© 2021 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 108/20 Arbeitsbedingungen und soziale Sicherung von Künstlerinnen und Künstlern in Deutschland Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 108/20 Seite 2 Arbeitsbedingungen und soziale Sicherung von Künstlerinnen und Künstlern in Deutschland Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 108/20 Abschluss der Arbeit: 11. Februar 2021 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 108/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Begriff der künstlerischen Berufe 4 3. Statistik 5 4. Berichte und Studien zur sozialen Lage von Künstlern und Kreativen 6 4.1. Bundesregierung und Bundestag 6 4.2. Nordrhein-Westfalen 7 4.3. Weitere Studien 8 4.3.1. Wirtschaftliche und soziale Lage 8 4.3.2. Arbeitsbedingungen 8 4.3.3. Interessenvertretung 9 4.3.4. Kultur-Arbeitsmarkt Berlin 9 4.3.5. Einzelne Künstlergruppen 9 5. Erwerbsstatus 10 6. Arbeitsbedingungen und Entgelt 11 6.1. Tarifverträge 11 6.2. Mindestlöhne 12 6.2.1. Mindestlohngesetz 12 6.2.2. Tarifvertragliche Regelungen 12 6.2.3. Branchenspezifischer Mindestlohn 13 6.3. Mindestbedingungen und Mindesthonorare für Selbständige 13 7. Soziale Sicherung 14 7.1. Abhängig Beschäftigte 14 7.1.1. Arbeitslosenversicherung 14 7.1.2. Grundrente 15 7.2. Selbständig Erwerbstätige 16 7.2.1. Künstlersozialversicherung 16 7.2.2. Freiwillige Arbeitslosenversicherung 16 7.2.3. Studie zur sozialen Sicherung selbständiger Künstlerinnen und Künstler 17 8. Hybride Beschäftigung 17 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 108/20 Seite 4 1. Einleitung Die vorliegende Dokumentation stellt ohne Anspruch auf Vollständigkeit überwiegend aktuelle Publikationen aus Politik und Wissenschaft zusammen, in denen Arbeitsbedingungen und soziale Sicherung von Künstlerinnen und Künstlern in Deutschland erfasst und bewertet sowie politische Handlungsempfehlungen gegeben werden. Gegenstand der Arbeit sind daneben Fragen des Erwerbsstatus und die jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen für künstlerische Tätigkeit und deren soziale Sicherung sowie Möglichkeiten und Grenzen gesetzgeberischer Maßnahmen zu deren Verbesserung. 2. Begriff der künstlerischen Berufe Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) beschreibt künstlerische Betätigung im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG in einer Entscheidung aus dem Jahr 1971 folgendermaßen: „Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Alle künstlerische Tätigkeit ist ein Ineinander von bewußten und unbewußten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen sind. Beim künstlerischen Schaffen wirken Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammen; es ist primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers.“ 1 Künstlerische Betätigung kann sich nach dieser Definition in einer Vielzahl unterschiedlicher Berufe in verschiedenen Lebensbereichen äußern. Entsprechend schwierig gestaltet sich die Erfassung dieser Berufe. Eine gesetzliche Definition der künstlerischen Berufe enthält § 2 des Künstlersozialversicherungsgesetzes (KSVG) (dazu unten Abschnitt 7.2.1., S. 16). Demnach ist Künstlerin oder Künstler, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt. Das Gesetz grenzt hiervon die ebenfalls unter das KSVG fallenden publizistisch tätigen Personen ab. Der Begriff der Künstlerin und des Künstlers nach dem KSVG orientiert sich dabei an der versicherungsrechtlichen Praxis2, wird aber auch von verschiedenen Studien zugrundegelegt. 1 BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 1971- 1 BvR 435/68, Rn. 48 (zitiert nach juris). 2 Eine Liste künstlerischer Tätigkeiten im Sinne der Künstlersozialversicherung bietet die Künstlersozialkasse (KSK): Künstlerische/publizistische Tätigkeiten und Abgabesätze, Informationsschrift Nr. 6 zur Künstlersozialabgabe , abrufbar im Internetauftritt der KSK: https://www.kuenstlersozialkasse.de/fileadmin/Dokumente/Mediencenter _Unternehmer_Verwerter/Informationsschriften/Info_06_-_Kuenstlerische_publizistische_Taetigkeiten _und_Abgabesaetze.pdf (letzter Abruf: 5. Februar 2021). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 108/20 Seite 5 3. Statistik Seit 2008 veröffentlichen die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder alle zwei Jahre die wichtigsten Kennzahlen der Kulturstatistik im Überblick. Die letzte Veröffentlichung erfolgte 2020: Statistische Ämter des Bundes und der Länder (Hrsg): Kulturindikatoren auf einen Blick - Ein Ländervergleich, Ausgabe 2020, Wiesbaden, Dezember 2020, abrufbar im Internetauftritt des Statistischen Bundesamtes (Destatis): https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bildung-Forschung-Kultur /Kultur/Publikationen/Downloads-Kultur/kulturindikatoren- 1023018209004.pdf;jsessionid=C21A6D936C7F462C0EE6096E5C4A13F9.internet 8732?