© 2014 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 114/14 Ausnahme von einem gesetzlichen Mindestlohn für Jugendliche ohne Berufsausbildung vor dem Hintergrund des allgemeinen Gleichheitssatzes sowie dessen mögliche Ausweitung auf junge Erwachsene bis 21 Jahre Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 114/14 Seite 2 Ausnahme von einem gesetzlichen Mindestlohn für Jugendliche ohne Berufsausbildung vor dem Hintergrund des allgemeinen Gleichheitssatzes sowie dessen mögliche Ausweitung auf junge Erwachsene bis 21 Jahre Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 114/14 Abschluss der Arbeit: 3. Juni 2014 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 114/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG 4 3. Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem 5 4. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung 6 4.1. Legitime Ziele der Regelung 7 4.2. Geeignetheit der Regelung 7 4.2.1. Anknüpfung an das Fehlen einer abgeschlossenen Berufsausbildung 7 4.2.2. Altersgrenze 18 Jahre 9 4.2.3. Altersgrenze 21 Jahre 9 4.3. Erforderlichkeit der Regelung 10 4.4. Angemessenheit der Regelung 10 4.4.1. Altersgrenze 18 Jahre 11 4.4.2. Altersgrenze 21 Jahre 11 5. Fazit 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 114/14 Seite 4 1. Einleitung Nach der Ankündigung einer gesetzlichen Mindestlohnregelung im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD1 hat das Thema in den Medien ein breites Echo gefunden und wird kontrovers diskutiert . Inzwischen liegt ein Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (Mindestlohngesetz - MiLoG) als Artikel 1 des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) vor.2 Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns als Gewährleistung eines „angemessenen Mindestschutzes für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“3 verfassungsrechtlich zulässig ist. Gegenstand der Betrachtung ist daher ausschließlich die Frage, inwieweit dieser soziale Mindestschutz einzelnen Arbeitnehmergruppen vorenthalten werden könnte. § 22 Abs. 2 des MiLoG-Entwurfs (MioG-E) bestimmt, dass Personen im Sinne des § 2 Abs. 1 und 2 des Jugendarbeitsschutzgesetzes (JArbSchG) nicht als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelten sollen, wenn sie nicht über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen. Personen im Sinne des § 2 Abs. 1 und 2 JArbSchG sind Jugendliche, die 15, aber noch nicht 18 Jahre alt sind. Jugendliche mit abgeschlossener Berufsausbildung sollen hingegen dem gesetzlichen Mindestlohn unterliegen. Vor allem vor dem Hintergrund, dass die meisten Auszubildenden ihre Berufsausbildung erst nach Vollendung des 18. Lebensjahres aufnehmen, wird vielfach die Forderung erhoben, über die im Gesetzentwurf vorgeschlagene Regelung hinaus die Ausnahme vom Mindestlohn auf junge Erwachsene bis zum Alter von 21 Jahren auszudehnen. Zu untersuchen ist, ob die Ausnahmeregelung für Arbeitnehmer bis 18 bzw. 21 Jahre ohne Berufsausbildung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG zu vereinbaren wäre. 2. Der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG Art. 3 Abs. 1 GG verbietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches ungleich und wesentlich Ungleiches gleich zu regeln, wenn nicht ein Rechtfertigungsgrund dafür gegeben ist.4 In subjektivrechtlicher Hinsicht wirkt Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) als Teilhaberecht. Ein gleichheitswidriger Ausschluss eines Personenkreises von einer 1 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 18. Legislaturperiode vom 27. November 2013, S. 48 f., online unter https://www.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/koalitionsvertrag.pdf bzw. https://www.spd.de/linkableblob/112790/data/20131127_koalitionsvertrag.pdf (letzter Abruf: 26. März 2014). 