© 2020 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 096/20 Einzelfragen zu Leistungen der Eingliederungshilfe nach §§ 90 ff. SGB IX Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 096/20 Seite 2 Einzelfragen zu Leistungen der Eingliederungshilfe nach §§ 90 ff. SGB IX Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 096/20 Abschluss der Arbeit: 25. November 2020 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 096/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Grundzüge des gegliederten Rehabilitationssystems und der verfahrensrechtlichen Regelungen nach Teil 1 des SGB IX 4 3. Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohte Menschen 6 3.1. Grundzüge der Eingliederungshilfe 6 3.2. Antrag auf Eingliederungshilfe 8 3.2.1. Antragserfordernis und Leistungsbeginn, § 108 Abs. 1 SGB IX 8 3.2.2. Ausnahmen vom Antragserfordernis, § 108 Abs. 2 SGB IX 9 3.3. Durchführung des Gesamtplanverfahrens, §§ 117 ff. SGB IX 10 4. Regelungen zu vorläufigen Leistungen, Kostenerstattung und Vorschüssen 11 4.1. Vorläufige Leistungen in Eilfällen vor der Gesamtplankonferenz, § 120 Abs. 4 SGB IX 12 4.2. Erstattung selbstbeschaffter Leistungen bei unaufschiebbaren oder zu Unrecht abgelehnten Leistungen, § 18 Abs. 6 SGB IX 12 4.2.1. Unaufschiebbare Leistung 12 4.2.2. Zu Unrecht abgelehnte Leistung 13 4.2.3. Übrige Voraussetzungen und Rechtsfolge 14 4.3. Vorschüsse, § 42 SGB I 15 4.4. Vorläufige Eintrittspflicht des Trägers bei ungeklärter örtlicher Zuständigkeit, § 98 Abs. 2 SGB IX 15 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 096/20 Seite 4 1. Fragestellung Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages wurden um Auskunft zu mehreren Fragen hinsichtlich der Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe zwischen Antragstellung und Bewilligung gebeten. Der folgende Sachstand legt zunächst die Grundzüge des gegliederten Rehabilitationsrechts und der Eingliederungshilfe dar. Sodann werden das zum 1. Januar 2020 eingeführte Antragserfordernis für Leistungen der Eingliederungshilfe und die diesbezüglichen Ausnahmen, auch in Hinblick auf die Weiterbewilligung von Leistungen, beschrieben. Abschließend werden Rechtsgrundlagen, die unter bestimmten Voraussetzungen vorläufige Leistungserbringungen , Kostenerstattungen oder Vorschüsse auf Leistungen ermöglichen, dargestellt. 2. Grundzüge des gegliederten Rehabilitationssystems und der verfahrensrechtlichen Regelungen nach Teil 1 des SGB IX Das gegliederte System der sozialen Sicherung in Deutschland kennzeichnet auch das Recht der Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Abhängig vom Grund und dem Ziel einer Leistung, der Behinderungsursache und den individuellen Versicherungsvoraussetzungen können unterschiedliche rechtliche Regelungen gelten und auch verschiedene Kostenträger (Rehabilitationsträger) für Leistungen zuständig sein. Das Neunte Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen - (SGB IX) enthält dabei eine bereichsübergreifende Zusammenfassung von Rechtsvorschriften zur Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohten Menschen. Ziel des SGB IX ist es, behinderungsbedingte Nachteile auszugleichen und die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohter Menschen sowie ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft durch besondere Sozialleistungen (Leistungen zur Teilhabe) zu fördern, vgl. § 1 Satz 1 SGB IX.1 Diese Teilhabeleistungen umfassen ein weites Spektrum an Leistungen und werden in unterschiedliche Leistungsgruppen unterteilt (§ 5 SGB IX): Leistungen zur medizinischen Rehabilitation , Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen , Leistungen zur Teilhabe an Bildung und Leistungen zur Sozialen Teilhabe. Die Leistungen zur Teilhabe wiederum sind nicht einem eigenständigen Sozialleistungsbereich übertragen. Sie sind vielmehr eingebettet in den Aufgabenbereich einer Reihe von Leistungsträgern , die bei den Leistungen zur Teilhabe als Rehabilitationsträger bezeichnet werden.2 1 Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), Übersicht über das Sozialrecht, 16. Auflage 2019, Kapitel 9, Überblick. 2 BMAS, Übersicht über das Sozialrecht, 16. Auflage 2019, Kapitel 9, Rn. 14. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 096/20 Seite 5 Die Rehabilitationsträger, also die Träger der Leistungen für Teilhabe, sind unter anderem die gesetzlichen Krankenkassen, die Bundesagentur für Arbeit, die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung , die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, die Träger der öffentlichen Jugendhilfe und die Träger der Eingliederungshilfe, § 6 SGB IX. Für die Leistungserbringung selbst sind die jeweils für den zuständigen Rehabilitationsträger einschlägigen Leistungsgesetze maßgebend. Das heißt, welcher Rehabilitationsträger unter welchen Voraussetzungen welche Leistungen zur Teilhabe im Einzelfall zu erbringen hat, richtet sich nach den für den einzelnen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen, § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IX. Der die Eingliederungshilfe regelnde Teil 2 des SGB IX ist ein solches Leistungsgesetz. Das Nebeneinander unterschiedlicher Rehabilitationsträger mit teilweise überschneidenden Zuständigkeiten für Rehabilitationsleistungen erfordert einen besonderen Koordinierungsaufwand seitens der Leistungsträger, insbesondere bei trägerübergreifendem Rehabilitationsbedarf.3 Um Nachteilen des gegliederten Systems für Menschen mit Behinderungen oder solchen, die von Behinderung bedroht sind, entgegenzuwirken beziehungsweise diese abzubauen, enthält Teil 1 für alle Rehabilitationsträger, also auch für die Träger der Eingliederungshilfe, geltende Regelungen für das Verwaltungsverfahren. Diese betreffen unter anderem die (beschleunigte) Klärung von Zuständigkeitsfragen , Bedarfsermittlung und Kooperation und Koordinierung der Rehabilitationsträger .4 So setzt beispielsweise § 14 SGB IX enge zeitliche Grenzen zur Klärung der Zuständigkeit und für die Bedarfsfeststellung und Leistungserbringung, um so für die Betroffenen eine möglichst zeitnahe Entscheidung über die Rehabilitationsleistung zu erreichen.5 § 15 SGB IX regelt die Leistungsverantwortung bei mehreren zuständigen Rehabilitationsträgern. § 13 SGB IX verpflichtet die Rehabilitationsträger, zur Bedarfsermittlung systematische Arbeitsprozesse und standarisierte Arbeitsmittel (Instrumente) zu verwenden.6 Sind Leistungen verschiedener Leistungsgruppen oder mehrerer Rehabilitationsträger erforderlich , ist verbindlich ein sogenanntes Teilhabeplanverfahren (§§ 19 ff. SGB IX) durchzuführen, um die Zusammenarbeit der Träger sicherzustellen.7 Der leistende Rehabilitationsträger, das heißt, der Träger, der zuerst geleistet hat8, ist dafür verantwortlich, dass er und die beteiligten Rehabilitationsträger im Benehmen miteinander und in Abstimmung mit den Leistungsberechtigten 3 Vgl. Schaumberg, Die Sozialgerichtsbarkeit (SGb) 2019, S. 142-149. 4 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG), Bundestagsdrucksache 18/9522 vom 5. September 2016, S. 192. 5 Jabben in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht, 58. Edition, Stand: 1. September 2020, SGB IX § 14, Vorbemerkungen. 6 BMAS, Übersicht über das Sozialrecht, 16. Auflage 2019, Kapitel 9, Rn. 8. 7 BMAS, Übersicht über das Sozialrecht, 16. Auflage 2019, Kapitel 9, Rn. 18. 8 Joussen in: Dau/Düwell/Joussen, Sozialgesetzbuch IX, 5. Auflage 2019, § 19, Rn. 5. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 096/20 Seite 6 die nach dem individuellen Bedarf voraussichtlich erforderlichen Leistungen hinsichtlich Ziel, Art und Umfang funktionsbezogen feststellen und schriftlich oder elektronisch so zusammenstellen , dass sie nahtlos ineinandergreifen, § 19 Abs. 1 SGB IX. Die Leistungen zur Teilhabe sollen so trotz der gegliederten Aufgabenverteilung zwischen den verschiedenen Trägern für den Leistungsberechtigten wie aus einer Hand erbracht werden.9 3. Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohte Menschen 3.1. Grundzüge der Eingliederungshilfe Mit dem Bundesteilhabegesetz vom 23. Dezember 201610 wurde das Recht der Eingliederungshilfe stufenweise in weiten Teilen neu geregelt. Es wurde aus dem Recht der Sozialhilfe im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII) herausgelöst und mit Wirkung zum 1. Januar 2020 in das SGB IX eingefügt. Die Leistungen der Eingliederungshilfe wurden damit von den existenzsichernden Leistungen nach dem SGB XII getrennt. Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es, leistungsberechtigten Personen11 eine individuelle Lebensführung zu ermöglichen, die der Würde des Menschen entspricht, und die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern. Die Leistung soll sie befähigen , ihre Lebensplanung und -führung möglichst selbstbestimmt und eigenverantwortlich wahrnehmen zu können, § 99 Abs. 1 SGB IX. Leistungsberechtigt sind grundsätzlich Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohte Menschen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Menschen mit einer wesentlichen Behinderung oder die von einer wesentlichen Behinderung bedroht sind einerseits sowie Personen mit anderen körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen andererseits. Während bei wesentlichen Behinderungen ein gebundener Rechtsanspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe besteht, steht der Anspruch bei anderen Behinderungen im Ermessen des Leistungsträgers (§ 99 SGB IX in Verbindung mit § 53 SGB XII in der Fassung vom 31. Dezember 2019).12 Die möglichen Leistungen der Eingliederungshilfe sind sehr umfassend. Sie ist zwar gegenüber allen anderen Rehabilitationsleistungen nachrangig, weist jedoch das größte Leistungsspektrum 9 BMAS, Übersicht über das Sozialrecht, 16. Auflage 2019, Kapitel 9, Rn. 18. 