Deutscher Bundestag Lenk- und Ruhezeiten im Nah- und Fernverkehr Aktuelle Rechtslage und politische Debatte Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2009 Deutscher Bundestag WD 6 – 3000-110/09 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-110/09 Seite 2 Lenk- und Ruhezeiten im Nah- und Fernverkehr Aktuelle Rechtslage und politische Debatte Aktenzeichen: WD 6 – 3000-110/09 Abschluss der Arbeit: 2. Dezember 2009 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-110/09 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Gemeinschaftsrechtliche und nationale Gesetzesgrundlagen 4 1.1. Wichtige Regelungen des Gemeinschaftsrechts 4 1.1.1. Verordnung (EG) Nr. 561/2006 4 1.1.2. Verordnung (EG) Nr. 1073/2009 6 1.1.3. Richtlinie 2002/15/EG 6 1.2. Weitere Regelungen im Gemeinschaftsrecht 6 1.2.1. EU-Verordnungen Nr. 3821/85 und Nr. 2135/98 6 1.2.2. Europäisches Übereinkommen über die Arbeit des im internationalen Straßenverkehr beschäftigten Fahrpersonals (AETR) 6 1.3. Nationales Recht 7 1.3.1. Fahrpersonalgesetz (FPersG) 7 1.3.2. Fahrpersonalverordnung (FPersV) 7 1.3.3. Arbeitszeitgesetz (ArbZG) 8 1.4. Konkurrenzen 9 2. Politische Debatte zur „12-Tage-Regelung“ in der Verordnung (EG) 561/2006 und zur Frage der Einbeziehung oder Nichteinbeziehung der selbständigen Kraftfahrer in den Geltungsbereich der Richtlinie 2002/15/EG. 9 2.1. 12-Tage-Regelung wieder eingeführt 10 2.1.1. Selbständige Kraftfahrer: In die Richtlinie 2002/15/EG einbeziehen oder nicht? 11 Literaturverzeichnis 12 Verzeichnis der Anlagen 13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-110/09 Seite 4 1. Gemeinschaftsrechtliche und nationale Gesetzesgrundlagen Die gesetzlichen Grundlagen zur Regelung der Lenk- und Ruhezeiten für den Nah- und Fernverkehr finden sich sowohl im Gemeinschaftsrecht der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) als auch im nationalen Recht. Durch die vielen Sonder- und Ausnahmevorschriften und die Beachtung der Gesetzeskonkurrenz gestaltet sich das vorhandene Regelwerk in seiner Gesamtheit wenig übersichtlich. Nachfolgend soll ein Überblick über die wichtigsten Verordnungen, Richtlinien und Gesetze zu den Lenk-, Ruhe- und Arbeitszeiten im Nah- und Fernverkehr und ihr Verhältnis zueinander gegeben werden. 1.1. Wichtige Regelungen des Gemeinschaftsrechts 1.1.1. Verordnung (EG) Nr. 561/2006 Die wichtigsten Vorschriften zu den Lenk- und Ruhezeiten im Nah- und Fernverkehr finden sich in der Verordnung (EG) Nr. 561/20062, die zum 11. April 2007 in Kraft getreten ist. Gemäß Art. 249 des EG-Vertrages (EGV) gilt sie unmittelbar und verbindlich für alle Mitgliedstaaten, d. h. grundsätzlich für alle Beförderungen innerhalb der EG-Mitgliedstaaten und im grenzüberschreitenden Verkehr zwischen den Mitgliedstaaten.3 Die Verordnung enthält Vorschriften zu den Lenk- und Ruhezeiten sowie Dokumentationspflichten für Kraftfahrer im Straßengüter- und Personenverkehr. Sie gilt gemäß Art. 2 Abs. 14 für Güterbeförderung mit Fahrzeugen über 3,5 t und für Personenbeförderung für mehr als neun Personen .5 Die seit dem 11. April 2007 geltenden Lenk- und Ruhezeiten sind mittels eines neu eingeführten digitalen EG-Kontrollgerätes - welches die Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten zur Sicherheit im Straßenverkehr kontrolliert - aufzuzeichnen und von den Fahrern wie folgt einzuhalten : Nach Art 6 Abs. 1 darf die tägliche Lenkzeit 9 Stunden grundsätzlich nicht überschreiten, jedoch höchstens zweimal in der Woche auf maximal 10 Stunden verlängert werden. Die Wochenlenkzeit darf 56 Stunden nicht überschreiten, wobei zu beachten ist, dass die summierte Gesamtlenkzeit während zweier aufeinander folgender Wochen nicht über 90 Stunden liegen darf (Art. 6 Abs. 2 und 3). 