__blob=publicationFile (letzter Abruf: 5. Februar 2021). Im Rahmen des 2014 von der Kultusministerkonferenz und der Bundesbeauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien initiierten Projektes „Aufbau einer bundeseinheitlichen Kulturstatistik “3 analysierte das Statistische Bundesamt die Beschäftigungssituation von Personen in Kultur und Kulturwirtschaft. Dazu legte das Statistische Bundesamt 2015 eine Sonderauswertung aus dem Mikrozensus für die Jahre 2012 und 2013 vor: Destatis: Beschäftigung in Kultur und Kulturwirtschaft - Sonderauswertung aus dem Mikrozensus, Wiesbaden 2015, abrufbar im Internetauftritt des Statistischen Bunddesamtes : https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bildung-Forschung- Kultur/Kultur/Publikationen/Downloads-Kultur/beschaeftigung-kultur- 5216201159004.pdf?__blob=publicationFile (letzter Abruf: 5. Februar 2021). Es folgten weitere statistische Veröffentlichungen als Spartenberichte zu den Bereichen Musik (2016), Museen, Bibliotheken und Archive (2017), Baukultur, Denkmalschutz und Denkmalpflege (2018), Film, Fernsehen und Hörfunk (2019) sowie Soziokultur und kulturelle Bildung (2020).4 Einen ebenfalls zweijährlichen Kulturfinanzbericht veröffentlichen die Statistischen Ämter der Länder und des Bundes als Gemeinschaftspublikation: Statistische Ämter des Bundes und der Länder (Hrsg.): Kulturfinanzbericht 2020, Wiesbaden, Dezember 2020, abrufbar im Internetauftritt des Statistischen Bundesamtes : https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bildung-Forschung- Kultur/Kultur/Publikationen/Downloads-Kultur/kulturfinanzbericht- 1023002209004.pdf;jsessionid=C21A6D936C7F462C0EE6096E5C4A13F9.internet 8732?__blob=publicationFile (letzter Abruf: 5. Februar 2021). 3 Vgl. dazu Liersch, Anja; Asef, Dominik: Aufbau einer bundesweiten Kulturstatistik, in: WISTA 4/2018, S. 37-46, abrufbar im Internetauftritt des Statistischen Bundesamtes: https://www.destatis.de/DE/Methoden/WISTA-Wirtschaft -und-Statistik/2018/04/aufbau-kulturstatistik-042018.pdf?__blob=publicationFile (letzter Aufruf: 5. Januar 2021). 4 Die Spartenberichte sind abrufbar im Internetauftritt des Statistischen Bundesamtes: https://www.destatis .de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bildung-Forschung-Kultur/Kultur/_inhalt.html (letzter Abruf: 5. Februar 2021). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 108/20 Seite 6 4. Berichte und Studien zur sozialen Lage von Künstlern und Kreativen 4.1. Bundesregierung und Bundestag Die wirtschaftliche und soziale Lage der künstlerischen Berufe in der Bundesrepublik Deutschland wurde erstmals 1975 in einem Bericht der Bundesregierung umfassend ermittelt und dargestellt .5 Der Bericht wurde als Grundlage für die Errichtung der Künstlersozialversicherung im Jahr 1981 herangezogen. In engem Zusammenhang mit der Künstlersozialversicherung stehen auch zwei aktuellere Berichte des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) aus den Jahren 2000 und 2018: Der Bericht der Bundesregierung über die soziale Lage der Künstlerinnen und Künstler in Deutschland vom Juni 2000 sollte die Erfahrungen mit dem Künstlersozialversicherungsgesetz erfassen und möglichen Reformbedarf feststellen. BMAS: Bericht der Bundesregierung über die soziale Lage der Künstlerinnen und Künstler in Deutschland, Stand: Juni 2000, abrufbar im Internetauftritt der Bundesregierung : https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/a262- bericht-der-bundesregierung-u-510.pdf?__blob=publicationFile&v=1 (letzter Abruf: 5. Februar 2021). Der Bericht beruht in erster Linie auf statistischen Erhebungen der Künstlersozialkasse (KSK) und der allgemeinen Rentenversicherung, bezieht aber auch Positionen künstlerischer Verbände in die Betrachtung mit ein. Den Wandel der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Kreativen und Kulturschaffenden durch digitale Verwertungsformen und seine Auswirkungen auf die Künstlersozialversicherung hat ein 2018 von Prognos im Auftrag des BMAS erstellter Forschungsbericht zum Gegenstand: BMAS (Hrsg.): Forschungsbericht 521 - Digitale Verwertungsformen in der Kultur - und Kreativwirtschaft und ihre Auswirkungen auf die Künstlersozialversicherung, Endbericht, Dezember 2018, abrufbar im Internetauftritt des BMAS: https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/Forschungsberichte /fb521-digitale-verwertungsformen-in-der-kultur-und-kreativwirtschaft .pdf?__blob=publicationFile&v=1 (letzter Abruf: 5. Februar 2021). Im Dezember 2007 legte die vom Deutschen Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“, die den Auftrag hatte, eine Bestandsaufnahme der Kulturlandschaft in Deutschland durchzuführen, ihren Schlussbericht vor. Der Bericht zeichnet ein umfassendes Bild der 5 Unterrichtung durch die Bundesregierung - Bericht über die wirtschaftliche und soziale Lage der künstlerischen Berufe (Künstlerbericht), Bundestagsdrucksache 7/3071 vom 13. Januar 1975. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 108/20 Seite 7 strukturellen, rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen der Kunstszene in Deutschland und enthält Problembeschreibungen sowie konkrete Handlungsempfehlungen für den Bund und die Länder zur Verbesserung der Situation der Künstlerinnen und Künstler: Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“, Bundestagsdrucksache 16/7000 vom 11. Dezember 2007. Ein 2018 vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) veröffentlichter Bericht im Auftrag der Initiative „Kultur und Kreativwirtschaft“ der Bundesregierung hat vor allem Arbeitsmarkt und Beschäftigungsformen in diesem Wirtschaftssektor zum Gegenstand: Söndermann, Michael: Dossier Arbeitsmärkte im Kultur- und Kreativsektor, Mai 2018, abrufbar im Internetauftritt der Initiative Kultur- und Kreativsektor: https://www.kultur-kreativ-wirtschaft.de/KUK/Redaktion/DE/Publikationen /2018/dossier-arbeitsmaerkte-kuk.