© 2013 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 101/13 Die soziale Situation von Asylbewerbern in Deutschland Statistiken, Studien, Stellungnahmen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 101/13 Seite 2 Die soziale Situation von Asylbewerbern in Deutschland Statistiken, Studien, Stellungnahmen Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 101/13 Abschluss der Arbeit: 17. Dezember 2013 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 101/13 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Das Asylbewerberleistungsgesetz 5 3. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2012 7 3.1. Verfassungswidrigkeit der Hartz IV-Regelsätze 7 3.2. Vorlagebeschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen 8 3.3. Verfassungswidrigkeit der Grundleistungen für Asylbewerber 9 4. Statistiken, Analysen und Studien 10 4.1. Statistisches Bundesamt 10 4.2. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 11 4.2.1. Aktuelle Zahlen zu Asylbewerbern 11 4.2.2. Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern 11 5. Stellungnahmen nicht-staatlicher Organisationen 14 5.1. Evangelische Kirche in Deutschland 14 5.2. Deutscher Caritasverband 15 5.3. Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V. 15 5.4. Stellungnahmen für das Bundesverfassungsgericht 16 6. Fazit 17 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 101/13 Seite 4 1. Einleitung Die soziale Situation von Asylbewerbern stellt sich aufgrund der föderalen Struktur der Bundesrepublik nicht einheitlich dar. Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)1, das die Grundleistungen sowie die Krankenversorgung für Asylbewerber und andere Personengruppen regelt, ist zwar ein Bundesgesetz, doch die Ausführung liegt allein bei den Bundesländern bzw. Kommunen , denen ein gewisser Spielraum gegeben ist. Die Unterbringung in Aufnahme- und Gemeinschaftsunterkünften oder Einzelwohnungen wird ebenfalls in den Bundesländern und ihren Kommunen organisiert; auch hier gibt der Bund lediglich mit dem Asylverfahrensgesetz (AsylVG)3 den Rahmen vor. Über die konkreten Aufnahmesituationen vor Ort lassen sich demzufolge keine generalisierenden, sondern nur exemplarische Aussagen treffen.4 Um einen Einblick in die Situation von Asylbewerbern in Deutschland zu gewinnen, können verschiedene Quellen herangezogen werden: Das Statistische Bundesamt und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erstellen zahlreiche Statistiken und Analysen. Das Statistische Bundesamt führt gemäß § 12 AsylbLG verschiedene Erhebungen in Zusammenarbeit mit den Statistischen Landesämtern durch, um die Auswirkungen des AsylbLG zu dokumentieren. Das BAMF informiert auf seiner Homepage über Asylbewerber in Deutschland; darunter befinden sich Broschüren, Analysen und Informationsportale .6 Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Verfassungswidrigkeit der Höhe der Grundleistungen nach dem AsylbLG liefert einzelne Erkenntnisse über die Situation von Asylbewerbern in Deutschland.7 In der Urteilsbegründung und in den Stellungnahmen verschiedener , auch nicht-staatlicher Organisationen, die während der mündlichen Verhandlung abgegeben wurden, finden sich Beschreibungen zur sozialen Situation dieser Flüchtlingsgruppe. 1 Asylbewerberleistungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. August 1997 (BGBl. I S. 2022), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 22. November 2011 (BGBL. I S. 2258) geändert worden ist. 3 Asylverfahrensgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), das durch Artikel 1 des Gesetzes vom 28. August 2013 (BGBL. I S. 3474) zuletzt geändert worden ist. 4 Möller, Andreas (2013). Die Organisation der Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern in Deutschland . Fokus-Studie der deutschen nationalen Kontaktstelle für das Europäische Migrationsnetzwerk (EMN), Working Paper 55, S. 11. 6 http://www.bamf.de/DE/Startseite/startseite-node.html (letzter Abruf am 10. Dezember 2013). 7 Urteil des BVerfG vom 18. Juli 2012, Az: 1 BvL 10/10. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 101/13 Seite 5 Die Materialien zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen zum AsylbLG im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Bundestages vom 7. Februar 2011 enthalten ebenfalls Beschreibungen zur Lage von Flüchtlingen in Deutschland. 2. Das Asylbewerberleistungsgesetz Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ist seit dem 1. November 1993 in Kraft. Mit diesem Gesetz wurde erstmals ein eigenständiges Leistungsgesetz zur Sicherung des Existenzminimums für Asylbewerber und andere Flüchtlingsgruppen eingeführt. Bis dahin erhielten diese Personengruppen Sozialhilfe nach dem damaligen Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Seit 1993 sind die Regelsätze nach dem AsylbLG unverändert geblieben, obwohl das Gesetz vorsieht , dass die Beträge jeweils zum 1. Januar eines Jahres neu festgesetzt werden, „wenn und soweit dies unter Berücksichtigung der tatsächlichen Lebenshaltungskosten zur Deckung des in Absatz 1 genannten Bedarfs erforderlich ist“ (§ 3 Abs. 3 AsylbLG). Leistungsberechtigt sind gemäß § 1 AsylbLG verschiedene Personengruppen, darunter