© 2015 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000-103/15 Ausnahme vom Mindestlohn für Vertragsamateure im Sport und Aussetzung der Mindestlohnkontrolle für den Transitverkehr Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000-103/15 Seite 2 Ausnahme vom Mindestlohn für Vertragsamateure im Sport und Aussetzung der Mindestlohnkontrolle für den Transitverkehr Aktenzeichen: WD 6 - 3000-103/15 Abschluss der Arbeit: 19. August 2015 Fachbereich: WD 6: Arbeit- und Soziales Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000-103/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Mindestlohn für Vertragsamateure im Sport 4 1.1. Einleitung 4 1.2. Standpunkt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales 4 1.3. Vertragsamateure als Arbeitnehmer 5 1.3.1. Begriff des Arbeitnehmers 6 1.3.2. Auslegung nach dem Wortlaut 6 1.3.3. Systematische Auslegung 6 1.3.3.1. Systematik innerhalb des Mindestlohngesetzes 6 1.3.3.2. Systematik im Verhältnis zu anderen Vorschriften 7 1.3.3.2.1. Arbeitnehmerbegriff in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung 7 1.3.3.2.2. Steuerrecht 10 1.3.4. Auslegung nach dem Sinn und Zweck 10 1.3.5. Gesetzgeberischer Wille 11 1.3.6. Zwischenfazit 12 1.4. Ehrenamtliche Tätigkeit 12 1.5. Prüfung der Einhaltung des Mindestlohngesetzes 12 1.6. Folgen der Nichteinhaltung des Mindestlohngesetzes 13 1.7. Rechtssicherheit durch die Aussagen auf der Pressekonferenz? 13 2. Aussetzung der Mindestlohnregelung für den Transitverkehr 14 2.1. Regelung des Mindestlohngesetzes und Auslegung 14 2.2. Zuständigkeit der Fachgerichte 14 2.3. Europarechtliche Fragen 15 2.4. Aussetzung der Kontrollregelung 16 2.5. Rechtssicherheit 16 3. Literaturverzeichnis 17 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000-103/15 Seite 4 1. Mindestlohn für Vertragsamateure im Sport 1.1. Einleitung Im Rahmen der Beantwortung der Frage, ob für Sportler der Mindestlohn nach § 1 Abs. 1 des Mindestlohngesetzes (MiLoG)1 zu zahlen ist, ist zwischen drei Gruppen zu unterscheiden: – Profisportler sind unstreitig Arbeitnehmer und damit mindestlohnpflichtig. – Reine Amateure mit ausschließlich vereinsrechtlicher Bindung sind ebenfalls unstreitig keine Arbeitnehmer; sie sind für ihren Verein ehrenamtlich und unentgeltlich tätig und erhalten allenfalls eine Aufwandsentschädigung. – Problematisch ist allein die Einordnung der Sportler, die nicht dem Profibereich zuzuordnen sind, die aber aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung über eine Aufwandsentschädigung hinaus geldwerte Leistungen für ihre Tätigkeit erhalten; sie werden im Folgenden als Vertragsamateure bezeichnet.2 Eine ausdrückliche Ausnahme für die Vertragsamateure im Sport enthält das MiLoG nicht, was zu erheblichen Unsicherheiten bei den Sportvereinen Anlass gibt. 1.2. Standpunkt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales Um für die Sportvereine Klarheit zu schaffen, hat die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles, rechtliche Fragen zu diesem Personenkreis am 26. Februar 2015 mit Spitzenvertretern des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und des Deutschen Fußballbundes (DFB) abschließend erörtert. In einer Pressemitteilung dazu hebt das BMAS hervor, bei Vertragsamateuren handele es sich um Mitglieder der Vereine, die eine geringe Bezahlung für ihre Spieltätigkeit erhielten und in der Regel als Mini-Jobber angemeldet seien. Grundsätzlich gelte der Mindestlohn für alle Arbeitnehmer. In der Regel sei eine Anmeldung zum Minijob auch mit der Arbeitnehmereigenschaft verbunden, sodass der Mindestlohn zu zahlen sei. Die Koalitionsfraktionen und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hätten im Bundestag während des Gesetzgebungsprozesses jedoch das gemeinsame Verständnis zum Ausdruck gebracht, dass Vertragsamateure nicht unter das Mindestlohngesetz fallen sollten. Das zeitliche und persönliche Engagement dieser Sportler zeige, dass 1 Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (Mindestlohngesetz - MiLoG) vom 11. August 2014 (BGBl. I S. 1348). 2 Zum Status der Vertragsamateure im Fußball heißt es beispielsweise in § 8 Nr. 2 Satz 1 der Spielordnung des DFB: „Vertragsspieler ist, wer über sein Mitgliedschaftsverhältnis hinaus einen schriftlichen Vertrag mit seinem Verein abgeschlossen hat und über seine nachgewiesenen Auslagen hinaus (Nr. 1.) Vergütungen oder andere geldwerte Vorteile von mindestens Euro 250,00 monatlich erhält.“ Abrufbar im Internetauftritt des DFB: http://www.dfb.de/fileadmin/_dfbdam/27993-06_Spielordnung.pdf (letzter Abruf: 17. August 2015). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000-103/15 Seite 5 nicht die finanzielle Gegenleistung, sondern die Förderung des Vereinszwecks und der Spaß am Sport im Vordergrund stünden. Somit sei davon auszugehen, dass es sich trotz Mini-Job nicht um ein Arbeitnehmerverhältnis handele und der Mindestlohn keine Anwendung finde.3 Die Bundesministerin zeigte sich in der Pressekonferenz zuversichtlich, dass damit „die Zukunft der Vertragsamateure im deutschen Sport (…) gesichert“ sei. Mit der zwischen den Beteiligten getroffenen Entscheidung seien Unsicherheiten im Bereich von Vertragsspielern ausgeräumt worden . Der Präsident des DOSB Alfons Hörmann hob die Bedeutung der erzielten Handlungsanweisung bzw. Anpassung in der Umsetzung für die praktische Arbeit vor Ort hervor. Der DFB- Schatzmeister Reinhard Grindel dankte abschließend der Ministerin, die mitgeteilt habe, dass der Zoll hier nicht kontrollieren werde, weil es keine Mindestlohnpflichtigkeit gebe.4 Diese Aussagen erwecken den Eindruck, dass durch die zwischen den Gesprächsbeteiligten getroffene Entscheidung nun Rechtssicherheit für die Vereine im Hinblick auf die rechtliche Einordnung der Vertragsamateure hergestellt sei. Ob dies tatsächlich der Fall ist, soll im Folgenden untersucht werden. Bislang gibt es zu dieser Problematik noch keine Rechtsprechung, das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich jedoch in der Vergangenheit in anderem Zusammenhang zur rechtlichen Einordnung von Vertragsamateuren geäußert. Im Folgenden wird zunächst geprüft, wie der Arbeitnehmerbegriff im Mindestlohngesetz auszulegen ist und ob Vertragsamateure unter diesen Begriff fallen können. Anschließend werden die hieraus folgenden Konsequenzen für die auf der Pressekonferenz vom 26. Februar 2015 geäußerten Aussagen dargestellt. 1.3. Vertragsamateure als Arbeitnehmer Wesentlich für die Anwendbarkeit des MiLoG ist der Begriff des Arbeitnehmers. In § 1 MiLoG heißt es: „Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber.“ Ausnahmen vom persönlichen Anwendungsbereich sind in § 22 MiLoG und befristet bis 31. Dezember 2017 in § 24 MiLoG abschließend geregelt. Da das Gesetz eine ausdrückliche Ausnahme für Vertragsamateure im Sport im Gesetz nicht enthält, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass auch sie vom MiLoG erfasst sind, sofern auf sie die allgemeinen Merkmale des Arbeitnehmerbegriffs zutreffen. 3 Abrufbar unter: http://www.der-mindestlohn-wirkt.de/ml/DE/Service/Meldungen/2015/zukunft-vertragsamateure -gesichert.html (zuletzt abgerufen am 7. August 2015). 4 Die Videoaufzeichnung der Pressekonferenz ist abrufbar unter: http://www.der-mindestlohn-wirkt.de/Shared- Docs/Videos/ml/zukunft-vertragsamateure-gesichert.html (zuletzt abgerufen am: 7. August 2015). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000-103/15 Seite 6 1.3.1. Begriff des Arbeitnehmers Der Begriff des Arbeitnehmers ist weder im MiLoG selbst noch in anderen Gesetzen5 definiert. Mangels Legaldefinition ist eine Auslegung erforderlich, die nach den anerkannten Auslegungsmethoden zunächst auf der Grundlage von Wortlaut, Systematik, gesetzgeberischer Wille sowie Sinn und Zweck der Regelung zu erfolgen hat. Ergänzend können die verfassungskonforme Auslegung , die EU-rechtskonforme Auslegung und die rechtsvergleichende Auslegung herangezogen werden. 1.3.2. Auslegung nach dem Wortlaut Den ersten Anknüpfungspunkt der Auslegung stellt immer der Wortlaut dar. Bei dem Begriff des Arbeitnehmers handelt es sich um einen rechtlichen Begriff, welcher nicht direkt der Alltagssprache entnommen ist, eine reine Wortlautauslegung ist damit nicht ergiebig. Festgehalten werden kann an dieser Stelle jedoch, dass nach dem allgemeinen Verständnis des Begriffs „Arbeitnehmer “ hierunter jeder zu verstehen ist, der aufgrund eines Arbeitsvertrages in einem Arbeitsverhältnis zu einem Arbeitgeber steht. Nach dem Wortlaut können damit grundsätzlich auch Vertragsamateure im Sport Arbeitnehmer im Sinne des Mindestlohngesetzes sein. 1.3.3. Systematische Auslegung Im Rahmen der systematischen Auslegung sind zwei unterschiedliche Fragen zu beantworten. Zum einen ist im Rahmen der Auslegung die dem jeweiligen Gesetz eigene Systematik zu berücksichtigen . Es ist also zu prüfen, ob sich aus der Stellung der Normen im Mindestlohngesetz zueinander ein Rückschluss auf die Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs des § 1 MiLoG ergibt. Daneben ist auch zu beachten, dass der Begriff des Arbeitnehmers, welcher wie oben gezeigt auf den Begriff des Arbeitsvertrages hindeutet, bereits in anderen Gesetzen verwendet wird. 1.3.3.1. Systematik innerhalb des Mindestlohngesetzes Das MiLoG gilt für jede Arbeitnehmerin und jeden Arbeitnehmer, soweit diese nicht unter die Ausnahmeregelung fallen. Rückschlüsse auf die Merkmale des Arbeitnehmerbegriffs lässt dies nicht zu. 5 Vgl. Schöne in Hümmerich/Boecken/Düwell, § 611 BGB, Rn. 51. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000-103/15 Seite 7 1.3.3.2. Systematik im Verhältnis zu anderen Vorschriften 1.3.3.2.1. Arbeitnehmerbegriff in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ist Arbeitgeber, wer eine Arbeitsleistung vom Arbeitnehmer kraft eines Arbeitsvertrages zu fordern berechtigt ist.6 Arbeitnehmer ist dem BAG zufolge, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit gegen Entgelt verpflichtet ist.7 Zur Erfüllung dieses allgemeinen Arbeitnehmerbegriffs müssen drei Merkmale vorliegen: – Die Verpflichtung zur Arbeitsleistung muss durch einen privatrechtlichen Vertrag begründet werden. – Arbeitnehmer ist nur, wer zur Arbeit verpflichtet ist, nicht dagegen, wer einen Arbeitserfolg schuldet. Dies dient der Abgrenzung des Arbeitsvertrag als Unterfall des Dienstvertrages nach § 611 BGB8 von einem Werkvertrag im Sinne des § 631 BGB. – Die Arbeit muss im Dienst eines anderen geleistet werden. Dieses Kriterium dient der Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von einer selbstständigen Tätigkeit, welche gerade kein Arbeitsverhältnis zu begründen vermag.9 „Arbeit“ ist nach der Rechtsprechung des BAG der planmäßige Einsatz der körperlichen und geistigen Kräfte zur Erreichung eines wirtschaftlich messbaren Zwecks.10 Das Arbeitsverhältnis ist geprägt durch die persönliche Abhängigkeit11 des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber. Wesentliches Kriterium für diese Abhängigkeit ist nach der BAG-Rechtsprechung die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers,12 also die Erbringung der Dienstleistung im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation.13 Nach dem in Anlehnung an § 106 der 6 BAG 9. September 1982 – 2 AZR 253/80 – AP § 611 BGB Hausmeister Nr. 1. 7 Zuletzt BAG 12. August 2015 – 9 AZR 98/14; ähnlich statt vieler bereits, BAG 13. März 2008 – 2 AZR 1037/06 – NZA 2008, 878; ursprünglich formuliert von Hueck in Hueck/Nipperdey Bd. I S. 33. 8 Vgl. Schöne in Hümmerich/Boecken/Düwell, § 611 BGB, Rn. 8. 9 Richardi in Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, § 16, Rn. 14 – 16. 10 BAG, NZA 1991, 308 = AP Nr. 51 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 11 Insoweit nicht ausreichend ist die wirtschaftliche Abhängigkeit, vgl. BAG 28. Februar 1962, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 1. 12 Vgl. z. B. BAG 13. Januar 1983 – 5 AZR 149/82 – AP § 611 BGB Abhängigkeit Nr. 42. 13 BAG 20.7.1994, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 73. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000-103/15 Seite 8 Gewerbeordnung entwickelten Direktionsrecht des Arbeitgebers kann dieser die konkrete Leistungspflicht des Arbeitnehmers hinsichtlich Ort, Art und Zeit näher gestalten. Zur Prüfung der Weisungsgebundenheit hat das BAG im Wesentlichen fünf Kriterien herausgearbeitet : – fachliche Weisungsgebundenheit, – zeitliche Weisungsgebundenheit, – örtliche Weisungsgebundenheit, – organisatorische Abhängigkeit für die Erbringung der Arbeitsleistung und – Fremdnützigkeit der überlassenen Arbeitsleistung. Bei Vertragsamateuren im Sport liegt ein privatrechtlicher Vertrag mit dem Verein vor. Problematisch ist hingegen das Merkmal der Verpflichtung zur Dienstleistung bzw. Arbeit. Beim Sportler ist der Übergang zwischen Freizeit und Arbeit zuweilen fließend. Sport wird häufig in erster Linie als Hobby wahrgenommen und nicht als Arbeit.14 Die sportliche Betätigung entwickelt sich jedoch weg vom Hobby und hin zum Beruf, wenn wirtschaftliche Interessen beginnen eine Rolle zu spielen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass nicht ausschließlich entscheidend ist, ob der Sportler eigene wirtschaftliche Interessen verfolgt. Entscheidend kann auch das Verfolgen wirtschaftlicher Interessen durch den Verein sein, wenn dieser sich dafür der Leistungen des Sportlers bedient.15 Die erforderliche Weisungsgebundenheit dürfte bei Vertragsamateuren meist zu bejahen sein. Denn der Vertragsamateur ist organisatorisch vom Verein abhängig. Er hat in der Regel über die Verpflichtungen aufgrund der gewöhnlichen Vereinsbindung hinaus Trainingstermine ebenso wie Wettkampf- bzw. Spieltermine einzuhalten und unterliegt insoweit zeitlich und örtlich den Weisungen des Vereins. Fachlich muss er sich vor allem im Training den Weisungen des Trainers unterwerfen. Weitere Kriterien für die Annahme der Arbeitnehmereigenschaft können nach der Rechtsprechung des BAG insbesondere das Abführen von Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen durch den Leistungsempfänger, die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle und die Fortsetzung der Vergütung während des Urlaubs sein. Insoweit kann der sozialversicherungsrechtlichen Anmeldung der Vertragsamateure als Minijobber im Sinne des § 8 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) eine gewisse Indizwirkung nicht abgesprochen werden, was auch in der genannten Pressemitteilung von BMAS, DOSB und DFB (siehe oben 1.2, S. 4) eingeräumt wird. 14 Giesen in Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, § 337 Rn. 3. 