10 Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG), BGBl. I 2016 Nr. 66, S. 3234. 11 Die Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche ist in § 35a des Achten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VIII) - Kinder- und Jugendhilfe - geregelt. 12 Jabben in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht, 58. Edition, Stand: 1. September 2020, SGB IX § 99, Rn. 3. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 096/20 Seite 7 auf.13 Die Leistungen der Eingliederungshilfe umfassen Leistungen der medizinischen Rehabilitation , der Teilhabe am Arbeitsleben, der Teilhabe an Bildung und der Sozialen Teilhabe, § 102 Abs. 1 SGB IX. Wie erwähnt, sind die Leistungen der steuerfinanzierten Eingliederungshilfe nachrangig gegenüber anderen Leistungen; sie stellen laut Gesetzbegründung „das unterste soziale Leistungssystem für Menschen mit erheblichen Teilhabeeinschränkungen dar“.14 Sie erhält nicht, wer die erforderliche Leistung von anderen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält, § 91 Abs. 1 SGB IX. „Andere“ können beispielsweise private Berufsunfähigkeitsversicherungen oder Angehörige sein15, unerheblich auf welchem Rechtsgrund (zum Beispiel Vertrag, Gesetz, sittliche Pflicht) die Leistungen basieren und ob ein entsprechender Anspruch besteht.16 Als vorrangige Leistungen anderer Sozialleistungsträger kommen etwa Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen oder für erwerbsfähige Personen Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach §§ 16 ff. Zweites Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) in Betracht.17 Maßgeblich ist, dass die leistungsberechtigte Person die Leistung tatsächlich erhält und nicht nur einen Anspruch darauf hat.18 Leistungen der Eingliederungshilfe sind auch gegenüber der Selbsthilfe des Betroffenen nachrangig . Sie sind überwiegend bedürftigkeitsabhängige, das heißt einkommens- und vermögensabhängige Fürsorgeleistungen, zu denen nach Maßgabe der §§ 135 ff. SGB IX19 ein Beitrag aufzubringen ist, § 92 SGB IX. Die Leistungen der Eingliederungshilfe bestimmen sich gemäß § 104 SGB IX nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Bedarfes, den persönlichen Verhältnissen, dem Sozialraum und den eigenen Kräften und Mitteln; dabei ist auch die Wohnform zu würdigen. Sie werden so lange geleistet, wie die Teilhabeziele nach Maßgabe des Gesamtplans (siehe unter 3.3) erreichbar sind. Den Wünschen der Leistungsberechtigten, die sich auf die Gestaltung der Leistung richten, ist zu entsprechen, soweit sie angemessen sind, § 104 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Die Leistungen werden als Sach-, Geld- oder Dienstleistungen erbracht (§ 105 Abs. 1 SGB IX). Grundsätzlich können Sachleistungen zur Teilhabe, die nicht in Rehabilitationseinrichtungen 13 Bieback in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, Sozialhilfe, 7. Auflage 2020, SGB IX, § 90, Rn. 1. 14 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG), Bundestagsdrucksache 18/9522 vom 5. September 2016, S. 197. 15 Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB IX, 3. Auflage, Stand: 6. Mai 2019, § 91, Rn. 8. 16 Bieback in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, Sozialhilfe, 7. Auflage 2020, SGB IX, § 91, Rn. 16. 17 Bieback in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, Sozialhilfe, 7. Auflage 2020, SGB IX, § 91, Rn. 4 ff. 18 Bieback in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, Sozialhilfe, 7. Auflage 2020, SGB IX, § 91, Rn. 3. 19 Die Regelungen zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen bei der Eingliederungshilfe unterscheiden sich von den Bestimmungen der Einkommens- und Vermögensanrechnung sowohl bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) als auch der Hilfe zum Lebensunterhalt der Sozialhilfe (SGB XII). So sind etwa die Freibetragsgrenzen höher. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 096/20 Seite 8 auszuführen sind, auf Antrag der Leistungsberechtigten als Geldleistungen erbracht werden, wenn die Leistungen hierdurch voraussichtlich bei gleicher Wirksamkeit wirtschaftlich zumindest gleichwertig ausgeführt werden können, § 8 Abs. 2 SGB IX. Einige Leistungen zur Sozialen Teilhabe können mit Zustimmung des Leistungsberechtigten auch in Form einer pauschalen Geldleistung erbracht werden, §§ 105 Abs. 3, 116 Abs. 1 SGB IX. Auf Antrag werden die Leistungen der Eingliederungshilfe auch als Teil eines Persönlichen Budgets gemäß § 29 SGB IX ausgeführt . Bei der Entscheidung über die Leistungen und bei der Ausführung der Leistungen zur Teilhabe ist berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten zu entsprechen, § 8 SGB IX. Nach § 106 SGB IX werden die Leistungsberechtigten vom Träger der Eingliederungshilfe beraten und, soweit erforderlich, unterstützt. 