© 2020 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 094/20 Einzelaspekte zu ausgewählten Modellen für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens in Deutschland Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 094/20 Seite 2 Einzelaspekte zu ausgewählten Modellen für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens in Deutschland Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 094/20 Abschluss der Arbeit: 24. November 2020 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 094/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens 4 2.1. Begriffsbestimmung 4 2.2. Ideengeschichte 5 2.3. Hauptargumente der Befürworter und Kritiker 6 2.4. Pilotprojekte 6 3. Ausgewählte Modelle zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens 7 3.1. Modelle einer negativen Einkommensteuer 7 3.1.1. Solidarisches Bürgergeld 8 3.1.2. Emanzipatorisches Grundeinkommen 9 3.1.3. Transfergrenzenmodell (Ulmer Modell) 10 3.2. Das Modell nach Götz Werner 10 4. Weiterführende Literatur 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 094/20 Seite 4 1. Einleitung Der Fachbereich ist um die Erstellung einer Übersicht der in der öffentlichen Debatte diskutierten Modelle zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ersucht worden. Gegenstand dieses Sachstandes sind hierbei die in diesem Diskurs prävalierenden Modelle, weshalb ein Anspruch auf Vollständigkeit im Hinblick auf die Vielzahl an bestehenden Ideen und Konzepte zur Umsetzung beziehungsweise Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens nicht erhoben werden kann. 2. Das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens 2.1. Begriffsbestimmung Aufgrund der Vielzahl an verschiedenen Konzeptionen zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, die sich in Ausgestaltung und Modalitäten, wie etwa der Höhe und Quelle der Finanzierung, der Art und Größe der Einsparungen anderer Transferleistungen und dem Verhältnis zu den Sozialversicherungen voneinander unterscheiden, kann für eine generelle Begriffsbestimmung nur auf allgemeine Charakteristika zurückgegriffen werden. Kernelement sämtlicher Modelle eines bedingungslosen Grundeinkommens ist ein Rechtsanspruch auf die Auszahlung einer festgelegten finanziellen Zuwendung für alle Bürger1 einer bestimmten Gebietskörperschaft ohne Anknüpfung an weitere Voraussetzungen.2 Hierbei werden weder die sonstigen Einkommens- oder Vermögensverhältnisse der Zuwendungsempfänger berücksichtigt , noch nach vorhergehender und aktueller Beschäftigung oder der Bereitschaft, in Zukunft eine Beschäftigung aufzunehmen, unterschieden.3 Die Auszahlung der finanziellen Zuwendung soll bei allen Konzepten eines bedingungslosen Grundeinkommens regelmäßig und permanent erfolgen, ohne Verhaltensauflagen und Bedürftigkeitsprüfungen.4 1 Im Interesse einer besseren Lesbarkeit wird nicht ausdrücklich in geschlechtsspezifischen Personenbezeichnungen differenziert. Die gewählte männliche Form schließt eine adäquate weibliche Form gleichberechtigt ein. 2 Roth, Grundeinkommen, Görres-Gesellschaft, Staatslexikon, 8. Auflage 2018, Band 2. 3 Ebd. 4 Osterkamp, Ist ein bedingungsloses Grundeinkommen in Deutschland finanzierbar? in: Auf dem Prüfstand: Ein bedingungsloses Grundeinkommen in Deutschland?, Zeitschrift für Politik (ZfP), Sonderband 7, 2015, S. 225, 226. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 094/20 Seite 5 2.2. Ideengeschichte Die Idee eines existenzsichernden Einkommens, welches unterschiedslos an alle Bürger ausgezahlt werden soll, ist bereits seit Beginn des 18. Jahrhunderts Gegenstand vornehmlich philosophischer Debatten.5 Ein Diskurs, der das Thema einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich macht, entsteht erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts - katalysiert auch durch die „soziale Frage“ als Folge des Ersten Weltkrieges.6 Während der sechziger Jahre kommt es in den Vereinigten Staaten erneut zu einer großen Grundeinkommensdebatte, an welcher vor allem der amerikanische Ökonom Milton Friedman mit seinem Konzept einer negativen Einkommensteuer maßgeblich beteiligt ist.7 In Deutschland entsteht ein öffentlicher Diskurs um ein bedingungsloses Grundeinkommen zeitgleich mit der Einführung der Hartz-Konzepte