Generalstreik - Rechtliche Bedingungen und Streikkultur im Vergleich - Ausarbeitung - © 2006 Deutscher Bundestag WF VI G - 3000-103/06 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Generalstreik - Rechtliche Bedingungen und Streikkultur im Vergleich Ausarbeitung WF VI G - 3000-103/06 Abschluss der Arbeit: 24. April 2006 Fachbereich VI: Arbeit und Soziales Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. Inhalt 1. Begriff des Generalstreiks - Fragestellung 3 1.1. Ansätze der aktuellen Debatte 3 1.2. Historische Momente 3 2. Gesetzeslage in Deutschland 4 2.1. Rechtsentwicklung und Rechtsgrundlage des Arbeitskampfs 4 2.2. Rechtmäßigkeitsgrenzen des Arbeitskampfs 6 2.3. Rechtsfolgen bei rechtswidrigem Arbeitskampf 7 3. Rechtsvergleichende Perspektive 8 3.1. Streikkulturen in älteren Mitgliedstaaten der EU 8 3.2. Streikkulturen in neueren Mitgliedstaaten der EU 9 3.3. USA 10 - 3 - 1. Begriff des Generalstreiks - Fragestellung Unter Generalstreik wird eine besondere Form des Streiks verstanden, bei der die Arbeitnehmer eines Gebiets unabhängig von der Art ihrer Tätigkeit über alle Wirtschaftszweige hinweg die Arbeit nieder legen.1 Häufig enthalten Definitionen des Generalstreiks den Begriff des „politischen Protests“, dem sich große Teile der Bevölkerung anschließen und der Handel, Verkehr, Post sowie Ver- und Endsorgung zum Erliegen bringt.2 Einem kurzen Überblick über die aktuelle Debatte und historische Momente des Generalstreiks in Deutschland folgt unter Punkt zwei die rechtliche Beurteilung des Generalstreiks bzw. des politischen Streiks in Deutschland. Im dritten Teil wird die Rechtslage sowie die Kultur von Streik bzw. Generalstreik in ausgewählten EU- Mitgliedstaaten und den USA skizziert. 1.1. Ansätze der aktuellen Debatte Die Rentenreform hat in Deutschland zu einer heftigen politischen Kontroverse geführt. Die vorgesehenen Eingriffe wie Absenkung des Rentenniveaus oder längere Lebensarbeitszeit ist - wie in anderen europäischen Staaten, die vor ähnlichen Problemen ihrer staatlichen Rentenversicherungssysteme stehen - auf breiten Widerstand in der Bevölkerung gestoßen. Den politischen Protesten in Frankreich und Österreich, die zu einer Welle von Arbeitsniederlegungen führten, wurde der Charakter von Generalstreiks zugesprochen .3 Im Anschluss daran gewann die Frage nach den rechtlichen Möglichkeiten und Bedingungen entsprechender Streiks in Deutschland an Aufmerksamkeit in der rechtswissenschaftlichen Literatur.4 Auf politischer Ebene wurde jüngst, anlässlich mehrerer Werkschließungen, zu politischen Protestaktionen aufgerufen und in diesem Zusammenhang von „Generalstreik“ als Ausdruck von Solidarität gesprochen.5 1.2. Historische Momente In Deutschland wurde im März 1920, als Reaktion auf den Kapp-Putsch, zu einem Generalstreik aufgerufen, der zum völligen Erliegen des wirtschaftlichen Lebens führte. 1 Anders ein sog. „Vollstreik“, bei dem alle Arbeitsnehmer eines bestimmten Wirtschaftszweiges bzw. Tarifvertrages ihre Arbeit niederlegen, vgl. Bartholomä, „Tarifkonflikte“ - ein heißes Thema auch für nicht im Arbeitgeberverband organisierte Unternehmen, BB 2006, 378. 2 Schubert/Klein, Das Politiklexikon. 3. Aufl. Bonn, 2003. 3 Vgl. Zielke, Arbeitsniederlegung zur Verhinderung der Rentenreform in Deutschland?, BB 2003, 1785. 