3.2. Antrag auf Eingliederungshilfe 3.2.1. Antragserfordernis und Leistungsbeginn, § 108 Abs. 1 SGB IX Seit der seit dem 1. Januar 2020 geltenden Herauslösung der Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe und der Einfügung in das SGB IX werden die Leistungen der Eingliederungshilfe grundsätzlich auf Antrag erbracht, § 108 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. Mit der Antragstellung beginnt das Verwaltungsverfahren , § 18 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X). Das zuvor auch für die Eingliederungshilfe geltende Offizialprinzip, nach dem der Träger bei Kenntnis vom Leistungsfall von Amts wegen tätig zu werden hat (§ 18 SGB XII), wird im Sozialhilferecht mit der Notwendigkeit begründet, die Leistungen zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage unverzüglich erbringen zu können, ohne dass ein förmlicher Antrag vorliegen muss. Laut Gesetzesbegründung trete bei der Eingliederungshilfe keine „gegenwärtige Notlage“ ein, die mit Notsituationen im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII vergleichbar sei und ein Festhalten an der Offizialmaxime rechtfertigen könne. Zwischen der Hilfe zum Lebensunterhalt und den Leistungen der Eingliederungshilfe bestehe vielmehr bereits insoweit ein Unterschied , als ein bestehender Bedarf an Leistungen der Eingliederungshilfe erst im Rahmen eines umfassenden Gesamtplanverfahrens ermittelt werden könne (siehe hierzu unten 3.3). Es reiche grundsätzlich nicht aus, dass die Leistungsberechtigung noch ungewiss sei, sondern die Notlage beziehungsweise der Bedarf an Eingliederungshilfe müsse dem Leistungsträger so bekannt sein, dass tatsächlich Hilfe erwartet werden könne.20 Das Antragserfordernis steht darüber hinaus im Zusammenhang mit den Regelungen zur Klärung der Zuständigkeit nach den §§ 14, 15 SGB IX, da es sich bei den Eingliederungsleistungen um Leistungen zur Teilhabe im Sinne dieser Normen handelt (siehe hierzu näher unter 2).21 20 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG), Bundestagsdrucksache 18/9522 vom 5. September 2016, S. 282. 21 Gutzler in: Hauck/Noftz, SGB, 01/20, § 108 SGB IX, Rn. 6; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG), Bundestagsdrucksache 18/9522 vom 5. September 2016, S. 282. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 096/20 Seite 9 In der Praxis ist dem Antragsvorbringen nicht immer eindeutig zu entnehmen, welche Leistungen der Eingliederungshilfe genau begehrt werden, da den Betroffenen die vielfältigen Möglichkeiten nicht immer genau bekannt sein dürften. Nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz ist im Zweifel davon auszugehen, dass ohne Rücksicht auf den Wortlaut eines Antrags all die Leistungen begehrt werden, die dem Hilfebedürftigen den größten Nutzen bringen können.22 § 108 Abs. 1 S. 2 SGB IX bestimmt den Beginn der Leistungen. Dies ist frühestens der Erste des Monats der Antragstellung, wenn zu diesem Zeitpunkt die Leistungsvoraussetzungen bereits vorlagen . Die Eingliederungshilfe wird damit wie in der Regel andere antragsabhängige Sozialleistungen regelmäßig rückwirkend ab Antragstellung gewährt.23 Eine rückwirkende Leistungsgewährung vor den Monatsersten der Antragstellung kommt ausdrücklich nicht in Betracht.24 3.2.2. Ausnahmen vom Antragserfordernis, § 108 Abs. 2 SGB IX Ausnahmen vom Antragserfordernis sieht § 108 Abs. 2 SGB IX vor. Danach ist für Leistungen, deren Bedarf im Gesamtplanverfahren nach den §§ 117 ff. SGB IX (siehe hierzu unter 3.3) ermittelt worden ist, kein Antrag zu stellen. Wird in einem Gesamtplanverfahren ein Bedarf für bisher nicht beantragte Eingliederungshilfeleistungen ermittelt, so sind diese zu gewähren, ohne dass es eines entsprechenden Antrags bedürfte . Dies gilt nicht nur für das anfängliche Gesamtplanverfahren, sondern auch für das Verfahren zur Überprüfung und Fortschreibung des Gesamtplans. Ein Antrag auf Weiterbewilligung nach Ablauf des Bewilligungszeitraums ist damit nicht notwendig.25 Die (reine) Verlängerung einer bestimmten Maßnahme setzt regelmäßig keinen neuen Antrag voraus, sondern ist von Amts wegen zu bewilligen, wenn das Teilhabeziel noch nicht erreicht wurde.26 Mit der Ausnahmeregelung vom Antragserfordernis sollen Nachteile sowohl für leistungsberechtigte Personen als auch Leistungsträger vermieden werden, etwa wenn aus Unkenntnis der Ansprüche einzelne Leistungen nicht beantragt werden. Auch soll verhindert werden, dass nach Ablauf des Bewilligungszeitraums Leistungen nicht gewährt werden können und die Menschen mit Behinderungen damit zumindest vorübergehend von einer gleichberechtigten Teilhabe am 22 Gutzler in: Hauck/Noftz, SGB, 01/20, § 108 SGB IX, Rn. 7. 