des Alters den Vorgaben aus der Richtlinie 2000/78/EG genüge und regelmäßig durch das legitime Ziel einer alle Beschäftigtengruppen berücksichtigenden Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik gerechtfertigt sei. 11 Die Ungleichbehandlung ist somit i.S.d. Art. 6 Abs. 1 der RL 2000/78/EG gerechtfertigt. 2.2.2. Exkurs Anders ist dies freilich bei § 41 Satz 2 SGB VI. Dies folgt aus rechtslogischen und rechtssystematischen Überlegungen. Es würde das Abstellen auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung zu Zufallsergebnissen führen, abhängig davon, wann eine tarifvertragliche Regelung vereinbart worden ist. Für die Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers, die geschützt werden soll, spielt es aber gerade keine Rolle, wann ein Tarifvertrag, an dem er selbst ja nicht mitgewirkt hat, abgeschlossen wurde. Wäre andererseits die tarifvertragliche Regelung abhängig von einer Bestätigung durch den Arbeitnehmer, so würde die Wirksamkeit eines Tarifvertrages der Dispositionsfreiheit des einzelnen Arbeitnehmers unterworfen. Das aber widerspricht § 4 Abs. 1 Satz 1 Tarifvertragsgesetz (TVG), wonach Tarifnormen zwischen den tarifgebundenen Parteien unmittelbar und zwingend gelten. § 41 Satz 2 SGB VI erfasst daher nur individualvertragliche Vereinbarungen .12 2.2.3. Altersgrenzen mit Abweichung nach unten Problematisch sind Befristungen in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen auf einen früheren Zeitpunkt als den des Erreichens der Regelaltersgrenze. Denkbar ist, dass für bestimmte Berufsgruppen auch frühere Altersgrenzen wirksam sein können, sofern die Benachteiligung wegen des Alters nach §§ 8, 10 AGG gerechtfertigt ist. Nach früherer Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sollten Altersgrenzen von 60 Jahren für das Cockpitpersonal wirksam sein, da sie dem Risiko altersbedingter Ausfallerscheinungen und 10 Bundesarbeitsgericht Urt. v. 27.7.2005 – 7 AZR 443/04; Europäischer Gerichtshof Urt. v. 5.7.2012 – C-141/11; Bundesarbeitsgericht Urt. v. 18.6.2008 – 7 AZR 116/07. 11 Europäischer Gerichtshof Urt. v. 12.10.2010 „Rosenbladt“ – C-45/09. 12 Bundesarbeitsgericht Urt. v. 20.10.1993 - 7 AZR 135/93 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 119/16 Seite 8 Fehlreaktionen Rechnung tragen und dem Schutz von Leben und Gesundheit der Besatzungsmitglieder und Passagiere dienen.13 Eine tarifvertragliche Altersgrenze von 55 Jahren für Kabinenpersonal ist demgegenüber unwirksam, da Sicherheitsbedenken nicht bestehen und es deshalb an einem rechtfertigenden Sachgrund fehlt;14 unwirksam ist auch eine Altersgrenze für Flugbegleiter von 60 Jahren.15 Nachdem der Europäische Gerichtshof auf einen Vorlagebeschluss des 7. Senats zur Vereinbarkeit einer tariflichen Regelung über eine Altersgrenze von 60 Jahren für Piloten entschieden hat, dass die Richtlinie 2000/78 einer Tarifklausel entgegensteht, die die Altersgrenze für Piloten auf 60 Jahre festlegt, obwohl der Tarifvertrag eine angemessene soziale Sicherung bietet ,16 ist das Bundesarbeitsgericht dieser Auslegung gefolgt. Eine Altersgrenze für Cockpitpersonal von 60 Jahren verstößt gegen das Benachteiligungsverbot wegen des Alters in § 7 Abs. 1 i.V.m. § 1 AGG und ist unwirksam.17 Tarifliche Regelungen über vorgezogene Altersgrenzen müssen der individuellen Leistungsfähigkeit angemessen Rechnung tragen, wenn eine Benachteiligung wegen des Alters gerechtfertigt werden soll. Anderenfalls