4 Vgl. dazu Zielke, Arbeitsniederlegung zur Verhinderung der Rentenreform in Deutschland?, BB 2003, 1785 ff.; Zielke, Welche Rechte hat der Arbeitgeber bei politisch motivierten Arbeitsniederlegungen ?, BB 2005, 1274 ff. 5 Süddeutsche Zeitung vom 15.3.2006, „Lafontaine fordert Generalstreik“. - 4 - Dieser wird vielfach als erster und einziger Generalstreik in Deutschland bezeichnet.6 Vereinzelt wird im Zusammenhang mit dem Streik am 12. November 1948 der Begriff „Generalstreik“ verwendet. Der Massenstreik im Zuge des Aufstands des 17. Juni 1953, an dem über eine Millionen Menschen über das Gebiet der DDR hinweg beteiligt waren , wird ebenso als Generalstreik bezeichnet. 2. Gesetzeslage in Deutschland Im internationalen Vergleich ist die Bundesrepublik ein „arbeitskampfarmes“ Land, und wird bezüglich der Streikintensität nur von Japan, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz untertroffen. Dies wird, neben anderen Faktoren unterschiedlicher nationaler Streitkultur, mit der hohen Regelungsdichte begründet.7 2.1. Rechtsentwicklung und Rechtsgrundlage des Arbeitskampfs Nationales Recht. Regelungen über die Einleitung und Durchführung von Arbeitskämpfen sind im Tarifvertragsgesetz nicht enthalten. Der Begriff des „Arbeitskampfes“ findet sich in verschiedenen Bundesgesetzen, allerdings besteht keine gesetzliche Definition des Arbeitskampfes.8 Vom Grundgesetz wird die Zulässigkeit von Arbeitskampf vorausgesetzt.9 Zwar war im Grundgesetzentwurf des Parlamentarischen Rats eine Vorschrift vorgesehen, nach der ein Recht zur gemeinschaftlichen Arbeitseinstellung anzuerkennen sei - „Das Streikrecht wird im Rahmen der Gesetze anerkannt” (Abs. 4 des späteren Art. 9 GG) - da aber der Ausschluss des politischen Streiks und des Beamtenstreiks eine knappe Formel des zulässigen Arbeitskampfs nicht zuließ, wurde letztlich auf eine verfassungsrechtliche Erwähnung verzichtet.10 Dessen ungeachtet erkennt heute die herrschende Meinung ein institutionell gesichertes Recht zum Arbeitskampf an: aus der Garantie der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) und dem Bekenntnis des Grundgesetzes zum sozialen Rechtsstaat wird ein verfassungsrechtlich garantiertes Betätigungsrecht der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände und damit ein Arbeits- 6 Zu den Umständen Haffner, Geschichte eines Deutschen - Erinnerungen 1914-1933, München 2000, S. 42 ff. (Anlage 1). 7 Lesch, Streik und Arbeitskampfregeln im internationalen Vergleich, in: IW-Trends: Quartalshefte zur empirischen wirtschaftsforschung, 29 (2002) 2, S. 5-17 (S. 1) (Anlage 2). 8 Z.B. Art. 9 Abs. 3 GG, §§ 2 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG, 74 Abs. 2 BetrVG, 11 Abs. 5 AÜG. 9 Wie die Weimarer Reichsverfassung hat auch das Grundgesetz darauf verzichtet, ein Streikrecht als Grundrecht im Verfassungstext zu verankern. Verfassungsrechtlich gewährleistet ist als Grundrecht nur die Koalitionsfreiheit, wobei man bereits in Art 159 WRV für sie den Begriff der „Vereinigungsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen” wählte, ohne einen Hinweis auf das Koalitionsmittel des Arbeitskampfes in die verfassungsrechtliche Garantie aufzunehmen, vgl. Richardi/Bearbeiter, Staudinger, Kommentar zum BGB 2005, Vorbem. Zu §§ 611 ff., Rn. 822. 