© 2020 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 099/20 Beschäftigung und Selbständigkeit im Zusammenhang mit den Vorschlägen zur Einbeziehung von Selbständigen in die gesetzliche Rentenversicherung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 099/20 Seite 2 Beschäftigung und Selbständigkeit im Zusammenhang mit den Vorschlägen zur Einbeziehung von Selbständigen in die gesetzliche Rentenversicherung Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 099/20 Abschluss der Arbeit: 18. November 2020 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 099/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Gesetzliche Rentenversicherung vorrangig für Arbeitnehmer 4 2. Sozialrechtliche Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit 4 3. Arbeitsrechtliche Abgrenzung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern 5 4. Sozialversicherungspflicht bei Schutzbedürftigkeit 6 5. Vorschläge zur Einführung einer Vorsorge- oder Versicherungspflicht für (Solo-)Selbständige 7 6. Verzicht auf das Anfrageverfahren zur Statusfeststellung im Fall der Einbeziehung selbständig Tätiger in die gesetzliche Rentenversicherung 9 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 099/20 Seite 4 1. Gesetzliche Rentenversicherung vorrangig für Arbeitnehmer Identität und soziale Stellung der Menschen werden seit etwa dem Ende des 18. Jahrhunderts in westlichen Gesellschaften durch ihre Stellung im Erwerbsleben bestimmt. Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit kann als abhängige Beschäftigung oder als selbständige Tätigkeit erfolgen. Hieraus ergeben sich unterschiedliche steuerrechtliche, sozialrechtliche und arbeitsrechtliche Auswirkungen. Die im Sozialrecht geregelte obligatorische Einbeziehung in die sozialen Sicherungssysteme dient dem Schutz vor gewissen Wechselfällen des Lebens. In der gesetzlichen Rentenversicherung ist unter anderem das biometrische Risiko der Langlebigkeit geschützt. Neben den abhängig Beschäftigten unterliegen nur bestimmte selbständig Tätige der gesetzlichen Rentenversicherung, zum Beispiel arbeitnehmerähnliche Selbständige, die ohne eigene Mitarbeiter nur für einen Auftraggeber tätig sind. Bei einer abhängigen Beschäftigung sind die Sozialversicherungsbeiträge vom Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer paritätisch gemeinsam zu tragen, während bei einer versicherungspflichtigen selbständigen Tätigkeit die Beitragszahlung in der Regel in voller Höhe von der erwerbstätigen Person selbst zu tragen ist. Die meisten selbständigen Tätigkeiten werden jedoch nicht von der Sozialversicherung erfasst. Ob eine Erwerbstätigkeit als abhängige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit ausgeübt wird, hat somit Folgen für die Frage, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe von wem Beiträge zur Sozialversicherung zu zahlen sind. Eine Klärung der Beitragspflicht und wer für die Beitragszahlung haftet, ist insbesondere für arbeitnehmerähnliche Selbständige, andere Solo-Selbständige, Freie Mitarbeiter, Crowd-Worker und Freelancer von Bedeutung. Im Zusammenhang mit der zunehmenden Digitalisierung der Wirtschafts- und Arbeitswelt und der damit verbundenen vielfältigeren Erwerbsmöglichkeiten kommt der Einstufung einer Erwerbstätigkeit als abhängige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit seit geraumer Zeit immer größere Bedeutung zu. Der Regelbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung beträgt aktuell in Westdeutschland allein monatlich 592,41 EUR, sodass es für Unternehmen aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen vorteilhafter sein kann, geeignete Aufträge, zum Beispiel im IT-Bereich, extern zu vergeben und auf die Beschäftigung von festangestellten Arbeitnehmern zu verzichten. Dabei stellt sich das Problem der rechtssicheren Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit. Stellt sich im Nachhinein heraus, dass es sich um eine abhängige Beschäftigung handelt, kommen auf den Auftraggeber zum Teil beträchtliche Beitragsnachforderungen zu, die bei einem durchschnittlichen Verdienst allein für die gesetzliche Rentenversicherung durchaus über 25.000 Euro betragen können.1 Wurde eine selbständige Tätigkeit festgestellt, die der Versicherungspflicht unterliegt, gilt dies für den Auftragnehmer. 