15 Giesen in Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, § 337 Rn. 3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000-103/15 Seite 9 Das BAG hatte sich in anderen arbeitsrechtlichen Zusammenhängen bereits verschiedentlich mit der Frage der Einordnung von Vertragsamateuren als Arbeitnehmer zu befassen. Nach Ansicht des BAG ist ein Sportler als Arbeitnehmer anzusehen, wenn er mit der Ausnutzung seiner sportlichen Fähigkeiten bei persönlicher Abhängigkeit in erster Linie ein wirtschaftliches Interesse verfolgt und damit gleichzeitig ein solches des Vereins befriedigt.16 Als ein Indiz für die wirtschaftliche Zwecksetzung dient die Zusage eines vom bloßen Aufwendungsersatz zu unterscheidenden Entgelts.17 Entscheidend ist demnach grundsätzlich die Entgeltlichkeit der Leistung. Dem Entgelt gegenübergestellt wird das Vorliegen eines bloßen Kostenersatzes.18 Ob ein Aufwendungsersatz oder ein Entgelt vorliegt, ist danach zu überprüfen, ob tatsächlich Kosten in Höhe des Aufwendungsersatzes für den Betreffenden entstehen. Die bloße Bezeichnung einer finanziellen Gegenleistung als Aufwendungsersatz ist hingegen nicht entscheidend, denn dann stünde die Anwendung des Arbeitsrechts allein zur Disposition der Vertragspartner. Unerheblich ist daher auch grundsätzlich die Höhe des Entgelts, solange es jedenfalls als Entgelt anzusehen ist. Die sportliche Tätigkeit muss nämlich die Arbeitskraft des Betreffenden weder voll noch zum großen Teil in Anspruch nehmen. Es reicht mithin auch eine Ausübung im Umfang einer lediglich geringfügigen Beschäftigung aus. Allein entscheidend sind die grundsätzlichen Merkmale des Arbeitsvertrages .19 Ist also im konkreten Fall die Entgeltlichkeit der Leistungen des Sportlers anzunehmen, ist weiter zu prüfen, ob die Leistungen in persönlicher Abhängigkeit zu erbringen sind. Maßgeblich ist dabei , wie bereits gesehen, die Weisungsgebundenheit. Bei der Prüfung kommt es auf die konkrete Ausgestaltung und Durchführung des jeweiligen Vertrages an. Wenn der Sportler aufgrund der jeweiligen Vertragsgestaltung und -durchführung seine Leistung für den Verein in einer für ein Arbeitsverhältnis typischen persönlichen Abhängigkeit erbringt, die über die bereits durch die Vereinsmitgliedschaft begründete Weisungsgebundenheit hinausgeht, ist nach der Rechtsprechung des BAG auch bei Vertragsamateuren eine Arbeitnehmereigenschaft grundsätzlich anzunehmen .20 Entscheidend kann daneben auch sein, ob der Sportler noch für andere Vereine tätig sein darf. Es zeigt sich, dass in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung die Arbeitnehmereigenschaft von Vertragsamateuren keineswegs grundsätzlich ausgeschlossen wird. Dies gilt unabhängig davon, wie hoch das jeweils gezahlte Entgelt ist und ob sich die Tätigkeit als lediglich geringfügig (im Sinne des § 8 SGB IV) darstellt. 16 BAG NZA 1991, 308 = AP Nr. 51 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 17 BAG 10. Mai 1990, 2 AZR 607/89. 18 Wie im Fall von LAG Nürnberg, Beschluss vom 27. Januar1995 – 7 Ta 187/94. 19 BAG, 39, 329 = AP Nr. 32 zu § 611 Lehrer. 20 BAG 10. Mai 1990, 2 AZR 607/89, Leitsatz 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000-103/15 Seite 10 1.3.3.2.2. Steuerrecht21 Im Steuerrecht sind nach § 1 Lohnsteuer-Durchführungsverordnung für den steuerrechtlichen Arbeitnehmerbegriff entscheidend: – das Schulden der Arbeitskraft, – die Weisungsgebundenheit und – die organisatorische Eingliederung. Hinsichtlich der Weisungsgebundenheit ist nach der finanzgerichtlichen Rechtsprechung danach zu differenzieren, ob der Betreffende eigenverantwortlich tätig wird oder ob die Tätigkeit grundsätzlich den speziellen Weisungen des Arbeitgebers unterliegt. Bei der organisatorischen Eingliederung ist vor allem die Dauerhaftigkeit der Tätigkeit für den bestimmten Arbeitgeber ein entscheidendes Kriterium. Die Finanzgerichte nehmen eine Gesamtabwägung der vorliegenden Umstände anhand der genannten Kriterien im Einzelfall vor, um zu entscheiden, ob die Arbeitnehmereigenschaft im Einzelfall bejaht werden kann. Grundsätzlich können hiernach auch den im Steuerrecht geltenden Kriterien Vertragsamateure als Arbeitnehmer anzusehen sein. 1.3.4. Auslegung nach dem Sinn und Zweck Das MiLoG legt die Untergrenze für den arbeitsrechtlichen Anspruch auf Lohnzahlung fest. Es hat damit konkretisierende Bedeutung und dient der Gesetzesbegründung zufolge primär zwei Zielen. Es soll – die Zahlung unangemessen niedriger Löhne verhindern und – Monatseinkommen bei Vollzeitbeschäftigung unterhalb der Pfändungsfreigrenze sichern22 Die Auslegung nach dem so beschriebenen Sinn und Zweck ist für die Prüfung der Merkmale der Arbeitnehmereigenschaft von Vertragsamateuren nicht ergiebig. Allerdings ist festzustellen, dass der Sinn und Zweck des MiLoG es jedenfalls nicht ausschließt, diese als Arbeitnehmer anzusehen . 