23 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG), Bundestagsdrucksache 18/9522 vom 5. September 2016, S. 282. 24 Bieback in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, Sozialhilfe, 7. Auflage 2020, SGB IX, § 108, Rn. 3. 25 Bieback in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, Sozialhilfe, 7. Auflage 2020, SGB IX, § 108, Rn. 4; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG), Bundestagsdrucksache 18/9522 vom 5. September 2016, S. 282. 26 Projekt „Umsetzungsbegleitung Bundesteilhabegesetz“, BTHG-Kompass - Schnittstellen: Eingliederungshilfe - Gesetzliche Pflegeversicherung - Hilfe zur Pflege - fda-m9894, abrufbar unter: https://umsetzungsbegleitungbthg .de/bthg-kompass/bk-schnittstellen/eingliederungshilfe-gesetzliche-pflegeversicherung-hilfe-zur-pflege/fdam 9894/ (zuletzt abgerufen am 20. November 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 096/20 Seite 10 Leben in der Gesellschaft ausgeschlossen wären, weil vergessen wurde, einen neuen Antrag zu stellen. Zudem wäre das uneingeschränkte Antragserfordernis mit einem erheblichen Aufwand sowohl für die Leistungsberechtigten als auch für die Leistungsträger verbunden. Dabei ist laut Gesetzesbegründung auch zu berücksichtigen, dass Menschen mit Behinderungen in der Regel dauerhaft und nicht nur vorübergehend auf Leistungen der Eingliederungshilfe angewiesen seien.27 Die Ausnahmeregelung gilt grundsätzlich nicht, wenn der Erstantrag eine konkrete, abgrenzbare, nicht verlängerbare Teilhabeleistung betraf und der Leistungsberechtigte nach der Erledigung des die Leistung bewilligenden Verwaltungsaktes eine neue Teilhabeleistung begehrt.28 3.3. Durchführung des Gesamtplanverfahrens, §§ 117 ff. SGB IX Werden Leistungen der Eingliederungshilfe beantragt, ist - ergänzend zu den allgemeinen Vorgaben des Teils 1 des SGB IX - zwingend ein Gesamtplanverfahren nach §§ 117 ff. SGB IX zur Feststellung der Leistungen durchzuführen, und zwar auch bei Einzelleistungen. Laut Gesetzesbegründung ist die Gesamtplanung die Grundlage für die Sicherstellung einer bedarfsdeckenden personenzentrierten Leistungserbringung. Die Gesamtplanung erfolgt umfassend unter ganzheitlicher Perspektive. Die Bedarfsermittlung und -feststellung erstreckt sich auf alle Lebenslagen des Menschen mit Behinderungen und erfolgt nach bundeseinheitlichen Maßstäben .29 Bei der Durchführung sind bestimmte Kriterien zu beachten, § 117 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX. So hat das Gesamtplanverfahren beispielsweise trägerübergreifend und interdisziplinär zu erfolgen. Die Bedarfsermittlung darf sich dabei nicht nur auf die Teilhabeaspekte beschränken, die mithilfe von Eingliederungshilfeleistungen voraussichtlich überwunden werden können, sondern hat die Bedarfe einer Person ganzheitlich zu erfassen. Ferner sind die fachlichen Disziplinen zu beteiligen, die über die für die Ermittlung und Feststellung des Bedarfs notwendige Fachkompetenz verfügen.30 Das Gesamtplanverfahren dient der Ermittlung, Planung, Steuerung, Dokumentation und Wirkungskontrolle von im Rahmen der Eingliederungshilfe erbrachten Teilhabeleistungen. Zum Ge- 27 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG), Bundestagsdrucksache 18/9522 vom 5. September 2016, S. 282. 28 Projekt „Umsetzungsbegleitung Bundesteilhabegesetz“, BTHG-Kompass - Schnittstellen: Eingliederungshilfe - Gesetzliche Pflegeversicherung - Hilfe zur Pflege - fda-m9894, abrufbar unter: https://umsetzungsbegleitungbthg .de/bthg-kompass/bk-schnittstellen/eingliederungshilfe-gesetzliche-pflegeversicherung-hilfe-zur-pflege/fdam 9894/ (zuletzt abgerufen am 20. November 2020). 29 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG), Bundestagsdrucksache 18/9522 vom 5. September 2016, S. 197, 287. 30 Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und der Eingliederungshilfe (BAGüS), Orientierungshilfe zur Gesamtplanung §§ 117 ff. SGB IX / §§ 141 ff. SGB XII, Stand: Februar 2018, S. 8, abrufbar unter: https://www.lwl.org/spur-download/bag/02_2018an.pdf (zuletzt abgerufen am 20. November 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 096/20 Seite 11 samtplanverfahren gehören unter anderem die Beratung und Unterstützung des Leistungsberechtigten , die Dokumentation seiner Wünsche zu Ziel und Art der Leistungen sowie die individuelle Bedarfsermittlung anhand eines oder mehrerer Bedarfsermittlungsinstrumente, § 117 SGB IX. Mit Zustimmung des Leistungsberechtigten kann eine Gesamtplankonferenz durchgeführt werden , in der der Träger der Eingliederungshilfe, der Leistungsberechtigte und beteiligte Leistungsträger gemeinsam auf der Grundlage des Ergebnisses der Bedarfsermittlung beraten, § 119 SGB IX. Nach der Bedarfsermittlung erfolgen die Bedarfsfeststellung und die Feststellung der durch die jeweiligen Träger zu