2. Sozialrechtliche Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit Der Begriff der selbständigen Tätigkeit wird im Sozialgesetzbuch nicht definiert. Deshalb ergibt sich das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit im Umkehrschluss nur dann, wenn eine abhängige Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IV) auszuschließen ist. Eine abhängige Beschäftigung ist hiernach die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine 1 Ausgehend vom 48-fachen Regelbeitrag. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 099/20 Seite 5 Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers . Weder in § 7 SGB IV noch in den spezialgesetzlichen Vorschriften über die Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung werden die im Regelfall für das Bestehen bzw. Nichtbestehen einer Versicherungspflicht maßgeblichen Abgrenzungsmerkmale einer abhängigen Beschäftigung näher definiert. Die Rechtsprechung hat daher die Merkmale einer Beschäftigung und diejenigen einer selbständigen Tätigkeit sowie die Grundsätze, nach denen die festgestellten Tatsachen gegeneinander abzuwägen sind, in einer umfangreichen Rechtsprechung entwickelt.2 Bei der Gesamtbetrachtung ist als Merkmal für eine selbständige Tätigkeit der Grad der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit zu beachten und, ob eine Erwerbsperson ein unternehmerisches Risiko trägt, unternehmerische Chancen wahrnimmt und hierfür Eigenwerbung betreiben kann. Zu typischen Merkmalen unternehmerischen Handelns gehört unter anderem, dass Leistungen im eigenen Namen und auf eigene Rechnung, statt im Namen und auf Rechnung des Auftraggebers erbracht werden, sowie die eigenständige Entscheidung über Einkaufs- und Verkaufspreise, Warenbezug, Einstellung von Personal, Einsatz von Kapital und eigener Maschinen, Zahlungsweise der Kunden, Art und Umfang der Kundenakquisition, Art und Umfang von Werbemaßnahmen. Im Rahmen des Statusfeststellungsverfahrens ist zu klären, ob mehr Merkmale für oder gegen ein bestehendes abhängiges Beschäftigungsverhältnis sprechen. In den Unternehmen findet gemäß § 28p SGB IV grundsätzlich alle vier Jahre eine Betriebsprüfung statt, die auch den sozialversicherungsrechtlichen Status einer Erwerbstätigkeit als abhängige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit und die daraus folgende Pflicht zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen betrifft. Um den beteiligten Personen auch in der Zeit vor und zwischen den turnusmäßigen Betriebsprüfungen Rechtssicherheit darüber zu verschaffen, ob im Rahmen der Auftragserledigung eine selbstständige Tätigkeit oder eine abhängige Beschäftigung vorliegt, ist ein Anfrageverfahren zur Statusklärung bei einer hierfür eingerichteten Clearingstelle geregelt. Mit diesem wird der Status aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles geprüft. Ergibt sich aufgrund der Gesamtwürdigung aller Umstände, dass eine vermeintlich als Selbständigkeit deklarierte Tätigkeit als abhängige Beschäftigung anzusehen ist, liegt eine sogenannte Scheinselbständigkeit vor. Unter Umständen werden die Sozialversicherungsbeiträge - Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmeranteile - vom Auftraggeber gemäß § 28e Abs. 4 SGB IV ab Beginn der nunmehr als Beschäftigung einzuordnenden Tätigkeit nachgefordert. Ansprüche der Sozialversicherungsträger auf Beitragszahlungen unterliegen gemäß § 25 SGB IV einer Verjährungsfrist von vier Jahren, bei vorsätzlicher Vorenthaltung sogar erst nach 30 Jahren. 3. Arbeitsrechtliche Abgrenzung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern Neben dem sozialversicherungsrechtlichen Status einer Erwerbstätigkeit als abhängige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit wird in Deutschland im Arbeitsrecht zwischen 2 Zur Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit in der Praxis vgl. Gemeinsame Rechtliche Anweisungen der Träger der Deutschen Rentenversicherung, § 7 SGB IV, abrufbar im Internet unter https://rvrecht.deutsche-rentenversicherung .de/SharedDocs/rvRecht/01_GRA_SGB/04_SGB_IV/pp_0001_25/gra_sgb004_p_0007.html#Inhalt_1_1, zuletzt abgerufen am 12. November 2020. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 099/20 Seite 6 Arbeitnehmern und Arbeitgebern unterschieden, da Arbeitnehmer eines besonderen Schutzes zum Ausgleich der strukturellen Unterlegenheit gegenüber dem Arbeitgeber bedürfen. Das Arbeitsrecht ist als Teil des Zivilrechts stärker von der Handlungsfreiheit geprägt als das dem öffentlichen Recht zugehörige Sozialversicherungsrecht. Deshalb gibt es zur Abgrenzung in beiden Rechtsgebieten im Detail abweichende Begriffsverständnisse und Verfahren. Das Arbeitsrecht kennt als Gegensatz zur Tätigkeit als Arbeitnehmer die selbständige Tätigkeit. Arbeitsrechtlich geht es um die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag und nicht etwa ein nicht dem Arbeitsrecht unterworfener Dienstleistungsvertrag vorliegt. Gegebenenfalls hat dies unter anderem Auswirkungen auf den Arbeitsschutz, den Mindestlohn, das Kündigungsrecht, die Anwendbarkeit von Tarifverträgen und die Mitbestimmung. Wesensmerkmal des Arbeitsvertrags ist gemäß § 611a Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), dass eine Person im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet wird. Durch den am 1. April 2017 in Kraft getretenen § 611a BGB kodifizierte der Gesetzgeber die gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Abgrenzung von Arbeitnehmern und selbständig Tätigen.3 Durch einen Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist - wie im Sozialrecht - eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. 4. Sozialversicherungspflicht bei Schutzbedürftigkeit Anknüpfungspunkt für die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ist die soziale Schutzbedürftigkeit, der unabhängig von der Höhe des Einkommens und dem bestehenden Risiko des Einzelnen zu begegnen ist. Zwar bedeutet die Auferlegung einer Versicherungspflicht zunächst eine finanzielle Belastung, sie bietet aber auf der anderen Seite den solidarischen Schutz der Versichertengemeinschaft. Im Gegensatz zu den abhängig Beschäftigten sind die meisten selbständig Tätigen nicht rentenversicherungspflichtig , weil sie nicht als schutzbedürftig angesehen werden. So ist davon auszugehen, dass insbesondere klassische Unternehmer eigene Vorkehrungen für ihren sozialen Schutz treffen können. Schwierig ist die Frage der Schutzbedürftigkeit für bestimmte selbständige Personengruppen, deren sozialer Lage eher der von abhängig Beschäftigten, als der von klassischen Unternehmern entspricht. So unterliegen beispielsweise Selbständige, die im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen und die auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind, als arbeitnehmerähnliche Selbständige aufgrund ihrer Schutzbedürftigkeit der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. In die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen sind gemäß § 2 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) ferner Lehrer und Erzieher sowie Pflegepersonen in der Kranken-, Wochen-, Säuglings- oder 3 Bundestagsdrucksache 18/9232, S.18. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 099/20 Seite 7 Kinderpflege ohne eigene Mitarbeiter, Hebammen und Entbindungspfleger, Künstler und Publizisten nach näherer Bestimmung des Künstlersozialversicherungsgesetzes, Hausgewerbetreibende , Küstenschiffer und Küstenfischer sowie Gewerbetreibende in Handwerksbetrieben. Außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung bestehen obligatorische Alterssicherungssysteme für Landwirte nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) und für in Kammern organisierte freie Berufe nach landesrechtlichen Regelungen über die Versorgungswerke der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker, Architekten, Notare, Rechtsanwälte, Steuerberater , Wirtschaftsprüfer, psychologische Psychotherapeuten und Ingenieure. Versorgungswerke sind jedoch nicht für alle freien Berufe eingerichtet worden. Wohl rund drei Millionen übrige Selbständige sind nicht obligatorisch abgesichert. Ob und inwieweit diese für das Alter vorgesorgt haben ist nicht hinreichend bekannt. Es ist anzunehmen, dass ein erheblicher Teil nur über eine unzureichende Alterssicherung verfügt und ohne weitere Maßnahmen später Leistungen der steuerfinanzierten Grundsicherung im Alter wird in Anspruch nehmen müssen.4 So betrug nach der Studie Alterssicherung in Deutschland 2015 (ASID 2015) der Anteil der zuletzt selbständig Tätigen Empfänger von Leistungen der Grundsicherung im Alter 3,7 Prozent gegenüber 2,1 Prozent bei zuletzt abhängig Beschäftigten.5 5. Vorschläge zur Einführung einer Vorsorge- oder Versicherungspflicht für (Solo-)Selbständige Seit vielen Jahren wird darüber diskutiert, den Kreis der in der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherten auf die Gruppe der Selbständigen auszuweiten, die bislang über keines der obligatorischen Systeme der Alterssicherung abgesichert sind. Im Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 2007 wurde festgestellt, dass sich die Erwerbstätigenstruktur in Deutschland seit Anfang der 1990er Jahre erheblich verändert habe. Die Grenzen zwischen den historisch gewachsenen Erwerbsformen – der abhängigen und der selbständigen Erwerbstätigkeit – seien zunehmend fließender geworden. Die Wahrscheinlichkeit, innerhalb eines Erwerbslebens den Erwerbsstatus zu wechseln, sei deutlich gestiegen. Hierdurch habe vor allem das so genannte Normalarbeitsverhältnis als dauerhaftes, kontinuierliches, sozialversicherungspflichtiges und existenzsicherndes Vollzeitarbeitsverhältnis an Bedeutung verloren.6 Durch den technischen Wandel und das größere Bedürfnis der Erwerbstätigen nach mehr Flexibilität dürfte sich auch in der Zukunft daran nichts ändern. Im politischen Raum werden eine Reihe von Vorschlägen zur Einführung einer Vorsorge- oder Versicherungspflicht für (Solo-)Selbständige diskutiert. Sie reichen von kleinen Lösungen wie der schlichten Einbeziehung von Selbständigen in die gesetzliche Rentenversicherung, die bislang keiner obligatorischen Pflichtversicherung unterliegen, bis hin zu großen Lösungen wie 4 Butzer, Hermann. Die Einführung einer Vorsorge- oder Versicherungspflicht für (Solo-)Selbständige, in VSSAR 3/2000, S. 216-217. 5 Vgl. Bundestagsdrucksache 18/10762, S. 57. 6 Bundestagsdrucksache 16/7300, S. 80. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 099/20 Seite 8 dem Umbau des bisherigen gegliederten Alterssicherungssystems zu einer generellen Erwerbstätigenversicherung.7 In der Rückschau gesetzgeberischer Überlegungen hatte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bereits im Frühjahr 2012 ein Eckpunktepapier zur Einführung der Altersvorsorgepflicht für selbständige Unternehmer vorgelegt.8 Danach sollte den Selbständigen die Wahl zwischen einer Lebensversicherung und einer privaten oder der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Basisrente überlassen bleiben. Nur die Selbständigen ohne jegliche Altersvorsorge sollten in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert werden. Das Vorhaben wurde letztlich unter anderem aufgrund des Widerstands von Betroffenenverbänden nicht weitergeführt und in der nachfolgenden Zeit die Hintergründe der sozialen Sicherung von Selbständigen wissenschaftlich untersucht.9 Eine im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales erstellte Studie kommt im Juni 2016 zum Ergebnis, bisher nicht obligatorisch abgesicherte Selbständige in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen, ihnen aber eine als Opt-out bezeichnete Möglichkeit der Befreiung bei entsprechender privater Vorsorge, etwa der Basis-Rente nach dem Altersvorsorgeverträge -Zertifizierungsgesetz – AltZertG, zu geben.10 Damit würde die Struktur der Alterssicherung respektiert, ohne dass es eines besonderen Versorgungswerkes für Solo-Selbständige bedürfe. Für die laufende Wahlperiode haben die Regierungsparteien vereinbart, Selbständige in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen und dabei eine Opt-out-Lösung und Altersvorsorgepflicht vorzusehen. Näher heißt es dazu: „Um den sozialen Schutz von Selbstständigen zu verbessern, wollen wir eine gründerfreundlich ausgestaltete Altersvorsorgepflicht für alle Selbstständigen einführen, die nicht bereits anderweitig obligatorisch (z. B. in berufsständischen Versorgungswerken) abgesichert sind. Grundsätzlich sollen Selbstständige zwischen der gesetzlichen Rentenversicherung und – als Opt-out-Lösung – anderen geeigneten insolvenzsicheren 7 Schmitt, Laura. Verfassungsrechtliche Determinanten einer Reform der Alterssicherung Selbständiger, in VSSAR 3/2018, S. 201- 202. 8 Vgl. Fußnote 4, S. 217 - 219. 9 Vgl. u.a. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Weißbuch Arbeiten 4.0, S. 55 ff., abrufbar im Internet unter https://www.bmas.de/DE/Service/Medien/Publikationen/a883-weissbuch.html, zuletzt abgerufen am 17. November 2020. 