21 Die folgenden Ausführungen sind angelehnt an Müller in SteuK 2013, 140, 141. 22 Bundestagsdrucksache 18/1656, S. 33 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000-103/15 Seite 11 1.3.5. Gesetzgeberischer Wille In dem vom Plenum des Deutschen Bundestages am 3. Juli 201423 angenommen Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales24 heißt es auf S. 15: „Die Koalitionsfraktionen seien mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales darin einig, dass ehrenamtliche Übungsleiter und andere ehrenamtlich tätige Mitarbeiter in Sportvereinen nicht unter dieses Gesetz fielen. Von einer „ehrenamtlichen Tätigkeit“ im Sinne des § 22 Abs. 2 MiLoG sei immer dann auszugehen, wenn sie nicht von der Erwartung einer adäquaten finanziellen Gegenleistung, sondern von dem Willen geprägt sei, sich für das Gemeinwohl einzusetzen. Liege diese Voraussetzung vor, seien auch Aufwandsentschädigungen für mehrere ehrenamtliche Tätigkeiten, unabhängig von ihrer Höhe, unschädlich. Auch Amateurund Vertragssportler fielen nicht unter den Arbeitnehmerbegriff, wenn ihre ehrenamtliche sportliche Betätigung und nicht die finanzielle Gegenleistung für ihre Tätigkeit im Vordergrund stünde.“ Der Gesetzgeber ging bei der Fassung des MiLoG also davon aus, dass der persönliche Anwendungsbereich Tätigkeiten dann nicht erfassen sollte, wenn die Tätigkeit nicht von der Erwartung einer adäquaten finanziellen Gegenleistung, sondern von dem Willen geprägt sei, sich für das Gemeinwohl einzusetzen. Dies hat er durch die Ausnahmevorschrift für ehrenamtlich Tätige in § 22 MiLoG deutlich gemacht. Eine darüber hinausgehende Einschränkung, insbesondere die generelle Ausnahme von der Mindestlohnpflicht für Vertragsamateure im Sport ist weder Inhalt des Gesetzes geworden noch in die amtliche Begründung eingeflossen, so dass ein dahin gehender gesetzgeberischer Wille nicht zweifelsfrei feststellbar ist. Aus dem manifestierten gesetzgeberischen Willen folgt deshalb nicht, dass Vertragsamateure, welche als geringfügig Beschäftigte tätig sind, nicht als Arbeitnehmer angesehen werden könnten. Bei Beurteilung der Tätigkeit der Vertragsamateure ist es nach einer im Fachschrifttum für den Bereich des Fußballs vertretenen Ansicht durchaus fraglich, ob sie stets allein Ausdruck eines nicht erwerbswirtschaftlich angelegten bürgerschaftlichen Engagements ist: „Zwar mag es sein, dass für einen Teil von ihnen neben der finanziellen Gegenleistung die Selbstverwirklichung im Sport von besonderer Bedeutung ist. Aber keiner von ihnen verpflichtet sich vertraglich als Fußballspieler, weil er damit dem Gemeinwohl dienen will. Und unentgeltlich arbeiten diese Spieler auch nicht, was die (...) zahlreichen Vereinswechsel aus finanziellen Gründen zeigen.“25 23 Plenarprotokoll 18/46, 4117. 24 Bundestagsdrucksache 18/2010. 25 Walker in SpuRt 94, 96. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000-103/15 Seite 12 Zutreffend sei lediglich, dass der Spaß an der Tätigkeit bei den Vertragsamateuren ausgeprägter sei als derjenige bei anderen Arbeitnehmertätigkeiten; dieser Umstand treffe aber auch auf andere Berufsgruppen zu, deren Arbeitnehmereigenschaft aber deswegen nicht in Zweifel stehe.26 Diese Argumentation ist nicht von der Hand zu weisen. Jedenfalls erscheint die Freude der Vertragsamateure an der ausgeübten sportlichen Betätigung für sich genommen rechtlich nicht geeignet , deren Arbeitnehmereigenschaft generell zu verneinen. 1.3.6. Zwischenfazit Wie dargelegt, lässt die Prüfung der Frage, ob geringfügig beschäftigte Vertragsamateure im Sport von den Regelungen des MiLoG erfasst sind, unter Anwendung der der gängigen juristischen Auslegungsmethoden keine allgemeingültige Entscheidung zu. Für die Beantwortung der zentralen Frage, ob die Vertragsamateure als Arbeitnehmer im Sinne des § 1 Abs. 1 MiLoG anzusehen sind, kommt es vielmehr, wie die Rechtsprechung des BAG zeigt, auf die konkreten Umstände im zu entscheidenden Fall an. Auch Vertragsamateure können damit Arbeitnehmer im Sinne des MiLoG sein. Dies gilt unabhängig davon, ob sie geringfügig beschäftigt sind oder ein darüber hinausgehendes Entgelt erhalten . Die Qualifizierung von Sportlern als Arbeitnehmer wird daher mangels eindeutiger gesetzlicher Regelung immer Sache des Einzelfalls sein.27 1.4. Ehrenamtliche Tätigkeit Vertragsamateure, die nach den dargelegten Kriterien als Arbeitnehmer anzusehen sind, können nicht als Ehrenamtliche im Sinne des Art. 22 Abs. 3 MiLoG gelten. Diese Bestimmung hat lediglich klarstellende Funktion.28 Denn Ehrenamt ist gerade nicht Erwerbstätigkeit, Arbeitnehmer im Sinne des Art. 1 MiLoG sind damit grundsätzlich keine ehrenamtlich Tätigen. 