© 2019 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 096/19 Konzessionsbereitschaft bezüglich Arbeitsbedingungen nach Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 096/19 Seite 2 Konzessionsbereitschaft bezüglich Arbeitsbedingungen nach Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 096/19 Abschluss der Arbeit: 13. September 2019 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 096/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. Entwicklung von Konzessionsbereitschaft und Reservationslohn 5 2.1. Vor Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende 5 2.2. Nach Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende 6 2.3. Aktuelle Situation 9 3. Gesetzliche Einschränkung des Mindestlohnanspruchs 9 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 096/19 Seite 4 1. Einführung Im Rahmen der sogenannte „Hartz“-Gesetzgebung der Jahre 2002/2003, die vor allem den Abbau der zum damaligen Zeitpunkt hohen Arbeitslosigkeit zum Ziel hatte, wurde durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt das Zweite Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) geschaffen,1 das die bisherigen Leistungen der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe für erwerbsfähige Hilfebedürftige zu einer einheitlichen Grundsicherung für Arbeitsuchende zusammengeführt hat. Das Gesetz, das am 1. Januar 2005 in Kraft trat, sollte eine intensivere Unterstützung der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen bei der Eingliederung in Arbeit nach dem Grundsatz des „Förderns und Forderns“ gewährleisten. Damit war jedoch eine Reihe von Änderungen und Verschärfungen gegenüber der zuvor geltenden Rechtslage verbunden. Erwerbsfähige Hilfebedürftige erhalten nach den Bestimmungen des SGB II ein Arbeitslosengeld II (ALG II), das nicht mehr am vorher erzielten Erwerbseinkommen orientiert ist, sondern am gesetzlich definierten Bedarf. Die Leistung soll das soziokulturelle Existenzminimum gewährleisten . Nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld. Hinsichtlich der Anrechnung von Einkommen und Vermögen wird nicht mehr allein auf den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen abgestellt , sondern auf die Bedarfsgemeinschaft. Erwerbsfähige Leistungsberechtigte müssen aktiv an allen Maßnahmen zu ihrer Eingliederung mitwirken. Unter dem Gesichtspunkt der Aktivierung wurde unter anderem die Regelung der Zumutbarkeit verschärft. Nach § 10 SGB II ist für erwerbsfähige Hilfebedürftige nun mit wenigen, enumerativ aufgelisteten Ausnahmen grundsätzlich jede angebotene Erwerbstätigkeit zumutbar, auch wenn sie der vorher ausgeübten Tätigkeit oder dem Ausbildungsniveau nicht entspricht oder mit ungünstigeren Arbeitsbedingungen verbunden ist. Erwerbsfähige Leistungsberechtigte sind nach der Gesetzesbegründung verpflichtet, die Belastung der Allgemeinheit durch ihre Hilfebedürftigkeit zu minimieren.2 Das Leistungssystem des SGB II setzt damit erwerbsfähige Hilfebedürftige unter Druck zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Mit Wirkung vom 1. Februar 2006 wurde aber auch die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (SGB III) auf in der Regel zwölf Monate begrenzt; Ausnahmen gelten seither nur für ältere Arbeitnehmer.3 Nach Ende des Arbeitslosengeldbezugs droht bei Hilfebedürftigkeit ebenfalls ein „Abrutschen“ in die Grundsicherung für Arbeitsuchende. Der disziplinierende Effekt der strengen Zumutbarkeits- 1 Artikel 1 des Vierten Gesetzes über moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I, S. 2954). 2 Entwurf eines Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, Bundestagsdrucksache 15/1516, S. 53. 3 Artikel 3 des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I, S. 3002). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 096/19 Seite 5 regelung erreicht so nicht nur die Bezieher von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende , sondern auch die Arbeitslosen aus dem Rechtskreis des SGB III sowie als Symbol eines jederzeit möglichen Abstiegs letztlich selbst „Noch-Beschäftigte“.4 2. Entwicklung von Konzessionsbereitschaft und Reservationslohn Die Wirkungen der Leistungen zur Eingliederung und der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sind nach § 55 Abs. 1 Satz 1 SGB II von der Bundesagentur für Arbeit regelmäßig und zeitnah zu untersuchen und in die Arbeitsmarkt- und Berufsforschung nach § 282 SGB III einzubeziehen . Zu der Frage, inwieweit sich nach Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende die Konzessionsbereitschaft von Arbeitsnehmern oder Arbeitslosen im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen eines neuen Arbeitsplatzes verändert hat, gibt es soweit ersichtlich nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen. Die Studienergebnisse sind wegen unterschiedlicher Definitionen der Grundgesamtheit sowie etwaiger Vergleichsgruppen nicht immer vergleichbar. 2.1. Vor Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) hat Anfang 2000 in einer telefonischen Befragung von rund 20.000 Arbeitslosen und ehemals Arbeitslosen Angaben zu den Suchaktivitäten und der Erwerbsorientierung der Arbeitslosen erhoben und in einer Kurzstudie die Konzessionsbereitschaft der Befragten analysiert: Brixy, Udo; Christensen, Björn: Wie viel würden Arbeitslose für einen Arbeitsplatz in Kauf nehmen?, IAB-Kurzbericht vom 6. Dezember 2002, Download abrufbar im Internetauftritt des IAB: https://www.iab.de/194/section.aspx/Publikation/k021217n02, zuletzt abgerufen am 3. September 2019. - Anlage 1 - Die Studie gelangte zu dem Ergebnis, dass die meisten der Befragten durchaus zu Konzessionen bereit waren, wenn sie dafür wieder eine Arbeit bekämen. Am ehesten wurde ein Berufswechsel akzeptiert, aber auch Nachteile wie wechselnde Arbeitszeiten, längere Wege zur Arbeit oder belastende Arbeitsbedingungen wurden dafür hingenommen. Beim Einkommen war die Bereitschaft zu Zugeständnissen den Autoren zufolge zwar geringer; dennoch seien nicht wenige Arbeitslose bereit gewesen, Einkommenseinbußen in Kauf zu neh- 4 Vgl Bescherer, Peter et al.: Eigensinnige „Kunden“. Auswirkungen strenger Zumutbarkeit auf Langzeitarbeitslose und prekär Beschäftigte, in: Sonderforschungsbereich 580, Mitteilungen, Heft 26, April 2008, S. 10-43 (29), abrufbar im Internetauftritt der Universität Jena: https://zs.thulb.uni-jena.de/servlets/MCRFileNodeServlet/jportal_derivate_00177806/Heft%2026.pdf, zuletzt abgerufen am 9. September 2019. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 096/19 Seite 6 men. Vorübergehende Lohneinbußen hätten 61 Prozent der befragten Arbeitslosen hingenommen , 56 Prozent hätten auch längerfristig geringere Löhne akzeptiert und 40 Prozent wären sogar mit einem Nettolohn in Höhe der Arbeitslosenunterstützung einverstanden gewesen. Tatsächlich habe sich das Arbeitseinkommen nur bei 30 Prozent der Personen, die innerhalb von sechs Monaten eine neue Arbeitsstelle antraten, verringert; bei den Langzeitarbeitslosen lag dieser Anteil bei 47 Prozent. Am niedrigsten war die räumliche Mobilitätsbereitschaft der Befragten. Nur 37 Prozent hätten einen Wohnortwechsel in Erwägung gezogen. Auf der Basis der Daten des Sozio-oekonomischen Panels des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) aus dem Jahr 2000 untersucht eine Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft die Höhe und die Determinanten des erfragten Anspruchslohns (Reservationslohns) bei Arbeitslosen , also des Lohnsatzes, ab dem der Arbeitslose bereit ist, eine ihm angebotene Stelle anzunehmen : Christensen, Björn: Anspruchslohn und Arbeitslosigkeit in Deutschland, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 4/2003, S. 573-598, abrufbar im Internetauftritt des IAB: http://doku.iab.de/mittab/2003/2003_4_MittAB_Christensen.pdf, zuletzt abgerufen am 9. September 2019. - Anlage 2 - Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass der Anspruchslohn in erster Linie durch die individuellen Persönlichkeitsmerkmale determiniert wird. Makroökonomische Einflussfaktoren hätten demgegenüber keine Auswirkung darauf. Die Anspruchslöhne der Arbeitslosen in Deutschland lagen der Studie zufolge im Mittel über den eigenen Löhnen vor Arbeitslosigkeit, was insgesamt auf eine geringe Lohnkonzessionsbereitschaft der Arbeitslosen hinweise. Auch gebe es nur geringe Hinweise darauf, dass der Anspruchslohn über die Arbeitslosigkeitsdauer sinke. Schließlich hätten Arbeitslose mit einem geringen Einkommen vor Arbeitslosigkeit einen deutlich höheren relativen Anspruchslohn als Arbeitslose mit hohem vormaligem Einkommen, was auf den geringen Lohnabstand durch relativ hohe Transfereinkommen für diese Gruppe der Arbeitslosen zurückgeführt werden könne. 2.2. Nach Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende Im Rahmen der Wirkungsforschung nach § 55 SGB II konzipierte das IAB das Haushaltspanel „Arbeitsmarkt und Soziale Sicherung“ (PASS), in dem seit 2006 jährlich eine Haushaltsstichprobe von Beziehern von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II und eine weitere aus der Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 096/19 Seite 7 Gesamtbevölkerung telefonisch oder persönlich befragt werden.5 Schwerpunkte sind die (Sozio -)Demographie, die materielle und soziale Lage, Orientierungen und Aktivitäten sowie Fragen zum Leistungsbezug. Auf der Grundlage einer 2005 als Vorläufer des Haushaltspanels PASS vom IAB bei Beziehern von Arbeitslosengeld II durchgeführten Querschnittserhebung „Lebenssituation und soziale Sicherheit “ untersuchte eine 2008 veröffentlichte Studie des IAB, ob sich die von Christensen (Anlage 2) ermittelte Konzessionsbereitschaft von Arbeitslosen hinsichtlich ihrer Lohnerwartungen nach Einführung des SGB II merklich erhöht hatte: Bender, Stephan et al.: Was muten sich Arbeitslose zu? Lohnkonzessionen von ALG II-Empfängern, in: Sozialer Fortschritt 3/2008, S. 75-84. - Anlage 3 - Die Autoren konnten jedoch keine wesentliche Änderung feststellen. Wichtiger für den Reservationslohn sei ihren Analysen zufolge, ob der Leistungsempfänger allein oder in einem Haushalt mit anderen Personen lebe. Je mehr Kinder im Haushalt lebten, desto höher seien die Angaben zum Reservationslohn. Dies bestätigt die bereits von Christensen (Anlage 2) festgestellte Dominanz persönlicher Merkmale in dieser Frage. Eine Kurzstudie des IAB aus dem Jahr 2009 analysiert die Ergebnisse der ersten beiden PASS- Wellen6 und untersucht in diesem Zusammenhang die Konzessionsbereitschaft der Befragten und Ansatzpunkte für die Aktivierung: Bender, Stefan; Koch, Susanne; Mosthaf, Alexander; Walwei, Ulrich, Aktivierung ist auch in der Krise sinnvoll, IAB-Kurzbericht 19/2009, Nürnberg: IAB, Download abrufbar im Internetauftritt des IAB: http://www.iab.de/194/section.aspx/Publikation/k090907n01, zuletzt abgerufen am 9. September 2019. - Anlage 4 - Danach waren die ALG II-Empfänger bei der Arbeitsuche durchaus zu Zugeständnissen bereit. Wesentliche Unterschiede zur Situation vor Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende konnten aber auch in dieser Studie nicht festgestellt werden. Stark ausgeprägt war den Autoren zufolge mit 65 bis 80 Prozent der Befragten die Bereitschaft, einen langen Arbeitsweg, ungünstige Arbeitszeiten, eine Arbeit unter Qualifikationsniveau oder 5 Vgl. dazu im Internetauftritt des IAB: https://www.iab.de/de/befragungen/iab-haushaltspanel-pass.aspx, zuletzt abgerufen am 9. September 2019. 6 In der Welle 2006/2007 wurden nach Angaben des IAB insgesamt knapp 19.000 Interviews geführt. Circa 60 Prozent der Teilnehmer der ersten Welle konnten danach in der zweiten Welle 2007/2008 wiederbefragt werden . Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 096/19 Seite 8 belastende Arbeitsbedingungen in Kauf zu nehmen. Beim Arbeitsentgelt sei die Konzessionsbereitschaft weniger ausgeprägt. Etwa die Hälfte der Befragten (in der zweiten Welle noch mehr) waren danach nicht bereit, ein geringeres Erwerbseinkommen als vor der Arbeitslosigkeit zu akzeptieren . Mit weniger als einem Drittel war die räumliche Mobilitätsbereitschaft am geringsten ausgeprägt. Der durchschnittlich angegebene Reservationslohn lag der Untersuchung zufolge im Niedriglohnbereich , war aber deutlich abhängig vom Haushaltstyp. Vor allem in Haushalten mit Kindern seien höhere Reservationslöhne angegeben worden. Ebenfalls auf der Datenbasis der zweiten PASS-Welle untersucht eine 2010 veröffentlichte IAB- Studie Arbeitsmotivation und Konzessionsbereitschaft der Bezieher von Grundsicherungsleistungen und stellt sie den Werten von beschäftigten Nicht-Beziehern und arbeitslosen Nicht-Beziehern gegenüber: Beste, Jonas; Bethmann, Arne; Trappmann, Mark: Arbeitsmotivation und Konzessionsbereitschaft . ALG-II-Bezug ist nur selten ein Ruhekissen, IAB-Kurzbericht 15/2010, Nürnberg: IAB, abrufbar im Internetauftritt des IAB: http://doku.iab.de/kurzber/2010/kb1510.pdf, zuletzt abgerufen am 9. September 2019. - Anlage 5 - Bei leicht abweichend definierter Grundgesamtheit gelangen die Autoren zu ähnlichen Ergebnissen wie die Studie von Bender et al. (Anlage 4), jedoch wiesen danach „unter den Befragten, die im Zeitraum von vier Wochen nach Arbeit gesucht haben, […] die Grundsicherungsbezieher in fast allen Fragen zur Konzessionsbereitschaft höhere Werte auf als die beiden Vergleichsgruppen […]. Sie würden also für eine neue Arbeitsstelle schlechtere Bedingungen in Kauf nehmen als Arbeitsuchende ohne Grundsicherungsbezug. Besonders deutlich wird das bei der Frage, ob auch eine Arbeit unterhalb des Qualifikationsniveaus angenommen würde. Hier geben vier von fünf SGB-II-Leistungsbeziehern an, auch eine Arbeit unter ihrem Qualifikationsniveau aufnehmen zu wollen. Unter den Personen, die keine Leistungen beziehen, ist es nur etwas mehr als die Hälfte, bei den übrigen Arbeitslosen sind es knapp 75 Prozent. Ganz ähnliche Muster finden sich auch für die Akzeptanz langer Arbeitswege und ungünstiger Arbeitszeiten. Bei der Akzeptanz eines geringen Einkommens liegen die arbeitsuchenden Arbeitslosengeld-II-Empfänger dagegen nur knapp über den suchenden Nicht-Leistungsbeziehen und sogar unter den anderen Arbeitslosen (43,4 % bei den ALG-II-Beziehern, 40,6 % bei den Nicht-Beziehern und 53,8 % bei den übrigen Arbeitslosen).“7 Die geringste Konzessionsbereitschaft stellten die Autoren bezüglich eines Umzugs fest. Angaben zum Reservationslohn wurden in der Studie nicht ausgewertet. 7 Beste/Bender/Trappmann (Anlage 5), S. 4 f. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 096/19 Seite 9 2.3. Aktuelle Situation Unter dem Gesichtspunkt von Stellenbesetzungsproblemen hat das IAB 2017 eine Studie veröffentlicht , in der auf der Grundlage der PASS-Daten aus den Jahren 2014 und 2015 Konzessionsbereitschaft , Reservationslohn und Suchwege von Arbeitsuchenden untersucht werden. Es handelt sich dabei um die soweit ersichtlich aktuellste Analyse zu diesem Thema: Beste, Jonas; Trappmann, Mark: Analysen zu Stellenbesetzungsproblemen: Konzessionsbereitschaft , Reservationslohn und Suchwege von Arbeitsuchenden, IAB-Forum vom 13. Juli 2017, Nürnberg: IAB, abrufbar im Internetauftritt des IAB-Forum: https://www.iab-forum.de/analysen-zu-stellenbesetzungsproblemen-konzessionsbereitschaft -reservationslohn-und-suchwege-in-pass/, zuletzt abgerufen am 9.September 2019. - Anlage 6 - Die Autoren differenzieren zwischen (gemeldeten) Arbeitslosen und Beschäftigten, die nach einer Arbeit suchen, offenbar jedoch nicht danach, ob Arbeitslose dem Rechtskreis des SGB III oder des SGB II angehörten oder ob sie langzeitarbeitslos im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB III waren . Berücksichtigt wurden außerdem nur Personen, die mindestens eine Halbtagsbeschäftigung suchten. Die