© 2020 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 098/20 Ablösung der früheren Beruf- und Erwerbsunfähigkeits- durch die Erwerbsminderungsrente Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 098/20 Seite 2 Ablösung der früheren Beruf- und Erwerbsunfähigkeits- durch die Erwerbsminderungsrente Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 098/20 Abschluss der Arbeit: 12. November 2020 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 098/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab dem Jahr 2001 4 2. Frühere Leistungsfälle der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit 5 3. Leistungsfall der teilweisen und vollen Erwerbsminderung seit dem Jahr 2001 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 098/20 Seite 4 1. Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab dem Jahr 2001 Der Erwerbsminderungsschutz stellt seit den Anfängen der gesetzlichen Rentenversicherung einen wesentlichen Bestandteil der Risikoabsicherung dar. Dabei sah die frühere Rentenversicherung der Angestellten im Gegensatz zur Invalidenversicherung der Arbeiter von Beginn an einen Berufsschutz vor: War die Ausübung des Berufs aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich und kam eine der Qualifikation entsprechende Verweisungstätigkeit nicht in Betracht, konnte eine Berufsunfähigkeitsrente geleistet werden. Die große Rentenreform 1957 sah eine deutliche Angleichung der Bestimmungen für Arbeiter und Angestellte vor. Auch für Arbeiter war seitdem bei Berufsunfähigkeit eine Rentenzahlung vorgesehen.1 Mit dem Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1992 - RRG 1992) vom 18. Dezember 1989 sind die früheren Berufsunfähigkeits- und Erwerbsunfähigkeitsrenten unter dem Oberbegriff „Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit“ in einem Titel zusammengefasst und in den §§ 43 ff. des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) geregelt worden .2 Neben dem Eintritt der verminderten Erwerbsfähigkeit sind für einen Rentenanspruch die Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen und der allgemeinen Wartezeit als Mindestversicherungszeit erforderlich. Hierfür müssen regelmäßig in den letzten fünf Jahren mindestens drei Jahre Pflichtbeiträge und insgesamt eine Beitragszahlung für mindestens fünf Jahre vorliegen . Eine grundlegende Neugestaltung der Absicherung des Risikos der Erwerbsminderung erfolgte mit dem Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000, das die Ablösung der vorherigen Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten durch eine zweistufige Erwerbsminderungsrente vorsah. Die Kriterien der für einen Rentenanspruch erforderlichen Leistungsminderung ergeben sich aus folgenden gesetzlichen Bestimmungen: alte Fassung (a.F.) bis 2000: neue Fassung (n.F.) ab 2001: § 43 Abs. 1 SGB VI Teilweise Erwerbsminderung § 43 Abs. 2 SGB VI Berufsunfähigkeit Volle Erwerbsminderung § 44 Abs. 2 SGB VI Erwerbsunfähigkeit § 240 Abs. 2 SGB VI Teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit 1 Bundestagsdrucksache 02/2437, S. 70. Weitergehende Informationen zu den Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit enthält unter anderem die von der Deutschen Rentenversicherung Bund im September 2018 herausgegebene Broschüre „Die Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit - Grundsätze der Deutschen Rentenversicherung “, DRV-Schriften, Band 96. 2 Zu den Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ist ferner die Rente für Bergleute aus der Knappschaftlichen Rentenversicherung gemäß § 45 SGB VI zu zählen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 098/20 Seite 5 2. Frühere Leistungsfälle der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit Als Leistungsfall einer verminderten Erwerbsfähigkeit war vor dem Jahr 2001 der Eintritt einer Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit vorgesehen. Bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen konnte gegebenenfalls die Zahlung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit oder einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erfolgen. Gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI a. F. lag Berufsunfähigkeit für Versicherte vor, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken war. Als Maßstab für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit kamen alle Erwerbstätigkeiten in Betracht , die dem individuellen Leistungsvermögen, den Fähigkeiten und dem jeweiligen beruflichen Werdegang nach zumutbar waren. Aufgrund des Berufsschutzes konnten qualifizierte Versicherte , die in ihrer letzten Erwerbstätigkeit beziehungsweise zumutbaren Verweisungsberufen nur noch unter halbschichtig leistungsfähig waren, unabhängig von ihrem Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, eine Berufsunfähigkeitsrente erhalten. Erwerbsunfähig waren Versicherte gemäß § 44 Abs. 2 SGB VI a. F., die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande waren, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder nicht mehr als geringfügige Einkünfte durch eine Erwerbstätigkeit zu erzielen. Das aufgrund der Leistungsminderung entgangene Einkommen sollte durch die Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeitsrente ersetzt werden. Deshalb entsprach das Sicherungsziel der Erwerbsunfähigkeitsrente mit einem vollständig erloschenen Restleistungsvermögen dem einer Altersrente. Die Berechnung einer Erwerbsunfähigkeitsrente orientierte sich deshalb an den für Altersrente maßgebenden Faktoren. Neben dem Bezug einer Berufsunfähigkeitsrente konnte dagegen noch ein Erwerbseinkommen im Rahmen des Restleistungsvermögens auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erzielt werden, so dass nur die Differenz zum Einkommen aus dem bisherigen qualifizierten Beruf durch die Rentenzahlung auszugleichen war. Berufsunfähigkeitsrenten betrugen daher nur zwei Drittel einer Erwerbsunfähigkeitsrente. Seit der Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wird zur Beurteilung des Leistungsvermögens grundsätzlich nur noch auf die zeitliche Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt abgestellt. Abgesehen von der unten näher erläuterten Übergangsregelung für zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Reform über 40-jährige Versicherte spielt der berufliche Status nun keine Rolle mehr. Die Außerkraftsetzung des Berufsschutzes für Versicherte mit besonderer Qualifikation in herausgehobenen Positionen war hinsichtlich des Grundsatzes der Gleichbehandlung geboten, nach dem die Versicherten im Maße ihrer Beitragszahlung und nicht ihres Status gleiche Möglichkeiten haben müssen, Leistungen der Versicherung in Anspruch nehmen zu können.3 3 Bundestagsdrucksache 14/4230, Seite 24. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 098/20 Seite 6 3. Leistungsfall der teilweisen und vollen Erwerbsminderung seit dem Jahr 2001 Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung besteht seit dem Jahr 2001 bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI n. F. für Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Da nicht mehr auf den zuvor ausgeübten Beruf abgestellt wird, kann die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht als Ersatz der vorherigen Berufsunfähigkeitsrente angesehen werden. Es handelt sich hierbei vielmehr um eine neue Rentenart, die unabhängig von der Qualifikation geleistet werden kann. Die Privilegierung von Versicherten mit höherer beruflicher Qualifikation, wie sie die frühere Rente wegen Berufsunfähigkeit vorgesehen hatte, ist lediglich für vor dem 2. Januar 1961 geborene Versicherte beibehalten worden. So besteht für diese gegebenenfalls gemäß § 240 SGB VI n. F. Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit . Gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI n. F. besteht bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung für Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Das Restleistungsvermögen ist gegebenenfalls als erloschen anzusehen. Die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist insoweit an die Stelle der früheren Renten wegen Erwerbsunfähigkeit getreten. Gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI n. F. ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Die jeweilige Lage auf dem Arbeitsmarkt ist hier nicht zu berücksichtigen. Daraus ergibt sich jedoch im Umkehrschluss, dass bei einem Leistungsvermögen von unter sechs Stunden täglich die jeweilige Lage auf dem Arbeitsmarkt zu berücksichtigen ist. An sich nur teilweise erwerbsgeminderte Versicherte mit einem über dreistündigen bis unter sechsstündigem Restleistungsvermögen können daher eine Rente wegen voller Erwerbsminderung als sogenannte Arbeitsmarktrente in Anspruch nehmen, wenn der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen ist. Der Teilzeitarbeitsmarkt ist verschlossen, wenn die Arbeitsagentur dem Versicherten innerhalb eines Jahres keinen seinem Gesundheitszustand entsprechenden Arbeitsplatz vermitteln konnte. Diese von der Rechtsprechung für die vorherige Berufsunfähigkeitsrente entwickelte sogenannte konkrete Betrachtungsweise ist insoweit für die Erwerbsminderungsrenten übernommen worden.4 Die für einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung erforderlichen übrigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen und die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit von fünf Jahren blieben durch die Reform im Jahr 2001 unberührt. Wie zuvor die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit soll die Rente wegen voller Erwerbsminderung das aufgrund der Leistungsminderung entgangene Einkommen in voller Höhe ersetzen und entspricht daher hinsichtlich der Rentenberechnung einer Altersrente. Neben dem Bezug einer 4 Vgl. Leitsätze des Großen Senats des Bundessozialgerichts vom 10. Dezember 1976, Az. GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75, GS 3/76. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 098/20 Seite 7 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ist dagegen noch im Rahmen des Restleistungsvermögens eine Teilzeitbeschäftigung möglich. Sie beträgt deshalb nur die Hälfte einer Rente wegen voller Erwerbsminderung. Für vor dem 2. Januar 1961 geborene berufsunfähige Versicherte ist zwar auch ab 2001 über die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit aus Vertrauensschutzgründen auf den bisherigen Beruf abzustellen; dennoch ist mit der Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im Vergleich zum vorherigen Recht eine geringere Rentenhöhe verbunden. So beträgt die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nicht mehr zwei Drittel, sondern nur noch die Hälfte einer Altersrente. ***