2 Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 3821/85 und (EG) Nr. 2135/98 des Rates sowie Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates (Anlage 1). 3 Darüber hinaus gelten die Vorschriften auch in den EWR-Mitgliedstaaten Island, Liechtenstein und Norwegen. 4 Rechtsquellenangaben ohne weitere Bezeichnung sind solche der VO (EG) Nr. 561/2006. 5 Ausnahmeregelungen dazu finden sich in Art. 3 der VO (EG) Nr. 561/2006. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-110/09 Seite 5 Der Begriff der Lenkzeit ist in Art. 4 der Verordnung legal definiert. Unter „Tageslenkzeit“ versteht man demnach die summierte Dauer der Lenktätigkeit zwischen dem Ende einer täglichen Ruhezeit und dem Beginn der darauffolgenden täglichen Ruhezeit (…). Unter „Wochenlenkzeit“ ist die summierte Gesamtlenkzeit innerhalb einer Woche zu verstehen. Nach einer Lenkdauer von 4,5 Stunden hat der Fahrer eine sog. Lenkzeitunterbrechung von mindestens 45 Min. einzulegen, die er ausschließlich zur Erholung zu nutzen hat. Dabei ist es möglich, anstelle der gesamten 45 Min. zwei Teilunterbrechungen von mindestens 15 bzw. 30 Min. in genau dieser Reihenfolge innerhalb eines 4,5 Stundenblocks vorzunehmen (Art. 7). Die Ruhezeiten sind in Art. 8 der Verordnung geregelt und ebenfalls in Art. 4 definiert. Auch hier wird - wie bei den Lenkzeiten - zwischen täglicher und wöchentlicher Ruhezeit differenziert. Unter Ruhezeit versteht man einen Zeitraum, in dem ein Fahrer frei über seine Zeit verfügen kann und der eine „regelmäßige Ruhezeit“ und eine „reduzierte Ruhezeit“ umfasst. Keine Ruhezeiten sind Zeiten der Arbeit oder Arbeitsbereitschaft.6 Die „regelmäßige täglich einzuhaltende Ruhezeit“ beträgt mindestens 11 Stunden innerhalb eines Zeitraumes von 24 Stunden. Sie kann auch in zwei Blöcke aufgeteilt werden (sog. „Splitting“), wobei der erste Teil einen ununterbrochenen Zeitraum von mindestens 3 Stunden und der zweite Teil einen ununterbrochenen Zeitraum von mindestens 9 Stunden umfassen muss, sodass die Gesamtruhezeit auf 12 Stunden erweitert wird (Art. 8 Abs. 2) Die „reduzierte tägliche Ruhezeit“ beziffert eine Ruhepause von mindestens 9, aber weniger als 11 Stunden. Der Fahrer darf zwischen zwei wöchentlichen Ruhezeiten höchstens drei reduzierte tägliche Ruhezeiten einlegen (Art. 8 Abs. 4). Eine der wohl wichtigsten Änderungen, die mit Inkrafttreten der europäischen Verordnung vollzogen wurde, ist der Wegfall der sog. „12-Tage-Regelung“ für das Omnibusgewerbe. Demnach muss nun in jeder Kalenderwoche nach höchstens 6 Tageslenkzeiten (statt früher 12) anstelle der täglichen Ruhezeit eine zusammenhängende Ruhezeit von mindestens 45 Stunden einschließlich einer Tagesruhezeit eingelegt werden. Eine Verkürzung auf 24 Stunden mit Ausgleich bis zum Ende der 3. Folgewoche ist möglich, darf jedoch nur jede 2. Wochenruhezeit erfolgen.7 Dieser Punkt wird ausführlicher unter 2. erörtert. Nach Art. 11 VO bleibt es den Mitgliedsstaaten grundsätzlich freigestellt, strengere Regelungen als die in der Verordnung vorgegebenen festzulegen. Um Benachteiligungen deutscher Kraftfah- 6 Industrie- und Handelskammer zu Köln 2008: S. 4, im Internet abrufbar unter: www.ihk-koeln.de, Stand: 2. Dezember 2009. 7 ebd. S. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-110/09 Seite 6 rer und Beifahrer zu vermeiden, wurde in Deutschland von dieser Ermächtigung jedoch kein Gebrauch gemacht.8 1.1.2. Verordnung (EG) Nr. 1073/2009 Durch die Verordnung (EG) Nr. 1073/20099 wurden Regelungen zu den Lenk- und Ruhezeiten der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 geändert. Teilaspekte der Reform werden unter 2.1. erläutert. 1.1.3. Richtlinie 2002/15/EG Im Gegensatz zu den vorstehend benannten Verordnungen, die mit ihrem Erlass direkt auch auf nationaler Ebene Recht setzen, stellt die von der EU erlassene Fahrpersonalrichtlinie 2002/15/EG10 lediglich eine Anweisung an die Mitgliedstaaten dar, die dort erlassenen Bestimmungen innerhalb eines vorgegebenen Zeitrahmens in nationales Recht umzusetzen. Die am 23. März 2005 in Kraft getretene Richtlinie mit ihren Bestimmungen zum Schutz von Fahrpersonal vor den nachteiligen Auswirkungen übermäßig langer Arbeitszeiten, unzureichender Ruhepausen oder einer unausgewogenen Arbeitsorganisation ist eine lex specialis im Verhältnis zur Allgemeinen Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und ergänzt die Verordnung (EG) Nr. 561/2006.11 1.2. Weitere Regelungen im Gemeinschaftsrecht 1.2.1. EU-Verordnungen Nr. 3821/85 und Nr. 2135/98 Eine im Vergleich zur VO (EG) 561/2006 untergeordnete Rolle spielen die EU-Verordnungen Verordnung (EWG) 3821/85 des Rates vom 20. Dezember 1985 über das Kontrollgerät im Straßenverkehr und Verordnung (EWG) 2135/98 des Rates zur Änderung derselben. Sie gelten zwar weiterhin, wurden aber durch Inkrafttreten der VO (EG) 561/2006 geändert und sollen im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter thematisiert werden. 1.2.2. Europäisches Übereinkommen über die Arbeit des im internationalen Straßenverkehr beschäftigten Fahrpersonals (AETR) Als weitere Gesetzesgrundlage ist schließlich das AETR zu nennen. Das Europäische Übereinkommen enthält zusammengefasst die Vorschriften über die Lenk- und Ruhezeiten, Kontrollgeräte und Arbeitszeitnachweise des Fahrpersonals, die von der EU in den Verordnungen (EG) 8 WANK 2009: § 21 a, Rn. 2. 9 Verordnung (EG) Nr. 1073/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über gemeinsame Regeln für den Zugang zum grenzüberschreitenden Personenkraftverkehrsmarkt und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 (Anlage 2). 10 Richtlinie 2002/15/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Regelung der Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransportes ausüben (Anlage 3). 11 ebd. in den Erwägungsgründen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-110/09 Seite 7 Nr. 561/2006 und (EWG) Nr. 3821/85 getrennt geregelt sind.12 Gemäß Art. 2 AETR gelten die Vorschriften des Übereinkommens grundsätzlich im grenzüberschreitenden Verkehr zu einem AETR-Vertragsstaat13, wenn das Fahrzeug in einem AETR-Vertragsstaat oder einem EU- Mitgliedsstaat zugelassen ist. 1.3. Nationales Recht 1.3.1. Fahrpersonalgesetz (FPersG)14 Das Gesetz über das Fahrpersonal von Kraftfahrzeugen und Straßenbahnen (Fahrpersonalgesetz - FPersG) wurde zuletzt im Juli 2007 geändert. Es gilt gemäß § 1 S. 1 FPersG für die Beschäftigung und Tätigkeit des Fahrpersonals von Kraftfahrzeugen und Straßenbahnen, soweit sie am öffentlichen Verkehr teilnehmen. Mitglieder des Fahrpersonals sind Fahrer, Beifahrer und Schaffner (§ 1 S. 2 FPersG). § 2 des Gesetzes ermächtigt den nationalen Gesetz- und Verordnungsgeber Rechtsverordnungen zu erlassen. Demgemäß kann dieser hinsichtlich der Lenkzeiten, Fahrtunterbrechungen und Ruhezeiten für die Beförderung mit Fahrzeugen, die nicht unter die Ausnahmetatbestände des Art. 3 VO (EG) 561/2006 und des Art. 3 AETR fallen, eigene Regelungen treffen (vgl. § 2 Nr. 3 FPersG). Von diesem Recht wurde durch Erlass der Verordnung zur Durchführung des Fahrpersonalgesetzes (Fahrpersonalverordnung - FPersV)15 Gebrauch gemacht. 