10 Vgl. JöR, 1951, 116 ff. - 5 - kampfrecht abgeleitet.11 Zur näheren Ausgestaltung des Arbeitskampfs bedarf es allerdings einer bundesgesetzlichen Regelung (BVerfGE 88, 103), die bislang nur in Einzelfragen besteht.12 Sieben Landesverfassungen garantieren ausdrücklich das Streikrecht der Gewerkschaften, allerdings keine die Aussperrung.13 Einfluss europäischen und internationalen Rechts. Die Europäische Sozialcharta, die durch den Bundestag ratifiziert wurde und seit 26.2.1965 in Kraft ist, stellt einen völkerrechtlichen Vertrag dar, der unter anderem die Gewährung von Arbeitskampffreiheit thematisiert.14 Nach Art. 6 Ziff. 4 Europ. Sozialcharta ist „das Recht der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts im Falle von Interessenkonflikten vorbehaltlich etwaiger Verpflichtungen aus geltenden Gesamtarbeitsverträgen “ anerkannt (vgl. Anlage 3, S. 3). Nach Meinung des Sachverständigenausschusses , der das zuständige Organ für die Kontrolle der Einhaltung der Sozialcharta durch die Vertragsstaaten ist, verstößt das deutsche Arbeitskampfrecht mit seiner Begrenzung auf tariflich regelbare Ziele sowie das gewerkschaftliche Streikmonopol gegen die Sozialcharta. Das Ministerkomitee des Europarats erteilte am 3.2.1998 der Bundesrepublik die „Empfehlung“, die Ergebnisse des Expertenausschusses zu berücksichtigen .15 Nach vertretener Ansicht in der Literatur könnten die Auswirkungen auf das Arbeitskampfrecht erheblich sein; allerdings ist umstritten, in welchem Verhältnis die Europäische Sozialcharta zum Bundesrecht steht. Unstreitig ist sie aber eine von der BRD eingegangene völkerrechtlicher Verpflichtung, die die Rechtsprechung wie auch den Gesetzgeber, der völkerrechtliche Verpflichtungen umsetzen muss, bindet.16 Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten enthält keine über die Koalitionsfreiheit (Art. 11) hinausgehende ausdrückliche Regelung des Arbeitskampfs. Das Europäische Gemeinschaftsrecht macht nur vage Aussagen zum Arbeitskampfrecht. Nach Art. 137 Abs. 5 EG hat die Gemeinschaft keine Rechtsset- 11 BAG, 10.6.1980, DB 1980, 1266, 1274; BVerfG, 26.6.1991, BB 1992, 426; Das Bundesarbeitsgericht betrachtet das Tarifvertragsgesetz als rechtliche Grundlage tarifbezogener Arbeitskämpfe, BAGE 10.6.1980. 12 So in § 2 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG, § 74 Abs. 2 BetrVG, § 66 Abs. 2 BPersVG, Art. 1 § 11 Abs. 5 AÜG, § 25 KüSchG, § 91 Abs. 6 SGB IX, §§ 36 Abs. 3, 146, 174 SGB III; ein 1988 von den Professoren Birk, Konzen, Löwisch, Reiser und Seiter vorgelegter Entwurf „Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte“ blieb ohne Regelungsauswirkung, vgl. Dieterich (Bearbeiter), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 6. Auflage, München 2006, Art. 9, Rn. 100. 13 Art. 18 Abs. 3 Berlin, Art. 51 Abs. 2 BB, Art. 51 Abs. 3 Brm., Art. 29 IV HE, Art. 66 Abs. 2 RP, Art. 56 Abs. 2 SL, Art. 37 Abs. 2 TH. Mangels einer umfassenden bundesrechtlichen Regelung besteht theoretisch eine partielle Gesetzgebungskompetenz der Länder. Soweit jedoch allgemeine Grundsätze des Arbeitskampfrechts von der Rechtsprechung aus Sinn und Zweck bundesgesetzlicher Vorschriften abgeleitet wurden, können diese durch Landesrecht nicht aufgehoben werden, vgl. Dieterich (Bearbeiter), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 6. Auflage, München 2006, Art. 9, Rn. 101. 14 Gesetz zur Europäischen Sozialcharta v. 19.9.1964 (BGBl II 1261). 15 Vgl. Dieterich (Bearbeiter), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 6. Auflage, München 2006, Art. 9, Rn. 102; AuR 1998, 156. 