10 Preis, Ulrich und Temming, Felipe. Für ein modernes Rentenrecht: Die Einbeziehung von Selbständigen in die gesetzliche Rentenversicherung (GRV), Forschungsbericht Nr. 487, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Juli 2017, abrufbar im Internet unter https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF- Publikationen/Forschungsberichte/fb-487-fuer-ein-modernes-rentenrecht.pdf?__blob=publicationFile&v=1, zuletzt abgerufen am 17. November 2020. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 099/20 Seite 9 Vorsorgearten wählen können, wobei diese insolvenz- und pfändungssicher sein und in der Regel zu einer Rente oberhalb des Grundsicherungsniveaus führen müssen.“11 Aktuell werden im politischen Raum folgende Modelle für die Alterssicherung bisher nicht obligatorisch abgesicherter Selbständiger diskutiert:12 Altersvorsorgepflicht wenn ein noch zu gestaltendes Standardvorsorgeprodukt zur Altersvorsorge auf freiwilliger Basis die Verbreitung privater Absicherung nicht innerhalb drei Jahren signifikant erhöht, Einbeziehung von (Solo-)Selbständigen in die gesetzliche Rentenversicherung, mit der Möglichkeit zur Befreiung bei bereits vorhandener Absicherung (Opt-out), Wahlfreiheit zwischen privater Vorsorge und Sozialversicherungspflicht. Nachdem das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bereits im letzten Jahr eine Reihe von Fachgesprächen mit Verbänden und Sachverständigen geführt hat, ist mit der Vorlage eines Referentenentwurfs in dieser Wahlperiode zu rechnen.13 6. Verzicht auf das Anfrageverfahren zur Statusfeststellung im Fall der Einbeziehung selbständig Tätiger in die gesetzliche Rentenversicherung In § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist das Anfrageverfahren zur Klärung des Status als abhängig Beschäftigter oder selbständig Tätiger durch die bei der Deutschen Rentenversicherung Bund angesiedelten Clearingstelle geregelt. Zur Statusfeststellung antragsberechtigt sind Auftraggeber und -nehmer beziehungsweise Arbeitgeber und -nehmer. Im Rahmen des Statusfeststellungsverfahrens ist zu klären, ob mehr Merkmale für oder gegen ein bestehendes abhängiges Beschäftigungsverhältnis sprechen. Im Jahr 2019 wurde in rund 31.300 Anfrageverfahren über den Status entschieden. In etwa 65 Prozent der Fälle ist eine selbständige Tätigkeit festgestellt worden.14 Liegt eine selbständige Tätigkeit vor, wird im Anschluss an das Statusfeststellungsverfahren geprüft, ob Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung, zum Beispiel für Selbständige mit einem Auftraggeber, besteht.15 11 Koalitionsvertrag vom 12. März 2018, S. 93, abrufbar im Internet unter https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975226/847984/5b8bc23590d4cb2892b31c987ad672b7/2018- 03-14-koalitionsvertrag-data.pdf?download=1, zuletzt abgerufen am 17. November 2020. 12 Vgl. Fußnote 4, S. 220. 13 Bundestagsdrucksache 19/16819, S. 5/6. 14 Geschäftsbericht der Deutschen Rentenversicherung Bund 2019, Seite 21, abrufbar im Internet unter https://www.deutscherentenversicherung .de/Bund/DE/Allgemein/Downloads/Geschaeftsberichte/geschaeftsbericht_download.pdf;jse ssionid=38341896A55AF32F13FC5F7E7B878059.delivery2-3-replication?__blob=publicationFile&v=14, zuletzt abgerufen am 18. November 2020. 15 Gemeinsame Rechtliche Anweisungen, § 7a Anfrageverfahren, Ziff. 2.4.4.2. Keine versicherungspflichtige Beschäftigung, abrufbar im Internet unter https://rvrecht.deutscherentenversicherung .de/SharedDocs/rvRecht/01_GRA_SGB/04_SGB_IV/pp_0001_25/gra_sgb004_p_0007a.html#d oc1576236bodyText19 zuletzt abgerufen am 18. November 2020. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 099/20 Seite 10 Auch im Fall der Einbeziehung selbständig Tätiger in die gesetzliche Rentenversicherung ist in Zweifelsfällen die Frage, ob eine abhängige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit ausgeübt wird, für die hälftige Beitragstragung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder die Beitragstragung durch den Selbständigen als Auftragnehmer in voller Höhe weiterhin von Bedeutung. Auch ändert die Einbeziehung selbständig Tätiger in die gesetzliche Rentenversicherung nichts an den Regelungen über die Versicherungspflicht in anderen Zweigen der Sozialversicherung. Das Anfrageverfahren zur Statusfeststellung würde daher auch im Fall der Einbeziehung selbständig Tätiger in die gesetzliche Rentenversicherung nicht entbehrlich werden. ***