und findet in seinem Verlauf in Politikwie auch Wirtschaftskreisen prominente Unterstützer: Modelle zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens werden sowohl von dem Drogerieunternehmer Götz Werner als auch dem Politiker Dieter Althaus entworfen.8 Zuletzt erfuhr die Debatte um die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens in Deutschland durch die Einreichung einer Petition im März dieses Jahres erneut öffentliche Aufmerksamkeit . Mit der Petition wird die kurzfristige und zeitlich begrenzte Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens gefordert, um den wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona- Pandemie und den damit zusammenhängenden Einkommensausfällen der Bürger zu begegnen und ihnen eine gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.9 Nach Ansicht der Bundesregierung sei der Gegenstand der Petition jedoch nicht geeignet, die von der Petentin verfolgten Ziele effektiver zu erreichen, als dies für bereits bestehenden Corona-Hilfsmaßnahmen der Fall ist.10 5 Kovce, Bedingungsloses Grundeinkommen als Grundrecht? Geschichte, Gegenwart und Zukunft einer (bisher) utopischen Forderung, Aus Politik und Zeitgeschichte: Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament. - 70 (2020), 39/40 vom 21. September 2020, S. 39, 40. 6 Ebd., S. 40. 7 Vgl. hierzu ausführlich: Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Milton Friedman: Negative Einkommensteuer , WD 5 – 3000 – 184/08, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/r source/blob/426626/dc78194456a469dd4d3064a804619069/WD-5-184-08-pdf-data.pdf (zuletzt abgerufen am 16. November 2020). 8 Siehe hierzu näher unter Punkt 3.1.1. und 3.2. 9 Petition 108191, Reformvorschläge in der Sozialversicherung - Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens , abrufbar unter: https://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2020/_03/_14/Petition_108191.nc.html (zuletzt abgerufen am 16. November 2020). 10 Deutscher Bundestag, Parlamentsnachrichten, Regierung gegen bedingungsloses Grundeinkommen, Petitionen /Ausschuss - 26. Oktober 2020 (hib 1142/2020), abrufbar unter: https://www.bundestag .de/presse/hib/801182-801182 (zuletzt abgerufen am 16. November 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 094/20 Seite 6 2.3. Hauptargumente der Befürworter und Kritiker Die in der öffentlichen Debatte vorgetragenen Argumente für beziehungsweise gegen die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens basieren sowohl auf gesellschaftlichen als auch auf ökonomischen Überlegungen.11 So ist das bedingungslose Grundeinkommen für einen Teil der Befürworter eine Grundvoraussetzung für individuelle Freiheit und ein selbstbestimmteres Leben des Einzelnen. Ohne den Zwang, einer entlohnten Erwerbstätigkeit nachgehen zu müssen, sollen Bürger dazu in die Lage versetzt werden, eine Tätigkeit nach ihren individuellen Fertigkeiten und Interessen ausüben zu können. Darüber hinaus solle das bedingungslose Grundeinkommen bestehende Diskrepanzen zwischen der Entlohnung bestimmter Tätigkeiten und deren gesellschaftliche Bedeutung, etwa bei Pflegekräften oder Sozialarbeitern, kompensieren und so geringbezahlte , aber gesellschaftlich relevante Berufsfelder attraktiver machen. Aus ökonomischer Perspektive führen Befürworter ins Feld, dass die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens das bestehende Steuer- und Transfersystem vereinfachen, Arbeitsmärkte weiter deregulieren und Lohnnebenkosten signifikant senken werde. Auch solle den Auswirkungen der fortschreitenden Digitalisierung und dem damit verbundenen befürchteten Verlust von Arbeitsplätzen begegnet werden. Kritiker der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens stützen sich vor allem auf die antizipierten hohen Kosten beziehungsweise zweifeln grundlegend an dessen Finanzierbarkeit.12 Einer für möglich gehaltenen Reduzierung der Verwaltungskosten der sozialen Sicherungssysteme wird eine zu erwartende Verlagerung der Kosten auf die Finanzämter entgegengesetzt. Aus gesellschaftlicher Sicht zweifeln Kritiker des bedingungslosen Grundeinkommens an der fortbestehenden Bereitschaft der Bevölkerung, im gleichen Umfang erwerbstätig bleiben zu wollen wie vor dessen Einführung. Daneben wird auch ein antizipiertes Ungerechtigkeitsempfinden gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen in der Bevölkerung angeführt, da es dem Erfordernis gesellschaftlicher Reziprozität widerspräche. 