2 Bundestagsdrucksache 18/1558. 3 Koalitionsvertrag (Fn. 1), S. 49. 4 Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Urteil vom 23. Oktober 1951 - 2 BvG 1/51 BVerfG E 1, 14 (52). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 114/14 Seite 5 Vergünstigung, die einem anderen Personenkreis gewährt wird, ist dem Staat damit grundsätzlich verboten.5 Das bedeutet nicht, dass der Gesetzgeber überhaupt keine Differenzierungen vornehmen dürfte. Er verletzt das Grundrecht vielmehr nur, wenn zwischen den Vergleichsgruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen oder nicht Gründe von solcher Art und solchem Gewicht gegeben sind, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Für die Rechtfertigung verfassungsrechtlich relevanter Ungleichbehandlung steht dem Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Bei der Überprüfung eines Gesetzes auf seine Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz kommt es daher nicht darauf an, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat, sondern allein darauf, ob sich die getroffene Regelung im Rahmen seines Gestaltungsspielraumes hält.6 3. Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prüfung ist zunächst zu klären, ob eine Ausnahme vom Mindestlohn für jüngere Arbeitnehmer eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem darstellt . § 22 Abs. 2 MiLoG-E sieht vor, dass die Bestimmungen des Mindestlohngesetzes für jugendliche Arbeitnehmer unter 18 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung nicht gelten sollen. Arbeitgebern soll es mithin möglich sein, mit diesen Arbeitnehmern Arbeitsentgelte unterhalb des gesetzlich festgelegten Mindestlohnes zu vereinbaren, ihnen also die soziale Schutzfunktion des Mindestlohnes vorzuenthalten. Die Ausnahme setzt am Arbeitsverhältnis an. Jugendliche Arbeitnehmer unterscheiden sich aber von anderen Arbeitnehmern lediglich durch ihr Alter. Eine offene Anknüpfung an das Lebensalter ist jedoch als Diskriminierung wegen des Alters grundsätzlich verboten, was auch in § 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes seinen Niederschlag gefunden hat. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass für die Ungleichbehandlung als zusätzlicher Umstand hinzutreten muss, dass die Betroffenen über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen. Diese hat vielmehr zur Folge, dass jugendliche Arbeitnehmer ohne abgeschlossene Berufsausbildung sowohl gegenüber erwachsenen Arbeitnehmern ohne abgeschlossene Berufsausbildung als auch gegenüber jugendlichen Arbeitnehmern mit abgeschlossener Berufsausbildung benachteiligt werden. 5 EPPING, Volker (2012). Grundrechte. Berlin/Heidelberg: Springer Verlag, Rn. 774 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BVerfG. 6 Ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. u. a. BVerfGE 82, 126 und BVerfGE 122, 151 (174). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 114/14 Seite 6 Dasselbe gilt für den Vorschlag, die Ausnahme vom Mindestlohn auch auf junge Erwachsene unter 21 Jahren ohne Berufsausbildung auszuweiten. Damit liegt eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem vor. 4. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung Hinsichtlich der Anforderungen an die Rechtfertigung einer solchen Ungleichbehandlung ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können.7 Schon aus dieser, der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entnommenen Formulierung lässt sich ableiten, dass nicht mehr streng zwischen einer Prüfung am Maßstab des Willkürverbots bzw. des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unterschieden wird. Vielmehr wird die Prüfung jeder Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bestimmt.8 Bei der Auswahl des Prüfungsmaßstabes stellt das Bundesverfassungsgericht in erster Linie darauf ab, ob es