© 2020 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 100/20 Grenzen des Direktionsrechts des Arbeitgebers Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 100/20 Seite 2 Grenzen des Direktionsrechts des Arbeitgebers Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 100/20 Abschluss der Arbeit: 7. Dezember 2020 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 100/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Begriffsbestimmung 4 3. Grenzen des Direktionsrechts 4 3.1. Arbeitsvertrag 4 3.2. Kollektivrechtliche Regelungen 6 3.3. Gesetzliche Vorschriften 7 3.4. Konkretisierung 8 3.5. Billiges Ermessen 8 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 100/20 Seite 4 1. Einleitung Das Direktionsrecht ermöglicht es dem Arbeitgeber1 die im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig umschriebene Leistungspflicht des Arbeitnehmers im Einzelnen bezogen auf Inhalt, Ort und Zeit einseitig zu bestimmen und so die Arbeitsbedingungen zu konkretisieren. Das Direktionsrecht ist essentieller Bestandteil eines jeden Arbeitsverhältnisses und gehört zum Wesen des Arbeitsvertrages .2 Auch vor dem Hintergrund der aktuellen durch das Coronavirus Sars-CoV-2 ausgelösten Pandemie und den damit verbundenen wirtschaftlichen Auswirkungen, die ein entsprechendes Reagieren der Arbeitgeber erforderlich machen, stellen sich zunehmend Fragen hinsichtlich der Modalitäten des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts. Gegenstand dieses Sachstandes ist mithin eine überblickshafte Darstellung der Grenzen dieses Direktionsrechts. 2. Begriffsbestimmung Das Direktionsrecht ist seit dem 1. Januar 2003 gesetzlich in § 106 Gewerbeordnung (GewO) normiert . Hiernach bestimmt der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, eine Betriebsvereinbarung , einen anwendbaren Tarifvertrag oder durch gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Das Direktionsrecht folgt neben § 106 GewO bereits aus der Natur des Arbeitsverhältnisses, denn der Arbeitnehmer verpflichtet sich schon mit dem Abschluss des Arbeitsvertrages gemäß § 611a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zur Leistung unselbstständiger, weisungsgebundener Dienste.3 Der Arbeitgeber übt das Direktionsrecht in Form von Weisungen aus, weshalb auch von der Weisungsbefugnis des Arbeitgebers gesprochen wird.4 3. Grenzen des Direktionsrechts Das Direktionsrecht wird, wie es § 106 GewO klarstellt, durch Vereinbarungen individual- und kollektivrechtlicher Natur sowie durch gesetzliche Regelungen beschränkt. Ferner ist der Arbeitgeber verpflichtet, sein Direktionsrecht nach billigem Ermessen auszuüben. 3.1. Arbeitsvertrag Die Vorschriften des Arbeitsvertrages bilden die primäre Grenze des Direktionsrechts nach § 106 S. 1 GewO. Haben die Parteien bereits eine hinreichend konkrete Bestimmung des Leistungsinhaltes vorgenommen, so ist für eine einseitige Bestimmung durch den Arbeitgeber kraft seines Direktionsrechts kein Raum mehr. Ist also die Art der Leistung ausdrücklich oder konkludent inhaltlich festgelegt, kann der Arbeitgeber keine einseitigen Weisungen über Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung mehr vornehmen. Ob eine hinreichend konkrete Vereinbarung vorliegt, ist 1 Im Interesse einer besseren Lesbarkeit wird nicht ausdrücklich in geschlechtsspezifischen Personenbezeichnungen differenziert. Die gewählte männliche Form schließt eine adäquate weibliche Form gleichberechtigt ein. 2 Boecken/Pils in: Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, 1. Auflage 2016, § 106 GewO, Rn. 3. 3 Joussen in: BeckOK Arbeitsrecht, 57. Edition 2020, § 611a BGB, Rn. 356. 4 Spinner in: Münchner Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 611a, Rn. 931. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 100/20 Seite 5 gegebenenfalls durch Auslegung unter Beachtung aller Begleitumstände sowie der Verkehrsauffassung nach den §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. 