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (letzter Abruf: 5. Februar 2021). Der 2019 vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung für das BMWi erstellte Monitoring Bericht zur Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung gibt einen Überblick über die wirtschaftliche Entwicklung des Bereichs von 2013 bis 2018. Die vom BMWi veröffentlichte Kurzfassung präsentiert die wesentlichen Ergebnisse für das Projektjahr 2019: Andres, Raphaela et al.: Monitoringbericht Kultur- und Kreativwirtschaft 2019, abrufbar im Internetauftritt des BMWi: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen /Wirtschaft/monitoringbericht-kultur-und-kreativwirtschaft-2019-kurzfassung .html (letzter Abruf: 5. Februar 2021). 4.2. Nordrhein-Westfalen Im Auftrag des Ministeriums für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein -Westfalen wurde 2016 eine Studie zur Lage der Kulturberufe in Nordrhein-Westfalen erstellt : Söndermann, Michael: Die berufliche und wirtschaftliche Lage der Künstler- und Kulturberufe in Nordrhein-Westfalen - Eine sekundärstatistische Analyse der Jahre 2009- 2015, abrufbar im Internetauftritt des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen: https://www.mkw.nrw/sites/default/files/documents/2018-10/08_soendermann_wirtschaftliche _lage_kulturberufe_netz.pdf (letzter Abruf: 5. Februar 2021). Grundlage der Untersuchungen sind unter anderem Daten der Umsatzsteuer-Statistik, der Statistik der Künstlersozialkasse sowie der Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 108/20 Seite 8 4.3. Weitere Studien 4.3.1. Wirtschaftliche und soziale Lage Eine aktuelle Studie des Deutschen Kulturrats beleuchtet die wirtschaftliche und soziale Situation der Kulturberufe vor Ausbruch der COVID-19-Pandemie: Schulz, Gabriele; Zimmermann, Olaf: Frauen und Männer im Kulturmarkt - Bericht zur sozialen und wirtschaftlichen Lage; Deutscher Kulturrat, Berlin, Mai 2020, abrufbar im Internetauftritt des Deutschen Kulturrats: https://www.kulturrat.de/wp-content/uploads/2020/10/Frauen-und-Maenner-im-Kulturmarkt .pdf (letzter Abruf: 5. Februar 2021). Die außerordentlich umfangreiche Studie analysiert unter Verwendung zahlreicher Schaubilder und Tabellen detailliert die Situation in Ausbildung, selbständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung in den unterschiedlichen Berufsgattungen. Die wichtigsten Ergebnisse werden in Form der Beantwortung eines abschließenden Fragenkatalogs (S. 461 ff.) vorgestellt. Ein Anhang enthält Positionen des Deutschen Kulturrats zum Thema. Eine weitere Studie des Deutschen Kulturrats aus dem Jahr 2016 nimmt die Situation von Frauen im Arbeitsmarkt Kultur und die Geschlechtergerechtigkeit im Kulturbereich in den Blick: Schulz, Gabriele; Ries, Carolin; Zimmermann, Olaf: Frauen in Kultur und Medien - Ein Überblick über aktuelle Tendenzen, Entwicklungen und Lösungsvorschläge, abrufbar im Internetauftritt des Deutschen Kulturrats: https://www.kulturrat.de/wp-content/uploads/2016/12/Frauen-in-Kultur-und-Medien .pdf (letzter Abruf: 5. Februar 2021). Wesentliche Ergebnisse und Handlungsempfehlungen werden auf S. 484 ff. zusammengefasst. 4.3.2. Arbeitsbedingungen Eine Analyse von Missständen bei den Arbeitsbedingungen im Bereich Musik und darstellende Kunst sowie Vorschläge zur Verbesserung der Situation bietet eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2016: Norz, Maximilian, Faire Arbeitsbedingungen in den darstellenden Künsten und der Musik?! - Eine Untersuchung zu Arbeitsbedingungen, Missständen sowie Vorschlägen , die zu besseren Arbeitsbedingungen beitragen können, Study Nr. 319, Hans- Böckler-Stiftung, Mai 2016, abrufbar im Internetauftritt der Hans-Böckler-Stiftung: https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=7547 (letzter Abruf: 5. Februar 2021). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 108/20 Seite 9 4.3.3. Interessenvertretung Die Interessenvertretung in der freien Kulturszene ist Gegenstand eines aktuellen Forschungsprojekts an der Hafen-City Universität Hamburg (HCU Hamburg): Forschungsprojekt an der HCU Hamburg untersucht Interessenvertretungen in der freien Kulturszene in Hamburg und Berlin, HCU Hamburg, Pressemitteilung vom 16. Oktober 2018, abrufbar im Internetauftritt der HCU Hamburg: https://www.hcu-hamburg.de/presse/news/news/#346 (letzter Abruf: 9. Februar 2021). Das Forschungsprojekt untersucht die Ausbildung von Interessenvertretungen im Arbeitssegment der darstellenden Künste und der Musik an den Beispielen Hamburg und Berlin. Das Projekt sollte Ende 2020 abgeschlossen werden. Publikationen gibt es dazu soweit ersichtlich noch nicht. 