sich um eine weniger intensive sachbezogene oder um eine personenbezogene Ungleichbehandlung handelt. Die Ausnahme von einem gesetzlichen Mindestlohn für jugendliche Arbeitnehmer bzw. erwachsene Arbeitnehmer unter 21 Jahren knüpft, auch wenn als weitere Voraussetzung das Fehlen einer abgeschlossenen Berufsausbildung erforderlich ist, am Alter an und ist damit personenbezogen. Da sie unmittelbar altersdiskriminierend wirkt, ist sie „besonders hohen Rechtfertigungshürden ausgesetzt“9, die jedoch nicht unüberwindlich sind.10 Für die vorgesehene Differenzierung müssen „Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen , dass sie die ungleiche Rechtsfolge rechtfertigen können“11. Damit ist die Verhältnismäßigkeit der Regelung angesprochen. Zu prüfen ist hierzu, ob es sich bei dem im Gesetzentwurf angeführten gesetzgeberischen Hintergrund um ein in verfassungsrechtlicher Hinsicht legitimes Ziel handelt und – bejahendenfalls – ob die Regelung zur Erreichung dieses Ziels geeignet, erfor- 7 Vgl. BVerfGE 130, 131 (142); vgl. zur Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum allgemeinen Gleichheitssatz z. B. EPPING, Volker (2012). Grundrechte. Berlin/Heidelberg: Springer Verlag, Rn. 771ff. mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des BVerfG. 8 Vgl. BRITZ, Gabriele (2014): Der allgemeine Gleichheitssatz in der Rechtsprechung des BVerfG, NJW 2014 S. 346. 9 FISCHER-LESCANO, Andreas (2014): Verfassungs- völker- und europarechtlicher Rahmen für die Gestaltung von Mindestlohnausnahmen. Rechtsgutachten im Auftrag des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts in der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) und des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Berlin: DGB. März 2014, S. 20. Abrufbar im Internetauftritt des DGB: http://www.dgb.de/themen/++co++fcd231d8-aded-11e3-8ecb- 52540023ef1a (letzter Abruf: 27. Mai 2014). 10 Vgl. z.B. BECKER, Martin in: DÄUBLER/HJORT/SCHUBERT/WOLMERATH, Arbeitsrecht. 3. Auflage 2013. München: C.H. Beck, Art 3 GG Rn. 20 f., FISCHER-LESCANO (2014) (Fn. 9), S. 19. 11 BVerfGE 82, 123 (146). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 114/14 Seite 7 derlich und angemessen ist. Dabei wird dem Gesetzgeber sowohl bei der Beurteilung der Eignung als auch der Erforderlichkeit des eingesetzten Mittels, also bei der Frage, ob das alternative Mittel gleich geeignet und milder ist, im Allgemeinen eine Einschätzungsprärogative eingeräumt.12 Das BVerfG macht die Kontrollmaßstäbe für den legislativen Einschätzungsspielraum von mehreren Faktoren abhängig, nämlich „im besonderen von der Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs , den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, und der Bedeutung der auf dem Spiele stehenden Rechtsgüter”13. 4.1. Legitime Ziele der Regelung Der Begründung des Gesetzentwurfs zufolge zielt die Regelung auf eine nachhaltige Integration junger Menschen in den Arbeitsmarkt. Durch die Ausnahme soll sichergestellt werden, dass der Mindestlohn keinen Anreiz setzt, zugunsten einer mit dem Mindestlohn vergüteten Beschäftigung auf den Besuch einer weiterführenden Schule oder eine Berufsausbildung zu verzichten Diese bildungspolitische Erwägung nimmt das Interesse der betroffenen Arbeitnehmergruppe in den Blick und geht von dem allgemeinen gesellschaftlichen Konsens aus, dass nur eine abgeschlossene Berufsausbildung wirksame Vorbeugung gegen das Risiko dauerhafter prekärer Beschäftigung und Arbeitslosigkeit ist. Dieses vom Gesetzgeber verfolgte Ziel dürfte damit als legitimes Ziel anzusehen sein. 4.2. Geeignetheit der Regelung Die Regelung muss zur Verfolgung des dargelegten Zwecks geeignet sein. Dies setzt voraus, dass der angestrebte Zweck zumindest gefördert wird.14 4.2.1. Anknüpfung an das Fehlen einer abgeschlossenen Berufsausbildung Einer aktuellen Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans- Böckler-Stiftung zufolge findet sich in der internationalen Wirkungsforschung kaum Evidenz dafür, dass ein gesetzlicher Mindestlohn einen Negativanreiz in Bezug auf die Aufnahme einer Berufsausbildung15 setzt, doch lässt er sich derzeit auch nicht widerlegen. Das Bundesverfas- 12 NEUMANN, Volker (2007): Legislative Einschätzungsprärogative und gerichtliche Kontrolldichte bei Eingriffen in die Tarifautonomie. In: Recht der Arbeit 2007, S. 71-76 (73 f.). 