16 Bepler, Festschrift für Wissmann 2005, S. 97 ff.; Kohte/Doll, ZESAR 2003, 393. - 6 - zungskompetenz für das Koalitionsrecht, das Streikrecht sowie das Aussperrungsrecht. Die Koalitionsfreiheit wird aber (ohne explizit im EG-Vertrag erwähnt zu sein) zu den grundrechtlichen Garantien gezählt, die als sog. „allgemeine Rechtsgrundsätze“ Bestandteil des Primärrechts der Gemeinschaft sind.17 Außerdem hat der Rat eine Gemeinschaftscharta zu sozialen Grundrechten der Arbeitnehmer beschlossen. Danach sollen bei Interessenkonflikten Kollektivmaßnahmen einschließlich Streiks vorbehaltlich einzelstaatlicher Regelungen möglich sein.18 2.2. Rechtmäßigkeitsgrenzen des Arbeitskampfs Geschützte Tätigkeiten. Zu den geschützten Tätigkeiten gehört der Streik, der „auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichtet“ ist.19 Auch der verhältnismäßige Warnstreik und der gegen einen (verbandsangehörigen) Arbeitgeber gerichtete Streik zur Erzwingung eines Firmentarifvertrages wird geschützt.20 Nicht geschützt wird der sog. wilde Streik, der nicht von einer Koalition i.S.d. Art. 9 Abs. 3 GG geführt wird sowie der politische Streik, der sich nicht gegen den Tarifpartner wendet, sondern staatliches Handeln erzwingen will. Ein Arbeitskampf, der sich nicht gegen einen Arbeitgeber oder Arbeitgeberverband richtet und auch kein Ziel verfolgt, das mit den Mitteln des kollektiven Arbeitsrechts regelbar wäre, sondern Gesetzgebung, Verwaltung oder Rechtsprechung zu Regelungen oder Entscheidungen zwingen will, sprengt nach überwiegend vertretener Auffassung den Rahmen des Zivilrechts. Die rechtstaatliche Verfassung gewähre ein politisches Widerstandsrecht nur in den engen Grenzen des Art. 20 IV.21 Der Demonstrations - oder politische Erzwingungsstreik ist danach rechtswidrig.22 Überdies können in besonderen Fällen politischen Streiks den Straftatbestand der Parlamentsnötigung erfüllt sein (§ 105 StGB).23 Generalstreik - politischer Streik. Aus den oben skizzierten gesetzlichen Grenzen ergibt sich, dass ein Generalstreik als arbeitsrechtlicher, auf tarifliche Regelungen gerichteter Streik nur in Betracht kommt, wenn die Gewerkschaften entgegen der bisheri- 17 Kittner/Schek (Bearbeiter), AK-Grundgesetz GW 2001, Art. 9 Abs. 3, Rn. 74. 18 Vgl. Dieterich (Bearbeiter), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 6. Auflage, München 2006, Art. 9, Rn. 103 f. 19 BVerfGE 84, 212, 225; 92, 365/393 f. Diese Rechtsprechung wird von Vertretern einer liberaleren Handhabung des Streikrechts anders interpretiert: Danach habe das BVerfG im Aussperrungsbeschluss betont, Arbeitskampfmaßnahmen würden „jedenfalls insoweit von der Koalitionsfreiheit erfasst , als sie allgemein erforderlich sind, um eine funktionierende Tarifautonomie sicher zu stellen“. Damit sei eine Anerkennung weiterer Streikformen durch das BVerfG immerhin offen gelassen worden . 20 BAGE 46, 322/351 ff.; BAGE 104, 155/163. 21 Vgl. Dieterich (Bearbeiter), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 6. Auflage, München 2006, Art. 9, Rn. 114. 22 Auch wenn es um die kollektive Kundgabe von Meinungen i.S.d. Art 5 GG geht, fehle es an der Tarifbezogenheit, so dass zumindest ein Arbeitskampf unter diesem Gesichtspunkt nicht zulässig ist. 23 Vgl. Schaub (Bearbeiter), Arbeitsrechtshandbuch, § 193, Rn. 11. - 7 - gen Praxis die tarifvertragliche Regelung einer Materie für alle Arbeitnehmer aller Wirtschaftszweige anstreben würden. Angesichts der branchenbezogenen Entwicklung der tariflichen Arbeitsbedingungen ist dies nicht zu erwarten. Dies würde nämlich voraussetzen , dass sich die Gewerkschaften aller Wirtschaftszweige auf eine gemeinsame tarifpolitische Interessenverfolgung einigen und die Arbeitskampfführung