erbringenden Leistungen.31 Unverzüglich nach der Feststellung der Leistungen stellt der Träger der Eingliederungshilfe einen Gesamtplan insbesondere zur Durchführung der einzelnen Leistungen oder einer Einzelleistung auf, § 121 Abs. 1 SGB IX. Auf Grundlage des Gesamtplans erlässt der Träger der Eingliederungshilfe den Verwaltungsakt über die festgestellten Eingliederungshilfeleistungen (Bewilligung), § 120 Abs. 2 SGB IX. Der Gesamtplan soll regelmäßig, spätestens nach zwei Jahren, überprüft und fortgeschrieben werden , § 121 Abs. 2 SGB IX. 4. Regelungen zu vorläufigen Leistungen, Kostenerstattung und Vorschüssen Wie bereits oben unter 3.2.1 ausgeführt, geht der Gesetzgeber grundsätzlich davon aus, dass Leistungen der Eingliederungshilfe - im Gegensatz zu den existenzsichernden Leistungen der Sozialhilfe nach dem SGB XII - in der Regel nicht eilbedürftig sind. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber , wie dargelegt, Regelungen geschaffen, um insbesondere die Klärung aufgrund des gegliederten Rehabilitationssystems bestehenden Zuständigkeits- und Abgrenzungsfragen zu beschleunigen und eine zügige Leistungsgewährung aus einer Hand zu gewährleisten. In Hinblick auf die Eingliederungshilfe ist dabei ferner zu berücksichtigen, dass diese gegenüber anderen Leistungen , insbesondere von anderen Rehabilitationsträgern, nachrangig und zudem beitragsabhängig ist, also in der Regel eine Einkommens- und Vermögensprüfung erfolgt (siehe unter 3.1). Dessen ungeachtet können in bestimmten Fällen auch vor Abschluss des Verfahrens Leistungen in unterschiedlicher Form erbracht werden. Nachfolgend werden Regelungen dargestellt, die eine vorläufige Leistungserbringung, eine Erstattung für Aufwendungen selbst selbstbeschaffter Leistungen der Eingliederungshilfe oder Vorschusszahlungen vorsehen. Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit; maßgebend sind auch hier die jeweiligen Umstände des Einzelfalls . 31 Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und der Eingliederungshilfe (BAGüS), Orientierungshilfe zur Gesamtplanung §§ 117 ff. SGB IX / §§ 141 ff. SGB XII, Stand: Februar 2018, S. 5, abrufbar unter: https://www.lwl.org/spur-download/bag/02_2018an.pdf (zuletzt abgerufen am 20. November 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 096/20 Seite 12 4.1. Vorläufige Leistungen in Eilfällen vor der Gesamtplankonferenz, § 120 Abs. 4 SGB IX Gemäß § 120 Abs. 4 SGB IX erbringt der Träger der Eingliederungshilfe in einem Eilfall Leistungen der Eingliederungshilfe vor Beginn der Gesamtplankonferenz vorläufig, wobei sich der Umfang der vorläufigen Gesamtleistung nach pflichtgemäßen Ermessen bestimmt. Ein Eilfall liegt vor, wenn eine sofortige beziehungsweise zeitnahe Leistungserbringung vor der Durchführung einer Gesamtplankonferenz erforderlich ist. Dies kann nach der Gesetzesbegründung zum Beispiel der Fall sein, wenn ein Angehöriger, mit dem ein Leistungsberechtigter zusammen wohnt, plötzlich verstirbt.32 Zu erbringen sind nur die Leistungen der Eingliederungshilfe, nicht auch die Leistungen für die übrigen möglicherweise in dem Gesamtplanverfahren zutage getretenen Bedarfe in der Zuständigkeit anderer Rehabilitationsträger. Das Ermessen des Trägers der Eingliederungshilfe bezieht sich auf den Umfang der Leistungen, wobei nicht nur die Quantität der Leistung, sondern auch die Art und Weise der zu erbringenden Leistungen im Ermessen steht. Dabei ist neben der Dichte der tatsächlichen Feststellungen auch die mit der Nichterbringung verbundene Gefahr für die Verwirklichung der Teilhaberechte des Menschen mit Behinderungen zu berücksichtigen.33 4.2. Erstattung selbstbeschaffter Leistungen bei unaufschiebbaren oder zu Unrecht abgelehnten Leistungen, § 18 Abs. 6 SGB IX § 18 Abs. 6 SGB IX sieht eine Pflicht zur Kostenerstattung selbstbeschaffter Leistungen unter bestimmten Umständen vor. Leistungsberechtigte haben einen Anspruch auf Kostenerstattung, wenn der Rehabilitationsträger eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Leistungsberechtigten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, soweit die Leistung notwendig war. Der Kostenerstattungsanspruch gilt auch gegenüber Trägern der Eingliederungshilfe, § 18 Abs. 7 SGB IX. Erstattungsansprüche wegen Untätigkeit des Leistungsträger nach § 18 Abs. 1 bis 5 SGB IX sind hingegen gegenüber Trägern der Eingliederungshilfe ausgeschlossen, § 18 Abs. 7 SGB IX. 4.2.1. Unaufschiebbare Leistung Ob eine Leistung unaufschiebbar ist, ist allein nach dem medizinisch und rehabilitationswissenschaftlich zu beurteilenden objektiven Bedarf zu bestimmen. Dem Betroffenen darf es nicht möglich oder zumutbar sein, vor der Beschaffung die Entscheidung des Trägers abzuwarten. Bis zur 32 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG), Bundestagsdrucksache 18/9522 vom 5. September 2016, S. 289; Bieback in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, Sozialhilfe, 7. Auflage 2020, SGB IX, § 120, Rn. 6. 