1.3.2. Fahrpersonalverordnung (FPersV)16 Der erste Abschnitt der Verordnung beschäftigt sich mit den „Lenk- und Ruhezeiten im nationalen Bereich“. § 1 regelt die Lenk- und Ruhezeiten im Straßenverkehr für Fahrer von Fahrzeugen, die zur Güterbeförderung dienen und deren zulässige Höchstmasse einschließlich Anhänger oder Sattelhänger mehr als 2,8 Tonnen und nicht mehr als 3,5 Tonnen beträgt bzw. von Fahrzeugen, die der Personalbeförderung dienen und dazu bestimmt sind, mehr als neun Personen zu befördern und im Linienverkehr mit einer Linienlänge von bis zu 50 Kilometern eingesetzt sind. 12 MIELCHEN 2009: § 54, Rn. 5. 13 Alle EU- und EWR-Staaten sowie Andorra, Polen, Aserbaidschan, Rumänien, Bosnien-Herzegowina, Russische Föderation, Bulgarien, Schweiz, Estland, Slowakische Republik, Jugoslawien, Slowenien, Kasachstan, Tschechische Republik, Kroatien, Turkmenistan, Lettland, Türkei, Litauen, Ungarn, Mazedonien, Usbekistan, Moldawien , Weißrussland. 14 Gesetz abrufbar im Internet unter: www.-gesetze-im-internet.de, Seite des Bundesministeriums der Justiz in Zusammenarbeit mit Juris, zuletzt abgerufen am 2. Dezember 2009. 15 Zuletzt geändert am 22. Januar 2008. 16 Gesetz abrufbar im Internet unter: www.-gesetze-im-internet.de, Seite des Bundesministeriums der Justiz in Zusammenarbeit mit Juris, zuletzt abgerufen am 2. Dezember 2009. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-110/09 Seite 8 § 1 Abs. 4 der Verordnung bestimmt abweichend von Abs. 1 i. V. m. Artikel 8 Abs. 6 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006, dass Fahrer von Fahrzeugen die zur Personalbeförderung dienen, nicht zur Einlegung einer wöchentlichen Ruhezeit nach höchstens sechs 24-Stunden-Zeiträumen verpflichtet sind. Sie können die wöchentlich einzuhaltenden Ruhezeiten auf einen Zweiwochenzeitraum verteilen. Grundsätzlich hat der Unternehmer dafür zu sorgen, dass die Vorschriften über Lenk- und Ruhezeiten der Verordnung eingehalten werden (§ 1 Abs. 5). 1.3.3. Arbeitszeitgesetz (ArbZG)17 Den arbeitsrechtlichen Rahmen für abhängig beschäftigte Kraftfahrer18 bildet auf nationaler Ebene das ArbZG. Es gilt - im Gegensatz zur Verordnung (EG) 561/2006 und der FPersV - unabhängig vom zulässigen Gesamtgewicht des Fahrzeugs.19 In den §§ 3 - 6 ArbZG werden allgemein für Arbeitnehmer geltende Bestimmungen über Ruhe- und Arbeitszeiten geregelt, die jedoch in dem von § 7 ArbZG vorgegebenen Rahmen durch Tarifvertrag oder Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung modifiziert werden können. Das Arbeitszeitrecht hat den maximal zulässigen Arbeitszeitrahmen beim Einsatz von Arbeitnehmern im Visier. Somit bestehen grundsätzlich unterschiedliche Anknüpfungspunkte zwischen Lenkzeiten und Arbeitsrecht, jedoch zwangsläufig mit zahlreichen Überschneidungen, da Lenkzeiten zugleich Arbeitszeiten im Sinne des Arbeitszeitrechts sind.21 Auf die Konkurrenzverhältnisse des ArbZG zu den anderen Regelwerken wird unter 1.4 eingegangen. Die Umsetzung der europäischen Richtlinie 2002/15/EG in deutsches Recht erfolgte - mit gut einem Jahr Verspätung - im Jahr 2006 durch