koordinieren. Allerdings wäre auch ein Generalstreik in Form totaler Arbeitsniederlegung zur Erreichung tarifpolitischer Ziele unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit als rechtswidrig anzusehen.24 Aus diesen hypothetischen Überlegungen folgt, dass die Beurteilung des Generalstreiks nach seiner üblichen Zwecksetzung (als politisches Druckmittel) maßgeblich unter dem Gesichtspunkt des politischen Streiks relevant wird. Grundsätzlich ist der Streik zur Durchsetzung politischer Ziele (insb. wenn er gegen gesetzgebende Körperschaften gerichtet ist) nach herrschender Meinung unzulässig. Ein rechtlicher Schutz kann sich, wie oben erwähnt, allenfalls als Ausübung des Widerstandsrechts unter den Voraussetzungen des Art. 20 IV GG ergeben.25 Voraussetzung ist, dass die verfassungsmäßige Ordnung bedroht ist. Bezug nehmend auf Art. 20 IV GG bedeutet dies, dass ein Generalstreik nur gerechtfertigt sein kann, wenn die verfassungsmäßig berufenen Organe die öffentliche Ordnung bei Gefährdung durch Dritte nicht aufrechterhalten oder wiederherstellen können, oder sich die verfassungsmäßig berufenen Organe selbst von der grundgesetzlichen Ordnung abwenden.26 2.3. Rechtsfolgen bei rechtswidrigem Arbeitskampf Ist der Arbeitskampf oder seine Durchführung rechtswidrig, kann der bekämpfte Gegenspieler einschließlich seiner Mitglieder die kämpfende Organisation und deren Mitglieder auf Unterlassung in Anspruch nehmen.27 Dieser Anspruch kann im Wege der Klage oder im einstweiligen Verfügungsverfahren durchgesetzt werden. Zuständig sind die Arbeitsgerichte. Außerdem kommen Schadensersatzansprüche gegenüber dem Verband sowie dessen Funktionäre in Betracht, wobei ein Verschulden vorausgesetzt wird. Dies wird dann verneint, wenn die Auseinandersetzung um tariflich regelbare Ziele geführt wird, deren Zulässigkeit in der Rechtswissenschaft umstritten ist. 24 Zum Gebot der Verhältnismäßigkeit des Arbeitskampfes vgl. Richardi, Arbeitsrecht als Teil freiheitlicher Ordnung, Baden-Baden 2002, S. 203. 25 Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat die Wahrnehmung des Widerstandsrechts nach Art. 20 IV GG in § 2 Ziffer 3 a seiner Satzung im Rahmen seiner politischen Aufgaben explizit ausgewiesen. 26 Weiterführend zum Problemkreis des politischen Streiks, Zielke, Arbeitsniederlegung zur Verhinderung der Rentenreform in Deutschland? BB 2003, 1785 ff (in Anlage 4). 27 BAGE, 26.4.1988, NZA 1988, 775. - 8 - 3. Rechtsvergleichende Perspektive Im europäischen Vergleich sind politische Streiks, die sich gewöhnlich gegen die Regierungspolitik richten, neben Deutschland nur in Dänemark und Großbritannien verboten . In Österreich sind sie zwar legitim, aber unüblich. In Schweden sind politische Streiks nicht per se verboten, sondern nur, wenn sie gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen . Der Schwedische Arbeitsgerichtshof hat ausgeführt, dass insbesondere politische Protest- und Demonstrationsstreiks von kurzer Dauer zulässig sind.28 In den übrigen neuen EU-Mitgliedstaaten sind sie zugelassen oder werden jedenfalls von den Gerichten toleriert (vgl. dazu die Übersicht in Anlage 1, dort auf S. 13 f.). Die folgende Darstellung greift historische Momente von Generalstreik in verschiedenen Ländern auf und fasst aktuelle Vorkommen von Generalstreiks zusammen. 