Ausländer , die um Asyl nachsuchen; Ausländer, die das so genannte Flughafenverfahren nach § 18a Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) durchlaufen; Bürgerkriegsflüchtlinge; Ausländer, die aus humanitären Gründen leistungsberechtigt sind oder Ausländer, die ausreisepflichtig sind, deren Abschiebung aber vorübergehend befristet ausgesetzt wurde.9 § 2 AsylbLG regelt die Leistungen in besonderen Fällen. Demnach erhalten diejenigen Personen, die über eine Dauer von insgesamt 48 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben und die Dauer ihres Aufenthaltes nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben, die höheren Leistungen nach dem SGB XII (sogenannte Analogleistungen). Hierbei handelt es sich um eine Sonderregelung für einzelne Gruppen von Leistungsberechtigten, bei denen aufgrund ihres längeren Aufenthalts eine stärkere Angleichung an die Lebensverhältnisse erforderlich ist.10 Die Gewährung der sogenannten Grundleistungen für Asylbewerber und andere Leistungsberechtigte wird in § 3 AsylbLG geregelt. Diese Grundleistungen sollen grundsätzlich einen menschenwürdigen Aufenthalt ermöglichen und den notwendigen Bedarf an Ernährung, Unterkunft, Heizung , Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege sowie an Gebrauchsgegenständen und Verbrauchsgütern des Haushalts decken.11 9 Schneider, Sabine (2011): Soziale Leistungen an ausländische Flüchtlinge – Asylbewerberleistungsgesetz. In: Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.). Übersicht über das Sozialrecht 2010/2011. Bonn: BW Bildung und Wissen, S. 946f. Abrufbar unter: http://www.bmas.de/portal/10028/uebersicht__ueber__das__sozialrecht.html. 10 Wahrendorf, Kommentar § 2 AsylbLG, In: Grube/Wahrendorf, SGB XII Sozialhilfe, 4. Auflage 2012, Rn 1. Vgl. auch BT-Drs. 12/5008 vom 24. Mai 1993, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie und Senioren, S. 15. 11 Schneider, Sabine (2011), S. 947. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 101/13 Seite 6 Die Form der Grundleistungen richtet sich nach der Art der Unterbringung der Leistungsberechtigten und erstreckt sich von vorrangig zu erbringenden Sachleistungen über Wertgutscheine, andere vergleichbare unbare Abrechnungen bis hin zu Geldleistungen, die aber als Ersatzformen zur Sachleistung zu sehen sind. § 3 Abs. 1 AsylbLG normiert einen Sachleistungszwang, § 3 Abs. 2 AsylbLG normiert einen Sachleistungsvorrang. Außerdem kommt ein monatliches Taschengeld zur Deckung persönlicher Bedarfe in Höhe von 40,90 Euro von Beginn des 15. Lebensjahres an bzw. von 20,45 Euro bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylbLG) hinzu. Einzelheiten des Verfahrens regeln die Bundesländer.12 Bei einer Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44 AsylVfG können gemäß § 3 Abs. 2 AsylbLG Leistungen in Form von Wertgutscheinen oder Geldleistungen gewährt werden. Der Haushaltsvorstand erhält dann 184,07 Euro, Haushaltsangehörige bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres 112,48 Euro, Haushaltsangehörige von Beginn des 8. Lebensjahres an 158,50 Euro monatlich. Hinzu kommen die notwendigen Kosten für Unterkunft, Heizung und Hausrat (§ 3 Abs. 2 AsylbLG). Diese Geldbeträge sind das Referenzsystem für die Höhe der in § 3 Abs. 1 AsylbLG festgelegten Sachleistungen.13 Das BVerfG listet in seinem Urteil vom 18. Juli 2012 auf, in welcher Form die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG erbracht werden. Demnach erbringt die Mehrzahl der Länder und Kreise heute Geldleistungen. Das gilt flächendeckend in Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg- Vorpommern und Sachsen-Anhalt und mit nur wenigen Ausnahmen auch in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. In Brandenburg gewähren zwölf von 18 Kreisen Geldleistungen, ebenso neun von 13 Kreisen in Sachsen und vier von 24 Kreisen in Thüringen. In Niedersachsen werden flächendeckend, in Thüringen überwiegend und in Baden- Württemberg, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen teilweise Wertgutscheine für Lebensmittel und Kleidung ausgegeben. Im Saarland ist die Leistungsform regional unterschiedlich, nur in Bayern werden ganz überwiegend Sachleistungen gewährt.15 § 4 Abs. 1 AsylbLG regelt die Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt. Danach werden die ärztliche und zahnärztliche Behandlung, die Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstige Leistungen, die zur Genesung, Besserung oder Linderung von Krankheiten oder deren Folgen beitragen sollen, bei akuten Erkrankungen und Beschwerden gewährt. Werdende Mütter und Wöchnerinnen erhalten ärztliche und pflegerische Hilfe und Betreuung, z.B. Hebammenhilfe sowie Arznei-,Verband- und Heilmittel (§ 4 Abs. 2 AsylbLG). 12 Vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2010). Asylbewerberleistungsgesetz sichert den Grundbedarf: http://www.bamf.de/DE/Migration/AsylFluechtlinge/Asylverfahren/Asylbewerberleistungen/asylbewerberleist ungen-node.html (zuletzt abgerufen am 16. Dezember 2013). 13 Wahrendorf, Kommentar § 3 AsylbLG, In: Grube/Wahrendorf, SGB XII Sozialhilfe, 3. Auflage 2010, Rn 5. 15 Urteil des BVerfG vom 18. Juli 2012, Az. 1 BvL 10/10, Abs. 44. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 101/13 Seite 7 Nach § 5 Abs. 1 AsylbLG sollen sogenannte Arbeitsgelegenheiten in Aufnahmeeinrichtungen und vergleichbaren Einrichtungen und bei staatlichen, kommunalen und gemeinnützigen Trägern zur Verfügung gestellt werden. Für die zu leistende Arbeit wird gemäß § 5 Abs. 2 AsylbLG eine Aufwandsentschädigung von 1,05 Euro je Stunde gezahlt. In der Praxis hat die Vorschrift keine größere Anwendung gefunden, weil der bürokratische Aufwand den meisten Leistungsträgern zu groß ist.16 Gemäß § 6 Abs. 1 AsylbLG werden über die Grundleistungen hinaus auch sonstige Leistungen gewährt, „wenn sie im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhalts oder der Gesundheit unerlässlich , zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern geboten oder zur Erfüllung einer verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflicht erforderlich sind“. Die Vorschrift bestimmt, dass die Leistungen als Sachleistungen und bei Vorliegen besonderer Umstände als Geldleistungen zu gewähren sind. Zudem haben zwei besondere Gruppen gemäß § 6 Abs. 2 AsylbLG Anspruch auf medizinische oder sonstige Hilfe: unbegleitete Minderjährige und Personen, die „Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben“. Die Aufzählung im Gesetz ist nicht abschließend; sonstige Leistungen können auch in anderen, nicht ausdrücklich genannten Fällen gewährt werden. Zu den besonderen Bedürfnissen von Kindern zählen zum Beispiel Schulsachen und Kosten für die Teilnahme an einem Schulausflug oder einer Klassenfahrt. Während § 6 Abs. 1 AsylbLG als Ermessensnorm ausgestaltet ist, beinhaltet § 6 Abs. 2 AsylbLG eine Soll-Vorschrift.17 3. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2012 3.1. Verfassungswidrigkeit der Hartz IV-Regelsätze Nach dem Urteil des BVerfG vom 9. Februar 2010, das die Bemessung der sogenannten Hartz-IV- Regelsätze gemäß Zweitem Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für verfassungswidrig erklärte18, gab es in Teilen der wissenschaftlichen Literatur die Auffassung, dass auch die Leistungen nach dem AsylbLG nicht verfassungskonform seien. Sowohl das Verfahren zur Bemessung der Regelsätze als auch die seit 1993 unveränderte Höhe der Leistungen 16 Wahrendorf, Kommentar § 5 AsylbLG, In: Grube/Wahrendorf, SGB XII Sozialhilfe, Rn 1. 17 Schneider, Sabine (2011), S 950. 18 Urteil des BVerfG vom 9. Februar 2010, Az. 1 BvL 1/09, 3/09, 4/09. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 101/13 Seite 8 werde den Anforderungen und Maßstäben des BVerfG an die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht gerecht.19 Das BVerfG hatte in dem so genannten Hartz-IV-Regelsatz-Urteil ein „Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums“ aus Art. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot aus Art. 20 Abs. 1 GG hergeleitet. Dieses Grundrecht habe neben dem absolut wirkenden Anspruch auf die Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung.20 Der Gesetzgeber habe demzufolge alle existenznotwendigen Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf, also realitätsgerecht, zu bemessen.21 Die Verfassungsrichter haben das sozio-ökonomische Existenzminimum klar definiert: zum einen umfasse es die physische Existenz mit Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit, zum anderen die Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Der Mensch als Person existiere notwendig in sozialen Bezügen.22 Ob der Gesetzgeber das Existenzminimum durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen sichert, bleibe ihm überlassen.23 3.2. Vorlagebeschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) hatte daraufhin am 26. Juli 2010 beschlossen , dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vorzulegen, ob die Bedarfssätze nach dem AsylbLG mit dem Grundgesetz vereinbar seien.24 Die Richter des LSG NRW waren der Auffassung , dass die Bemessung der Bedarfssätze „ins Blaue hinein“ ohne Anwendung eines verfassungsgemäßen Verfahrens geschätzt worden und damit verfassungswidrig seien. 19 Vgl. z.B. Brockmann, Judith (2010). Das Asylbewerberleistungsgesetz und das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums. In: Soziale Sicherheit. Zeitschrift für Arbeit und Soziales, Heft 9, S. 310-317; Classen, Georg/Kanalan, Ibrahim (2010). Verfassungsmäßigkeit des Asylbewerberleistungsgesetzes. In: info also, Heft 6, S. 243-249; Görisch, Christoph (2011). Asylbewerberleistungsrechtliches Existenzminimum und gesetzgeberischer Gestaltungsspielraum. in: Neue Zeitschrift für Sozialrecht, Heft 17, S. 646-650; Kingreen, Thorsten 82010). Schätzungen „ins Blaue hinein“: Zu den Auswirkungen des Hartz-IV-Urteils des Bundesverfassungsgerichts auf das Asylbewerberleistungsgesetz. In: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, Heft 9, S. 558- 562; Mahler, Claudia (2011). Asylbewerberleistungsgesetz auf dem menschenrechtlichen Prüfstand. In: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, Heft 11/12, S. 378-384; Rothkegel, Ralf (2010), Konsequenzen des „Hartz-IV“-Urteils des Bundesverfassungsgerichts für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. In: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, Heft 11/12, S. 373-378. 