sind sie nach § 7 AGG unwirksam .18 2.2.4. Tarifvertragliche Dispositivität mit Blick auf § 41 Satz 3 SGB VI Fraglich ist, ob von den Vorgaben dieses Gesetzes durch Tarifvertrag abgewichen werden darf. Die Bestimmung selbst macht keine ausdrückliche Aussage zur Tarifdispositivität. Es muss also durch Auslegung ermittelt werden, ob die Norm zwingend ist, das heißt, ob ein Abweichen durch Tarifvertrag möglich ist. Doch ergeben sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus dem systematischen Zusammenhang oder dem Sinn und Zweck und der Entstehungsgeschichte des Gesetzes eindeutige Anhaltspunkte für einen zwingenden Charakter der Norm. Fehlt es aber an eindeutigen Anhaltspunkten für eine zweiseitig zwingende Wirkung der gesetzlichen Regelung, so muss jedenfalls bei Arbeitnehmerschutznormen wie den Befristungsregelungen davon ausgegangen werden, dass sie abweichende tarifliche Regelungen nicht ausschließen wollen, wenn diese für den Arbeitnehmer günstiger sind. Dies gilt auch hier, zumal es in der Gesetzesbegründung heißt: 13 Bundesarbeitsgericht Urt. v. 27.11.2002 – 7 AZR 414/01 – zu § 19 MTV-Bord-personal der Condor Flugdienst. 14 Bundesarbeitsgericht Urt. v. 31.7.2002 – 7 AZR 140/01 – AP § 1 TVG Tarifverträge: Luftfahrt Nr 14. 15 Bundesarbeitsgericht Urt. v. 23.6.2010 – 7 AZR 1021/08. 16 Europäischer Gerichtshof Urt. v. 13.9.2011 „Prigge“– C 447/09. 17 Bundesarbeitsgericht Urt. v. 18.1.2012 – 7 AZR 112/08 – NZA 2012, 575. 18 MESTWERDT in: Gallner/Mestwerdt/Nägele, Kündigungsschutzrecht, TzBfG § 14 Rn. 135-139, beck-online. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 119/16 Seite 9 „Auch künftig kann die automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Erreichen der Regelaltersgrenze vereinbart werden. Dabei können die Sozialpartner auf die spezifischen Belange in einzelnen Branchen Rücksicht nehmen.“19 In Tarifverträgen dürften mithin für den Arbeitnehmer günstigere Regelungen bezüglich der Beendigung vereinbart werden, also Tarifnormen, die zu Gunsten des Arbeitnehmers von der gesetzlichen Befristungsregelung des § 41 Satz 3 SGB VI abweichen, weil sie die Zulässigkeit befristeter Arbeitsverträge von strengeren Voraussetzungen abhängig machen als das Gesetz und damit dem Arbeitnehmer einen stärkeren Bestandsschutz seines Arbeitsverhältnisses verschaffen.20 2.2.5. Zwischenergebnis Die Befristung auf das Erreichen der Regelaltersgrenze kann somit auf einer einzelvertraglichen oder tarifvertraglichen Vereinbarung wie auch einer Betriebsvereinbarung beruhen. Von dem Begriff der Vereinbarung im ersten Halbsatz der Regelung wird aber auch die einzelvertragliche Bezugnahme auf eine kollektivvertragliche Befristungsregelung21, sowie die Fiktion des § 41 Satz 2 SGB VI erfasst.22 Darüber hinaus sind auch Befristungsvereinbarungen einbezogen, die auf die Vollendung des 65. Lebensjahres abstellen und vor dem Inkrafttreten des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes zum 1. Januar 2008 abgeschlossen worden sind.23 2.3. Vereinbarung hinsichtlich des Hinausschiebens der Beendigung Neben dieser Beendigungsvereinbarung setzt § 41 Satz 3 SGB VI in Halbsatz 2 überdies voraus, dass die individuellen Arbeitsvertragsparteien während des Arbeitsverhältnisses eine weitere Vereinbarung treffen, dergestalt, dass sie den Beendigungszeitpunkt einvernehmlich hinausschieben möchten. Das bedeutet, dass die Hinausschiebensvereinbarung vor dem Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen des Erreichens der Regelaltersgrenze, also des Ablaufs der ursprünglichen Befristung, getroffen werden muss. Ein zeitlicher Zusammenhang mit dem Ruhestand des Arbeitnehmers ist nicht erforderlich, die Vereinbarung kann auch schon deutlich früher getroffen werden. Sie darf aber nicht bereits im Arbeitsvertrag, sondern nur „im laufenden“ 19 BT-Drs. 18/1489, 25. 