13 BVerfGE 50, 290 (332 f.); BVerfGE 57, 139 (159); BVerfGE 62, 1 (50); BVerfGE 90, 145 (173); zit. nach NEUMANN (2007) (Fn. 12) S. 74. 14 MANSSEN, Gerrit (2014): Staatsrecht II: Grundrechte. 11. Aufl. München: C.H. Beck, Rn. 183. 15 AMLINGER, Marc; BISPINCK, Reinhard; SCHULTEN, Thorsten (2014): Jugend ohne Mindestlohn? Zur Diskussion um Ausnahme. und Sonderregelungen für junge Beschäftigte. WSI Report 14. März 2014. Düsseldorf: WSI, S. 6. Abrufbar im Internetauftritt der Hans-Böckler-Stiftung: http://www.boeckler.de/2877_46356.htm (letzter Abruf: 27. Mai 2014). Ähnlich argumentieren auch FISCHER-LESCANO (2014) (Fn. 9), S. 20 und Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) - Bundesvorstand (2014): Mindestlohn für alle, jetzt. Würde kennt keine Ausnahme: Kein Lohn unter 8,50 Euro pro Stunde. Berlin: DGB. März 2014, S. 21. Abrufbar im Internetauftritt des DGB: https://www.mindestlohn.de (letzter Abruf: 27. Mai 2014). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 114/14 Seite 8 sungsgericht hebt jedoch insbesondere im Hinblick auf sozialpolitische und wirtschaftsordnende Maßnahmen den Einschätzungs- und Bewertungsspielraum des Gesetzgebers hervor.16 Im Rahmen seines Einschätzungsspielraumes muss der Gesetzgeber einen entsprechenden Zusammenhang nicht als sicher annehmen; in seine Prognose dürfen aber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine sachfremden Erwägungen eingeflossen sein.17 Dies ist vorliegend nicht ersichtlich, so dass die Förderung des angestrebten Ziels durch die Anknüpfung an das Fehlen einer abgeschlossenen Berufsausbildung und damit die Geeignetheit letztlich nicht in Zweifel steht.18 Die Geeignetheit der Regelung wird auch nicht durch die Tatsache infrage gestellt, dass derzeit nicht alle an einer Berufsausbildung Interessierten eine Ausbildung beginnen können, sondern zum Teil in Maßnahmen des so genannten Übergangssystems münden.19 Gemeinsames Ziel der Politik und der Sozialpartner ist es jedenfalls, eine Befriedigung der Ausbildungsnachfrage nach Möglichkeit zu gewährleisten. Dieser Absicht dient nicht zuletzt die 2004 geschlossene und zuletzt 2010 als Nationaler Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs in Deutschland verlängerte Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der Wirtschaft20, der letztlich ebenfalls dem Ziel einer nachhaltigen Integration junger Menschen in den Arbeitsmarkt dient. Dieses Ziel auf unterschiedlichen Wegen anzustreben ist dem Gesetzgeber nicht verwehrt. Insbesondere kann als Voraussetzung für eine gesetzgeberische Lenkungsregelung nicht das Vorliegen eines auswahlfähigen Angebots gefordert werden, wie es in § 2 Absatz 1 des Ausbildungsplatzförderungsgesetzes vom 7. September 1976 angestrebt wurde, der einen Mindestüberhang in Höhe von 12,5 Prozent der angebotenen Ausbildungsplätze forderte, bei dessen Unterschreitung die Förderungsmaßnahmen des Ausbildungsplatzförderungsgesetzes einsetzen sollten.21 Der mit der getroffenen Regelung verbundene Anreiz zu einer weiterführenden Schulausbildung bzw. 16 GRZESZICK, Bernd (2014): Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Ausnahmeregelungen zum gesetzlichen Mindestlohn. März 2014. München: Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. (VBW), S. 11 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des BVerfG. Abrufbar im Internetauftritt des VBW: http://www.vbwbayern .de/vbw/Aktionsfelder/Recht/Arbeits-und-Sozialversicherungsrecht/Ausnahmeregelungen-vomgesetzlichen -Mindestlohn-sind-zul%C3%A4ssig.jsp (letzter Abruf: 28. Mai 2014). 