1.5. Prüfung der Einhaltung des Mindestlohngesetzes Die Prüfung der Einhaltung des Mindestlohngesetzes obliegt gemäß § 14 MiLoG den Behörden der Zollverwaltung. Diese sind dem Bundesministerium der Finanzen unterstellt. 26 Walker in SpuRt 94, 97. 27 Die Einzelfallbezogenheit der Prüfung wird auch von Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, § 22 Rn. 129 hervorgehobe; ebenso Schubert/Jerchel in Düwell/Schubert, Mindestlohngesetz, § 22 Rn. 60; Lakies, Mindestlohngesetz , § 22 Rn. 12. 28 Walker SpuRt 2015, 94, 95. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000-103/15 Seite 13 1.6. Folgen der Nichteinhaltung des Mindestlohngesetzes Wenn der gesetzlich vorgeschriebene Mindestlohn nicht gezahlt wird, drohen zivil- und ordnungswidrigkeitenrechtliche sowie u.U. strafrechtliche Folgen für den Arbeitgeber: – Auf zivilrechtlicher Ebene kann der betroffene Arbeitnehmer die Differenz zwischen Mindestlohn und tatsächlich gezahltem Lohn nachfordern. – Auf Ebene des Ordnungswidrigkeitenrechts droht eine Geldstrafe gemäß § 21 MiLoG. – Auf strafrechtlicher Ebene droht u. U. eine Strafbarkeit gemäß § 266a StGB aufgrund der Nichtzahlung der auf das Arbeitsentgelt entfallenden Sozialversicherungsabgaben. Auf der zivilrechtlichen Ebene ist der Arbeitgeber zur Nachzahlung des Differenzbetrages verpflichtet , wenn ein Betrag unterhalb der Mindestlohngrenze gezahlt wird. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Arbeitgeber schuldhaft gehandelt hat. Im Ordnungswidrigkeitenrecht ist grundsätzlich das Opportunitätsprinzip zu beachten. Die zuständige Behörde kann damit nach pflichtgemäßem Ermessen selbst entscheiden, ob sie gegen Ordnungswidrigkeiten vorgeht oder nicht. Aufgrund der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung hat sie bei dieser Ermessensentscheidung aber die verfassungsrechtlich garantierten Grundrechte und damit auch das Gleichheitsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG einzuhalten, der es verbietet, gleiche Sachverhalte ohne sachliche Rechtfertigung ungleich zu behandeln. Auf strafrechtlicher Ebene ist das Vorsatzerfordernis zu beachten. Unwissen schützt dabei bekanntermaßen nicht vor Strafe. Nach der bisherigen Debatte dürfte jedoch jedenfalls davon auszugehen sein, dass ein unvermeidlicher Verbotsirrtum nach § 17 StGB vorliegt, wenn ein Sportverein einem als Arbeitnehmer zu qualifizierenden Vertragsamateur im Vertrauen auf die Aussagen des BMAS keinen Mindestlohn und infolgedessen auch keine Sozialabgaben zahlt. Eine Strafbarkeit droht mithin – jedenfalls vorerst – in diesem Fall nicht. 1.7. Rechtssicherheit durch die Aussagen auf der Pressekonferenz? Für die verbindliche Entscheidung der Rechtsfrage, ob ein Vertragsamateur im Sport im Einzelfall als Arbeitnehmer einzustufen ist mit der Folge, dass ihm nach § 1 Abs. 1 MiLoG der gesetzliche Mindestlohn zusteht, sind die nach der Verfassungsrechtsordnung allein die Arbeitsgerichte zuständig, die autonom die Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs bestimmen und auf die jeweiligen Umstände im zu entscheidenden Sachverhalt anwenden. Die auf der Pressekonferenz wiedergegebene gemeinsame Auffassung der Exekutive und der Spitzenverbände des Sports zu dieser Rechtsfrage ändert an der verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsverteilung nichts. Die Äußerungen mögen die Vereine vor staatlicher Kontrolle und Ahndung von Verstößen schützen, sie sind jedoch nicht in der Lage, die unabhängigen Arbeitsgerichte rechtlich zu binden. Damit vermögen sie auch keine Rechtssicherheit für die betroffenen Vereine oder den Vereinssport als Ganzes herzustellen. Es bleibt vielmehr abzuwarten, wie die Arbeitsgerichte die Aussagen im Rahmen einschlägiger Rechtsstreitigkeiten im Einzelfall bewerten. Veranlassung, von den über Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000-103/15 Seite 14 Jahrzehnte entwickelten Merkmalen des arbeitsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs bei Vertragsamateuren im Sport grundsätzlich abzuweichen, dürften sie aber wohl nicht geben. Hinsichtlich etwaiger Weisungen an die für die Prüfung zuständigen Zollbehörden ist zu beachten , dass das Opportunitätsprinzip, wie dargelegt, stets die Beachtung des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG voraussetzt. 2. Aussetzung der Mindestlohnregelung für den Transitverkehr 2.1. Regelung des Mindestlohngesetzes und Auslegung Nach § 20 MiLoG sind Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland verpflichtet , ihren im Inland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des Mindestlohns zu bezahlen. § 16 MiLoG unterwirft unter Verweis auf § 2 a des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes Unternehmen bestimmter Branchen, darunter das Speditions-, Transport- und damit verbundene Logistikgewerbe, mit Sitz im Ausland einer Meldepflicht gegenüber der Zollverwaltung. Was im Einzelnen unter dem Begriff der „im Inland beschäftigten Arbeitnehmer“ zu verstehen ist, ist ungeklärt. Gerichtsentscheidungen liegen dazu naturgemäß noch nicht vor. Im Schrifttum wird zum Teil die Ansicht vertreten, dass auch Arbeitnehmer erfasst werden, die sich im Rahmen ihrer Tätigkeit nur kurzfristig in Deutschland aufhalten, wie dies zum Beispiel im Transitverkehr der Fall ist. Andere Autoren verneinen in derartigen Fällen die Anwendbarkeit.29 2.2. Zuständigkeit der Fachgerichte Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte sich bereits mit einer Verfassungsbeschwerde einiger ausländischer Transportunternehmen gegen diese Regelungen und einem darauf gestützten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu befassen (Beschluss vom 25. Juni 2015 – 1 BvR 555/15). Mit Verweis auf die vorgängige Zuständigkeit der Fachgerichte nahm das BVerfG die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Es führt dazu aus: „Vorliegend ist auslegungsbedürftig, wer unter den Begriff der im Inland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach § 20 MiLoG fällt. Entsprechend bedarf es auch der Auslegung der angegriffenen §§ 16 und 17 MiLoG. Diese Regelungen knüpfen zwar nicht ausdrücklich an die Verpflichtung an, den Mindestlohn zu zahlen, ermöglichen aber deren Durchsetzung und Kontrolle und hängen damit untrennbar von der Mindestlohnpflicht ab. Es ist bislang auch ungeklärt, ob die Beschäftigung im Inland wie im Sozialversicherungsrecht zu verstehen ist (…), ob ausnahmslos jede, auch nur kurzfristige Tätigkeit auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland eine Inlandsbeschäftigung darstellt oder ob etwa eine 29 Vgl. dazu Franzen, EuZW 2015, 449; Sittard, NZA 2015, 78, Hohnstein, NJW 2015, 1844, 1846 f. sowie die Ausführungen unter Punkt 2.2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000-103/15 Seite 15 bestimmte Dauer (…) oder ein Bezug zu den deutschen Sozialversicherungssystemen (…) und zu den Lebenshaltungskosten in Deutschland (…) vorauszusetzen ist. Dabei stellt sich auch die Frage, ob eine Mindestlohnpflicht bei kurzzeitigen Einsätzen in Deutschland erforderlich ist, um die mit dem Mindestlohngesetz verfolgten Ziele zu erreichen (…). Die Fachgerichte sind darüber hinaus aufgerufen, von den Beschwerdeführenden aufgeworfene unionsrechtliche Fragen aufzuarbeiten, soweit diese entscheidungserheblich sind und zu prüfen, ob eine Normenkollision mit Unionsrecht besteht (…).“30 2.3. Europarechtliche Fragen Grundsätzlich gewähren die Vorgaben der Rom I-Verordnung31 den Vertragspartnern im Privatrecht freie Rechtswahl, die lediglich durch so genannte Eingriffsnormen im Sinne des Art. 9 der Rom I-Verordnung ausgeschlossen wird. Es handelt sich dabei um zwingende Vorschriften, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, vor allem seiner politischen, sozialen und wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach der Maßgabe der Rom I-Verordnung im Übrigen anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden sind, die in ihren Anwendungsbereich fallen. § 20 Abs. 1 Mi- LoG ist nach seiner eindeutigen Formulierung unabhängig davon, welches Recht im Übrigen für das jeweilige Arbeitsverhältnis gilt, auch auf Arbeitnehmer ausländischer Arbeitgeber zwingend anwendbar, wenn sie ihrer Tätigkeit innerhalb Deutschlands nachgehen. Damit handelt es sich um eine Eingriffsnorm im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Rom I-Verordnung.32 Diskutiert wird derzeit, ob die Anwendung der Regelung § 20 MiLoG auch auf den bloßen Transitverkehr oder andere kurzzeitige Beschäftigungen in Deutschland einen Verstoß gegen primäres EU-Recht (Dienstleistungsfreiheit und Warenverkehrsfreiheit – Art. 62 bzw. 28 AEUV) darstellt. Die Europäische Kommission hat deshalb am 19. Mai 2015 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet. „Nach Ansicht der Kommission lässt sich insbesondere die Anwendung der deutschen Vorschriften auf den Transitverkehr und auf bestimmte grenzüberschreitende Beförderungsleistungen nicht rechtfertigen, weil dadurch unangemessene Verwaltungshürden geschaffen werden, die ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts behindern. Nach Meinung der Kommission gibt es angemessenere Maßnahmen, die zum sozialen Schutz der Arbeitnehmer und zur Gewährleistung eines lauteren Wettbewerbs ergriffen werden können und gleichzeitig einen freien Waren- und Dienstleistungsverkehr ermöglichen.