© 2019 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 112/19 Auswirkungen des Brexit auf die Beschäftigung in Deutschland Ausgewählte Studien Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 112/19 Seite 2 Auswirkungen des Brexit auf die Beschäftigung in Deutschland Ausgewählte Studien Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 112/19 Abschluss der Arbeit: 30. August 2019 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 112/19 Seite 3 1. Einleitung Die fortdauernde Ungewissheit über das Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (EU) (sog. Brexit) führt zu Unsicherheit in der deutschen Wirtschaft. Im Zuge der zunehmenden Wahrscheinlichkeit eines harten Brexit wird erwartet, dass Arbeitsmigration innerhalb der EU umgelenkt wird, und es werden Befürchtung geäußert, dass es in Deutschland aufgrund der wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen dem Vereinigten Königreich und Deutschland zu erheblichen Arbeitsplatzverlusten kommen könnte. Die Frage nach den Auswirkungen des Brexit auf den deutschen Arbeitsmarkt und die mögliche Folge von Arbeitsplatzverlusten ist mittlerweile Gegenstand mehrerer Studien und Berichte verschiedener Wirtschaftsforschungsinstitute. Im Folgenden sollen ausgewählte Prognosen vorgestellt werden, die sich mit der Frage nach den Auswirkungen des Brexit auf die Beschäftigung in Deutschland befassen. Dabei wird zum Teil zwischen den Folgen eines weichen Brexit (mit Austrittsabkommen mit der EU) und denen eines harten Brexit (ohne Austrittsabkommen) differenziert . 2. Folgen für die Arbeitsmigration nach Deutschland Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) aus dem Jahr 2016 befasst sich mit den Folgen, die der Brexit für die Arbeitsmigration nach Deutschland haben wird: Brückner, Herbert; Vallizadeh, Ehsan (2016): Brexit: Mögliche Folgen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Arbeitsmigration, Aktueller Bericht 16/2016, Nürnberg: IAB. Abrufbar im Internetauftritt des IAB: http://doku.iab.de/aktuell/2016/aktueller_bericht_1616.pdf (letzter Abruf: 29. August 2019). Danach ist das Vereinigte Königreich in absoluten Größen eines der wichtigsten Zielländer der Migration in Europa. Ein Großteil komme aus den neuen Mitgliedstaaten der EU, weil das Vereinigte Königreich im Jahr 2004 die Arbeitsnehmerfreizügigkeit ohne Übergangsfristen eingeführt habe (Übergangsfristen gab es 2007 für Bulgarien und Rumänien). Sollte es zu einer Aufhebung der Arbeitnehmerfreizügigkeit kommen, dann könne dies eine Umlenkung der Migrationsströme bewirken. Es sei jedoch nicht damit zu rechnen, dass die Zuwanderung von EU-Bürgern vollständig nach Deutschland umgelenkt werde. Auch das Centre für European Reform (CER) geht in einer Publikation aus dem Jahr 2017 davon aus, dass durch den Brexit in Zukunft eine Zuwanderung junger, qualifizierter Arbeitskräfte nach Deutschland erfolgen wird: Odendahl, Christian; Springford, John (2017): The biggest Brexit boon for Germany? Migration, Centre for European Reform, CER Insight, 11. Dezember 2017, abrufbar im Internetauftritt des CER: https://www.cer.eu/sites/default/files/insight_Germany_CO_JS_11.12.17.pdf (letzter Abruf: 29. August 2019). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 112/19 Seite 4 Insbesondere werde Deutschland von Arbeitskräften aus Bulgarien und Rumänien profitieren und von EU-Bürgern, die das Vereinigte Königreich verlassen würden. Westeuropäer arbeiteten überproportional im Bank- und Finanzwesen und für den britischen öffentlichen Sektor; die Frankfurter Banken könnten die Möglichkeit erhalten, hochqualifizierte Arbeitskräfte zu beschäftigen . Gleiches gelte für deutsche Krankenhäuser und Pflegeheime. 