WD 6 - 3000 - 117/16 (21. September 2016) © 2016 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Leistungen der Grundsicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) können Personen erhalten, die erwerbsfähig sind, ein Alter von 15 Jahren bis zum Erreichen der maßgeblichen Altersgrenze haben (seit 2012 ein gestaffelter Anstieg von 65 auf 67 Jahre) und die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (§ 7 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 SGB II). Nach der Legaldefinition des § 30 Absatz 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I – Allgemeiner Teil) hat eine Person den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo sie sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass sie an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. In der Regel ist davon auszugehen, dass am angemeldeten Wohnsitz auch der gewöhnliche Aufenthalt begründet wird. Freizügigkeit genießen Unionsbürgerinnen und Unionsbürger nach Maßgabe des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU). Sie haben daher das Recht auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet (§ 2 Absatz 1 FreizügG/EU). Das FreizügG/EU gilt auch für Familienangehörige von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern aus Drittstaaten und Angehörige der EWR Staaten (§ 12 FreizügG/EU). Die Möglichkeit, aufstockende Leistungen nach dem SGB II zu beziehen, kann sich aus der Arbeitnehmereigenschaft ergeben. Arbeitnehmer ist, wer während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung eine Tätigkeit ausübt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Die Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs richtet sich vor allem nach dem Unionsrecht. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) befasste sich im Jahr 2010 in der Rechtssache Genc mit dem Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit, die im zu beurteilenden Fall 5,5 Stunden betrug zu einem Stundenlohn von 7,87 Euro. Der Vertrag sah einen Urlaubsanspruch von 28 Tagen und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall vor. Das Gericht kam zu folgendem Schluss: „Zwar kann der Umstand, dass im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses nur sehr wenige Arbeitsstunden geleistet werden, ein Anhaltspunkt dafür sein, dass die ausgeübten Tätigkeiten nur untergeordnet und unwesentlich sind (Urteil vom 26. Februar 1992, Raulin, C‑357/89, Slg. 1992, I‑1027, Randnr. 14), doch lässt es sich unabhängig von der begrenzten Höhe des aus einer Berufstätigkeit bezogenen Entgelts und des begrenzten Umfangs der insoweit aufgewendeten Arbeitszeit nicht ausschließen, dass die Tätigkeit aufgrund einer Gesamtbewertung des betreffenden Arbeitsverhältnisses von den nationalen Stellen als tatsächlich und echt angesehen werden kann und es somit ermöglicht, dem Beschäftigten die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne von Art. 39 EG zuzuerkennen. Bei der Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Aufstockende Leistungen nach dem SGB II für EU-Ausländer Kurzinformation Aufstockende Leistungen nach dem SGB II für EU- Ausländer Fachbereich WD 6 (Arbeit und Soziales) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Gesamtbewertung des Arbeitsverhältnisses von Frau Genc sind nicht nur Gesichtspunkte wie die Arbeitszeit und die Höhe der Vergütung zu berücksichtigen, sondern auch solche wie der Anspruch auf bezahlten Urlaub von 28 Tagen, die Geltung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Anwendung des Tarifvertrags in der jeweils gültigen Fassung auf den Arbeitsvertrag sowie der Umstand, dass ihr Arbeitsverhältnis mit demselben Unternehmen beinahe vier Jahre bestanden hat.“ Der EuGH kam zu dem Schluss, dass eine Person, die sich in einer Situation wie derjenigen der Klägerin des Ausgangsverfahrens befinden würde, Arbeitnehmer im Sinne von Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 sei, wenn es sich bei der fraglichen unselbständigen Tätigkeit um eine tatsächliche und echte Tätigkeit handeln würde. Es sei jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, die tatsächlichen Prüfungen vorzunehmen (EuGH, Urteil vom 4. Februar 2010, Rechtssache Genc, Az. C-14/09, Rn. 26,27,33). Die Bundesagentur für Arbeit (BA) definiert die Arbeitnehmertätigkeit im Sinne des Europarechts in ihren Fachlichen Weisungen folgendermaßen: „ Von einer völlig untergeordneten Tätigkeit kann in der Regel ausgegangen werden, wenn eine Beschäftigung nur sporadisch ausgeübt wird ("reine Gelegenheits- oder Gefälligkeitsarbeiten“). Eine sehr geringe Arbeitszeit kann einen Anhaltspunkt für das Vorliegen einer völlig untergeordneten und unwesentlichen Tätigkeit darstellen . Wird die Tätigkeit regelmäßig weniger als 8 Stunden pro Woche ausgeübt, ist eine Gesamtschau des Arbeitsverhältnisses entscheidend, wobei insbesondere das Bestehen von Urlaubsansprüchen und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Anwendung von Tarifverträgen sowie der langjährige Bestand des Arbeitsverhältnisses auch bei einer Stundenzahl von unter 8 Wochenstunden auf eine Arbeitnehmereigenschaft hindeuten kann.“ (Fachliche Weisungen der BA zu § 7 SGB II, https://www.arbeitsagentur.de/web/wcm/idc/groups/public/documents/webdatei /mdaw/mdi5/~edisp/l6019022dstbai377919.pdf?_ba.sid=L6019022DSTBAI377922). Fazit: EU-Ausländer, die erwerbsfähig sind, ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben und bei denen eine Arbeitnehmereigenschaft vorliegt, können (aufstockende) Leistungen nach dem SGB II beziehen. EU-Ausländer, die noch nie in Deutschland beschäftigt waren, und sich als Arbeitsuchende in Deutschland aufhalten und ihre Familienangehörigen sind gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen, wenn sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied im September 2015 im Fall „Alimanovic “, dass der ausnahmslose Ausschluss von Unionsbürgern nach § 7 SGB II grundsätzlich europarechtskonform sei (EuGH, Urteil vom 15. September 2015, Az: C-67/14, dazu Aktueller Begriff -Europa 5/15 vom 24. September 2015 und Aktueller Begriff Nr. 10/16 von WD 6 vom 16. Februar 2016). Weitere detaillierte Ausführungen können den Fachlichen Weisungen der BA zu § 7 SGB II entnommen werden. Sie sind abrufbar unter dem Link: https://www.arbeitsagentur .de/web/wcm/idc/groups/public/documents/webdatei/mdaw/mdi5/~edisp/l6019022dstbai 377919.pdf?_ba.sid=L6019022DSTBAI377922. Ende der Bearbeitung