4.3.4. Kultur-Arbeitsmarkt Berlin Das Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung hat in einer Studie aus dem Jahr 2017 speziell den Kultur-Arbeitsmarkt in Berlin untersucht: Marguin, Séverine; Losekandt, Tobias: Studie zum Berliner Arbeitsmarkt der Kulturund Kreativsektoren, Berlin 2017, abrufbar im Internetauftritt des Bildungswerks Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung: https://bildungswerk-boell.de/sites/default/files/studie-web-pdf.pdf (letzter Abruf: 5. Februar 2021). 4.3.5. Einzelne Künstlergruppen Die Lebens- und Arbeitssituation von Jazzmusikern ist Gegenstand einer Studie, die das Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim 2016 im Auftrag des Jazz-Instituts Darmstadt und der Union Deutscher Jazzmusiker erstellt hat: Renz, Thomas; Körner, Maximilian: Jazzstudie - Lebens- und Arbeitssituation von Jazzmusiker/-innen in Deutschland, Universität Hildesheim, Institut für Kulturpolitik -Forschungsbereich „Arbeitsmarkt Kultur“; abrufbar im Internetauftritt der Universität Hildesheim: https://www.uni-hildesheim.de/fb2/institute/kulturpolitik/forschung/arbeitsmarktkultur / (letzter Abruf: 5. Februar 2021). Der Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler (BKK) führt zur Erfassung und Ermittlung der sozialen und wirtschaftlichen Situation von Künstlerinnen und Künstlern in den bildenden Künsten seit 1994 in regelmäßigen Abständen Umfragen unter den Angehörigen des betreffenden Spektrums durch. Die Publikation mit den Ergebnissen der aktuellen Umfrage 2020, Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 108/20 Seite 10 die vor allem die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in den Blick nimmt, kann als Broschüre kostenpflichtig beim BKK bestellt werden: Priller, Eckhard: Von der Kunst zu leben. Die wirtschaftliche und soziale Situation Bildender Künstlerinnen und Künstler -Expertise zur Umfrage 2020, BKK, November 2020, Inhaltsverzeichnis und Bestellformular abrufbar im Internetauftritt des BKK: https://www.bbk-bundesverband.de/publikationen/umfrage-zur-wirtschaftlichenund -sozialen-situation (letzter Abruf: 5. Februar 2021). Die Ergebnisse der 6. Umfrage 2016 sind kostenfrei beim BKK bestellbar : Priller, Eckhard: Die wirtschaftliche und soziale Situation Bildender Künstlerinnen und Künstler 2016, BKK, November 2016, Inhaltsverzeichnis und Bestellformular abrufbar im Internetauftritt des BKK: https://www.bbk-bundesverband.de/publikationen/umfrage-archiv (letzter Abruf: 5. Februar 2021). Die Broschüren lagen bei der Bearbeitung nicht vor. 5. Erwerbsstatus Im Jahr 2018 waren nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 3,1 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland im Kulturbereich tätig. Von den rund 1,3 Millionen Erwerbstätigen im Kulturbereich waren rund 495.000 (39 Prozent) als Selbständige tätig. Der Selbständigen-Anteil liegt damit unter Künstlerinnen und Künstlern verhältnismäßig hoch, wobei die meisten Selbständigen als Solo-Selbständige, das heißt ohne weitere Beschäftigte, arbeiten. Mit über 60 Prozent stellen die abhängig Beschäftigten die Mehrheit der Erwerbstätigen im Kultursektor.6 Aufgrund der vielfältigen Beschäftigungs- und Tätigkeitsfelder ist die Gestaltung der Arbeitsverhältnisse im Einzelnen sehr unterschiedlich. Die Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit erfolgt nach den allgemeinen Kriterien7. Die Abgrenzung ist aber vielfach von Bedeutung, etwa für die Mitgliedschaft in der Künstlersozialversicherung (siehe unten Abschnitt 7.2.1., S. 16). Eine Zuordnung ist im Einzelfall oft nicht einfach, da nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung beispielsweise zur Feststellung einer selbständigen Tätigkeit weder etwa auf die geringe Dauer einer Tätigkeit 6 Statistisches Bundesamt: Pressemitteilung Nr. 145 vom 22. April 2020, abrufbar im Internetauftritt des Statistischen Bundesamtes: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/04/PD20_145_216.html (letzter Abruf: 5. Februar 2021). 7 Vgl. hierzu eine frühere Arbeiten dieses Fachbereichs: Deutscher Bundestag – Wissenschaftliche Dienste: Beschäftigung und Selbständigkeit im Zusammenhang mit den Vorschlägen zur Einbeziehung von Selbständigen in die gesetzliche Rentenversicherung, Sachstand WD 6 - 3000-099/20 vom 18. November 2020. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 108/20 Seite 11 noch auf das Vorliegen umfangreicher künstlerischer Gestaltungsspielräume abgestellt werden kann.8 6. Arbeitsbedingungen und Entgelt 6.1. Tarifverträge Löhne und Arbeitsbedingungen der abhängig Beschäftigten in Kunst und Kultur sind für den öffentlich -rechtlichen Sektor zum Teil in Tarifverträgen geregelt. So gelten etwa an den Theatern in mindestens überwiegender öffentlicher Trägerschaft, verschiedene Tarifverträge für Schauspieler, Musiker und Bühnentechniker. Erwähnenswert ist vor allem der 2003 in Kraft getretene Normalvertrag Bühne (NV Bühne), der zwischen dem Deutschen Bühnenverein als Arbeitgeberverband der Theater und Orchester und der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA) sowie der Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer auf der Arbeitnehmerseite abgeschlossen wurde.9 „Der NV Bühne gilt für alle Schauspieler, Sänger, Tänzer und andere Einzeldarsteller sowie für Kabarettisten und Puppentheaterspieler, Dirigenten, Kapellmeister, Studienleiter, Repetitoren , Orchestergeschäftsführer, Direktoren des künstlerischen Betriebs (insbesondere Operndirektor, Schauspieldirektor, Ballettdirektor, Leiter des Kinder- und Jugendtheaters), Spielleiter (Regisseure), Chordirektoren, Choreografen, Tanz-/Ballettmeister, Trainingsleiter , Dramaturgen, Leiter des künstlerischen Betriebsbüros, Disponenten, Ausstattungsleiter, Bühnenbildner, Kostümbildner und Lichtdesigner, Inspizienten, Theaterpädagogen, Schauspielmusiker , Referenten und Assistenten von Intendanten sowie des künstlerischen Betriebs , Souffleure, Theaterfotografen und Grafiker, Pressereferenten und Referenten der Öffentlichkeitsarbeit sowie Personen in ähnlicher Stellung. Bühnentechniker, Bühnenplastiker und Maskenbildner mit überwiegend künstlerischer Ausrichtung fallen ebenfalls unter den NV Bühne.“10 Vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie wurde der NV Bühne jüngst durch einen Tarifvertrag zur Regelung der Kurzarbeit im Bereich des NV Bühne ergänzt,11 der für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 2021 gilt. 8 Vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. Mai 2014-– L 9 KR 153/11 -, BeckRS 2014, 72512. 9 Der NV Bühne in der Fassung vom 1. August 2019 ist abrufbar im Internetauftritt des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Kultur und Tourismus (SMWK): https://www.smwk.sachsen.de/download /HPR_NV_Buehne_01082019.pdf (letzter Abruf: 5. Februar 2021). 10 Vgl. im Internetauftritt des Deutschen Bühnenvereins, Allgemeine Tipps und Informationen - Tarifverträge, abrufbar im Internetauftritt des Deutschen Bühnenvereins: http://www.buehnenverein.de/de/jobs-und-bildung/berufe -am-theater-ueberblick/tarifvertraege.html (letzter Abruf: 5. Februar 2020). 11 Der Ergänzungstarifvertrag ist abrufbar im Internetauftritt der GDBA: https://www.buehnengenossenschaft .de/recht/normalvertrag-buehne-recht (letzter Abruf: 5. Februar 2021). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 108/20 Seite 12 Für die rund 130 Kulturorchester in öffentlicher Trägerschaft gilt der Tarifvertrag für Musiker in Kulturorchestern (TVK) zwischen dem Deutschen Bühnenverein und der Deutschen Orchestervereinigung , der zuletzt am 1. Oktober 2019 erneuert wurde. Über weitere tarifvertragliche Vereinbarungen im Bereich der Kultur- und Kreativwirtschaft informiert eine Arbeit des Fachbereichs WD 10 (Kultur und Medien) aus dem Jahr 2016: Deutscher Bundestag -Wissenschaftliche Dienste: Tarif- und Vergütungsvereinbarungen im Kultur- und Kreativbereich, Sachstand WD 10 -3000-059/16 vom 30. November 2016. Auf Beschäftigte an Theatern und Bühnen in öffentlicher Hand finden nach Auskunft der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di zum Teil Bestimmungen des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder Anwendung. Daneben unterhält Ver.di einzelne Haustarifverträge. 6.2. Mindestlöhne 6.2.1. Mindestlohngesetz Künstlerinnen und Künstler in einer abhängigen Beschäftigung haben seit dem 1. Januar 2015 gemäß § 1 Abs. 1 des Mindestlohngesetzes Anspruch auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns. Er beträgt seit 1. Januar 2021 9,50 Euro brutto pro Stunde, ab 1. Juli 2021 9,60 Euro. Einen skeptischen Blick auf die Wirkungen des Inkrafttretens des Mindestlohngesetzes wirft allerdings unmittelbar nach dessen Inkrafttreten: Nix, Christoph: Das Theater und der Mindestlohn - oder: prekäre Verhältnisse im Deutschen Theaterwesen, NZA 2015, S. 974. Der Autor gelangt zu dem Fazit, dass der Gesetzgeber, der mit der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes versucht habe, soziale Ungerechtigkeit im privaten und öffentlichen Markt zu regulieren , die öffentlichen (Kultur-)Betriebe durch finanzielle Umverteilungen auch in die Lage versetzen müsse, die Anforderungen des Mindestlohngesetzes erfüllen zu können. 6.2.2. Tarifvertragliche Regelungen Mindestentgelte sind auch in geltenden Tarifverträgen vereinbart. So sieht der NV Bühne (siehe oben Abschnitt 6.1, S. 11) unter anderem eine Mindestvergütung für die vom Tarifvertrag erfass- Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 108/20 Seite 13 ten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor, die sich nach den für die einzelnen Beschäftigtengruppen geltenden Sonderregelungen richtet. Die Mindestvergütung für Solokünstler nach dem NV Bühne wurde zuletzt zum 1. April 2018 auf monatlich 2.000 EUR brutto erhöht.12 6.2.3. Branchenspezifischer Mindestlohn Die Einführung eines allgemeinverbindlichen Branchenmindestlohnes für den Kunst- und Kulturbereich auf der Grundlage eines bundesweiten Mindestlohntarifvertrags nach dem Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen (Arbeitnehmer-Entsendegesetz) ist theoretisch denkbar, begegnet aber faktischen Schwierigkeiten. Aufgrund der Komplexität der verschiedenen Tätigkeitsfelder im Kultur- und Medienbereich gibt es weder auf der Arbeitgeber- noch auf der Arbeitnehmerseite Verbände oder Vereinigungen, die als Tarifpartner für die gesamte Branche in Betracht kommen. Einer gesetzlichen Sonderregelung für einen branchenspezifischen Mindestlohn im Kulturbereich neben dem geltenden Mindestlohngesetz dürfte der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG entgegenstehen. 6.3. Mindestbedingungen und Mindesthonorare für Selbständige Selbständige Kulturschaffende werden weder vom Mindestlohngesetz noch von den tarifvertraglichen Mindestentgeltregelungen erfasst. Verbindlichen Vorgaben für Mindesthonorare gibt es für sie nicht. Eine Ausnahme bildet allein der Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche freie Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen13, der für selbständige Journalisten, die wirtschaftlich abhängig und vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig sind, Mindesthonorare für Textbeiträge vorsieht. Der Verein Art but Fair e.V. setzt sich seit 2013 in den Ländern Deutschland, Österreich und Schweiz für faire Arbeitsbedingungen sowie angemessene Gagen im Bereich der darstellenden Künste und der Musik ein.14 Zu diesem Zweck hat die Bewegung unter anderem für die Bereiche Kunstschaffende, Theaterleitende und Produzierende sowie Verantwortliche in Kulturpolitik, 12 Vgl. Drössel, Christine: Erste Schritte, Süddeutsche Zeitung vom 24. Oktober 2017, abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/kultur/schauspieler-gagen-erste-schritte-1.3721835 (letzter Abruf: 5. Februar 2021). 13 Der Tarifvertrag in der Fassung vom 1. Januar 2018 ist abrufbar im Internetauftritt des Deutschen Journalisten- Verbandes: https://www.djv.de/fileadmin/user_upload/2018_07_02_12a-TV.pdf (letzter Abruf: 5. Februar 2021). 14 Art But Fair e.V., Homepage – „Wer wir sind“, abrufbar unter: https://artbutfair.org/wer-wir-sind/ (letzter Abruf: 5. Februar 2021). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 108/20 Seite 14 Verwaltung und Verbänden Selbstverpflichtungen formuliert und stellt in ihrem Internetauftritt Beispiele für Best Practices vor. Internetauftritt des Art but fair e.V.: https://artbutfair.org/ (letzter Abruf: 5. Februar 2021). Der Bundesverband Freie Darstellende Künste (BFDK), der die Interessen von Theaterhäusern, Kollektiven oder Einzelakteurinnen und -akteuren auf Bundesebene vertritt, hat in einer Delegiertenversammlung am 14. Oktober 2015 eine Empfehlung für eine Honoraruntergrenze im Bereich der freien darstellenden Künste in Deutschland beschlossen, die bei 2.150 Euro pro Monat für alle notwendigen Tätigkeiten liegen soll: BFDK: Empfehlung für eine Honoraruntergrenze für die Freien Darstellenden Künste in Deutschland, abrufbar im Internetauftritt des BFDK: https://darstellende-kuenste.de/images/assets/Uploads/Meldung/Downloads /BFDK20151014EmpfehlungHonoraruntergrenze.pdf (letzter Abruf: 5. Februar 2021). Der Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler hat eine Leitlinie zur Vergütung von Künstlerinnen und Künstlern im Rahmen von Ausstellungen entworfen. BBK: Leitlinie zur Vergütung von Leistungen Bildender Künstlerinnen und Künstler im Rahmen von Ausstellungen“, Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler (BKK), abrufbar im Internetauftritt des BBK: https://www.bbk-bundesverband.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/Leitlinie /Leitlinie_20140610_print1_einzelseiten_-_neu_2.pdf (letzter Abruf: 5. Februar 2021). 7. Soziale Sicherung 7.1. Abhängig Beschäftigte Abhängig Beschäftigte im Kulturbereich sind wie andere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer grundsätzlich in allen Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung versichert. 7.1.1. Arbeitslosenversicherung Künstlerinnen und Künstler sind allerdings zumeist nicht in unbefristeten Arbeitsverhältnissen und nicht selten immer nur kurzfristig beschäftigt. Die für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch -Arbeitsförderung (SGB III) grundsätzlich erforderlichen Vorbeschäftigungszeiten von zwölf Monaten innerhalb von 30 Monaten werden deshalb oft nicht erreicht. Seit 2009 haben abhängig Beschäftigte jedoch bereits nach sechs Monaten Anwartschaftszeit einen Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn sie innerhalb der Rahmenfrist vor Eintritt der Arbeitslosigkeit mehr als die Hälfte der erforderlichen sechsmonatigen Vorversicherungszeit Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 108/20 Seite 15 in kurz befristeten Beschäftigungen zurückgelegt haben. Die befristete Regelung wurde mehrfach verlängert, zuletzt mit dem Qualifizierungschancengesetz vom 18. Dezember 2018 bis zum 31. Dezember 2022. Außerdem wurden durch dieses Gesetz die Verdienstobergrenze angehoben und Arbeitsverträge von bis 14 Wochen Dauer anerkannt. Damit wird entsprechend der Ankündigung im Koalitionsvertrag15 den Erwerbsbiografien vieler Beschäftigter im Kulturbereich Rechnung getragen . 