5 Grundsätzlich können die Parteien die Reichweite des Direktionsrechts im Arbeitsvertrag vereinbaren .6 So kann das Direktionsrecht beispielsweise bezüglich der Art der vom Arbeitnehmer zu verrichtenden Tätigkeit im Wege einer sogenannten Versetzungsklausel erweitert werden, selbst wenn diese Tätigkeit im Arbeitsvertrag konkret bestimmt ist.7 Hinsichtlich des Orts der Tätigkeit gilt dies entsprechend für die Einbeziehung einer Mobilitätsklausel in den Arbeitsvertrag.8 Die Verwendung solcher Klauseln ist im Arbeitsrecht als ein Instrument zur Befriedigung des Anpassungs - und Flexibilisierungsbedürfnisses des Arbeitgebers grundsätzlich anerkannt.9 Handelt es sich bei den Klauseln um Vorformulierungen oder sind diese vom Arbeitgeber zur Verwendung bestimmt, liegen Allgemeine Geschäftsbedingungen vor, welche hinsichtlich ihrer Rechtmäßigkeit der Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB unterliegen.10 Inhaltliche Änderungen der Arbeitsbedingungen , welche die Bestandteile des Austauschverhältnisses, das heißt also die Höhe des Entgelts und den Umfang der geschuldeten Leistung, berühren, sind nicht mehr vom Direktionsrecht des Arbeitgebers umfasst.11 Hierzu bedarf es einer einvernehmlichen Vertragsänderung oder des Ausspruchs einer Änderungskündigung.12 Vom Grundsatz, dass das Weisungsrecht des Arbeitgebers durch die im Arbeitsvertrag ausdrücklich oder konkludent vereinbarten Bestimmungen begrenzt ist, kann nur in sogenannten Notfällen abgewichen werden. Ein solcher liegt vor, wenn eine Situation besteht, in denen ein Schaden für die Güter des Arbeitgebers unmittelbar bevorsteht oder droht und diese Situation unabhängig von dem Willen der Betroffenen eingetreten ist.13 Die Annahme einer Notfallsituation erfordert ein außerhalb des Bereichs unternehmerischer Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit liegendes äußeres Ereignis, so dass allgemeine Dispositionsschwierigkeiten, regelmäßige Eilaufträge, ein permanenter Fachkräftemangel oder ein vorhersehbarer betrieblicher Arbeitskräftemangel hierfür 5 Siehe hierzu: Joussen in: BeckOK Arbeitsrecht, 57. Edition 2020, § 611a BGB, Rn. 363, mit weiteren Verweisen zur Rechtsprechung. 6 BAG, Urteil vom 2. März 2006 – AZR 23/05 –, juris Rn. 16. 7 Ehrich in: Grobys/Panzer-Heemeier, StichwortKommentar Arbeitsrecht, 3. Auflage, Edition 14 2020, Direktionsrecht , Rn. 17. 8 Ebenda. 9 Gerhardt in: Grobys/Panzer-Heemeier, StichwortKommentar Arbeitsrecht, 3. Auflage, Edition 14 2020, Versetzung , Rn. 3. 10 Ebenda. 11 BAG, Urteil vom 23. Juni 2009 – 2 AZR 606/08 –, juris Rn. 17. 12 Ehrich in: Grobys/Panzer-Heemeier, StichwortKommentar Arbeitsrecht, 3. Auflage, Edition 14 2020, Direktionsrecht , Rn. 23. 13 Joussen in: BeckOK Arbeitsrecht, 57. Edition 2020, § 611a BGB, Rn. 366. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 100/20 Seite 6 nicht ausreichen.14 Als Notfallsituationen zählen insbesondere Fälle höherer Gewalt und Naturkatastrophen .15 Die durch das Coronavirus Sars-Cov-2 ausgelöste Pandemie kann nach Auffassung in der Literatur als ein vergleichbar außergewöhnliches Ereignis im beschriebenen Sinne eingestuft werden.16 In diesen Fällen ist der Arbeitgeber ungeachtet der Bestimmungen des Arbeitsvertrages kraft seines Direktionsrechts befähigt, dem Arbeitnehmer kurzfristig Tätigkeiten über den vertraglich geschuldeten Umfang hinaus zuzuweisen.17 Nach allgemeiner Auffassung ergibt sich dies aus dem das Arbeitsverhältnis beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB sowie den Rücksichtnahmepflichten des Arbeitnehmers aus § 241 Abs. 2 BGB.18 3.2. Kollektivrechtliche Regelungen Die kraft seines Direktionsrechts ausgesprochen Weisungen des Arbeitgebers dürfen gemäß § 106 S. 1 GewO nicht gegen Arbeitsbedingungen betreffende kollektivvertragliche Regelungen, das heißt Bestimmungen aus Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, verstoßen. Liegt ein solcher Verstoß vor, sind die betreffenden Weisungen nichtig.19 Gemäß den §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz (TVG) sind die Rechtsnormen eines Tarifvertrages , die den Inhalt, den Abschluss oder die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ordnen, unmittelbar und zwingend auf dieses anzuwenden, soweit die Vertragsparteien tarifgebunden sind und in den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallen. Gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 TVG in Verbindung mit § 3 Abs. 2 TVG gilt dies entsprechend für die Rechtnormen eines Tarifvertrages über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen. Nach § 5 Abs. 4 TVG finden die Regelungen eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages auch auf das Arbeitsverhältnis nichttarifgebundener Arbeitgeber und Arbeitnehmer Anwendung, soweit diese in dessen Geltungsbereich fallen. In Bezug auf Betriebsvereinbarungen ordnet § 77 Abs. 4 S. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) deren unmittelbare und zwingende Geltung an. Beschränkungen aus kollektivvertraglichen Regelungen können sich insbesondere bei der Festlegung der Arbeitszeit, bei Versetzungen und der Konkretisierung von arbeitsbegleitenden Verhaltenspflichten ergeben.20 Auch können tarifvertragliche Regelungen das Direktionsrecht in Bezug 14 Müller in: Müller, Homeoffice in der arbeitsrechtlichen Praxis 2. Auflage 2020, Rn. 659. 15 Ebenda. 16 Vgl. Fischinger/Herngstberger, Arbeitsrechtliche Fragen in der Corona-Krise, JA 2020, S. 561, 562; Fuhlrott/Fischer , Corona: Virale Anpassungen des Arbeitsrechts, NZA 2020, S. 345, 349. 17 Siehe hierzu: Joussen in: BeckOK Arbeitsrecht, 57. Edition 2020, § 611a BGB, Rn. 366. 18 Boecken/Pils in: Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, 1. Auflage 2016, § 106 GewO, Rn. 48. 19 Joussen in: BeckOK Arbeitsrecht, 57. Edition 2020, § 611a BGB, Rn. 362, mit Verweis zur Rechtsprechung. 20 Ehrich in: Grobys/Panzer-Heemeier, StichwortKommentar Arbeitsrecht, 3. Auflage, Edition 14 2020, Direktionsrecht , Rn. 26. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 100/20 Seite 7 auf den Inhalt der Tätigkeit insoweit beschränken, als dass der Arbeitgeber aufgrund der mit tarifvertraglich geregelten Vergütungsgruppen einhergehenden Festlegung von Eingruppierungsmerkmalen dem Arbeitnehmer nur solche Tätigkeiten zuweisen kann, welche den Merkmalen der für den Arbeitnehmer maßgeblichen Vergütungsgruppe entspricht.21 3.3. Gesetzliche Vorschriften Weiterhin normiert § 106 S. 1 GewO, dass das Direktionsrecht des Arbeitgebers auch durch gesetzliche Vorschriften begrenzt ist. Zwar handelt es sich beim Direktionsrecht um eine eigenständige Quelle des Arbeitsvertragsrechts, allerdings steht es in der Normenhierarchie unter den gesetzlichen Bestimmungen.22 Weisungen, die gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen, sind gemäß § 134 BGB nichtig. Zu den das Direktionsrecht begrenzenden gesetzlichen Regelungen gehören zunächst Vorschriften des Arbeitnehmerschutzrechts.23 So begrenzt § 4 Mutterschutzgesetz (MuSchG) das Direktionsrecht hinsichtlich der Zuweisung bestimmter Tätigkeiten an werdende Mütter. § 4 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) beschränkt das Direktionsrecht hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit durch die verpflichtende Einhaltung von Mindestruhepausen. Auch das Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) grenzt das Direktionsrecht ein: aus § 7 AGG folgt, dass der Arbeitgeber dieses Recht nicht in einer die in § 1 AGG genannten Benachteiligungsgründe berührenden Weise ausüben darf. Das Weisungsrecht kann weiterhin aufgrund von Generalklauseln wie § 138 BGB begrenzt sein, wonach die Zuweisung sittenwidriger Tätigkeiten untersagt ist.24 Ebenso ist der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz von Bedeutung.25 Schließlich sind bei der Ausübung des Direktionsrechts etwaige Beteiligungsrechte des Betriebsrates zu beachten, wie etwa bei Fragen der betrieblichen Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb, bei der Lage der Arbeitszeit oder bei Versetzungen.26 Die Weisung des Arbeitgebers darf darüber hinaus nicht gegen strafrechtliche oder öffentlichrechtliche Vorschriften verstoßen. 21 Boecken/Pils in: Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, 1. Auflage 2016, § 106 GewO, Rn. 56, mit Verweis zur Rechtsprechung. 22 Joussen in: BeckOK Arbeitsrecht, 57. Edition 2020, § 611a BGB, Rn. 361. 23 Vgl. Boecken/Pils in: Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, 1. Auflage 2016, § 106 GewO, Rn. 60. 24 Vgl. Boecken/Pils in: Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, 1. Auflage 2016, § 106 GewO, Rn. 61. 25 Ebenda. 26 Ehrich in: Grobys/Panzer-Heemeier, StichwortKommentar Arbeitsrecht, 3. Auflage, Edition 14 2020, Direktionsrecht , Rn. 24. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 100/20 Seite 8 3.4. Konkretisierung Neben den in § 106 S. 1 GewO genannten Einschränkungen des Direktionsrechts des Arbeitgebers kann die einseitige Bestimmung der Arbeitsbedingungen nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) dann unzulässig sein, wenn hinsichtlich des Inhalts, des Orts und der Zeit der Tätigkeit eine Konkretisierung eingetreten ist.27 Auch beim Vorliegen von Versetzungsoder Mobilitätsklauseln ist in diesen Fällen eine einvernehmliche Änderung des Arbeitsvertrages oder eine Änderungskündigung notwendig.28 Eine solche Konkretisierung tritt dann ein, wenn besondere Umstände hinzutreten, aufgrund derer der Arbeitnehmer erkennen kann und vertrauen darf, dass er nicht in anderer Weise eingesetzt werden soll, wobei es nicht genügt, dass der Arbeitnehmer für einen längeren Zeitraum bestimmte Tätigkeiten verrichtet hat.29 Auch ist es für eine Konkretisierung etwa hinsichtlich des Arbeitsortes alleine nicht ausreichend, dass sich der Arbeitnehmer am Ort der Arbeitsleistung ausrichtet oder dass der Arbeitgeber von einer vertraglich vereinbarten Mobilitätsklausel über einen längeren Zeitraum keinen Gebrauch macht.30 3.5. Billiges Ermessen Schließlich muss die Ausübung des Direktionsrechts gemäß § 106 S. 1 GewO nach billigem Ermessen erfolgen. Nach Auffassung des BAG handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff , bei welchem dem Tatsachengericht ein Beurteilungsspielraum zukommt.31 Hinsichtlich der Modalitäten der Ermessensausübung führt das BAG aus: „Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen (§ 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB) verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen.“32 27 Ehrich in: Grobys/Panzer-Heemeier, StichwortKommentar Arbeitsrecht, 3. Auflage, Edition 14 2020, Direktionsrecht , Rn. 27, mit weiteren Verweisen zur Rechtsprechung des BAG. 28 Ebenda. 29 Ehrich in: Grobys/Panzer-Heemeier, StichwortKommentar Arbeitsrecht, 3. Auflage, Edition 14 2020, Direktionsrecht , Rn. 28, mit weiteren Verweisen zur Rechtsprechung des BAG. 30 Ehrich in: Grobys/Panzer-Heemeier, StichwortKommentar Arbeitsrecht, 3. Auflage, Edition 14 2020, Direktionsrecht , Rn. 29, mit weiteren Verweisen zur Rechtsprechung des BAG. 31 BAG, Urteil vom 18. Oktober 2017 – 10 AZR 330/16 –, juris Rn. 48. 32 BAG, Urteil vom 18. Oktober 2017 – 10 AZR 330/16 –, juris Rn. 45. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 100/20 Seite 9 Stehen der sachlich und betrieblich begründeten Weisung des Arbeitgebers ebenfalls starke Interessen des Arbeitnehmers an deren Unterbleiben entgegen, zum Beispiel eine etwaige Gefährdung seines Gesundheitszustandes, entfalten die Grundrechte des Arbeitnehmers über § 106 GewO mittelbare Drittwirkung und müssen in der Ausübung des billigen Ermessen berücksichtigt werden.33 Je einschneidender die Auswirkungen der kraft des Direktionsrechts erteilten Weisung für den Arbeitnehmer sind, desto sorgfältiger muss die Abwägung der beiderseitigen Interessen erfolgen. Eine Versetzung etwa, die für den Arbeitnehmer einer tiefgreifende Veränderung der Arbeitsumstände gleichkommt, ist nur durch eine unternehmerische Entscheidung gerechtfertigt, die eine Versetzung auch angesichts der für den Arbeitnehmer entstehenden Nachteile nahe legt und diese weder willkürlich noch missbräuchlich erscheinen lässt.34 Unbillig ist die Ausübung des Ermessens jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber alleine seine Interessen durchzusetzen versucht .35 Entscheidender Zeitpunkt für die gerichtliche Beurteilung, ob der Arbeitgeber bei der Erteilung einer Weisung kraft seines Direktionsrechts die Grenzen billigen Ermessens gewahrt hat, ist nicht der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, sondern der Zeitpunkt der Ausübung des Direktionsrechts. Waren zu diesem Zeitpunkt nachträgliche Entwicklungen jedoch bereits erkennbar , können diese für die Überprüfung der Entscheidung des Arbeitgebers von Bedeutung sein.36 *** 33 Tilmanns in: BeckOK Arbeitsrecht 57. Edition 2020, Rn. 52. 34 Ehrich in: Grobys/Panzer-Heemeier, StichwortKommentar Arbeitsrecht, 3. Auflage, Edition 14 2020, Direktionsrecht , Rn. 33, mit weiteren Verweisen zur Rechtsprechung des BAG. 35 Preis in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 21. Auflage 2021, § 106 GewO, Rn. 11. 36 Hoffmann/Schulte in: BeckOK GewO, § 106 GewO, Rn. 96.