20 Urteil des BVerfG vom 9. Februar 2010, Az. 1 BvL 1/09, 3/09, 4/09, Rn 133. 21 Urteil des BVerfG vom 9. Februar 2010, Az. 1 BvL 1/09, 3/09, 4/09, Rn 139. 22 Urteil des BVerfG vom 9. Februar 2010, Az. 1 BvL 1/09, 3/09, 4/09, Rn 135. 23 Urteil des BVerfG vom 9. Februar 2010, Az. 1 BvL 1/09, 3/09, 4/09, Rn 138. 24 Vorlagebeschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. Juli 2010, Az. L 20 AY 13/09. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 101/13 Seite 9 3.3. Verfassungswidrigkeit der Grundleistungen für Asylbewerber Am 18. Juli 2012 erklärte das BVerfG die Regelsätze des AsylbLG für evident zu niedrig und verfassungswidrig .25 Die Leistungshöhe sei weder nachvollziehbar berechnet worden noch sei eine realitätsgerechte, auf Bedarfe orientierte und insofern aktuell existenzsichernde Berechnung ersichtlich .26 Das aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG abgeleitete Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums stehe deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik aufhalten, gleichermaßen zu. Wenn jedoch bei der Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums Besonderheiten bestimmter Personengruppen berücksichtigt werden sollten, dürfe der Gesetzgeber bei der konkreten Ausgestaltung der Leistungen nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren, so die Richter. Eine Differenzierung sei nur möglich, wenn der Bedarf einer bestimmten Personengruppe von dem anderer Bedürftiger signifikant abweiche und dies in einem transparenten Verfahren belegt werden könne.27 Unter Verweis auf die Gesetzesmaterialen zum AsylbLG erläuterten die Verfassungsrichter, dass der Mindestunterhalt für die Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz eigenständig geregelt worden sei, um aus „migrationspolitischen Gründen“ die vorherigen Leistungen deutlich zu reduzieren: „Die Entstehungsgeschichte des Asylbewerberleistungsgesetzes lässt insofern keinen ernsthaften Zweifel daran zu, dass der Gesetzgeber damit an die Grenze des zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz Notwendigen auch unter Berücksichtigung eines nur kurzen Aufenthalts gehen wollte.“28 Die Richter hielten das in den Gesetzesmaterialien dargelegte Argument, wonach für die Gruppe der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG von einer vorübergehenden Aufenthaltsdauer auszugehen und somit eine reduzierte Leistungshöhe gerechtfertigt sei, nicht für plausibel. Es gebe keine Anhaltspunkte, die belegten, dass sich die Aufenthaltsdauer konkret auf existenzsichernde Bedarfe auswirke, so die Richter . Es liege zudem kein Beleg dafür vor, dass die vom AsylbLG erfassten Leistungsberechtigten sich typischerweise nur kurz in Deutschland aufhielten. Die Richter beriefen sich auf eine Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion DIE LINKE. wonach sich der überwiegende Teil der Personen, die Leistungen nach dem AsylbLG erhalten, bereits länger als sechs Jahre in Deutschland aufhalte. Das Regelungskonzept des AsylbLG werde somit der tatsächlichen Situation nicht gerecht.29 25 Urteil des BVerfG vom 18. Juli 2012, Az. 1 BvL 10/10, Abs. 1-140. 26 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber, BT-Drs. 12/4451 vom 2. März 1993, S. 8. Demnach wurde der Umfang der Leistungen im AsylbLG vom Gesetzgeber nicht im einzelnen festgeschrieben , sondern abstrakt bestimmt. Die zuständigen Behörden sollen ihn aufgrund der persönlichen Situation , der Art der Unterbringung und der örtlichen Gegebenheiten näher ausfüllen. 27 Urteil des BVerfG vom 18. Juli 2012, Az. 1 BvL 10/10, Leitsätze 1 bis 3. 28 Urteil des BVerfG vom 18. Juli 2012, Az. BvL 10/10, Abs. 110. 29 Urteil des BVerfG vom 18. Juli 2012, Az. BvL 10/10, Abs. 119. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 101/13 Seite 10 Sowohl das physische wie das soziokulturelle Existenzminimum müsse in jedem Fall und zu jeder Zeit sicher gestellt sein: „Ausländische Staatsangehörige verlieren den Geltungsanspruch als soziale Individuen nicht dadurch, dass sie ihre Heimat verlassen und sich in der Bundesrepublik Deutschland nicht auf Dauer aufhalten.“30 Der Gesetzgeber wurde vom BVerfG verpflichtet, unverzüglich eine Neuregelung für die Grundleistungen des AsylbLG zu treffen. Für den Übergangszeitraum ordneten die Richter an, die Höhe der Leistungen gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1,2 und 3 AsylbLG (physisches Existenzminimum) und gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 und 2 AsylbLG (soziokulturelles Existenzminimum) auf der Grundlage des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes (RBEG)31 zu berechnen.32 Das Sachleistungsprinzip werde, so die Richter, durch die Übergangsregelung nicht berührt, denn sie greife nicht in die Regelungssystematik des AsylbLG hinsichtlich der Art der Leistungen ein. Voraussetzung sei allerdings, dass die Sachleistungen aktuell das menschenwürdige Existenzminimum deckten. 4. Statistiken, Analysen und Studien 4.1. Statistisches Bundesamt Im Jahr 2010 haben insgesamt 130.297 Personen Regelleistungen nach dem AsylbLG empfangen. Davon waren 15.853 Personen in Aufnahmeeinrichtungen untergebracht, 45.079 lebten in Gemeinschaftsunterkünften und 69.365 Personen befanden sich in einer dezentralen Unterbringung . Das Durchschnittsalter der Leistungsempfänger betrug 27,4 Jahre. 