33 Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB IX, 3. Auflage, Stand: 6. Mai 2019, § 120, Rn. 19. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 096/20 Seite 13 Entscheidung darf also zum Zeitpunkt der tatsächlichen Ausführung der Leistung keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs mehr bestehen.34 Unaufschiebbar kann eine Leistung aber auch dann sein, wenn durch eine Verzögerung die Zwecke der Rehabilitation erschwert oder gar vereitelt werden oder der Rehabilitationserfolg gefährdet wird.35 Grundsätzlich muss vor Inanspruchnahme der Leistung zunächst Kontakt zum Träger aufgenommen werden, damit dieser die objektive Verfügbarkeit prüfen und hierüber informieren kann. Eine Unfähigkeit zur rechtzeitigen Kontaktaufnahme darf ausnahmsweise nur dann unterstellt werden, wenn die Leistung so dringlich ist, dass gerade der durch die Kontaktaufnahme mit dem Leistungsträger bedingte zeitliche Aufschub unzumutbar ist. Die hierdurch bedingte Verzögerung müsste also absehbar zu einer raschen Gefährdung der Bedarfsdeckung (zum Beispiel in Form einer raschen Verschlechterung des Gesundheitszustandes) führen.36 4.2.2. Zu Unrecht abgelehnte Leistung Ein Erstattungsanspruch kann auch bestehen, wenn der Träger eine notwendige Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Betroffenen dadurch für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Einer zu Unrecht abgelehnten Leistung ist eine Leistung gleichzusetzen, deren Bewilligung zu Unrecht aufgehoben wurde. Ob eine Leistung zu Unrecht abgelehnt wurde, beurteilt sich nach § 14 SGB IX in Verbindung mit den jeweiligen Anspruchsnormen nach dem SGB IX und den für die jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden spezialgesetzlichen Regelungen der Leistungsgesetze, bei der Eingliederungshilfe also dem Teil 2 des SGB IX.37 Die Leistungsablehnung erfolgte zu Unrecht, wenn sie sich nachträglich als rechtswidrig erweist. So zum Beispiel, wenn ein Rechtsanspruch auf die Leistung bestand, Ermessen fehlerhaft oder gar nicht ausgeübt wurde oder Leistungsvoraussetzungen fälschlicherweise verneint worden sind. Die Leistung muss zudem zuvor verlangt beziehungsweise beantragt und abgelehnt worden sein. Auch dürfen die zu erstattenden Kosten erst nach der Ablehnungsentscheidung entstanden sein.38 34 Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB IX, 3. Auflage, Stand: 6. Mai 2019, § 18, Rn. 53. 35 Joussen in: Dau/Düwell/Joussen, Sozialgesetzbuch IX, 5. Auflage 2019, § 19, Rn. 9; Ulrich in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB IX, 3. Auflage, Stand: 29. Januar 2018, § 18, Rn. 55. 36 Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB IX, 3. Auflage, Stand: 6. Mai 2019, § 18, Rn. 55. 37 Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB IX, 3. Auflage, Stand: 6. Mai 2019, § 18, Rn. 56 f. 38 Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB IX, 3. Auflage, Stand: 6. Mai 2019, § 18, Rn. 58 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 096/20 Seite 14 Die unrichtige Ablehnung eines Antrags kann sich im Rahmen eines Überprüfungsantrages oder eines Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelverfahrens ergeben. Das Ergebnis dieses Verfahrens muss vor der Selbstbeschaffung aber nicht abgewartet werden.39 4.2.3. Übrige Voraussetzungen und Rechtsfolge Für den Kostenerstattungsanspruch müssen die Voraussetzungen für den Primäranspruch, das heißt den ursprünglichen Leistungsanspruch, erfüllt sein. Erforderlich ist daher, dass die selbstbeschaffte Rehabilitationsleistung zu den Leistungen gehört, welche der Leistungsträger systemkonform als Leistung zu erbringen hat. Es muss sich vorliegend folglich um eine Leistung der Eingliederungshilfe handeln und der die Erstattung Begehrende muss nach der materiellen Rechtslage im Hinblick auf den Primäranspruch leistungsberechtigt gewesen sein.40 Zwischen der Nichterbringung einer unaufschiebbaren Leistung oder der rechtswidrigen Ablehnung der Leistung und der Selbstbeschaffung muss Kausalität, also ein Ursachenzusammenhang, bestehen.41 Der Erstattungsanspruch kann auf eine Entschädigung in Geld oder auf Befreiung von einer Verbindlichkeit gegenüber einem Leistungserbringer gerichtet sein. Die Kosten der selbst beschafften Leistung müssen nicht bereits vom Leistungsberechtigten tatsächlich bezahlt worden sein.42 Die Erstattungsregelung hat den Zweck, den Berechtigten so zu stellen, wie er bei rechtzeitiger oder rechtmäßiger Gewährung einer gesetzlichen Leistung stehen würde und umfasst daher grundsätzlich nur solche Kosten, von denen der Leistungsberechtigte bei regulärer Leistungserbringung befreit wäre.43 Allerdings dürfte der Erstattungsumfang nicht zwingend auf denjenigen Betrag begrenzt sein, den der zuständige Rehabilitationsträger für die Erbringung derselben erforderlichen Leistung hätte aufwenden müssen. Vielmehr können unter Umständen die Kosten in der Höhe zu erstatten sein, wie sie aus der Sicht des Leistungsberechtigten nach den für ihn bestehenden Handlungsalternativen als wirtschaftlich anzusehen waren.44 39 Jabben in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht, 58. Edition, Stand: 1. September 2020, SGB IX § 18, Rn. 12. 