3.1. Streikkulturen in älteren Mitgliedstaaten der EU Frankreich. Als größter Generalstreik der neueren europäischen Geschichte werden die sog. „Mai-Unruhen“ in Frankreich 1968 verstanden. Umfassende Streiks gegen die Rentenreform in Frankreich fanden im Mai 2003 statt. In jüngster Zeit (März 2006) wurden die von Gewerkschaften und Studentenverbänden veranstalteten Proteste gegen die Arbeitsmarktreform von Premierminister de Villepin, die insbesondere die Lockerung des Kündigungsschutzes von Jugendlichen vorsah, als Generalstreik bezeichnet. Auch in Bezug auf die Proteste französischer Praktikanten gegen schlechte Arbeitsbedingungen , wird in der Presse vereinzelt von „Generalstreik“ gesprochen. So berichtet Spiegel-Online, der Protest sei mittlerweile in einen Generalstreik übergegangen und zeige erste Wirkung.29 Österreich. Im Mai und Juni 2003 streikten in Österreich an drei Tagen (6. Mai, 13. Mai und 3. Juni) eine dreiviertel Million Arbeiter und Angestellte, das sind ein Viertel der Beschäftigten, gegen die Rentenreform der Regierung Schüssel. Am 13. Mai wurde eine zentrale Demonstration in Wien abgehalten, an der sich ca. 150.000 Menschen beteiligten . Diese Streiks, die unter dem Begriff Generalstreik diskutiert wurden, fanden parallel zu den Streiks gegen die Pensionsreform in Frankreich statt. Belgien. In Belgien kam es im Jahre 2005 zwei Mal zu Generalstreiks, die sich gegen die Pläne der Regierung im Rahmen der Rentenreform richteten, die Altersgrenze für die Vorruhestandsregelung von 58 auf 60 anzuheben und die Anteile der Arbeitgeber an der Sozialversicherung zu senken. Von Seiten der Unternehmen war im Anschluss an die Streiks eine Einschränkung des Streikrechts gefordert worden.30 28 Heilmann, Schwedisches Arbeitsrecht, Arbeit und Arbeitsrecht 1993, 206, 209. 29 Zur Organisation der Praktikanten-Streiks vgl. www.generation-precaire.org. 30 Online-Veröffentlichung des Büros für Altersdiskriminierung e.V. (www.altersdiskriminierung.de). - 9 - Italien. Gegen die Sparpläne der Regierung Berlusconi kam es in Italien Ende 2005 zu Streiks, bei dem sich Beschäftigte der Industrie, der öffentliche Dienst und der Dienstleistungssektor beteiligte. Diese als Generalstreik bezeichnete kollektive Arbeitsniederlegung war bereits die sechste diesen Umfangs innerhalb der vierjährigen Amtszeit Berlusconis . Großbritannien. Auch in Großbritannien kam es im März diesen Jahres zu einem landesweiten eintägigen so bezeichneten Generalstreik anlässlich der geplanten Anhebung des Renteneintrittsalters von Kommunalbediensteten von 60 auf 65 Jahre. Gewerkschaftsangaben zufolge handelte es sich dabei um den größten Streik in UK, seit dem Generalstreik im Jahre1926.31 Luxemburg. Historisches Beispiel eines Generalstreiks in Luxemburg, ist der Generalstreik vom 31. August 1942 gegen die deutsche Besatzungsmacht. Damit war Luxemburg der einzige Staat, der sich während des zweiten Weltkriegs in einem Generalstreik gegen die Besatzung auflehnte. 3.2. Streikkulturen in neueren Mitgliedstaaten der EU In einigen ehemals sozialistischen Staaten, wie der Tschechischen Republik, Estland, Ungarn, Litauen, und der Ukraine, ist das Streikrecht in der Verfassung verankert. Zu den streikanfälligsten Ländern zählen Polen und Rumänien, wobei in Rumänien explizit die Möglichkeit besteht, ohne direkte gewerkschaftliche Beteiligung zu streiken.32 In Tschechien ist - wie in Deutschland - Voraussetzung der Rechtmäßigkeit von Streiks, dass sie von Kollektivvertragsparteien geführt werden. Erklärtes Kampfziel muss die Herbeiführung eines Kollektivvertrages sein. Ein Generalstreik in