2.4. Pilotprojekte Empirisch gesicherte Daten und Erkenntnisse zu den Auswirkungen der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens liegen in Deutschland derzeit nicht vor. Mitte August 2020 initiierten das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und der Verein Mein Grundeinkommen die erste Langzeitstudie zur Erforschung der gesellschaftlichen und ökonomischen Auswirkungen der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Über einen Zeitraum von drei Jahren 11 Für eine Zusammenfassung der Argumente siehe: Enste/Schneider, Bedingungsloses Grundeinkommen – Vision , Fiktion oder Illusion? IW policy paper, 11/2016, Institut der deutschen Wirtschaft Köln, S. 12, abrufbar unter: https://www.iwkoeln.de/fileadmin/publikationen/2016/293133/IW-policy-paper_2016-11_Grundeinkommen .pdf (zuletzt abgerufen am 16. November 2020) und Fredebeul-Krein, Bedingunsloses Grundeinkommen, Das Wirtschaftsstudium (WISU), 7/2019, S. 820-825. 12 Für eine Zusammenfassung der Argumente siehe: Haywood, Bedingungsloses Grundeinkommen: eine ökonomische Perspektive, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, 2014, S. 2, abrufbar unter: https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.479933.de/diw_roundup_33_de.pdf (zuletzt abgerufen am 16. November 2020) und Osterkamp, Fünf Streitfragen um das bedingungslose Grundeinkommen – unaufgeregt betrachtet, ifo Schnelldienst 21/2016, S. 26, 33. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 094/20 Seite 7 soll 1.500 Probanden ein Grundeinkommen in Höhe von 1.200 Euro monatlich ohne weitere Bedingungen ausgezahlt werden. Als Vergleichsgruppe sollen 1.380 Studienteilnehmer dienen, um die erforschten Auswirkungen auf die Auszahlung des Grundeinkommens zurückführen zu können .13 Bisher kam es in Finnland - als erstem Land der Welt - zu einem Feldexperiment mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, dessen Endbericht seit Mai 2020 vorliegt. Von 2017 an, wurde 2.000 zufällig ausgewählten finnischen Bürgern, welche Transferleistungen bezogen , ein Grundeinkommen in Höhe von 560 Euro monatlich ausgezahlt, während ihr Verhalten mit einer ähnlichen Kontrollgruppe, die kein Grundeinkommen erhielt, verglichen wurde.14 Nach herrschender Ansicht sind die Ergebnisse des finnischen Experimentes jedoch aufgrund der geringen Laufzeit und Höhe des Grundeinkommens sowie der Auswahl der Teilnehmer nur begrenzt aussagefähig.15 3. Ausgewählte Modelle zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens Die meisten der in der öffentlichen Debatte dominierenden Modelle eines bedingungslosen Grundeinkommens basieren auf dem Konzept einer negativen Einkommensteuer beziehungsweise Varianten von diesem und unterscheiden sich nur in der konkreten Ausgestaltung der verwendeten Variablen voneinander. Einzig das Modell von Götz Werner grenzt sich hiervon ab, weshalb im Folgenden zwischen diesem und Modellen auf Grundlage einer negativen Einkommensteuer unterschieden wird. 3.1. Modelle einer negativen Einkommensteuer In diesen Modellen wird unterhalb eines festgesetzten Einkommensbetrags beziehungsweise Mindesteinkommens, der sogenannten „Transferschwelle“, keine Einkommensteuer erhoben, sondern an die Bürger ein Einkommenstransfer geleistet.16 Bei einem Grundeinkommen von null wird der Mindesteinkommensbetrag ausgezahlt, gleichsam verringert sich die Einkommenssubvention mit steigendem Einkommen, bis sie ab Erreichen des Steuerfreibetrages in eine reguläre 13 Das Pilotprojekt wird im Internetauftritt des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung vorgestellt, abrufbar unter: https://www.diw.de/de/diw_01.c.796681.de/projekte/pilotprojekt_grundeinkommen.html (zuletzt abgerufen am 16. November 2020). 14 Vivien Timmler, Süddeutsche Zeitung, Finnland testet das bedingungslose Grundeinkommen, 26.August 2016, abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/experiment-finnland-testet-das-bedingungslose-grundeinkommen -1.3136917 (zuletzt abgerufen am 16. November 2020). 