Einfügung des § 21 a in das ArbZG22 und stellt seitdem seine wichtigste Vorschrift dar. Erfasst werden von § 21 a ArbZG als Spezialvorschrift des Arbeitszeitrechts ausschließlich Fahrer und Beifahrer von Fahrzeugen zur Güterbeförderung von mehr als 3,5 t sowie zur Personenbeförderung mittels Bussen mit mehr als 8 Fahrgastplätzen.23 Kernpunkt der durch § 21 a ArbZG bewirkten Rechtsänderung ist eine genauere Definition des Begriffs der Arbeitszeit sowie die Einführung einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit. Gemäß § 21 a Abs. 4 ArbZG darf diese grundsätzlich 48 Stunden nicht überschreiten, kann aber auf 60 Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von vier Kalendermonaten oder 16 Wochen im Durchschnitt 48 Stunden wöchentlich nicht 17 Gesetz abrufbar im Internet unter: www.-gesetze-im-internet.de, Seite des Bundesministeriums der Justiz in Zusammenarbeit mit Juris, zuletzt abgerufen am 2. Dezember 2009. 18 Auf beamtete Kraftomnibusfahrer findet nicht das ArbZG, sondern die Arbeitszeitverordnungen des Bundes oder der Länder Anwendung. 19 MIELCHEN 2009:§ 54 III, Rn. 35. 21 DIDIER 2007: NZA Heft 3, S. 120 ff. 22 DIDIER 2007: NZA Heft 3, S.120ff. 23 DIDIER 2007: NZA Heft 3, S. 120 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-110/09 Seite 9 überschritten werden. Unter den Begriff der Arbeitszeit i. S. d. ArbZG fallen jedoch nicht nur die reine Lenktätigkeit. Nach § 2 Abs. 1 ArbZG ist Arbeitszeit die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne Ruhepausen, worunter neben dem reinen Fahren auch Wartezeiten beim Be- und Entladen des Fahrzeugs, dessen Wartung sowie administrative Tätigkeiten fallen. Nach 21 a Abs. 3 ArbZG sind hiervon lediglich die Zeiten auszunehmen, während der sich ein Arbeitnehmer am Arbeitsplatz bereithalten muss, um seine Tätigkeit aufzunehmen; sie zählen nicht zur Arbeitszeit. 1.4. Konkurrenzen Es gilt generell der Grundsatz, dass internationales Gemeinschaftsrecht den nationalen Regelungen vorgeht. Dies betrifft in erster Linie die EU-Verordnungen, welche in den Mitgliedstaaten unmittelbar zur Anwendung kommen, ohne dass es einer weiteren Umsetzung bedarf. So hat beispielsweise die oben genannte EU-Verordnung (EG) 561/2006 grundsätzlich Vorrang vor den entsprechenden arbeitsrechtlichen Regelungen des Fahrpersonalgesetzes, der Fahrpersonalverordnung oder des Arbeitszeitgesetzes. Etwas anderes gilt nur soweit Ausnahmen in der EU- Verordnung selbst ausdrücklich geregelt sind.24 Etwas schwieriger gestaltet sich die Abgrenzung der Vorschriften auf nationaler Ebene. Dies insbesondere deshalb, weil die nach dem ArbZG vorgegebenen Arbeitszeiten sowie Pausen- und Ruhezeiten nicht mit den Lenk- und Ruhezeiten für Kraftfahrer nach den übrigen Vorschriften übereinstimmen. Um zu vermeiden, dass die unterschiedlichen Regelungswerke sich gegenseitig einschränken und zu widersinnigen Ergebnissen führen, müssen sie aufeinander abgestimmt werden. Dies erreicht der Gesetzgeber u. a., indem er bestimmt hat, dass dem ArbZG gegenüber den Fahrern und Fahrzeugen, die bereits unter die FPersV fallen, lediglich ergänzende Wirkung zukommt. § 1 Abs. 1 S. 3 FPersG regelt ausdrücklich, dass das FPersG dem ArbZG vorgeht. In § 21 a Abs. 1 S. 2, Abs. 5 ArbZG ist zudem ein Vorrangverhältnis des Gemeinschaftsrechts bestimmt . Ein solches ergibt sich hinsichtlich der Verordnung (EG) 561/2006 und des AETR zwar bereits aus dem Grundsatz, dass internationale Regelungen Vorrang vor nationalen haben, wird aber durch die Vorschriften des 21 a ArbZG noch einmal hervorgehoben. 