17 BVerfGE 111, 226 (255); 106, 62 (150 ff.). 18 Anderer Ansicht FISCHER-LESCANO (2014) (Fn. 9), S. 19; auch PREIS, Ulrich; ULBER Daniel (2014): Die Verfassungsmäßigkeit des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns. Rechtsgutachten im Auftrag der Hans-Böckler- Stiftung. Köln: Institut für Deutsches und Europäisches Arbeits- und Sozialrecht der Universität zu Köln. Mai 2014, S. 14, verwerfen diese Erwägung -ohne weitere Begründung - als sachwidrig. Abrufbar im Internetauftritt der Hans-Böckler-Stiftung: www.boeckler.de/pdf/gf_gutachten_preis_2014_04.pdf (letzter Abruf: 27. Mai 2014). 19 Vgl. den aktuellen Berufsbildungsbericht 2014 der Bundesregierung, S. 38, Übersicht 8 für die Jahre 2005 bis 2013. Abrufbar im Internetauftritt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF): www.bmbf.de/pub/bbb_2014.pdf (letzter Abruf: 27. Mai 2014). 20 Vgl. dazu den Internetauftritt des BMBF: http://www.bmbf.de/de/2295.php (letzter Abruf: 27. Mai 2014). 21 Das Arbeitsplatzförderungsgesetz wurde durch Urteil des BVerfG vom 10. Dezember 1980 - 2 BvF 3/77, NJW 1981, S. 329-340, wegen fehlender Beteiligung des Bundesrats für verfassungswidrig erklärt. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 114/14 Seite 9 einer Berufsausbildung verliert dadurch, dass auf dem Ausbildungsmarkt nicht jedem Schulabgänger ohne Zeitverlust eine Wunschberufsausbildung gewährleistet werden kann, nicht grundsätzlich an Wirkung. Dies könnte nur dann anders beurteilt werden, wenn lediglich einem verhältnismäßig geringen Teil von Ausbildungsinteressenten ein Ausbildungsplatz angeboten werden könnte. Dies aber ist derzeit nicht der Fall. Vielmehr kann die Angebots-Nachfrage-Relation auf dem Ausbildungsmarkt dem Berufsbildungsbericht 2014 zufolge trotz leichter Verschlechterungen im Jahr 2013 insgesamt noch als ausgewogen gelten.22 4.2.2. Altersgrenze 18 Jahre Hinsichtlich der Altersbegrenzung der Ausnahme auf 18 Jahre nimmt die im Gesetzentwurf vorgeschlagene Regelung Bezug auf § 2 Abs. 1 und 2 JArbSchG. In der Begründung wird hervorgehoben , dass in diesem Lebensabschnitt von jungen Menschen typischerweise wichtige Weichen für ihren späteren beruflichen Werdegang gestellt werden. Gleichzeitig macht der Verweis auf das JArbschG die besondere Schutzbedürftigkeit Jugendlicher am Übergang zwischen Kindheit und Erwachsensein deutlich. Offenkundig ist auch der Bezug zum Eintritt der Volljährigkeit und der unbeschränkten zivilrechtlichen Geschäftsfähigkeit (§§ 2, 106 BGB). Die Annahme, dass Minderjährige zwischen 15 und 18 Jahren im Allgemeinen nicht uneingeschränkt in der Lage sind, die Tragweite der Entscheidung für oder gegen eine Berufsausbildung für das gesamte Erwerbsleben zu übersehen, und deshalb einer gewissen Lenkung oder zumindest der Vermeidung entsprechender Negativanreize bedürfen und für entsprechende Lenkungsmaßnahmen auch hinreichend empfänglich sind, unterliegt ebenfalls der legislativen Einschätzungsprärogative. Der Gesetzgeber ist insoweit zu einer entsprechenden generalisierenden Betrachtungsweise befugt. Die Begrenzung der Ausnahme auf Jugendliche unter 18 Jahre erscheint vor diesem Hintergrund ebenfalls als zur Erreichung des beschriebenen Ziels geeignet. Der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative unterliegt auch die von PREIS und ULBER vom Institut für Deutsches und Europäisches Arbeits- und Sozialrecht der Universität zu Köln in einem Rechtsgutachten im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung hervorgehobene, jedoch letztlich nicht nachzuweisende Gefahr, dass eine Ausnahme vom gesetzlichen Mindestlohn für Jugendliche von 15 bis 18 Jahren unseriöse Arbeitgeber ermuntern könnte, vermehrt einfache Tätigkeiten in Teilzeit an Minderjährige zu vergeben.23. Die Geeignetheit der Altersgrenze wird dadurch in der Gesamtschau nicht infrage gestellt. 