125.476 Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG waren im Jahr 2010 nicht erwerbstätig, 1.513 arbeiteten Vollzeit, 3.308 Personen waren teilzeitbeschäftigt.. Die größte Gruppe der Leistungsberechtigten, nämlich 56.692 Personen, kam im Jahr 2010 aus Asien, gefolgt von der zweitgrößten Gruppe mit 45.814 Personen aus Europa. 16.563 Personen kamen aus Afrika. Insgesamt erhielten 37.746 Personen besondere Leistungen gemäß § 6 Abs. 1 AsylbLG. Davon bekamen 24.964 Personen Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt gemäß § 4 Abs. 1 AsylbLG.33 30 Urteil des BVerfG vom 18. Juli 2012, Az. BvL 10/10, Abs. 120. 31 Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz vom 24. März 2011 (BGBl. I S. 435). 32 Urteil des BVerfG vom 18. Juli 2012, Az. BvL 10/10, Abs. 124-136. 33 Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2013, Fachserie 13, Reihe 7 „Leistungen an Asylbewerber“. Abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Soziales/Asylbewerberleistungen/Asylbewerber213070 0107004.pdf?__blob=publicationFile (letzer Abruf am 10. Dezember 2013). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 101/13 Seite 11 4.2. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 4.2.1. Aktuelle Zahlen zu Asylbewerbern Im Jahr 2010 wurden insgesamt 48.598 Asylanträge in der Bundesrepublik Deutschland gestellt. Davon waren 41.332 Erstanträge und 7.257 Folgeanträge. Im Jahr 2012 lag die Zahl der Asylanträge insgesamt bei 77.651, davon 64.539 Erstanträge und 13.112 Folgeanträge. Von Januar bis Oktober 2013 wurden insgesamt 100.937 Asylanträgen gestellt, davon waren 87.442 Erstanträge und 13.495 Folgeanträge. Dies bedeutet einen Zuwachs der Asylanträge insgesamt um 64,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahreswert (Januar bis Oktober 2012). Im Oktober 2013 wurden 12.940 Erstanträge beim BAMF verzeichnet. Dies ist der höchste Wert seit November 1995 mit 13.153 Personen. Unter den Herkunftsländern war Syrien mit 1.629 Erstanträgen im Oktober 2013 am stärksten vertreten, gefolgt von Serbien mit 1.553 und Mazedonien mit 999 Erstanträgen. Von Januar bis Oktober 2013 gehörten die Russische Föderation mit 14.001 Erstanträgen, Syrien mit 9.427 Erstanträgen und Serbien mit 8.016 Erstanträgen zu den am stärksten vertretenen Herkunftsländern der Asylantragsteller. Die neun zugangsstärksten Herkunftsländer von Asylbewerbern, die in der der Zeit von Januar bis Oktober 2013 Erstanträge stellten, waren die Russische Föderation, Syrien, Serbien, Afghanistan , Mazedonien, Iran, Pakistan, Irak, Somalia und Kosovo. Von Januar bis Oktober 2013 wurden insgesamt 65.184 Entscheidungen über Asylanträge getroffen , davon waren 17.345 positive Entscheidungen (26,6 Prozent).34 4.2.2. Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern In diesem Jahr wurde eine Studie zur Organisation der Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern in Deutschland von der Nationalen Kontaktstelle des Europäischen Migrationsnetzwerks (EMN)vorgelegt. Die EMN ist beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) angesiedelt . Diese Studie ist der deutsche Beitrag für eine europaweit vergleichende Untersuchung der Unterbringung von Asylbewerbern. Die Analyse beschreibt die föderale Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern und stellt zudem die verschiedenen Unterbringungsformen von Asylbewerbern und die ihnen gewährten Leistungen in den Bundesländern dar.35 34 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Aktuelle Zahlen zu Asyl, Oktober 2013. Abrufbar unter: http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Statistik/statistik-anlage-teil-4-aktuellezahlen -zu-asyl.pdf?__blob=publicationFile (letzter Abruf am 10. Dezember 2013). 35 Möller, Andreas (2013). Die Organisation der Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern in Deutschland . Fokus-Studie der deutschen nationalen Kontaktstelle für das Europäische Migrationsnetzwerk (EMN), Working Paper 55, S. 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 101/13 Seite 12 In Deutschland gibt es demnach vier Arten von Unterbringungseinrichtungen für Asylbewerber: Erstaufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte, dezentrale Unterbringungsformen sowie Einrichtungen für Personen mit besonderen Schutzbedürfnissen. Während die Erstaufnahme weitgehend bundesrechtlich geregelt ist, erfolgt die sogenannte Anschlussunterbringung weitestgehend nach den Vorschriften des jeweiligen Bundeslandes. Diesen ist ein erheblicher Gestaltungsspielraum bei der Wahl und Ausgestaltung der Unterbringung gegeben. 