© 2019 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 103/19 Einzelfragen zur Beitragsrücklage der Arbeitslosenversicherung und den Ausgaben für Kurzarbeitergeld Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 103/19 Seite 2 Einzelfragen zur Beitragsrücklage der Arbeitslosenversicherung und den Ausgaben für Kurzarbeitergeld Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 103/19 Abschluss der Arbeit: 16. August 2019 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 103/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Arbeitslosenversicherung als automatischer Stabilisator 4 2. Notwendige Höhe der Beitragsrücklage 4 3. Ausgaben der BA für Kurzarbeitergeld 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 103/19 Seite 4 1. Arbeitslosenversicherung als automatischer Stabilisator Die Arbeitslosenversicherung gilt als sogenannter automatischer Stabilisator der Konjunktur. „Automatische Stabilisatoren sind Einnahmen- und Ausgabenpositionen der öffentlichen Haushalte , die durch ihre antizyklische Wirkung zu einem glatteren Verlauf des Konjunkturzyklus führen. Auf der Einnahmenseite wirken sich insbesondere die Einkommensteuer und die Sozialversicherungsbeiträge stabilisierend auf den Konjunkturverlauf aus, auf der Ausgabenseite vor allem die Transferzahlungen aus der Arbeitslosenversicherung. Da für die Wirkung der automatischen Stabilisatoren keine gesonderten Beschlüsse von Parlament und Regierung erforderlich sind, stabilisieren sie den Konjunkturverlauf unmittelbar, während es bei diskretionären Maßnahmen zur Stabilisierung der Konjunktur (Konjunkturpakete) durch deren Vorlaufzeiten häufig zu Wirkungsverzögerungen kommt.“1 2. Notwendige Höhe der Beitragsrücklage Um Stabilisierungswirkung zu entfalten muss die Arbeitslosenversicherung über eine finanzielle Rücklage verfügen. Fraglich ist, welche Höhe die Beitragsrücklage der Bundesagentur für Arbeit (BA) haben muss, um künftige Rezessionen wirksam abzufedern zu können. Eine Beantwortung dieser Frage ist nur auf der Grundlage empirischer Beobachtung früherer Konjunkturverläufe sowie von Ausmaß und Stärke der stabilisierenden Wirkungen der von der Arbeitslosenversicherung erbrachten Leistungen möglich. Für die empirische Untersuchung automatischer Stabilisatoren werden in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur grundsätzlich vier verschiedene Verfahrensmodelle diskutiert.2 Als zweckmäßigstes Verfahren favorisiert etwa Kalusche in seiner Dissertation an der Technischen Universität Darmstadt den konjunkturbedingten Finanzierungssaldo, zu dessen Bestimmung wiederum verschiede Verfahren zur Verfügung stehen.3 Ausgehend von dem errechneten Finanzierungssaldo können Ausmaß und Stärke der Stabilisatoren ermittelt werden.4 1 Parlament der Republik Österreich - Budgetdienst (2018): Wirkung der automatischen Stabilisatoren, Anfragebeantwortung vom 12. Dezember 2018, Wien, abrufbar im Internetauftritt des österreichischen Parlaments: https://www.parlament.gv.at/ZUSD/BUDGET/2018/BD_-_Anfragebeantwortung_zur_Wirkung_der_automatischen _Stabilisatoren.pdf (letzter Abruf: 15. August 2019). 2 Vgl. zu den einzelnen Verfahren Kalusche, Johannes (2010): Ausmaß und Stärke der automatischen Stabilisatoren in Deutschland vor dem Hintergrund der jüngsten Steuer- und Sozialreformen, Frankfurt am Main: Peter Lang, S. 45 ff. 3 Vgl. Kalusche, Johannes (2010) (Fn. 2), S. 51 ff. 4 Vgl. dazu Kalusche, Johannes (2010) (Fn. 2), S. 79 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 103/19 Seite 5 Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit (BA) aus dem Jahr 2017 untersucht die konjunkturstabilisierende Wirkung des Haushalts der BA und versucht die in Zukunft dafür erforderliche Höhe der Rücklage zu ermitteln: Hausner, Karl Heinz; Weber, Enzo: Einnahmen und Ausgaben der Arbeitslosenversicherung - BA-Haushalt stabilisiert die Konjunktur, IAB-Kurzbericht 3/2017, Nürnberg, abrufbar im Internetauftritt des IAB: http://doku.iab.de/kurzber/2017/kb0317.pdf (letzter Abruf: 13. August 2019). Die Autoren weisen zunächst darauf hin, dass die zur Abfederung künftiger Rezessionen notwendige Höhe der Rücklage nicht eindeutig bestimmt werden könne. Auf der Grundlage der Berechnung des gesamtstaatlichen Finanzierungssaldos ziehen sie als Näherungswert das Mittel der konjunkturellen Haushaltsdefizite der seit der Wiedervereinigung eingetretenen Rezessionen heran, das ihren Berechnungen zufolge bei 0,65 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) liegt. Die