Studie gelangt zu dem Ergebnis, dass viele Arbeitslose verglichen mit Beschäftigten eine hohe Bereitschaft zeigen, bei der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit Zugeständnisse zu machen. Sie seien vor allem dazu bereit, eine Tätigkeit unterhalb ihres eigenen fachlichen Könnens (76 Prozent der Arbeitslosen gegenüber 36 Prozent der Beschäftigten) oder zu ungünstigen Arbeitszeiten (61 Prozent gegenüber 35 Prozent) anzunehmen. Beim Arbeitseinkommen würden 37 Prozent der Arbeitslosen (gegenüber 21 Prozent der Beschäftigten) Einbußen akzeptieren. Die Bereitschaft zu einem Wohnungswechsel ist der Studie zufolge mit 25 Prozent bei Arbeitslosen ähnlich gering wie bei Beschäftigten (22 Prozent). Die Konzessionsbereitschaft hänge in allen Fragen stark von der Familiensituation ab. Lediglich zwei Prozent der Arbeitslosen (gegenüber 13 Prozent der Beschäftigten) seien überhaupt nicht bereit, für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit Konzessionen einzugehen. Erhebliche Unterschiede stellten die Autoren beim Reservationslohn fest: Während der Reservationslohn bei den Beschäftigten im arithmetischen Mittel mit 11,30 Euro pro Arbeitsstunde angegeben worden sei, liege der mittlere Reservationslohn der Arbeitslosen bei 7,70 Euro und damit weit unterhalb des zum 1. Januar 2015 eingeführten gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro. Der Unterschied wird von den Autoren als hochsignifikant bezeichnet und bleibe dies auch, wenn man für weitere Faktoren wie Bildungsniveau, Alter und Geschlecht kontrolliere. 3. Gesetzliche Einschränkung des Mindestlohnanspruchs Eine gleichsam gesetzlich verordnete Konzessionsbereitschaft im Hinblick auf den Einstiegslohn von Langzeitarbeitslosen enthält das Mindestlohngesetz (MiLoG). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 096/19 Seite 10 Nach § 20 MiLoG sind Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland grundsätzlich verpflichtet, ihren im Inland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des Mindestlohns nach § 1 Absatz 2 MiLoG zu zahlen. § 22 Absatz 4 Satz 1 MiLoG bestimmt, dass für Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die unmittelbar vor Beginn der Beschäftigung langzeitarbeitslos im Sinne des § 18 Abs. 1 SGB III waren, der Mindestlohn in den ersten sechs Monaten der Beschäftigung nicht gilt. Für diesen Zeitraum kann mithin ein Arbeitsentgelt unterhalb dieses Wertes vereinbart werden . Die Regelung soll der Gesetzesbegründung zufolge „den Beschäftigungschancen von Langzeitarbeitslosen - vor allem in der Einführungsphase des Mindestlohns - in besonderem Maße Rechnung […] tragen.“8 Allerdings ergab eine 2016 erstellte Analyse des IAB9, dass diese Ausnahmeregelung im ersten Jahr nach ihrer Einführung in der Praxis kaum nachgefragt wurde. Sie sei neben ihrem eingeschränkten Wirkungsbereich weder für die Betriebe, noch für die Langzeitarbeitslosen selbst oder die Jobcenter attraktiv. Daher wirke sich das Instrument auch nicht nachweisbar auf die Löhne und die Beschäftigung von ehemals Langzeitarbeitslosen aus. *** 8 Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz), Bundestagsdrucksache 18/1558, S. 43. 9 Vom Berge, Philipp et al.: Mindestlohnbegleitforschung - Überprüfung der Ausnahmeregelung für Langzeitarbeitslose , Forschungsauftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), IAB-Forschungsbericht 8/2016, Nürnberg: IAB, abrufbar im Internetauftritt des IAB: http://doku.iab.de/forschungsbericht/2016/fb0816.pdf, zuletzt abgerufen am 10. September 2019; für eine zusammenfassende Darstellung siehe Klingert, Isabel; Lenhart, Julia: Mindestlohn in Deutschland - Effekte der Ausnahmeregelung für Langzeitarbeitslose, IAB-Forum vom 5. Juli 2017, Nürnberg: IAB, abrufbar im Internetauftritt des IAB-Forum: https://www.iab-forum.de/mindestlohn-in-deutschland-effekte-der-ausnahmeregelung -fuer-langzeitarbeitslose/, zuletzt abgerufen am 25. Juli 2019.