© 2019 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 110/19 Erstreckung der Befreiung von der Rentenversicherungspflicht auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 110/19 Seite 2 Erstreckung der Befreiung von der Rentenversicherungspflicht auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 110/19 Abschluss der Arbeit: 27. August 2019 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 110/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung bei berufsständischer Versorgung 4 2. Voraussetzungen für die Erstreckung der Befreiung auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit 4 2.1. Vorliegende Befreiung 4 2.2. Andere versicherungspflichtige Tätigkeit 4 2.3. Zeitliche Begrenzung 5 2.4. Gewährleistung einkommensbezogener Versorgungsanwartschaften 5 3. Bedingung der Unterbrechung der ursprünglichen Beschäftigung 5 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 110/19 Seite 4 1. Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung bei berufsständischer Versorgung Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen gemäß § 1 Nr. 1 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung . Für bereits in einer nach Landesrecht geregelten berufsständischen Versorgungseinrichtung pflichtversicherte Beschäftigte besteht zur Vermeidung einer doppelten Beitragszahlung die Möglichkeit der Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. So werden beispielsweise zugelassene Rechtsanwälte, die als Beschäftigte anwaltlich für ihren Arbeitgeber tätig sind, wegen ihrer Mitgliedschaft in einem Versorgungswerk der jeweiligen Rechtsanwaltskammer bei Erfüllung der Voraussetzungen gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit. Die vom Rentenversicherungsträger ausgesprochene Befreiung von der Versicherungspflicht wirkt gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 SGB VI zunächst nur für diejenige in einem Arbeitsverhältnis ausgeübte Beschäftigung, für die sie erteilt worden ist. 2. Voraussetzungen für die Erstreckung der Befreiung auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit Die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung erstreckt sich gemäß § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI auch auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit, wenn diese infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist und der Versorgungsträger für die Zeit der Tätigkeit den Erwerb einkommensbezogener Versorgungsanwartschaften gewährleistet. 2.1. Vorliegende Befreiung Die Erstreckung der Befreiung auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit setzt voraus, dass der Rentenversicherungsträger für eine dem Grunde nach versicherungspflichtige Beschäftigung eine Befreiung von der Versicherungspflicht ausgesprochen hat. Dies ist bei selbständigen Mitgliedern berufsständischer Versorgungswerke - wie in eigener Kanzlei tätigen Rechtsanwälten - nicht der Fall, da sie von vornherein nicht der Rentenversicherungspflicht unterliegen. Eine Befreiung kann sich gegebenenfalls nicht auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit erstrecken . Vielmehr ist hierfür eine bestehende, dem Grunde nach versicherungspflichtige - zum Beispiel anwaltliche - Beschäftigung, für die wegen der berufsständischen Versorgung eine Befreiung ausgesprochen worden ist, erforderlich.1 2.2. Andere versicherungspflichtige Tätigkeit Andere in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtige Tätigkeiten können eine weitere abhängige Beschäftigung, eine von § 2 SGB VI erfasste selbständige Tätigkeit oder eine 1 Vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 31. Oktober 2012, Az. B 12 R 8/10 R. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 110/19 Seite 5 sonstige Tätigkeit sein, die gemäß § 3 SGB VI eine Rentenversicherungspflicht auslöst. Hierzu gehören unter anderem die nicht erwerbsmäßig ausgeübte Pflege und die Ableistung von Wehr- oder Zivildienst. Daher werden die Beiträge zur sozialen Sicherung von Pflegepersonen, die wegen einer Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung auch in ihrer Pflegetätigkeit von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sind, gemäß § 44 Abs. 2 des Elften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XI) auf Antrag an die berufsständische Versorgungseinrichtung gezahlt. Bis zur Aussetzung der Wehrpflicht erhielten Wehrpflichtige Mitglieder berufsständischer Versorgungswerke die zu ihrer Altersversorgung geleisteten Beiträge gemäß § 14b Arbeitsplatzschutzgesetz (ArbPlSchG) auf Antrag erstattet. In beiden Fällen führt die Erstreckung der Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu einer einheitlichen Alterssicherung aus der berufsständischen Altersversorgung. 2.3. Zeitliche Begrenzung Eine versicherungspflichtige Tätigkeit kann infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt sein. Wegen ihrer Eigenart begrenzt sind Beschäftigungen oder Tätigkeiten immer dann, wenn sie für die Durchführung einer bestimmten Aufgabe beziehungsweise eines bestimmten Projekts aufgenommen werden. Das gilt zum Beispiel für die Planung und Durchführung einer Baumaßnahme, für die Mitarbeit an einer Schulungsmaßnahme oder für die Ausübung einer nicht erwerbsmäßigen Pflegetätigkeit sein. Einfacher gestaltet sich die Beurteilung für auf der Grundlage eines befristeten Arbeits- oder Dienstvertrages ausgeübte Beschäftigungen oder selbständige Tätigkeiten. Hierfür können die Kriterien des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) herangezogen werden.2 2.4. Gewährleistung einkommensbezogener Versorgungsanwartschaften Eine bestehende Befreiung kann sich nur dann auf eine andere Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit auswirken, wenn aus dieser Berufsausübung heraus zur berufsständischen Versorgungseinrichtung satzungsgemäß genau so hohe Beiträge gezahlt werden müssen, wie sie im Fall der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen wären. Als Nachweis hierfür dient eine entsprechende Bestätigung des Versorgungswerkes.3 3. Bedingung der Unterbrechung der ursprünglichen Beschäftigung Fraglich ist, ob die der Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zugrunde liegende ursprüngliche Beschäftigung durch die „andere versicherungspflichtige Tätigkeit“ unterbrochen werden muss oder auch daneben weiter ausgeübt werden kann. Dem Wortlaut des Gesetzes ist nicht zu entnehmen, dass die Unterbrechung der ursprünglichen Beschäftigung eine weitere Voraussetzungen für die Erstreckung der Befreiung auf die andere 2 Gemeinsame Rechtliche Anweisungen der Deutschen Rentenversicherung, § 6 SGB VI: Befreiung von der Versicherungspflicht , Ziff. 2.6.2., abrufbar im Internet unter http://rvrecht.deutsche-rentenversicherung.de/Shared- Docs/rvRecht/01_GRA_SGB/06_SGB_VI/pp_0001_25/gra_sgb006_p_0006.html#doc1577448bodyText33, zuletzt abgerufen am 21. August 2019. 3 Fn. 2, Ziff. 2.6.3. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 110/19 Seite 6 versicherungspflichtige Tätigkeit darstellt. Insoweit könnte sich die Befreiung von der Versicherungspflicht auch auf eine neben der ursprünglichen Beschäftigung ausgeübte (Neben-)Beschäftigung erstrecken. Nach dem bis 1991 geltenden Recht war die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung bei verpflichtender Mitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgung personenbezogen und bezog sich damit nicht nur auf die ausgeübte Beschäftigung.4 Auch für unbefristete Nebenbeschäftigungen waren insoweit keine Beiträge zu zahlen. Aus der Gesetzesbegründung zum RRG 1992 geht hervor, dass die in § 5 Abs. 5 Satz 1 SGB VI festgelegte nicht mehr personen-, sondern auf die jeweilige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit bezogene Wirkung der Befreiung den sozialen Schutz der Betroffenen verbessern soll. Eine daneben ausgeübte weitere berufsfremde Beschäftigung führt seit dem Inkrafttreten der Rentenreform am 1. Januar 1992 grundsätzlich zur Beitragspflicht. Nach der Gesetzesbegründung sollte § 5 Abs. 5 Satz 2 SGB VI sicherstellen, dass nur eine vorübergehende berufsfremde