2. Politische Debatte zur „12-Tage-Regelung“ in der Verordnung (EG) 561/2006 und zur Frage der Einbeziehung oder Nichteinbeziehung der selbständigen Kraftfahrer in den Geltungsbereich der Richtlinie 2002/15/EG. Gegenstand von deutlicher Kritik war die Abschaffung der 12-Tage-Regelung, die bis zur Einführung der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 für den Omnibusverkehr – anders als für den Güterverkehr - galt. In einem Antrag der FDP-Bundestagsfraktion hieß es im Februar 2006: „Mit dieser Ausnahme gegenüber dem Güterverkehr wurde sichergestellt, dass Busrundreisen von mehr als sechs Tagen einfach, wirtschaftlich und sicher durchgeführt werden konnten. Diese Möglichkeit und damit die Existenz von allein in Deutschland 6.000 mittelständischen Busunternehmen ist durch den Wegfall der Regelung nun gefährdet.“25 Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadt- 24 MIELCHEN 2009: § 54 I. 4., Rn. 10. 25 Drs. 16/584, S. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-110/09 Seite 10 entwicklung hat diesen Antrag zwar mehrheitlich abgelehnt, aber einen Entschließungsantrag in den Bundestag eingebracht, mit dem die Bundesregierung beauftragt wurde, das Parlament über Folgen der neuen Verordnung für das Omnibusgewerbe in Deutschland zu unterrichten.26 Von der Richtlinie 2002/15/EG, in der die Arbeitszeiten für Fahrpersonal im Straßentransport geregelt werden, waren die selbständigen Kraftfahrer bis März dieses Jahres ausgeschlossen (Art. 2 Abs. 1). In einem Unterabsatz von Art. 2 wurde die Kommission beauftragt, dem Europäischen Parlament und dem Rat bis März 2007 einen Bericht zu den Folgen des Ausschlusses der selbständigen Kraftfahrer vorzulegen und auf dieser Grundlage einen Vorschlag zu machen, der die selbständigen Kraftfahrer entweder weiterhin von der Richtlinie ausschließt oder aber in den Geltungsbereich der Richtlinie einbezieht. 2.1. 12-Tage-Regelung wieder eingeführt In der Verordnung 561/2006 heißt es in Art. 8 Abs. 6: „Eine wöchentliche Ruhezeit beginnt spätestens am Ende von sechs 24-Stunden-Zeiträumen nach dem Ende der vorangegangenen wöchentlichen Ruhezeiten.“ Untersuchungen, Befragungen und Studien auf nationaler wie auf europäischer Ebene haben dazu geführt, dass die „alte“12-Tage-Regelung in modifizierter Form im Jahr 2010 wieder eingeführt wird. Mit der Verordnung (EG) Nr. 1073/2009 wird die Verordnung 561/2006 dahingehend geändert . In Abs. 20 der Verordnung (EG) Nr. 1073/2009 heißt es: „Um den Fremdenverkehr und die Verwendung eines umweltfreundlichen Verkehrsträgers zu fördern, sollte die Verordnung (EG) Nr. 561/2006 so geändert werden, dass Fahrer, die für einen einzelnen Gelegenheitsdienst im grenzüberschreitenden Personenverkehr eingesetzt werden, ihre wöchentliche Ruhezeit um bis zu 12 aufeinander folgende 24-Stunden-Zeiträume verschieben dürfen, sofern sie an Personenverkehrstätigkeiten beteiligt sind, die in der Regel keine kontinuierlichen und langen Lenkzeiten beinhalten. Eine solche Verschiebung sollte nur unter sehr strengen Voraussetzungen gestattet sein, die die Sicherheit des Straßenverkehrs aufrechterhalten und den Arbeitsbedingungen Rechnung tragen, unter anderem der Verpflichtung, unmittelbar vor und nach dem Dienst wöchentliche Ruhezeiten einzulegen. Die Kommission sollte die Inanspruchnahme dieser Ausnahmeregelung genau überwachen. Wenn sich die Sachlage, die die Verwendung dieser Ausnahmeregelung rechtfertigt, erheblich verändert und die Ausnahmeregelung eine Verschlechterung der Sicherheit im Straßenverkehr zur Folge hat, sollte die Kommission geeignete Maßnahmen ergreifen.