Beitragsrücklage der Arbeitslosenversicherung betrug zum Jahresende 2018 23,5 Milliarden Euro5 und wird nach Schätzungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) 2019 auf 24,3 Milliarden Euro steigen.6 Das BIP lag 2018 bei 3,388 Billionen Euro.7 Unter Berücksichtigung der Prognosen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), das für 2019 ein Wachstum des BIP von 0,9 Prozent erwartet,8 errechnet sich daraus für 2019 eine notwendige Rücklage der BA von gut 22,2 Milliarden Euro. Die Bundesregierung erwartet demgegenüber lediglich ein BIP-Wachstum von 0,5 Prozent,9 was zu einem entsprechend niedrigeren Wert für die notwendige Rücklage der 5 Bundesagentur für Arbeit (BA): Presseinfo der Nr. 5 vom 15. Januar 2019, abrufbar im Internetportal der BA: https://www.arbeitsagentur.de/presse/spr-2019-5-ba-haushalt-2018-besserer-abschluss-als-erwartet (letzter Abruf: 13. August 2019). 6 BA: Presseinfo Nr. 30 vom 9. November 2018, abrufbar im Internetportal der BA: https://www.arbeitsagentur.de/presse/2018-30-der-haushalt-der-ba-2019 (letzter Abruf: 13. August 2019). 7 Statistisches Bundesamt (Destatis): Bruttoinlandsprodukt 2018 für Deutschland, Begleitmaterial zur Pressekonferenz am 15. Januar 2019 in Berlin, abrufbar im Internetauftritt von Destatis: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressekonferenzen/2019/BIP2018/pressebroschuere-bip.pdf?__blob=publication File (letzter Abruf: 13. August 2019). 8 DIW: Deutsche Wirtschaft trotzt Unsicherheiten, Pressemitteilung vom 13. Juni 2019, abrufbar im Internetauftritt des DIW: https://www.diw.de/de/diw_01.c.628814.de/themen_nachrichten/deutsche_wirtschaft_trotzt_unsicherheiten .html (letzter Abruf: 13. August 2019). 9 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi): Frühjahrsprojektion 2019, 17. April 2019, abrufbar im Internetauftritt des BMWi: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Wirtschaft/Projektionen-der-Bundesregierung/projektionen-derbundesregierung -fruehjahr-2019.html (letzter Abruf: 15. August 2019). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 103/19 Seite 6 BA führen würde. Danach erschiene die aktuelle Rücklage der Arbeitslosenversicherung jedenfalls ausreichend, um stabilisierende Wirkung bei künftigen Wirtschaftskrisen, mittlerer Größenordnung entfalten zu können. Weitere Studien, die sich mit Berechnungen der notwendigen Rücklagenhöhe im Haushalt der BA befassen, liegen soweit ersichtlich nicht vor. Eine im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz der Republik Österreich erstellte Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) aus dem Jahr 201410 analysiert die makroökonomischen Stabilisierungs- und mikroökonomischen Verteilungswirkungen der Einführung einer Europäischen Arbeitslosenversicherung. Auf Grundlage dynamischer makroökonomischer Simulationen wird gezeigt, dass ein solches Transfersystem innerhalb des Euroraums - je nach Ausgestaltung - zu einer merklichen Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung geführt hätte. Hinweise auf eine zur Abfederung von Wirtschaftskrisen erforderliche Mindestrücklage lassen sich dieser Studie jedoch nicht entnehmen. 3. Ausgaben der BA für Kurzarbeitergeld Zu den Arbeitslosenversicherungsleistungen, denen in der Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise der Jahre 2008/2009 vor allem eine stabilisierende Wirkung auf die Beschäftigung beigemessen wurde, zählt das konjunkturelle Kurzarbeitergeld nach §§ 95 ff. des Dritten Buches Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (SGB III), das betroffenen Arbeitnehmern bei wirtschaftlich bedingtem Arbeitsausfall gezahlt werden kann. Die Statistik der BA hat auf Anfrage die beigefügten Tabellen zu Verfügung gestellt, die unter anderem Aufschluss über die Ausgaben der BA für konjunkturelles Kurzarbeitergeld seit 1989 und über Erstattungen von Sozialversicherungsbeiträgen bei konjunkturellem Kurzarbeitergeld seit 2009 geben: BA - Statistik (2019): Konjunkturelles Kurzarbeitergeld (ab 2013 inkl. SV-Beiträgen - keine FiPo für SV-Beiträge). - Anlage 1 - BA - Statistik (2019): SV-Erstattungen bei konjunkturellem Kurzarbeitergeld. - Anlage 2 - *** 10 Dullien, Sebastian et al. (2014): Eine Arbeitslosenversicherung für den Euroraum als automatischer Stabilisator - Grenzen und Möglichkeiten, Endbericht, Berlin, 21. August 2014, abrufbar im Internetauftritt des DIW: https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.480292.de/diwkompakt_2014-086.pdf (letzter Abruf: 15. August 2019).