Form eines Demonstrationsstreiks und politische Streiks ist danach rechtlich nicht vorgesehen.33 Das Streikvolumen in den ehemals sozialistischen Staaten ist gering. Dies wird mit schwachen gewerkschaftlichen Strukturen, geringem Mobilisierungsvermögen und der Erkenntnis begründet, dass wirtschaftliche Umstrukturierungsprozesse unvermeidlich sind, sowie mit der Angst vor Arbeitsplatzverlust in Folge der Proteste. Mit Ausnahme von Polen wird das geringe Streikaufkommen außerdem mit dem Fehlen einer Kultur der Massendemonstration in Verbindung gebracht und mit der Befürchtung, durch kollektive Maßnahmen könne die demokratische Stabilität gefährdet werden.34 31 Handelsblatt-online 10.4.2006, „Altersversorgung spaltet die Briten“. 32 Schröder, Arbeitsbeziehungen in Mittel- und Osteuropa, Schriftenreihe Internnationale Politikanalyse der Friedrich Ebert Stiftung, Juni 2004, S. 2 (Anlage 5). 33 Vgl. Kühl, Arbeitskampfrecht in Tschechien, ZESAR 3/2006, 113, 118. 34 Vgl. Kühl, Arbeitskampfrecht in Tschechien, ZESAR 3/2006, 113 f. - 10 - 3.3. USA Sog. „picketing“ ist ein Arbeitskampfmittel, das in den USA eine bedeutendere Funktion erfüllt, als die in Deutschland bekannten Streikposten.35 Es umfasst einerseits die Demonstration vor den Werktoren anlässlich eines Streiks, andererseits auch den Streik um allgemeine Ziele aus dem Bereich des kollektiven Arbeitsrechts, die nach deutscher Rechtslage als „politische Streiks“ gelten würden.36 Die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen variieren zwischen den Bundesstaaten. Im übrigen gelten für die Rechtmäßigkeit von „picketing“ allgemeine Grundsätze für Arbeitskampfmaßnahmen. Unzulässig ist „picketing“, wenn es das Ziel verfolgt, Streikbrecher am Zugang zum Unternehmen zu hindern (unzulässiges Ziel), sowie jede Form von „picketing“, die gewalttätig ist (unzulässiges Mittel). Eine entscheidende Einschränkung des „picketing“ enthält ferner 29 U.S.C. § 158 (b) (7) (A) - (C) National Labor Relations Act (in Anlage 6). Danach ist der ungestörte Ablauf des Wirtschaftslebens bei Arbeitskampfmaßnahmen zu gewährleisten . 35 The Columbia Encyclopedia-online, Sixth Edition 2006 (21.4.2006): Picketing, act of patrolling a place of work affected by a strike in order to discourage its patronage, to make public the workers' grievances, and in some cases to prevent strikebreakers from taking the strikers' jobs. Picketing may be by individuals or by groups. It has also been used by political groups to influence legislation or to protest governmental policies. Prior to the 1930s, U.S. courts frequently ruled against the legality of strikes and picketing was frequently limited. The Norris-LaGuardia Act (1932), which severely limited the use of court injunctions to stop strikes, and subsequent legislation which guaranteed unions the right to organize, made it much easier to use pickets. The Taft-Hartley Labor Act (1947), however , outlawed mass picketing (i.e., the use of force and intimidation to prevent people from crossing picket lines) and it limited the use of pickets by outlawing secondary boycotts (i.e. using pickets against a third party that might force an employer to settle a strike). Although picketing raises a number of issues under the First Amendment right to free speech, court decisions have generally prohibited the use of vile and obscene language and of threatening gestures by the pickets. 36 Dazu Thau, Arbeitsrecht in den USA, München 1998, Rn. 515 ff.