4.2.3. Altersgrenze 21 Jahre Die auf die Gruppe der jugendlichen Arbeitnehmer bezogenen berufsbildungs- und arbeitsmarktpolitischen Überlegungen bestehen auch bei über 18-jährigen jungen Erwachsenen grundsätzlich fort, denn der Statistik des Bundesinstituts für berufliche Bildung (BIBB) zufolge steigt das durchschnittliche Alter der Berufsausbildungsanfänger seit 1993 stetig an. „1993 waren die Jugendlichen durchschnittlich 18,5 Jahre alt und mehr als die Hälfte unter ihnen noch jünger als 18 22 Berufsbildungsbericht 2014 (Fn. 19), S. 12 ff. 23 PREIS/ULBER (2014) (Fn. 23), S. 14. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 114/14 Seite 10 Jahre. Im Berichtsjahr 2012 betrug das Durchschnittsalter 20,0 Jahre, und die unteren Altersgruppen (16- bis 17-Jährige) umfassten nur noch 11,1 % und 16,2 %.“24 Danach nimmt die Mehrzahl der Auszubildenden eine Berufsausbildung erst im Alter von über 18 Jahren auf, so dass eine Mindestlohnausnahme als Lenkungsregelung auch für junge Erwachsene bis 21 Jahre in Betracht kommen könnte. Anders als Jugendliche unterliegen über 18-jährige erwachsene Arbeitnehmer nicht mehr dem Schutz des JArbSchG und den zivilrechtlichen Beschränkungen in der Geschäftsfähigkeit. Sie unterstehen auch nicht mehr der elterlichen Personensorge, sondern sind für sich und ihr Handeln uneingeschränkt selbst verantwortlich. Sie sind damit allerdings auch nicht mehr in demselben Maße für staatliche Lenkungsmaßnahmen erreichbar wie Jugendliche. Andererseits eröffnet das Jugendgerichtsgesetz (JGG) die Möglichkeit der Anwendung des Jugendstrafrechts auch auf Erwachsene bis zum Alter von 21 Jahren, die in diesem Zusammenhang als „Heranwachsende “ bezeichnet werden (§1 Abs. 2 2. Halbsatz JGG). Auch in anderen Bereichen wird Erwachsenen dieser Altersgruppe die Übernahme besonderer Verantwortung von der Rechtsordnung vorenthalten . So ist der Erwerb der Fahrerlaubnis für Lastkraftwagen über 7,5 t und Omnibusse an das Mindestalter von 21 Jahren geknüpft (§ 10 Abs. 1 in Verbindung mit § 6 Abs. 1 der Fahrerlaubnisverordnung ). Die Rechtsordnung bietet dem Gesetzgeber damit Anhaltspunkte dafür, dass auch junge Erwachsene unter 21 Jahren in ihrer persönlichen Reife noch nicht voll entwickelt sind und damit für gesetzgeberische Lenkung im Sinne einer nachhaltigen beruflichen Qualifikation erreichbar sein können. Auch hier unterliegt die Einschätzung der Wirksamkeit der Ausnahme vom Mindestlohn im Sinne des angestrebten berufsbildungspolitischen Ziels der gesetzgeberischen Prärogative, so dass die Geeignetheit auch für die Gruppe junger Erwachsener bis 21 Jahre bejaht werden könnte. 4.3. Erforderlichkeit der Regelung Erforderlich ist eine Regelung, wenn es kein milderes Mittel zur Erreichung des angestrebten Ziels gibt. Ein anderes Mittel zur Vermeidung eines berufsbildungspolitischen Fehlanreizes ist nicht ersichtlich. Weder eine Verbesserung der Beratung und Betreuung bei der Suche nach einem geeigneten Ausbildungsplatz noch die Verbreiterung des Angebots von Ausbildungsmöglichkeiten durch entsprechende Einflussnahme auf die Wirtschaft im Rahmen des Ausbildungspaktes sind in der Lage, die finanzielle Attraktivität eines ungelernten Beschäftigungsverhältnisses zum Mindestlohn zu beseitigen. Die Regelung dürfte daher auch als erforderlich anzusehen sein. 4.4. Angemessenheit der Regelung Schließlich muss die Ausnahmeregelung auch angemessen sein. Dafür muss der Gesetzgeber innerhalb seines Gestaltungsspielraumes einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen gefunden haben. 