20 BADER, NZA 2014, 749, (751). 21 KLEINEBRINK in: DB 2014, 1490. 22 BOECKEN in: Boecken/Joussen, Teilzeit- und Befristungsgesetz, SGB VI § 41 Rn. 3, beck-online. 23 BOECKEN in: Boecken/Joussen, Teilzeit- und Befristungsgesetz, SGB VI § 41 Rn. 3, beck-online. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 119/16 Seite 10 Arbeitsverhältnis geschlossen werden; sie muss zudem spätestens am letzten Tag des Arbeitsverhältnisses abgeschlossen werden.24 Die Norm findet daher keine Anwendung, wenn das Arbeitsverhältnis infolge der Befristung auf die Regelaltersgrenze bereits beendet worden ist.25 2.4. Sachgrund Strittig ist, ob ein Sachgrund für diese zweite individuelle Vereinbarung des § 41 Satz 3 SGB VI verlangt werden muss. Teile des Schrifttums verlangen einen speziellen Sachgrund, da der Grund sich nicht darin erschöpfen könne, dass der Arbeitnehmer die Regelaltersgrenze erreicht habe und durch eine Altersrente abgesichert sei - auch wenn diese Aspekte durchaus eine Rolle spielen würden. Ebenso könnte der Grund trotz der Begründung des Gesetzes nicht nur darin gesehen werden, dass es dem Wunsch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern entsprechen würde, eine Weiterarbeit über die Regelaltersgrenze hinaus vorzusehen. Die Regelung über die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über die Regelaltersgrenze hinaus sei nämlich keineswegs nur günstig.26 Die Vertreter, die einen Sachgrund ablehnen, führen hingegen aus, dass es für das Hinausschieben des Beendigungszeitpunktes eines Sachgrundes nicht bedürfe, da ansonsten die Regelung überflüssig sein würde, denn insofern würde bereits § 14 TzBfG als Rechtsgrundlage ausreichen .27 Diese Frage muss ebenfalls zukünftig durch das Bundesarbeitsgericht geklärt werden. 2.5. Mitbestimmung Die Verlängerung ist als „Einstellung“ nach § 99 Abs. 1 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) mitbestimmungspflichtig, denn es geht um die Beschäftigung über die festgelegte Altersgrenze hinaus bzw. um die Verlängerung eines befristet abgeschlossenen Arbeitsvertrags. Für die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gelten die auch sonst für Befristungen bzw. deren Verlängerungen geltenden Grundsätze.28 2.6. Rechtsfolge und Reichweite Rechtsfolge ist unstreitig die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses. über die Regelaltersgrenze hinaus bis zu dem vereinbarten neuen Zeitpunkt. 24 ROLFS in: ErfK/ SGB VI § 41 Rn. 21-24, beck-online; m.w.N.. 25 GROEGER, ZTR 2015, 115, (120). 26 BADER, NZA 2014, 749, (752). 27 BOECKEN in: Boecken/Joussen, Teilzeit- und Befristungsgesetz, SGB VI § 41 Rn. 2, beck-online; m.w.N.. 28 BADER, NZA 2014, 749, (751); m.w.N.. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 119/16 Seite 11 Fraglich ist, ob neben dem Hinausschieben weitere Änderungen im Arbeitsvertrag vorgenommen werden dürften. Hiergegen spricht der Wortlaut von § 41 Satz 3 SGB VI, denn nach diesem kann durch Vereinbarung der Beendigungszeitpunkt hinausgeschoben werden, von Änderungen sonstiger Vertragsbedingungen ist nicht die Rede. Auch systematisch ist der Ausschluss von Vertragsänderungen gerechtfertigt, da es sich bei § 41 Satz 3 SGB VI möglicherweise um eine Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung handeln könnte, die einen Ausnahmetatbestand zur Regel des unbefristeten, wie auch des grundsätzlich nur mit Sachgrund befristbaren Arbeitsverhältnisses darstellen würde, und deshalb eng auszulegen wäre. Historisch findet dies Bestätigung in dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, wonach „die sonstigen im jeweiligen Arbeitsverhältnis geltenden Arbeitsbedingungen…. von der Neuregelung unberührt (bleiben)“.29 Schließlich spricht für eine enge Auslegung der Gesichtspunkt der Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers insofern, als auf der Grundlage des engen Verständnisses die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses arbeitgeberseits nicht davon abhängig gemacht werden kann, dass sich der Arbeitnehmer mit einer Änderung der Vertragsbedingungen im Übrigen einverstanden erklärt . Dieses Schutzes bedarf der fortsetzungswillige Arbeitnehmer deshalb, weil es in der Entscheidung des Arbeitgebers liegt, ob es überhaupt zu einer Fortsetzung kommt. 30 Es dürfen daher wohl aus Anlass des Hinausschiebens keine inhaltlichen Vertragsänderungen mit Ausnahme der Festlegung eines neuen Beendigungszeitpunkts getroffen werden. Insoweit entspräche der Begriff des Hinausschiebens dem Terminus der Verlängerung i.S.d. § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG. Jedoch bedarf auch diese Frage letztlich einer höchstrichterlichen Entscheidung. 3. Unionsrecht Zu beachten ist außerdem, dass es in der Norm weder eine Begrenzung der Dauer der Verlängerung des Arbeitsverhältnisses noch eine Begrenzung in Bezug auf die Anzahl der möglichen Verlängerungen gibt, sodass im Extremfall jeweils von Tag zu Tag verschoben werden könnte.31 Ob dies europarechtskonform ist, ist fraglich. Zum einen ist die Richtlinie 2000/78/EG bzgl. des Alters und zum anderen die Richtlinie 1999/70/EG bezüglich der befristeten Arbeitsverträge zu prüfen. 29 BT-Drs. 18/1489, 25. 30 BOECKEN in: Boecken/Joussen, Teilzeit- und Befristungsgesetz, SGB VI § 41 Rn. 4, beck-online. 31 ROLFS in: ErfK § 41 SGB VI Rn. 21. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 119/16 Seite 12 3.1. Alter Eine Ansicht sagt, dadurch dass § 41 Satz 3 SGB VI, wie dargestellt, ausdrücklich ohne jegliche Einschränkung oder Begrenzung beliebig viele befristete Beschäftigungen jenseits der Regelaltersgrenze ermöglicht, würde das Ziel, im Hinblick auf den wesentlichen Aspekt der Einstellung junger Arbeitnehmer konterkariert. Die Folge sei ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 der RL 2000/78/EG und damit zugleich gegen das Verbot der Altersdiskriminierung, der jedenfalls nach dem Europäischen Gerichtshof stets zur Unanwendbarkeit der Bestimmung des § 41 Satz 3 SGB VI führe. Eine unionsrechtskonforme Auslegung dürfte mangels konkreter Kriterien für eine Eingrenzung der Norm ausscheiden.32 Die Gegenseite argumentiert dagegen in dem sie eine Parallele zu § 14 Abs. 3 TzBfG zieht. Das Bundesarbeitsgericht habe die Wirksamkeit der Regelung in § 14 Abs. 3 TzBfG, gegen die ähnliche Bedenken wie gegen § 41 Satz 3 SGB VI geltend gemacht worden seien, jedenfalls für deren erstmalige Anwendung, bestätigt.33 Die Gegenseite führt dagegen jedoch wiederum an, dass § 14 Abs. 3 TzBfG gerade eine Höchstdauer beinhalte und daher der Vergleich nicht zutreffend sei. Hieraus ergebe sich, dass § 41 Satz 3 SGB VI gegen das Verbot der Altersdiskriminierung verstoße und ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 der RL 2000/78/EG zu konstatieren sei.34 3.2. Befristung Die Vertreter, der Unionswidrigkeit führen außerdem an, dass § 5 Nr.1 der RL 1999/70/EG verlange , dass zur Vermeidung von Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge eine Begrenzung entweder durch ein Sachgrunderfordernis, die Festlegung einer maximal zulässigen Dauer aufeinanderfolgender Arbeitsverträge oder einer Beschränkung der zulässigen Zahl der Verlängerungen solcher Verträge vorgegeben werde. § 41 Satz 3 SGB VI enthalte keine der vorgenannten Beschränkungen, und sei daher unabhängig von der Frage der Altersdiskriminierung derzeit nicht mit Unionsrecht vereinbar, da sie gegen die Richtlinie zur Befristung verstoße .35 Die Regelung sei daher vom Ansatz her zwar durchaus zu begrüßen, sie sei indes mit „zu heißer Nadel“ gestrickt und wegen der in keiner Weise eingeschränkten Anwendbarkeit mit erheblichen europarechtlichen Risiken behaftet, weshalb sie ihr selbst gestecktes Ziel der Rechtssicherheit verfehlen müsse. Eine baldige "Nachbesserung“ durch den Gesetzgeber sei wünschenswert.36 32 BADER, NZA 2014, 749, (752); m.w.N.. 33 Zeitschrift für das öffentliche Arbeits- und Tarifrecht, 2016, 67, beck-online; m.w.N.. 34 LANG in: NK-ArbR, SGB VI § 41 Rn. 24-25, beck-online. 35 BOECKEN in: Boecken/Joussen, Teilzeit- und Befristungsgesetz, SGB VI § 41 Rn. 7, beck-online. 36 BADER, NZA 2014, 749, (752). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 119/16 Seite 13 Es existieren zu der Norm noch keine Gerichtsentscheidungen, sodass eine Klärung des Europäischen Gerichtshofs noch nicht absehbar ist.37 4. Praxisvorschlag aus dem Schrifttum Arbeitgeber, die derzeit von § 41 Satz 3 SGB VI Gebrauch machen, müssen damit rechnen, dass die Befristung aus unionsrechtlichen Gründen unwirksam sein könnte und das Arbeitsverhältnis unbefristet fortbestünde (gem. § 16 Satz 1 TzBfG). Aufgrund dieser Rechtsunsicherheit wird daher von Seiten der Literatur geraten falls § 41 Satz 3 SGB VI dennoch genutzt werden sollte, solle man lediglich eine einmalige Verlängerung vereinbaren; von den durch die Norm scheinbar eröffneten unbegrenzten Befristungsmöglichkeiten sollte, um sich nicht dem Vorwurf des Rechtsmissbrauchs auszusetzen, kein Gebrauch gemacht werden. Hinzu sollte man einen die Befristung tragenden Sachgrund (z.B. Abschluss eines Projektes, Einarbeitung eines Nachfolgers) in die Vereinbarung mitaufnehmen, um im Falle der tatsächlichen Unwirksamkeit der Norm und damit einhergehend der Befristung, zumindest eine wirksame Befristung nach § 14 Abs. 1 TzBfG zu haben. 5. Fazit Abschließend lässt sich sagen, dass der Europäische Gerichtshof und auch das Bundesarbeitsgericht , abgesehen von den obig dargestellten Abweichungen nach unten, Altersgrenzen für weitgehend wirksam erklärt haben. Die neue Möglichkeit des § 41 Satz 3 SGB VI erscheint aufgrund der dargestellten rechtlichen Unwägbarkeiten nur eingeschränkt nutzbar. Sie wäre aber, nach dem Wunsch des nationalen Gesetzgebers, mutmaßlich mit einem Tarifvertrag mit Altersgrenzenregelung als auch bei einem Individualarbeitsvertrag mit Verweis auf einen derartigen Tarifvertrag kombinierbar. Ende der Bearbeitung 37 BADER/ JÖRCHEL, NZA 2016, 1105, (1107).