Tätigkeit nicht zu einem Wechsel des Alterssicherungssystems führt und dies insbesondere für die Zeit des Wehrdienstes gelte.5 In den Gemeinsamen Rechtlichen Anweisungen der Deutschen Rentenversicherung wird ausgeführt , dass die zu beurteilende berufsfremde Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit anstelle des Kammerberufes oder neben dem Kammerberuf ausgeübt werden kann. Sie kann also die befreite Beschäftigung ersetzen oder ergänzen.6 Auch in der Literatur wird mehrfach die Ansicht vertreten, dass die weitere versicherungspflichtige Tätigkeit gleichzeitig neben der eigentlichen Beschäftigung oder bei einer Unterbrechung der eigentlichen Tätigkeit auch unabhängig von dieser ausgeübt werden kann.7 Dabei ist es nicht erforderlich, dass die weitere versicherungspflichtige Tätigkeit neben der Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber ausgeübt wird wie die Tätigkeit , für die die Befreiung ausgesprochen ist.8 Dagegen wird bisweilen eine Unterbrechung der ursprünglichen Beschäftigung verlangt, da nur in diesem Fall ein Wechsel des Alterssicherungssystems stattfinden würde, den der Gesetzgeber vermeiden wolle. Eine neben der ursprünglichen Beschäftigung ausgeübte weitere berufsfremde Tätigkeit würde keinen Wechsel des Alterssicherungssystems bedeuten, sondern eine zusätzliche Sicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung begründen.9 4 Vgl. § 7 Abs. 2 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG). 5 Bundestagsdrucksache 11/4124, S. 152. 6 Fn. 2, Ziff. 2.6. 7 Voelzke in: Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts – Band 3, Rentenversicherungsrecht, 1999, § 17 Rn. 75; Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann/Berchtold, 6. Aufl. 2019, SGB VI § 6 Rn 6; Fichte in: Hauck/Noftz, SGB, 08/13, § 6 SGB VI, Rn. 133. 8 KassKomm/Gürtner, 104. EL Juni 2019, SGB VI § 6 Rn. 39. 9 Boecken in: Ruland/Försterling, Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung , 123. Lieferung Januar 2007, § 6 Rn. 187. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 110/19 Seite 7 Dieser Auffassung folgt auch das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, das in seinem Urteil vom 13. Juli 2015 feststellt, »dass sich die Befreiung von der Versicherungspflicht nur auf eine Tätigkeit erstrecken kann, die die Tätigkeit unterbricht, für die die Befreiung erteilt wurde. Nur in solchen Fällen kann es zu einem Wechsel in den Alterssicherungssystemen kommen. Ein „Wechsel“ liegt nur vor, wenn ein Alterssicherungssystem verlassen wird und der Eintritt in ein anderes Alterssicherungssystem erfolgt. Dies ist nicht der Fall, wenn zwei unterschiedlichen Alterssicherungssystemen zugehörige Tätigkeiten nebeneinander ausgeübt werden. Bleibt die Zugehörigkeit zu einem Alterssicherungssystem aufgrund der Ausübung einer Tätigkeit bestehen und wird darüber hinaus durch die Aufnahme einer weiteren Tätigkeit die Zugehörigkeit zu einem anderen Alterssicherungssystem begründet, liegt kein „Wechsel“ vor. … Die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung beschränkt sich auf die ihr zugrundeliegende „jeweilige“ Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit (BSG Urteil vom 31.10.2012 – B 12 R 3/11 R). Wird darüber hinaus eine andere Tätigkeit ausgeübt, ist deren versicherungsrechtlicher Status selbstständig zu beurteilen und es kann daher zulässigerweise zu Mehrfachversicherungen und mehrfacher Beitragspflicht kommen (BSG Urteil vom 3.4.2014 – 5 RE 13/14 R m. w. N.).« Nach Auskunft der Deutschen Rentenversicherung Bund sollen die Gemeinsamen Rechtlichen Anweisungen an die inzwischen aufgrund der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Nordrhein -Westfalen geänderte Verwaltungspraxis angepasst werden. Eine letztinstanzliche Entscheidung des Bundessozialgerichts zur Frage, ob die ursprüngliche Beschäftigung für die Erstreckung der Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung durch die „andere versicherungspflichtige Tätigkeit“ unterbrochen werden muss, stehe einstweilen noch aus. ***