24 BIBB (2014): Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2014. Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung. Vorversion, S. 135 und Tabelle A4.5-1 S. 136. Abrufbar im Internetauftritt des BIBB: http://datenreport.bibb.de (letzter Abruf: 27. Mai 2014). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 114/14 Seite 11 Hierbei ist zu berücksichtigen, dass ein individuelles und gesamtgesellschaftliches Interesse daran bestehen dürfte, dass Jugendliche bzw. junge Erwachsene nach Abschluss der Vollzeitschulpflicht eine Berufsausbildung absolvieren, um anschließend nachhaltig in den Arbeitsmarkt integriert werden zu können. Eine fehlende Berufsausbildung birgt demgegenüber ein hohes Risiko der Langzeitarbeitslosigkeit. So hatten nach der Statistik der Bundesagentur für Arbeit 2011 49 Prozent der Langzeitarbeitslosen keine abgeschlossene Berufsausbildung.25 Diesem erheblichen Risiko negativer Folgen für den Einzelnen und die Gesellschaft steht ein möglicherweise lediglich kurzfristiges Interesse des Einzelnen an einer unmittelbaren Beschäftigung zum Mindestlohn gegenüber. 4.4.1. Altersgrenze 18 Jahre In Anbetracht der dargestellten persönlichen Lebenssituation Jugendlicher im Alter zwischen 15 und 18 Jahren, die sich an der Schwelle zum Erwachsenenalter und in einer Phase der Entscheidungsfindung für ihre Lebensplanung befinden, dürfte eine Ausnahme vom gesetzlichen Mindestlohn für diese Gruppe sicherstellen, dass die angesprochenen unterschiedlichen Interessen zu einem Ausgleich gebracht werden, der innerhalb des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums liegt. 4.4.2. Altersgrenze 21 Jahre Junge Erwachsene zwischen 18 und 21 Jahren stehen in aller Regel, auch wenn sie keine berufliche Qualifikation haben, bereits fester im Leben als Jugendliche. Sie haben anders als jene vielfach konkrete Lebensentwürfe und Planungen, die unter Umständen nicht unerheblich beeinträchtigt werden können, wenn ihnen ein gesetzlicher Mindestlohn bis zum Abschluss einer Berufsausbildung vorenthalten wird. Gleichwohl ist hervorzuheben, dass auch sie sich noch ganz am Anfang ihres Berufslebens befinden und Berufsausbildungen in den meisten Fällen erst in einem Alter von über 18 Jahren begonnen werden. In dieser Lebenssituation erscheint es nicht als völlig sachwidrig und außerhalb des legislativen Gestaltungsspielraums, wenn der Gesetzgeber bei der Abwägung der oben dargestellten Interessen letztlich zu demselben Ergebnis gelangt wie bei der Gruppe der Jugendlichen. 5. Fazit Die überschlägige verfassungsrechtliche Prüfung führt zu dem Ergebnis, dass eine Ausnahme von einem gesetzlichen Mindestlohn für Arbeitnehmer unter 18 Jahren, wie sie im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehen ist, mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG wohl vereinbar wäre. 25 Bundesagentur für Arbeit - Statistik (2011): Der Arbeitsmarkt in Deutschland - Sockel- und Langzeitarbeitslosigkeit . Nürnberg: BA, S. 12. Abrufbar im Internetauftritt der BA-Statistik: http://statistik.arbeitsagentur.de (letzter Abruf: 28. Mai 2014). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 114/14 Seite 12 Für die Rechtfertigung einer höheren Altersgrenze von 21 Jahren können erheblich weniger Anhaltspunkte aus der Rechtsordnung herangezogen werden. Jedoch gibt es für die Gruppe der jungen Erwachsenen bis 21 Jahre auch Parallelen zur Gruppe der Jugendlichen, die eine entsprechende Regelung auch für sie nahelegen könnten. Ob die Gründe letztlich ausreichen, die mit der Ausnahme von einem gesetzlichen Mindestlohn verbundene Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich zu rechtfertigen, erscheint nicht sicher, ist aber auch nicht ausgeschlossen. Eine abschließende Prüfung ist allein dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten.