© 2013 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 098/13 Beitragssatzbestimmung in der gesetzlichen Rentenversicherung für das Jahr 2014 Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 098/13 Seite 2 Beitragssatzbestimmung in der gesetzlichen Rentenversicherung für das Jahr 2014 Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 098/13 Abschluss der Arbeit: 11. November 2013 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 098/13 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Gesetzliche Grundlagen zur Beitragssatzbestimmung 4 2. Vom vorgesehenen Verfahren abweichende Beitragssatzbestimmung 5 3. Aktuelle Finanzlage der Rentenversicherung 5 4. Kurzfristige Optionen für das Jahr 2014 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 098/13 Seite 4 1. Gesetzliche Grundlagen zur Beitragssatzbestimmung Einnahmen der allgemeinen Rentenversicherung1 sind gemäß § 153 Abs. 2 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) insbesondere die von den Versicherten und Arbeitgebern zu zahlenden Beiträge und die Zuschüsse des Bundes. Die Beiträge werden gemäß § 157 i. V. m. §§ 161 ff. SGB VI in der Regel nach einem Prozentsatz (=Beitragssatz) von den versicherten Erwerbseinkommen erhoben. Die Anpassung der Renten sowie die Festsetzung des Beitragssatzes und des Bundeszuschusses sind in einen selbstregulierenden Mechanismus eingebunden, mit dem ein Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben in der umlagefinanzierten Rentenversicherung gewährleistet ist. Danach ist der Beitragssatz gemäß § 158 SGB VI für jedes Kalenderjahr im Voraus so festzusetzen, dass die Beitragseinnahmen und Bundeszuschüsse die Ausgaben eines Kalenderjahres decken und dass für den Ausgleich von Einnahmeschwankungen zum Ende des Kalenderjahres, für das der Beitragssatz zu bestimmen ist, eine Rücklage vorhanden sein wird, die mindestens das 0,2fache und höchstens das 1,5fache der durchschnittlichen monatlichen Ausgaben der allgemeinen Rentenversicherung beträgt.2 Eine Veränderung des Beitragssatzes ist zwingend zur Steuerung der Einnahmen vorgeschrieben, wenn die Mindestrücklage voraussichtlich unter- oder die Höchstrücklage überschritten wird. Gegebenenfalls hat die Bundesregierung den neuen Beitragssatz in der Rentenversicherung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates festzusetzen. Veränderungen des Beitragssatzes beeinflussen die Höhe des Bundeszuschusses und die jährlich zum 1. Juli durchzuführenden Rentenanpassungen: Bei einer Verringerung des Beitragssatzes mindert sich nach § 213 Abs. 2 Satz 2 SGB VI die Höhe des Bundeszuschusses und die Renten werden nach § 68 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 und Abs. 3 stärker erhöht. Dies wirkt sich durch die daraus folgenden höheren Rentenausgaben entsprechend abschwächend auf die weitere Entwicklung des Beitragssatzes aus. Steigt der Beitragssatz dagegen an, erhöht sich zugleich auch der Bundeszuschuss , während die nächste Rentenanpassung gedämpft wird. Diese Rückkoppelungseffekte sind bei Eingriffen in den Selbstregulierungsmechanismus zu beachten. Die mit der Rentenreform 1992 eingeführte Korrelation von Beitragssatz, Bundeszuschuss und Rentenanpassung sollte bewirken, dass deren Werte sich Jahr für Jahr von selbst und nicht erst aufgrund neuer Abwägungs- und Entscheidungsprozesse des Gesetzgebers ergeben. Daher sind in den §§ 69 und 160 SGB VI für Veränderungen des Beitragssatzes und die Anpassung der Renten anstelle der bis 1991 erlassenen formellen Bundesgesetze entsprechende Verordnungsermächtigen vorgesehen. Dies sollte insbesondere das Vertrauen in die Beständigkeit und Verlässlichkeit der Rentenversicherung fördern.3 1 Auf die Besonderheiten der knappschaftlichen Rentenversicherung wird im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen . 2 Flecken, Hans-Ludwig (2012): Sozialgesetzbuch – 6. Buch Rentenversicherung. In: Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.), Übersicht über das Sozialrecht. Nürnberg, BW Bildung und Wissen, Rd. 19. 3 Begründung zum Rentenreformgesetz 1992, BR-Drs. 120/89, S. 138 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 098/13 Seite 5 2. Vom vorgesehenen Verfahren abweichende Beitragssatzbestimmung In der Vergangenheit wurde der Beitragssatz abweichend vom vorgesehenen Verfahren aus unterschiedlichen Gründen häufig nicht durch die Bundesregierung per Rechtsverordnung, sondern durch den Gesetzgeber bestimmt. So wurden Veränderungen des Beitragssatzes seit dem Jahr 2000 nur zweimal durch Beitragssatzverordnungen geregelt. Dagegen bestimmten in sechs Jahren formelle Bundesgesetze über die Höhe des Beitragssatzes. Entsprechende Rechtsverordnungen wurden in den Jahren 2001 und 2012 und entsprechende Bundesgesetze in den Jahren 2000, 2002 bis 2004, 2007 und 2013 erlassen. In den übrigen Jahren war eine Veränderung des Beitragssatzes nicht angezeigt, da sich die Rücklage nach den erwarteten Einnahmen und Ausgaben am Jahresende innerhalb des vorgesehenen Korridors zwischen Mindest- und Höchstrücklage befand. Auch für das Jahr 2013 hatte sich die Bundesregierung entschlossen, den Beitragssatz nicht wie vorgesehen durch eine Rechtsverordnung, sondern durch ein eigenes Gesetz festzulegen. Damit sollte auf gestiegene Unsicherheiten im wirtschaftlichen Umfeld, insbesondere aufgrund der Krise in der Eurozone, reagiert und frühzeitig für Klarheit und Planungssicherheit gesorgt werden.4 Im Bundesrat gab es dagegen Bestrebungen, den Beitragssatz nicht bzw. nicht in vollem Umfang abzusenken.5 Letztlich wurde der Beitragssatz durch das Gesetz zur Festsetzung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung für das Jahr 2013 (Beitragssatzgesetz 2013) von 19,6 auf 18,9 Prozent abgesenkt. Dieser Wert entsprach nach der Finanzlage der Rentenversicherung dem Selbstregulierungsmechanismus und sollte nach der Ende 2012 prognostizierten Finanzentwicklung dazu führen, dass die Rücklage von 1,53 Monatsausgaben Ende 2013 auf 0,73 Monatsausgaben Ende 2017 abschmilzt.6 3. Aktuelle Finanzlage der Rentenversicherung Fachleute des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, des Bundesversicherungsamtes und der Deutschen Rentenversicherung Bund treffen sich in der Regel viermal jährlich zur Bewertung der aktuellen Finanzlage und zur Vorausberechnung der kurz-, mittel- und langfristigen Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben der Rentenversicherung. Dieses Schätzerkreis genannte Gremium greift dabei unter anderem auf die Eckdaten der Bundesregierung zur voraussichtlichen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zurück. Die Rentenversicherung wird nach der so genannten Oktober-Schätzung das Haushaltsjahr 2013 mit einem höheren Überschuss als erwartet abschließen und die Nachhaltigkeitsrücklage auf voraussichtlich 1,75 Monatsausgaben anwachsen. Damit wird sie deutlich oberhalb der Höchstrücklage von 1,5 Monatsausgaben liegen. Insoweit haben sich die Finanzen der Rentenversicherung günstiger entwickelt als im Jahr zuvor prognostiziert, so dass nunmehr nach dem Selbstregulierungsmechanismus eine Absenkung des Beitragssatzes auf 18,3 Prozent zwingend vorgeschrieben 4 BT-Drs. 17/10743. 5 Vgl. u. a. BR-Drs. 626/1/12. 6 Viebrock, Holger (2012). Die Finanzlage der allgemeinen Rentenversicherung im Jahr 2012 und die Beitragssätze zur Rentenversicherung ab dem Jahr 2013. In: RVaktuell 12/2012, S. 388. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 098/13 Seite 6 ist. Nach Berechnungen der Deutschen Rentenversicherung Bund würde sich die Rücklage gegebenenfalls rasch verringern. Bereits im Jahr 2018 würde sie die Untergrenze von 0,2 Monatsausgaben unterschreiten, so dass der Beitragssatz dann wieder anzuheben wäre.7 Auf dieser Grundlage hat die Bundesregierung nach dem im Gesetz vorgesehenen Verfahren eine Rechtsverordnung auf den Weg zu bringen, nach der der Beitragssatz ab Januar 2014 auf 18,3 Prozent gesenkt wird. Dieser Rechtsverordnung muss der Bundesrat noch zustimmen. Dabei dürfte es sich lediglich um eine förmliche Prüfung des Bundesrats handeln. Ein Gestaltungsspielraum besteht insoweit nicht. 4. Kurzfristige Optionen für das Jahr 2014 Im politischen Raum gab es bereits in der letzten Wahlperiode Vorschläge, den Beitragssatz zur Rentenversicherung auch bei günstiger Finanzentwicklung zugunsten höherer Rücklagen bzw. Leistungsausweitungen entgegen dem Selbstregulierungsmechanismus nicht zu senken.8 Auch bei den aktuellen Koalitionsgesprächen wurde offenbar eine Aussetzung der sich nach dem geltenden Recht ergebenden Absenkung des Beitragssatzes zur gesetzlichen Rentenversicherung thematisiert.9 Hierzu wäre bis zum Jahresende eine gesetzliche Regelung zu verabschieden, nach der beispielsweise die Höchstrücklage auf das zweifache einer Monatsausgabe angehoben oder abweichend vom Selbstregulierungsmechanismus durch ein erneutes Beitragssatzgesetz die Beibehaltung des bisherigen Beitragssatzes geregelt wird. Hierfür müsste wegen der Eilbedürftigkeit voraussichtlich vom sonst üblichen Gesetzgebungsverfahren abgewichen werden. Sollte eine solche gesetzliche Regelung nicht mehr zustande kommen und der Beitragssatz im vorgesehenen Verfahren ab 1. Januar 2014 aufgrund einer Rechtsverordnung auf 18,3 Prozent abgesenkt werden, könnte eine anschließend im üblichen Gesetzgebungsverfahren verabschiedete neuerliche Erhöhung nur für die Zukunft gelten. Dabei müsste nicht bis zum Ablauf des Jahres 2014 gewartet werden. Unterjährige Änderungen des Beitragssatzes hat es bereits mehrfach, zuletzt mit Inkrafttreten des Beitragssatzgesetzes 1999 zum 1. April 1999, gegeben.10 Eine rückwirkende Erhöhung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung würde dagegen dem Prinzip der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und damit dem Rechtsstaatsgebot aus Art. 20 GG entgegenstehen. Zwar hat es hierzu im Sozialrecht noch keine vergleichbaren Regelungen gegeben , jedoch kann in diesem Zusammenhang das Verbot der Rückwirkung im Steuerrecht analog 7 Rede des Vorsitzenden des Bundesvorstandes der Deutschen Rentenversicherung Bund, Alexander Gunkel, auf dem 9. aktuellen Presseseminar am 29. und 30. Oktober 2013 in Würzburg. Abrufbar im Internet unter: http://www.deutsche-rentenversicherung.de/cae/servlet/contentblob/323252/publicationFile/62581/ rede _gunkel.pdf, zuletzt abgerufen am 12. November 2013. 8 Vgl. Bundestags-Drucksachen 17/10775, 17/10779, 17/11010. 9 U. a. Frankfurter Allgemeine vom 3. November 2013: „Union und SPD greifen nach der Rentenkasse“. Abrufbar im Internet unter: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/koalitionsverhandlungen-union-undspd -greifen-nach-der-rentenkasse-12646541.html, zuletzt abgerufen am 12. November 2013. 10 Beitragssatzgesetz 1999 vom 19. Dezember 1998 (BGBl. I S. 3843, 3848). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 098/13 Seite 7 herangezogen werden. Als verbotene Rückwirkung verfassungswidrig ist danach eine belastende Abänderung eines Steuergesetzes, die nach Ablauf des Veranlagungszeitraums verkündet wird und für diesen Zeitraum die Rechtsfolgen nachträglich ändert.11 Dies kann im Sozialrecht nicht anders beurteilt werden. So war eine von einer gesetzlichen Krankenkasse im Jahre 2002 geplante rückwirkende Erhöhung des Beitragssatzes ebenfalls aus juristischen Gründen nicht möglich.12 Hinzu kämen neben den rechtlichen Argumenten gegen eine rückwirkende Erhöhung des Beitragssatzes noch Komplikationen bei der bürokratischen Umsetzung. Dies gilt insbesondere für das Lohnabzugsverfahren, nach dem der vom versicherten Arbeitnehmer zu tragende Anteil durch den Arbeitgeber vom Entgelt einbehalten und mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die Krankenkasse als Einzugsstelle weitergeleitet wird. Nicht abschätzbar wäre zudem der Verlust des Vertrauens in die Beständigkeit und Verlässlichkeit der Rentenversicherung. 11 Walz, Fischer (2003): Grundlagen des Steuerrechts für Einsteiger. In: JuS 2003, S. 240. 12 Die Welt vom 4. Dezember 2002: „AOK erhöht Beitragssatz auf 15,5 Prozent“. Abrufbar im Internet unter: http://www.welt.de/print-welt/article286143/AOK-erhoeht-Beitragssatz-auf-15-5-Prozent.html, zuletzt abgerufen am 12. November 2013.