“ In Art. 8 der VO-EG Nr. 561/2006 wird ein neuer Abs. 6a eingeführt, der die 12-Tage-Regelung unter bestimmten Bedingungen wieder ermöglicht.27 Die Verordnung Nr. 1073/2009 tritt am 4. Dezember diesen Jahres in Kraft, die neue 12-Tage-Regelung gilt ab dem 4. Juni 2010.28 26 Drs. 16/13127, S. 2. (Anlage 4). 27 ABl. L 300 vom 14. November 2009, S. 90. 28 Art. 29 und 31 der VO-EG Nr. 1073/2009. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-110/09 Seite 11 2.1.1. Selbständige Kraftfahrer: In die Richtlinie 2002/15/EG einbeziehen oder nicht? Die Europäische Kommission hat am 23. Mai 2007 dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht über die Auswirkungen des Ausschlusses selbständiger Kraftfahrer vom Geltungsbereich der Richtlinie 2002/15/EG vorgelegt. Der Bericht liefert „einen Überblick über den aktuellen Stand der Umsetzung der Richtlinie durch die Mitgliedstaaten, untersucht die potentiellen Auswirkungen des Ausschlusses selbständiger Kraftfahrer vom Geltungsbereich der Richtlinie und er bewertet die Auswirkungen der in der Richtlinie enthaltenen Vorschriften für Nachtarbeit .“29 Es ist Gemeinsamer Standpunkt des Rates, selbständige Kraftfahrer nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie einzubeziehen.30 Die Kommission ist aufgrund ihres Berichts ebenfalls zu der Auffassung gelangt, dass lediglich die scheinselbständigen Kraftfahrer, nicht aber die selbständigen Fahrer, in den Geltungsbereich der Richtlinie aufgenommen werden sollten. Dort heißt es: „Die Kommission beabsichtigt, ihr besonderes Augenmerk auf korrekte und durchsetzbare Anwendung der in der Richtlinie enthaltenen Definition von Fahrpersonal, unter die auch die scheinselbständigen Fahrer fallen, durch die Mitgliedstaaten zu richten (…) Außerdem wird die Kommission in dieser Folgenabschätzung in Erwägung ziehen, Selbständige auch in Zukunft vom Geltungsbereich der sektorbezogenen Arbeitszeitvorschriften auszuschließen, und sicherstellen, dass die in der Richtlinie enthaltene Begriffsdefinition für „selbständige Kraftfahrer“ streng ausgelegt und angewandt wird, damit die Arbeitszeitvorschriften auch für die scheinselbständigen Kraftfahrer gelten.“31 Am 15. Oktober 2008 hat die Kommission ihren Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2002/15/EG vorgelegt.32 Die Kommission schlägt vor, die selbständigen Kraftfahrer nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie einzubeziehen , dafür aber die scheinselbständigen Kraftfahrer mit denselben Arbeitszeiten zu belegen wie das angestellte Fahrpersonal. In der Begründung heißt es: „Nach eingehender Untersuchung der Auswirkungen auf die Straßensicherheit , die Wettbewerbsbedingungen, die Berufsstruktur und die sozialen Aspekte hat die Folgenabschätzung ergeben, dass es auch mit erheblichem Verwaltungsaufwand nicht durchsetzbar ist, unselbständige und selbständige Kraftfahrer vollständig einzubeziehen, und dass vielmehr das Problem der Scheinselbständigkeit gelöst werden müsste, statt den Geltungsbereich der Richtlinie auf die selbständigen Kraftfahrer auszuweiten.“33 Selbständige Kraftfahrer unterliegen keinerlei Beschränkungen was die Arbeitszeit angeht, „da dies einer Beeinträchtigung ihrer un- 29 KOM(2007)266 endg. (Anlage 5). 30 ABl. C 142 vom 15. Mai 2001, S. 24 und KOM (2007)266, endg., S. 3ff. 31 KOM(2007)266 endg., S. 10. 