36 Während sich Erstaufnahmeeinrichtungen grundsätzlich in der Trägerschaft des jeweiligen Bundeslandes befinden, liegt die anschließende Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften, Einzelwohnungen oder Einrichtungen für besonders schutzbedürftige Personen in der Verantwortung der Kommunen. Der Betrieb der Unterkünfte wird zum Teil an private Anbieter übertragen .37 Die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften oder dezentralen Unterkünften ist unter den Bundesländern sehr unterschiedlich geregelt, was Trägerschaft, Betrieb und politischadministrative Zuständigkeiten für die Ausgestaltung der Anschlussunterbringung angeht. Während die überwiegende Zahl der Bundesländer diese Aufgaben den Kommunen übertragen haben , betreiben Bayern sowie die Stadtstaaten die Einrichtungen der Anschlussunterbringung selbst.38 Die Unterbringung und Betreuung von Asylbewerbern wird nicht nur von staatlichen, sondern auch von Nicht-Regierungsorganisationen geleistet. Diese bieten zum Beispiel Verfahrens- und Sozialberatungen an. In einigen Bundesländern übernehmen kirchliche und andere Wohlfahrtsverbände den Betrieb von Gemeinschaftsunterkünften oder die Betreuung besonders schutzbedürftiger Personen.39 Die Vorschriften zur Unterbringung von Asylbewerbern sind von Bundesland zu Bundesland verschieden. Während beispielsweise in Bayern Alleinerziehende und Familien mit mindestens einem minderjährigen Kind berechtigt sind, aus der Gemeinschaftsunterkunft auszuziehen, falls das Erstverfahren abgeschlossen und eine Abschiebung nicht möglich ist, so empfiehlt die Landesregierung von Brandenburg, dass besonders Schutzbedürftige bereits nach sechs Monaten in eine Einzelwohnung ziehen können, alle anderen nach zwölf Monaten.40 36 Möller, Andreas (2013), S. 12ff. 37 Möller, Andreas (2013), S. 13. 38 Möller, Andreas (2013), S. 15-18. 39 Möller, Andreas (2013), S. 20-21. 40 Möller, Andreas (2013), S. 22. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 101/13 Seite 13 Die Lebensbedingungen in den Asylbewerberunterkünften sind ebenfalls unterschiedlich. Einige Bundesländer haben verbindliche Regeln für den Betrieb und die Einrichtung von Gemeinschaftsunterkünften und teilweise auch für die Betreuung der Bewohner festgelegt.41 In der Analyse heißt es hierzu wörtlich: „Die Unterbringung von Asylbewerbern stellt einen der am stärksten polarisierten Themenbereiche der deutschen Migrationspolitik dar. Die zuständigen Behörden sehen sich dabei mit einer Vielzahl zum Teil widersprüchlicher Erwartungen konfrontiert, welche Beschaffung, Errichtung und Betrieb von Asylbewerberunterkünften vor erhebliche Herausforderungen stellen. (…) Das Thema Asylbewerberunterbringung spielt auch eine Rolle in der seit 2012 erneut aufgekommenen öffentlichen Debatte über die deutsche Asylpolitik. Auslöser dieser Diskussion waren die in Deutschland ab 2012 sprunghaft ansteigenden Asylbewerberzahlen. Im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung stand neben der längeren Dauer der Asylverfahren und den damit einhergehenden Kosten für die öffentliche Hand auch die Unterbringung von Asylbewerbern. Dabei lassen sich zwei Strömungen identifizieren: Auf der einen Seite fordern Flüchtlingsinitiativen sowie Unterstützergruppen aus meist linken und kirchlichen Gruppen eine „humanere“ Unterbringung von Asylbewerbern, insbesondere eine Abschaffung der Gemeinschaftsunterkünfte sowie die Abschaffung des Sachleistungsprinzips. Diese Forderungen sind eingebettet in größere Kampagnen , die zum Teil mit Flüchtlingsprotesten einhergehen, bei denen eine großzügigere Anerkennungspraxis und kürzere Verfahrenszeiten gefordert werden. Da die steigenden Zugangszahlen die Schaffung neuer Kapazitäten für die Asylbewerberunterbringung erfordern, kommt es auf der anderen Seite zum Teil in den Kommunen, die als Standorte neuer Gemeinschaftsunterkünfte in Frage kommen, zu Protesten von Anwohnern, Geschäftsleuten und lokalen Bürgerinitiativen. Daneben versuchen ausländerfeindliche Akteure, diese Proteste für sich zu nutzen.“42 Auch die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG werden von den Bundesländern in unterschiedlicher Form - Sach- bzw. Geldleistungen - gewährt (siehe auch Punkt 2). Die Krankenversorgung der Leistungsberechtigten ist in § 4 AsylbLG geregelt. In der Analyse des EMN heißt es dazu: „Trotz dieser restriktiven Normierung erfolgt in der Praxis die medizinische Versorgung häufig auf dem Niveau der gesetzlichen Krankenkassen, zumal im Einzelfall darüber hinausgehende „sonstige Leistungen“ gewährt werden können, wenn sie für die Gesundheit unerlässlich sind (§ 6 Abs. 1 AsylbLG“.43 Die vollständige Studie ist abrufbar unter: 41 Möller, Andreas (2013), S. 26, Tabelle 6. 42 Möller, Andreas (2013), S. 28-29. 43 Möller, Andreas (2013), S. 25. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 101/13 Seite 14 http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/EMN/Nationale-Studien- WorkingPaper/emn-wp55-organisation-und-aufnahme-asylbewerber.html (letzter Abruf am 10. Dezember 2013). 5. Stellungnahmen nicht-staatlicher Organisationen 5.1. Evangelische Kirche in Deutschland In der öffentlichen Anhörung des Bundestages am 7. Februar 2011 hält der Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland in seiner schriftlichen Stellungnahme folgendes fest: „Sowohl die Höhe der Leistungen als auch die Form ihrer Gewährung werden von den Leistungsberechtigten als psychisch und sozial belastend erlebt. Dabei sei auf die an vielen Orten mangelhafte Verpflegung in Form von Essenspaketen hingewiesen – diakonische Beratungsstellen berichten von Fällen, in denen Mangelernährung auftritt und beispielsweise männliche Leistungsberechtigte über Hunger klagen. Auch die Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften wird als insbesondere für Familien mit Kindern problematisch beschrieben. die Unterkünfte liegen oftmals außerhalb von Ortschaften und sind verkehrstechnisch schlecht angebunden. Der den Betroffenen zur Verfügung gestellte Raum ist regelmäßig zu klein. Gerade Familien und insbesondere Kinder leiden unter dem Lärm, der aggressiven Stimmung in den Unterkünften und der auftretenden Gewalt zwischen den Bewohnern in gesteigertem Maße. Auch herrschen in den Gemeinschaftsunterkünften keine Rückzugsräume, um zu lernen oder um Hausaufgaben zu machen. Anlässlich der Anhörung im Bayerischen Landtag zur Umsetzung des Asylbewerberleistungsgesetzes am 23.4.2009 berichtete der als Sachverständiger geladene Arzt Dr. Stich, dass die Patienten aus einer durch seine Klinik betreuten Gemeinschaftsunterkunft durch die vielfältigen Belastungen, die das Leben in der Gemeinschaftsunterkunft mit sich bringe, psychisch und körperlich erkrankten. Diese Einschätzung deckt sich mit den Erfahrungen der diakonischen Beratungsstellen. Doch auch Leistungsberechtigte, die in Privatwohnungen untergekommen sind und Geldleistungen erhalten, berichten von eklatanten Einschränkungen in der Lebensführung. Diese lassen sich insbesondere an der Situation von Familien mit Kindern verdeutlichen. Die Tatsache, dass auch Kindern die Teilnahme am sozialen Leben verwehrt ist, ist aus Sicht der EKD besonders problematisch . Ihnen ist es auf Grund der finanziellen Situation ihrer Eltern oftmals nicht möglich, mit befreundeten Mitschülern etwas zu unternehmen, weil allein die Fahrtkosten zu hohe Ausgaben darstellen. Auch die Kosten für Klassenfahren werden häufig nicht übernommen. Ihre Freizeitgestaltungsmöglichkeiten sind im Vergleich zu anderen Kindern sehr eingeschränkt – selbst eine sportliche Betätigung in Vereinen ist oftmals mit finanziellen Ausgaben verbunden und deshalb für ihre Eltern nicht finanzierbar.“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 101/13 Seite 15 5.2. Deutscher Caritasverband Der Deutsche Caritasverband schreibt in seiner schriftlichen Stellungnahme für die Anhörung am 7. Februar 2011, dass das AsylbLG in seiner jetzigen Fassung auch gegen Europa- und Völkerrecht verstoße. „Ein weitere Verstoß gegen europäische Vorgaben liegt darin, dass die Rechte besonders schutzbedürftiger Personen nicht hinreichend beachtet werden. Minderjährige und Erwachsene, die Opfer von Missbrauch, Vernachlässigung und Folter geworden sind, haben einen Anspruch auf Rehabilitationsmaßnamen, psychologische Betreuung und Beratung sowie die notwendige medizinische Behandlung (Art. 18 Abs. 2 und Art. 20 RL 2003/9/EG). § 6 Abs. 2 AsylbLG widerspricht dieser Richtlinie (…). Auch bei den Opfern von Menschenhandel wird gegen EU-Recht verstoßen . Sie haben Anspruch auf umfassende medizinische Versorgung. ihrem Sicherheits- und Schutzbedürfnis ist Rechnung zu tragen. Für erforderliche Übersetzungs- und Dolmetscherdienste ist zu sorgen (Art. 7 RL 2004/81/EG). Diese Ansprüche verwirklicht das AsylbLG, dem auch diese Gruppe von Ausländer(inne)n unterfällt, nicht.“ 5.3. Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V. (BAGFW) schreibt zur Krankenversorgung von Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG in ihrer schriftlichen Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung vom 7. November 2011 unter anderem: „Ob eine medizinische Behandlung erforderlich ist oder nicht, sollen die Mitarbeitenden der Sozialämter entscheiden, ohne dass sie entsprechende medizinische Kenntnisse haben. In der Praxis leiten sie die Frage häufig an die Gesundheitsämter weiter. Dadurch wird das Verfahren wieder verlängert und die Behandlung weiter verzögert. Es kommt auch immer wieder zu Problemen bei der Übernahme von Fahrtkosten und der Kosten für Dolmetscher. Diese werden nämlich nicht von allen Sozialämtern als notwendige Leistungen zur Besserung der Krankheit angesehen .“ Die BAGFW erwähnt den Fall eines kriegsverletzten Mannes aus dem Irak, der vier Jahre lang nicht an der Hüfte operiert wurde, da die Operation als zu kostenaufwändig eingestuft worden sei und die Verletzung zudem mit Schmerzmitteln hätte behandelt werden können. Als nach vier Jahren die medizinische Versorgung über die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) gezahlt werden konnte (§ 2 Abs. 1 AsylbLG), sei der Mann mit viel höheren Kosten operiert worden, weil der Hüftschaden bereits vorangeschritten sei. Ähnlich habe es sich im Fall eines 13-jährigen Mädchens verhalten, dem eine kieferorthopädische Behandlung zunächst nicht gewährt worden sei, da es sich nicht um eine akute Erkrankung oder einen Schmerzzustand gehandelt habe. Vier Jahre später konnte die Behandlung gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG über die GKV abgerechnet wer- Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 101/13 Seite 16 den. Da sich die Fehlstellung in dieser Zeit verstärkt habe, sei die Behandlung schmerzhafter, länger und teurer geworden. Zum Sachleistungsprinzip schreibt die BAGFW in ihrer schriftlichen Stellungnahme: „Bei der Umsetzung des Sachleistungsprinzips gibt es trotz großer regionaler Unterschiede zentrale , grundsätzliche Probleme, die uns aus vielen Regionen Deutschlands bekannt sind. Hierbei sind die verschiedenen Formen des Sachleistungsprinzips, nämlich die Unterbringung in Sammelunterkünften , Wertgutscheine bzw. Ausgabe von Naturalien (Essenspakete) etc. zu unterscheiden . Bei Lebensmitteln/Essenspaketen führen mangelnde Qualität, Frische und Vielfalt der gewährten Nahrungsmittel zu Beschwerden. Teilweise erhalten die Anspruchsberechtigten Nahrungsmittel , deren Verfallsdatum unmittelbar bevorsteht oder bereits abgelaufen ist. Auf Unverträglichkeiten und kulturelle Besonderheiten wird oftmals keine Rücksicht genommen und des Öfteren auch für Muslime Schweine- statt z.B. Lammfleisch geliefert. Viele Probleme werden durch die Lage und Art der Unterbringung noch verschärft. So haben die Betroffenen oftmals Probleme, für die Essens- oder Kleidungsgutscheine vor Ort die passende Ware zu erhalten und müssen nicht erstattete Fahrtkosten in Kauf nehmen, um einkaufen zu können.“ 5.4. Stellungnahmen für das Bundesverfassungsgericht In der mündlichen Verhandlung im Verfahren des BVerfG zu den Grundleistungen nach § 3 AsylbLG haben eine Reihe von Sachverständigen Stellung genommen; darunter die Bundesregierung , der Präsident des Bundessozialgerichts, der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), PRO-ASYL – Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge e.V., Amnesty International (ai Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V. – Länder und Asyl), der Flüchtlingsrat Berlin e.V., der Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, das Kommissariat der deutschen Bischöfe und die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V. 49 Im Urteil des BVerfG heißt es hierzu: „In der mündlichen Verhandlung haben die angehörten sachkundigen Dritten die Auffassung vertreten, dass die Grundleistungen im Lichte des Grundgesetzes und auch hinsichtlich völkerrechtlicher Bindungen mit Blick auf die tatsächlichen Bedarfe der Betroffenen evident unzureichend seien; die Lebenssituationen derjenigen, auf die das Asylbewerberleistungsgesetz Anwendung finde, seien zudem sehr unterschiedlich und die Existenz auch durch Sachleistungen und unbare Leistungen oft nicht menschenwürdig gesichert. Die Bundesregierung hat angekündigt, die hier in Rede stehenden Leistungen nach Maßgabe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 (BVerfGE 125, 175) neu zu regeln; 49 Urteil des BverfG vom 18. Juli 2012, Az. BvL 10/10, Abs. 71. Zu den einzelnen Stellungnahmen siehe auch Abs. 72-82. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 101/13 Seite 17 sie hat allerdings bekundet (…), dass nicht absehbar ist, wann mit einem Gesetzentwurf zu rechnen sei.“50 6. Fazit Zur Bewertung der sozialen Situation von Asylbewerbern müssen verschiedene Quellen herangezogen werden. Eine generelle bzw. verallgemeinernde Aussage zur Lage von Asylbewerbern in Deutschland lässt sich nicht treffen, da die Unterbringung und Versorgung in den Bundesländern unterschiedlich gehandhabt wird. Daher wurde in der vorliegenden Ausarbeitung versucht, anhand verschiedener Quellen einen Einblick in die Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern und anderen Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG zu bieten. Das BVerfG hat die Grundleistungen nach § 3 AsylbG für evident unzureichend und damit für verfassungswidrig erklärt. Der Gesetzgeber ist gehalten, eine neue gesetzliche Grundlage für die Grundversorgung der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG zu schaffen. Es bleibt dem Gesetzgeber überlassen, wie das Existenzminimum angemessen gesichert wird. Sowohl Geld- wie Sachleistungen können hierzu herangezogen werden. Kirchen und Wohlfahrtsverbände, die in der Beratung und Begleitung von Asylbewerbern tätig sind, kritisieren, wie aus ihren Stellungnahmen für die öffentliche Anhörung am 7. Februar 2011 im Deutschen Bundestag hervorgeht, insbesondere die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften , das Sachleistungsprinzip und eine unzureichende medizinische Versorgung. Die Studie des BAMF (siehe 4.2.2.) betont hingegen, dass die medizinische Versorgung trotz einer restriktiven Normierung häufig auf dem Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung erfolge . Ein einheitliche Darstellung der sozialen Situation von Asylbewerbern in Deutschland ist schlechterdings nicht möglich, weil die verschiedenen Behörden, Organisationen und Initiativen diese aus unterschiedlichen Perspektiven und Handlungsoptionen heraus tätigen. So stehen, wie die Studie des BAMF konstatiert, die verantwortlichen Behörden insbesondere in den Kommunen unter dem besonderen Druck, einerseits eine menschenwürdige Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen zu gewährleisten und andererseits den möglichen Bedenken von Anwohnern Rechnung zu tragen. Hinzu kommen weitere finanzielle Belastungen für die öffentlichen Haushalte durch steigende Asylbewerberzahlen. 50 Urteil des BVerfG vom 18. Juli 2012, Az. BvL 10/10, Abs. 83.