3. Auswirkungen des Brexit auf Arbeitsmarkt und Beschäftigung in Deutschland Ein 2016 veröffentlichter Bericht des IAB erörtert die Folgen des Brexit für die deutsche Arbeitsmarktentwicklung : Weber, Enzo; Hutter, Christian (2016): Auswirkungen des Brexit auf den deutschen Arbeitsmarkt (erweiterte Fassung), Aktueller Bericht 14/2016, Nürnberg: IAB. Abrufbar im Internetauftritt des IAB: http://doku.iab.de/aktuell/2016/aktueller_bericht_1614.pdf (letzter Abruf: 26. August 2019). Den Autoren zufolge könnte der deutsche Arbeitsmarkt einen begrenzten Konjunkturdämpfer im Hinblick auf die aus damaliger Sicht robuste Entwicklung relativ unbeschadet überstehen. Für die weitere Entwicklung komme es darauf an, welche Anschlussregelungen zur Unterstützung eines weiteren Funktionierens der wirtschaftlichen Abläufe getroffen würden. Eine im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie erstellte Studie des Leibniz- Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München (ifo Institut) misst dem Handel mit dem Vereinigten Königreich hohe Beschäftigungsrelevanz bei: Felbermayr, Gabriel et al. (2017): Ökonomische Effekte eines Brexit auf die deutsche und europäische Wirtschaft, ifo Forschungsbericht 85/2017, München: CES ifo. Abrufbar im Internetauftritt des ifo-Instituts: https://www.ifo.de/DocDL/ifo_Forschungsberichte_85_2017_Felbermayr_etal _Brexit.pdf (letzter Abruf: 26. August 2019). Danach hingen im Jahr 2014 circa 556.000 Jobs in Deutschland direkt und indirekt am Export in das Vereinigte Königreich. Das seien 1,4 Prozent der Beschäftigten. Empirische Evidenz lege nahe, dass es sich bei diesen Arbeitsplätzen um Jobs mit vergleichsweise guter Entlohnung handele . Dabei handele es sich im Durchschnitt um gute Arbeitsverhältnisse. Von hohen Arbeitsplatzverlusten in Deutschland geht eine Studie der Hans-Böckler Stiftung aus: Welfens, Paul, J.J.; Korus, Arthur; Baier, Fabian (2017): Makroökonomische Brexit-Aspekte mit Blick auf Deutschland und EU, Analyse für die Hans-Böckler-Stiftung. Abrufbar im Internetauftritt der Hans-Böckler-Stiftung: https://www.boeckler.de/pdf/p_mbf_makrooekonomische_brexit.pdf (letzter Abruf: 29. August 2019). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 112/19 Seite 5 Die Autoren schätzen, dass es in den nächsten zehn Jahren zu einem Verlust von bis zu 140.000 Arbeitsplätzen kommen könnte. Wahrscheinlich sei jedoch - bei guter Konjunkturentwicklung in Deutschland und der EU sowie in den USA und China - ein verstärkter Export der betroffenen Sektoren in andere Märkte, was die negativen Brexit-Folgen in Deutschland stark abfedern könnte. Eine aktuelle Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) untersucht die Auswirkungen eines möglichen harten Brexit auf den Arbeitsmarkt: Brautzsch, Hans-Ulrich; Holtemöller, Oliver (2019): Potential International Employment Effects of a Hard Brexit, IWH Discussion Papers, No. 4/2019, Halle: IWH (engl.). Abrufbar über den Internetauftritt des IWH: https://www.iwh-halle.de/en/publications/detail/Publication/potential-internationalemployment -effects-of-a-hard-brexit/ (letzter Abruf: 26. August 2019). Die Autoren untersuchen die Folgen eines harten Brexit für die Arbeitsmärkte in insgesamt 43 Ländern. Ihre Berechnungen beruhen auf der Annahme, dass nach einem harten Brexit die britischen Importe um 25 Prozent sinken. Die damit einhergehenden direkten oder indirekten Auswirkungen auf die nationalen Arbeitsmärkte seien in Deutschland am stärksten, wo insgesamt 100.000 Arbeitsplätze - davon 15.000 in der Autoindustrie - bedroht seien. Eine neuere belgische Studie der Universität Leuven untersucht unter Verwendung zahlreicher Schaubilder die möglichen Arbeitsplatzverluste in den EU-Mitgliedstaaten im Falle eines weichen sowie eines harten Brexit: Vandenbussche, Hylke (2019): Sector-Level Analysis of the Impact of Brexit on the EU-28. Abrufbar im Internet unter: https://www.fdfa.be/sites/default/files/atoms/files/Brexit%20impact %20study%202019.pdf (letzter Abruf: 28. August 2019). Die Studie berücksichtigt dabei sowohl den direkten Handel mit dem Vereinigten Königreich als auch indirekte Handelsketten über Drittländer. Im Ergebnis gehen die Autoren für den Fall eines harten Brexit von einem Verlust von 291.930 Arbeitsplätzen in Deutschland aus. Dabei seien in Deutschland die Sektoren Maschinenbau, Metallproduktion und -fertigung sowie die Automobilund Elektronikindustrie am stärksten betroffen. Im Falle eines weichen Brexit rechnen sie mit einem Verlust von 69.060 Arbeitsplätzen. Grafische Darstellungen der Ergebnisse finden sich auf folgenden Seiten: S. 23, Abb. 2.a.-2.b.: Absolute und relative Arbeitsplatzverluste pro EU-Mitgliedstaat in den Fällen eines weichen und eines harten Brexit (Kartenansicht). S. 26 f., Abb. 6.a.-6.b.: Absolute und relative Arbeitsplatzverluste pro EU-Mitgliedstaat in den Fällen eines weichen und eines harten Brexit im direkten Vergleich der EU-Mitgliedstaaten – aufsteigend nach relativer Schwere der Verluste (Diagramm). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 112/19 Seite 6 S. 29, Tabelle 8.a.-8.b.: Arbeitsplatzverluste relativ zur Zahl der Gesamtarbeitsplätze im jeweiligen Mitgliedstaat in den Fällen eines weichen und eines harten Brexit, in Prozent. S. 35-42: Tabellarische Darstellung der absoluten und relativen Arbeitsplatzverluste in den 15 am stärksten betroffenen Beschäftigungssektoren in den zehn am stärksten betroffenen EU-Mitgliedstaaten - darunter Deutschland - in den Fällen eines weichen und eines harten Brexit. Mit den möglichen Auswirkungen internationaler Handelskonflikte auf den deutschen Arbeitsmarkt befasst sich eine 2018 veröffentliche Prognose des IAB: Weber, Enzo (2018): Mögliche Auswirkungen der internationalen Handelskonflikte auf den deutschen Arbeitsmarkt. IAB-Forum, 9. Juli 2018. Abrufbar im Internetauftritt des IAB-Forums: https://www.iab-forum.de/moegliche-auswirkungen-der-internationalen-handelskonflikte -auf-den-deutschen-arbeitsmarkt/ (letzter Abruf: 27. August 2019). Aus damaliger Sicht sei für Deutschland mit einer Abflachung der BIP-Wachstumsraten gegenüber dem Jahr 2017 zu rechnen, aber nicht mit einer wirklichen Schwächephase oder sogar Rezession . Die Beschäftigungsentwicklung in Deutschland werde aber voraussichtlich nur in begrenztem Umfang von dem weltwirtschaftlichen Dämpfer betroffen sein. Eine 2019 veröffentlichte Prognose desselben Autors untersucht die Auswirkungen eines harten Brexit auf die deutsche Konjunktur und den Arbeitsmarkt: Weber, Enzo (2019): Folgen des Brexit für Deutschland: Dämpfer für die Konjunktur, aber nicht für den Arbeitsmarkt. IAB-Forum, 7. Februar 2019. Abrufbar im Internetauftritt des IAB-Forums: https://www.iab-forum.de/folgen-des-brexit-fuer-deutschland-daempfer-fuer-die-konjunktur -nicht-fuer-den-arbeitsmarkt/ (letzter Abruf: 27. August 2019). Im Ergebnis hält der Autor an seiner seit 2016 vertretenen Auffassung fest, dass sich die Auswirkungen auf die Beschäftigung wegen des robusten deutschen Arbeitsmarktes in Grenzen halten werden: „Zumindest ein harter Brexit würde die Konjunktur in Deutschland beeinträchtigen. Indes zeigt sich die Arbeitsmarktentwicklung gegenüber konjunkturellen Fluktuationen seit der großen Rezession von 2009 sehr robust. Statt von der Konjunktur wird der Aufwärtstrend der Beschäftigung vor allem von Faktoren wie dem Wachstum des Dienstleistungsbereichs, etwa bei Pflege, Erziehung und Unternehmensdienstleistern, sowie der hohen Zuwanderung gestützt.“ ***