32 KOM(2008)650 endg. (Anlage 6). 33 ebd. S. 3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-110/09 Seite 12 ternehmerischen Freiheit gleichkäme.“ Bei der Gruppe der scheinselbständigen Kraftfahrer handelt es sich um eine Gruppe von Selbständigen, die regelmäßig für dasselbe Unternehmen arbeitet und nicht die Möglichkeit hat, für Dritte tätig zu werden. Für sie sollten gemäß der Richtlinie 2002/15/EG dieselben Rechte und Pflichten gelten wie für die angestellten Fahrer, aber „einige Kraftfahrer und Unternehmen nehmen keine korrekte Abgrenzung vor.“34 Der Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten des Europäischen Parlaments hat im März dieses Jahres den Vorschlag der Kommission abgelehnt.35 Ebenso lehnte der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss den Vorschlag mit der Begründung ab, dass nicht der Status einer Person den Ausschlag für die Anwendung sozialer Mindestnormen geben darf, da diese auch der Straßenverkehrssicherheit dienen.36 Der Vorschlag der Europäischen Kommission befindet sich in erster Lesung im Parlament.37 Literaturverzeichnis DIDIER, Timo (2007): NZA Heft 3, Arbeitszeit im Straßentransport - Die neue Vorschrift des § 21 a ArbZG“, S. 120 ff. Drucksache des Deutschen Bundestages, 16. Wahlperiode 16/13127 (2009): Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen der neuen Lenk- und Ruhezeiten für das deutsche Omnibusgewerbe . HÄBERLE, Peter (2009): Erbs/Kohlhaas Kommentar Strafrechtliche Nebengesetze, München: C.H. Beck. Industrie- und Handelskammer zu Köln (2008): Merkblatt, VO (EG) Nr. 561/2006: Lenk- und Ruhezeiten sowie Dokumentationspflichten im Straßenverkehr. 34 Ebd. S. 3 und siehe auch Art. 3 Buchstabe e) der Richtlinie 2002/15/EG. 35 Plenarsitzungsdokument des Europäischen Parlaments vom 6. März 2009 (A6-0120/2009). 36 Abl./EU vom 22. September 2009 (C 228/79). 37 Der aktuelle Verfahrensstand ist abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/oeil/FindByProcnum.do?lang=2&procnum=COD/2008/0195, zuletzt abgerufen am 1. Dezember 2009. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-110/09 Seite 13 MIELCHEN, Daniela (2009):Buschbell Münchener Anwalts Handbuch Straßenverkehrsrecht, München: C.H. Beck. WANK, Rolf (2009): Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, München: C.H. Beck. Verzeichnis der Anlagen Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 3821/85 und (EG) Nr. 2135/98 des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85. Anlage 1 Verordnung (EG) Nr. 1073/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über gemeinsame Regeln für den Zugang zum grenzüberschreitenden Personenkraftverkehrsmarkt und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 Anlage 2 Richtlinie 2002/15/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Regelung der Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben Anlage 3 Drs. 16/13127: Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen der neuen Lenk- und Ruhezeiten für das deutsche Omnibusgewerbe Anlage 4 KOM(2007)266 endg.: Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Auswirkungen des Ausschlusses selbständiger Kraftfahrer vom Geltungsbereich der Richtlinie 2002/15/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Regelung der Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben Anlage 5 KOM(2008)650 endg.: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2002/15/EG zur Regelung der Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben Anlage 6