“33 30 BVerfG 25. Juni 2015 – 1 BvR 555/15, Rn. 14 f. mit Nachweisen aus Rechtsprechung und Schrifttum. 31 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) vom 17. Juni 2008, Abl.EU 177, S. 6. 32 Vgl. dazu Lakies, Mindestlohngesetz, § 22 Rn. 10. 33 Pressemitteilung vom 19. Mai 2015. Abrufbar im Internetauftritt der Europäischen Kommission: http://ec.europa .eu/deutschland/press/pr_releases/13327_de.htm (letzter Abruf: 17. August 2015). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000-103/15 Seite 16 2.4. Aussetzung der Kontrollregelung Im Zusammenhang mit den dargestellten europarechtlichen Bedenken, die bereits am 25. Januar 2015 zur Eröffnung eines so genannten Pilotverfahrens durch die Europäische Kommission geführt hatten, und als Reaktion auf zahlreiche Beschwerden von Speditionsunternehmen aus dem benachbarten Ausland, hat die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles, am 30. Januar 2015 im Anschluss an ein Gespräch mit ihrem polnischen Amtskollegen Władisław Kosiniak-Kamysz über diese Thematik eine Aussetzung der Kontrollmaßnahmen für den Transitverkehr angekündigt. In einer Pressemitteilung des BMAS heißt es dazu: „Die Kontrollen durch die staatlichen Behörden zur Überprüfung des Mindestlohngesetzes - begrenzt auf den Bereich des reinen Transits - werden für den Zeitraum bis zur Klärung der europarechtlichen Fragen zur Anwendung des Mindestlohngesetzes auf den Verkehrsbereich ausgesetzt. Ordnungswidrigkeitenverfahren nach dem Mindestlohngesetz werden nicht eingeleitet . Sollten Verfahren eventuell bereits eingeleitet worden sein, werden diese eingestellt. Solange die europarechtlichen Fragen zur Anwendung des Mindestlohngesetzes auf den Verkehrsbereich geprüft werden, sind Meldungen bzw. Einsatzplanungen für den reinen Transitbereich sowie Aufzeichnungen auf der Grundlage des Mindestlohngesetzes bzw. der entsprechenden Verordnungen nicht abzugeben bzw. zu erstellen.“34 2.5. Rechtssicherheit Auch hier stellen sich Fragen nach der Zulässigkeit einer entsprechenden Weisung an die Zollbehörden , die jedoch vor dem Hintergrund des laufenden Vertragsverletzungsverfahrens für die Dauer der Klärung gerechtfertigt sein dürfte, und nach der durch diese Ankündigung gewährleisteten Rechtssicherheit für die betroffenen ausländischen Transportunternehmer. Bei den ausgesetzten Kontrollregelungen einschließlich der Bußgeldvorschriften handelt es sich um Bestimmungen, die keinen eigenen Regelungszweck verfolgen, sondern den zivilrechtlichen Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung des Mindestlohnes (§ 1 Abs. 1 MiLoG) sichern sollen. Eine Aussetzung dieser Kontrollmaßnahmen setzt nicht die zivilrechtliche Regelung des MiLoG außer Kraft, auf die sich betroffene Arbeitnehmer gegenüber ihren Arbeitgebern ggf. auch vor ausländischen Gerichten berufen könnten. Rechtssicherheit bietet die vereinbarte Maßnahme mithin lediglich im Hinblick auf die staatliche Kontrolle und Ahndung von Verstößen, jedoch nicht im Hinblick auf mögliche materiell-rechtliche Ansprüche der Arbeitnehmer. 34 Abrufbar im Internetauftritt das BMAS: http://www.bmas.de/DE/Themen/Soziales-Europa-und-Internationales /Meldungen/2015-01-30-interismloesung-ml-im-reinen-lkw-transitverkehr.html (letzter Abruf: 17. August 2015). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000-103/15 Seite 17 3. Literaturverzeichnis Düwell, Franz Josef; Schubert, Jens (Hrsg.) 2015): Mindestlohngesetz. Handkommentar. 1. Aufl. 2015 Franzen, Martin (2015): Mindestlohn und kurzzeitige Beschäftigung in Deutschland. In: EuZW 2015, S. 449-450 Hohnstein, Franziska (2015): Der gesetzliche Mindestlohn – auch Folgen für die Logistikbranche? In: NJW 2015, S. 1844-1849 Hueck, Alfred; Nipperdey, Hans Carl (1928): Lehrbuch des Arbeitsrechts, Band I, 1. Aufl. 1928. Hümmerich, Klaus; Boecken, Winfried; Düwell, Franz Josef (Hrsg.) (2010): Nomos Kommentar Arbeitsrecht, 2. Aufl. 2010, § 611 BGB Lakies, Thomas (2015): Mindestlohngesetz. Basiskommentar zum MiLoG. 2. Aufl. 2015 Müller, Stefan (2013): Der Arbeitnehmerbegriff im Steuerrecht. In: SteuK 2013, S. 140 – 144 Oetker, Hartmut; Richardi, Reinhard; Wißmann, Hellmut, Wlotzke, Otfried (Hrsg.) (2009): Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht Bd. I, 3. Aufl. 2009 Riechert, Christian; Nimmerjahn, Lutz (2015), Mindestlohngesetz,1. Aufl. 2015 Sittard, Ulrich (2015): Gilt das Mindestlohngesetz auch beim Kurzeinsatz in Deutschland? Ein praktisches Problem nicht nur in der Logistikbranche. In: NZA 2015, S. 78-82 Walker, Wolf-Dietrich (2015): Mindestlohn im Amateurfußball. In: SpuRt 2015, S. 94 – 9835 35 Ende der Bearbeitung.