7.1.2. Grundrente Am 1. Januar 2021 ist das Gesetz zur Einführung der Grundrente für langjährige Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung mit unterdurchschnittlichem Einkommen und für weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Alterseinkommen (Grundrentengesetz) vom 12. August 2020 in Kraft getreten. Es sieht vor, dass Personen mit einer Zugehörigkeit zu einem verpflichtenden Alterssicherungssystem - wie vor allem der gesetzlichen Rentenversicherung - von mindestens 33 Jahren einen Zuschlag zur gesetzlichen Rente erhalten können, wenn ihr Einkommen zwischen 30 und 80 Prozent des Durchschnittsverdienstes betragen hat. Verschiedene Künstlerinnen- und Künstlervereinigungen hatten im Vorfeld in einem Appell die Absenkung der erforderlichen Durchschnittseinkommensuntergrenze von 30 Prozent auf zehn Prozent gefordert, weil sie befürchten, dass viele Künstlerinnen und Künstler aufgrund unsteter Erwerbsbiografien und niedriger Einkommen die geforderte Mindesteinkommensgrenze nicht erreichen .16 Um die Zielgenauigkeit der Grundrente zu erhöhen und Personen vom Leistungsbezug auszuschließen, deren Arbeitsentgelte häufig lediglich die Bedeutung eines ergänzenden Einkommens hatten, hielt der Gesetzgeber jedoch an der Untergrenze von 30 Prozent fest.17 Ein Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE.18, der das Anliegen des Appells der Künstlerinnen- und Künstler berücksichtigte, fand im Deutschen Bundestag keine Mehrheit. 15 Ein neuer Aufbruch für Europa - Eine neue Dynamik für Deutschland - Ein neuer Zusammenhalt für unser Land Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, vom 18. März 2018, S. 166, abrufbar im Internetauftritt der Bundesregierung: https://www.bundesregierung.de/resource /blob/975226/847984/5b8bc23590d4cb2892b31c987ad672b7/2018-03-14-koalitionsvertragdata .pdf?download=1 (letzter Abruf: 5. Februar 2021). 16 Vgl. Appell zur Senkung des geforderten Mindesteinkommens für Grundrente vom 5. Februar 2020, abrufbar im Internetauftritt des Deutschen Künstlerbundes: https://www.kuenstlerbund.de/deutsch/kulturpolitik /aktuell/statements.html (letzter Abruf: 9. Februar 2021). 17 Gesetzentwurf der Bundesregierung - Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der Grundrente für langjährige Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung mit unterdurchschnittlichem Einkommen und für weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Alterseinkommen (Grundrentengesetz) vom 8. April 2020, Bundestagsdrucksache 19/18473, S. 2 f. 18 Bundestagsdrucksache 19/20733 vom 1. Juli 2020. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 108/20 Seite 16 7.2. Selbständig Erwerbstätige 7.2.1. Künstlersozialversicherung Gemäß § 1 KSVG werden auch Künstlerinnen und Künstler, die selbständig und nicht in einem Anstellungsverhältnis tätig sind, koordiniert über die Künstlersozialkasse (KSK), in der allgemeinen Rentenversicherung, in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung versichert, wenn sie die künstlerische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben und im Zusammenhang mit der künstlerischen Tätigkeit nicht mehr als einen Arbeitnehmer beschäftigen. § 14 KSVG bestimmt, dass die Mittel für die Versicherung nach dem KSVG durch Beitragsanteile der Versicherten zur einen und durch die Künstlersozialabgabe der Auftrag gebenden Unternehmer sowie durch einen Zuschuss des Bundes zur anderen Hälfte aufgebracht werden. Der Bund fördert so die Künstlerinnen und Künstler, die erwerbsmäßig selbständig arbeiten, weil diese Berufsgruppe sozial meist deutlich schlechter abgesichert ist als andere Selbständige und erkennt zugleich die schöpferische Aufgabe von Künstlern und Künstlerinnen für die Gesellschaft als wichtig an.19 Die KSK veröffentlicht regelmäßig Statistiken und Zahlen zu Fragen der Finanzierung, Beitragsbemessung oder Entwicklung der Versichertenzahlen in der Künstlersozialversicherung: KSK: KSK in Zahlen, abrufbar im Internetauftritt der KSK: https://www.kuenstlersozialkasse .de/service/ksk-in-zahlen.html (letzter Abruf: 9. Februar 2021). In der bereits erwähnten aktuellen Studie des Kulturrats zur wirtschaftlichen und sozialen Lage im Kulturmarkt (siehe oben Abschnitt 4.4., S. 7) wird allerdings hervorgehoben, dass eine Reihe sogenannter Mini-Selbständiger mit einem Jahresumsatz unter 17.500 Euro, deren Zahl zwischen 2009 und 2018 erheblich zugenommen habe, die Anforderungen an eine Mitgliedschaft in der Künstlersozialversicherung nicht erfüllten und daher keine ausreichende Altersvorsorge aufbauen könnten.20 7.2.2. Freiwillige Arbeitslosenversicherung Gegen Erwerbslosigkeit können sich selbständige Künstlerinnen und Künstler in der Arbeitslosenversicherung auf Antrag versichern. Voraussetzung für die Versicherung einer selbständigen 19 Künstlersozialkasse (KSK), Homepage – „Die Künstlersozialkasse“, abrufbar unter: https://www.kuenstlersozialkasse .de/die-ksk/die-kuenstlersozialkasse.html (letzter Abruf: 9. Februar 2021). 20 Schulz, Gabriele; Zimmermann, Olaf: Frauen und Männer im Kulturmarkt – Bericht zur sozialen und wirtschaftlichen Lage, Deutscher Kulturrat, Berlin, Mai 2020, S. 252, abrufbar im Internetauftritt des Deutschen Kulturrats : https://www.kulturrat.de/wp-content/uploads/2020/10/Frauen-und-Maenner-im-Kulturmarkt.pdf (letzter Abruf: 5. Februar 2021). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 108/20 Seite 17 Tätigkeit in der Arbeitslosenversicherung ist eine zuvor ausgeübte versicherte abhängige Beschäftigung von mindestens zwölf Monaten innerhalb von zwei Jahren oder der Bezug von Arbeitslosengeld unmittelbar vor Beginn der Selbständigkeit. Versichert werden allerdings nur selbständige Tätigkeiten, die in der Regel mindestens 15 Stunden in der Woche ausgeübt werden. Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung bemisst sich bei Selbständigen, die ein solches Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag eingegangen sind, nach einem jährlich neu bestimmten Wert und beträgt im Jahr 2021 in Westdeutschland monatlich 78,96 Euro und monatlich 74,76 Euro in Ostdeutschland. Das tatsächlich erzielte individuelle Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit spielt keine Rolle. Für die Höhe des Arbeitslosengeldes wird grundsätzlich das Arbeitsentgelt aus einer vorherigen versicherten abhängigen Beschäftigung herangezogen. 7.2.3. Studie zur sozialen Sicherung selbständiger Künstlerinnen und Künstler Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) aus dem Jahr 2012 setzt sich kritisch mit der vorhandenen empirischen Faktenlage zur sozialen Absicherung von selbständigen Künstlerinnen und Künstlern in Deutschland auseinander und zeigt Handlungsoptionen auf. Haak, Carroll; Schneider, Hilmar: Zur sozialen Absicherung von selbständigen Künstlern - Eine Bestandsaufnahme, FES (Hrsg.), 2012, abrufbar im Internetauftritt der FES: https://library.fes.de/pdf-files/managerkreis/10013.pdf (letzter Abruf: 8. Januar 2021). Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass die Pflichtversicherung selbständiger Künstlerinnen und Künstler nach dem KSVG im Durchschnitt nur in einem geringen Umfang zur Einkommenssicherung im Alter beitragen könne. Als Grund dafür sehen sie neben zum Teil niedriger Entlohnung die Diskontinuität künstlerischer Erwerbsbiografien. Hingewiesen wird auf den engen sozialpolitischen Handlungsspielraum. Das mit der künstlerischen Existenz verbundene Einkommensrisiko lasse sich damit nur sehr eingeschränkt mindern. Die Verantwortung für das Einkommensrisiko einer künstlerischen Existenz bleibe letztlich dem Einzelnen überlassen. Die Aufgabe des Sozialstaats bestehe darin, soziale Härten abzufedern und Gleichbehandlung sicher zu stellen. In dieser Hinsicht werde die Künstlersozialversicherung ihrer Aufgabe weitgehend gerecht. 8. Hybride Beschäftigung Viele Künstlerinnen und Künstler sind weder dauerhaft selbständig, noch dauerhaft abhängig beschäftigt , sondern sichern sich oft als Freischaffende ihren Lebensunterhalt durch Beschäftigung im Anstellungsverhältnis. Selbständige in der Kultur- und Kreativwirtschaft sind daher überwiegend weder den klassischen freien Berufen, noch den klassischen Selbständigen zuzuordnen; sie handeln stattdessen als „Unternehmer ihrer selbst“ und pendeln dabei zwischen verschiedenen, Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 108/20 Seite 18 überdurchschnittlich häufig im Grenzbereich prekärer Beschäftigung zu verortenden Beschäftigungsverhältnissen .21 Die rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen einer solche „Erwerbshybridisierung“ untersucht eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) auch im Hinblick auf die Kunst-, Kreativ- und Medienbranche. Jansen, Andreas: Wachsende Graubereiche in der Beschäftigung - Ein interdisziplinärer Forschungsüberblick über die Entstehung und Entwicklung neuer Arbeits- und Beschäftigungsformen in Deutschland, Working Paper Forschungsförderung Nr. 167, HBS, Januar 2020, abrufbar im Internetauftritt der HBS: https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=8807 (letzter Abruf: 10. Februar 2020). Der Autor stellt im Bereich der Kunst- und Kreativwirtschaft über die vergangenen Jahre eine zunehmende serielle Erwerbshybridisierung fest, die sich im Extremfall sehr negativ auf die soziale Sicherung auswirken könne, da die dauerhafte Selbständigkeit ein zentrales Kriterium für die Aufnahme in die Künstlersozialkasse sei. Dabei berücksichtigt der Autor auch, dass es unter Künstlerinnen und Künstlern „ethisch motivierte Grenzgängerinnen und Grenzgänger“ gebe, die durch in Teilzeit ausgeübte Beschäftigungsverhältnisse die Finanzierung ihrer ansonsten bewusst frei ausgeübten künstlerischen Tätigkeit sicherten. Die Arbeitsverhältnisse der Kultur- und Kreativberufe im Hinblick auf die Folgen der Erwerbshybridisierung betrachtet auch ein 2016 veröffentlichter Beitrag von: Manske, Andrea: Zwischen den Welten: Hybride Arbeitsverhältnisse in den Kulturberufen , in: Industrielle Beziehungen, Jahrgang 23, Heft 4, Arbeitswelten und industrielle Beziehungen -zwischen Einfacharbeit und hochqualifizierter Arbeit, 2016, S. 498- 516, abrufbar bei JSTOR, einer digitalen Bibliothek für wissenschaftliche Inhalte: https://www.jstor.org/stable/24889887?seq=1 (letzter Abruf: 10. Februar 2021). Die Autorin untersucht, unter welchen beschäftigungs- und arbeitspolitischen Bedingungen und in welchen empirischen Formen die Erwerbshybridisierung auftritt sowie welche Arbeitswirklichkeiten sich mit ihr verbinden. Sie kommt dabei zu der Erkenntnis, dass eine Aufteilung von Erwerbsformen nach sozialversicherungspflichtigen einerseits und selbständigen andererseits, zu kurz greife. *** 21 Manske/Schnell, in: Böhle, Frist; Voß, Günter; Wachtler, Günther (Hrsg.): Handbuch Arbeitssoziologie, 1. Auflage Wiesbaden 2010, S. 710.