40 Ulrich in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB IX, 3. Auflage, Stand: 29. Januar 2018, § 18, Rn. 47. 41 Jabben in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht, 58. Edition, Stand: 1. September 2020, SGB IX § 18, Rn. 10. 42 Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB IX, 3. Auflage, Stand: 6. Mai 2019, § 18, Rn. 64. 43 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG), Bundestagsdrucksache 18/9522 vom 5. September 2016, S. 239; Joussen in: Dau/Düwell/Joussen, Sozialgesetzbuch IX, 5. Auflage 2019, § 19, Rn. 9. 44 Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB IX, 3. Auflage, Stand: 6. Mai 2019, § 18, Rn. 67; vgl. auch Wurm in: Schell, SGB IX, Stand: 7. November 2018, § 18, Rn. 23. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 096/20 Seite 15 4.3. Vorschüsse, § 42 SGB I Nach § 42 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) - Allgemeiner Teil - kann der zuständige Leistungsträger Vorschüsse zahlen, wenn ein Anspruch auf Geldleistung dem Grunde nach besteht und zur Feststellung seiner Höhe noch längere Zeit erforderlich ist. Die Höhe der Vorschüsse hat der Träger nach pflichtgemessen Ermessen zu bestimmen. Der Leistungsträger muss Vorschüsse zahlen, wenn der Leistungsberechtigte dies beantragt. Vorschüsse nach § 42 SGB I können dem Wortlaut nach grundsätzlich nur für auf Geldleistungen gerichtete Ansprüche auf Sozialleistungen gewährt werden. Erforderlich ist, dass der Anspruch dem Grunde nach besteht. Das bedeutet, dass nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen feststehen muss, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind, aufgrund derer der Berechtigte eine Leistung beanspruchen kann.45 Ein Anspruch dem Grunde nach ist auch gegeben, wenn feststeht, dass ein Sozialleistungsanspruch dem Grunde nach besteht, dessen rechtliche Grundlage aber noch unklar ist.46 Es muss voraussichtlich eine längere Zeit der Ermittlung zur Feststellung der Höhe des Anspruchs erforderlich sein. Eine allgemeingültige Frist kann insoweit nicht bestimmt werden, da sie für die einzelnen Leistungsbereiche mit den unterschiedlichen Formen der Dringlichkeit von Leistungen gesondert festzulegen ist.47 Liegt kein Antrag auf Vorschussleistungen vor und sind die Voraussetzungen des § 42 SGB I erfüllt , so entscheidet der Leistungsträger nach pflichtgemäßen Ermessen, ob und in welcher Höhe ein Vorschuss von Amts wegen gezahlt wird. Auch der Beginn der Vorschusszahlung liegt im Ermessen des Trägers. Auch wenn der Leistungsberechtigte Vorschüsse beantragt hat, liegt die Festsetzung der Höhe des Vorschusses weiterhin im Ermessen der Behörde und kann zum Beispiel in Bagatellfällen auch Null betragen.48 Werden Vorschüsse beantragt, so hat die Vorschusszahlung spätestens nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des Antrags zu beginnen, § 42 Abs. 1 Satz 2 SGB I. 4.4. Vorläufige Eintrittspflicht des Trägers bei ungeklärter örtlicher Zuständigkeit, § 98 Abs. 2 SGB IX Grundsätzlich gilt, dass für die Eingliederungshilfe der Träger der Eingliederungshilfe örtlich zuständig ist, in dessen Bereich die leistungsberechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt 45 Gutzler in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht, 58. Edition, Stand: 1. September 2020, SGB I § 42, Rn. 5. 46 Groth in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB I, 3. Auflage, Stand: 14. April 2020, § 42, Rn. 29. 47 Gutzler in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht, 58. Edition, Stand: 1. September 2020, SGB I § 42, Rn. 7. 48 Gutzler in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht, 58. Edition, Stand: 1. September 2020, SGB I § 42, Rn. 3. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 096/20 Seite 16 zum Zeitpunkt der ersten Antragstellung nach § 108 Abs. 1 SGB IX hat oder in den zwei Monaten vor den Leistungen einer Betreuung über Tag und Nacht zuletzt gehabt hatte, § 98 Abs. 1 SGB IX. Kann der gewöhnliche Aufenthalt der leistungsberechtigten Person nicht beziehungsweise nicht innerhalb von vier Wochen ermittelt werden, hat der für den tatsächlichen Aufenthalt zuständige Träger der Eingliederungshilfe über die Leistung unverzüglich zu entscheiden und sie vorläufig zu erbringen, § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. ***