15 Rudolf Hermann, Neue Zürcher Zeitung, Bedingungsloses Grundeinkommen: Warum das finnische Experiment nicht als Vorbild taugt, 6. Mai 2020, abrufbar unter: https://www.nzz.ch/wirtschaft/bedingungsloses-grundeinkommen -finnlands-experiment-ld.1555268 (zuletzt abgerufen am 16. November 2020); andere Ansicht jedoch: Schupp, Bedingungsloses Grundeinkommen: viel Zustimmung, aber auch große Ablehnung, Wirtschaftsdienst: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 2020, 2, S. 112, 114. 16 Vgl. Fn. 4, S. 227. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 094/20 Seite 8 Besteuerung übergeht. Insofern handelt es sich bei der negativen Einkommensteuer um eine progressive Besteuerung.17 Befürworter dieser Modelle verweisen vor allem auf den entstehenden Arbeitsanreiz, da sich das verfügbare Einkommen mit hinzuverdientem Geld erhöhe und sich zusätzliche Arbeit dementsprechend lohne - anders als dies bei bestehenden Sozialleistungen der Fall sei, welche nur bis zu einer Verdienstobergrenze ausgezahlt werden.18 3.1.1. Solidarisches Bürgergeld Das Modell des solidarischen Bürgergeldes geht auf einen Vorschlag des ehemaligen thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus aus dem Jahr 2010 zurück.19 Eine detaillierte Darstellung dieses Konzepts, welcher die nachfolgenden Informationen entnommen sind, findet sich in einem Forschungsbericht der Hochschule Pforzheim aus dem Jahr 2016.20 Nach diesem Modell soll jedem volljährigen Einwohner Deutschlands ein Rechtsanspruch auf monatliche Auszahlung eines Bürgergeldes in Höhe von 600 Euro, in welchem eine Gesundheitsund Pflegeprämie in Höhe von 200 Euro enthalten sind, zukommen. Es werden ein einheitlicher Einkommensteuersatz von 40 Prozent und eine Transferschwelle in Höhe von 1.500 Euro festgesetzt , bis zu welcher nach dem Prinzip der negativen Einkommensteuer keine echte Steuerschuld entsteht. Bei einem Verdienst in Höhe des Transferschwellenwertes entspricht die Steuerschuld bei einem Einkommensteuersatz von 40 Prozent exakt der Höhe des auszuzahlenden Bürgergeldes in Höhe von 600 Euro, was zu einem gegenseitigen Ausgleich führt. Bei jedem Betrag über der Transferschwelle fällt eine echte Steuerschuld an. Die für die Einführung des solidarischen Bürgergeldes veranschlagten Kosten wurden mit insgesamt 977,62 Milliarden Euro beziffert, bestehend aus den Kosten des Bürgergeldes in Höhe von 782,89 Milliarden Euro und einer steuerlichen Deckungslücke von 194,73 Milliarden Euro. Diese Deckungslücke entstehe, da auf bisher erhobene Steuern verzichtet werden soll, wenngleich staatliche Leistungen aufgrund des Bürgergeldes nicht mehr angeboten werden. Diese Kosten sollen durch ein System aus Einkommensteuer, einer neuen Konsumsteuer und einer Lohnsummenabgabe refinanziert werden. Die Mehreinahmen werden mit 1.036,15 Milliarden Euro beziffert, was zu einem Überschuss von 58,53 Milliarden Euro führe. Die Konsumsteuer soll aus einer Umsatzsteuer in Höhe von 19 Prozent bestehen, von der lediglich Lebensmittel und alkoholfreie Getränke ausgenommen sind. Neben dem Bürgergeld ist eine Zusatzrente für Erwerbstätige Teil des Konzepts, die maximal den dreifachen Wert des Bürgergeldes betragen darf und 17 Für eine detaillierte Übersicht und Berechnungsgrundlagen siehe: Petersen/ Barišić, Negative Einkommensteuer , Das Wirtschaftsstudium (WISU), 10/2018, S. 1087-1090. 18 Fritsche, Negative Einkommensteuer: Faire Alternative, Wirtschaftsdienst: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 2020, 5, S. 312. 19 Althaus, Solidarisches Bürgergeld: den Menschen trauen - Freiheit nachhaltig und ganzheitlich sichern, Institut für Neue Soziale Antworten, 2. Auflage, Norderstedt: Books on Demand, 2010. 20 Kotzab/Pflug, Research Report, Das Bedingungslose Grundeinkommen, Beiträge der Hochschule Pforzheim, No. 157, März 2016, S. 12-15, abrufbar unter: https://www.econstor .eu/bitstream/10419/145129/1/86625952X.pdf (zuletzt abgerufen am 16. November 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 094/20 Seite 9 von der Dauer der Erwerbstätigkeit abhängig ist. Zur dessen Finanzierung dient die Lohnsummenabgabe , welche in Höhe von 18 Prozent vom Arbeitgeber zu tragen ist.21 Mit Einführung des solidarischen Bürgergeldes sollen sämtliche Sozialversicherungsbeiträge entfallen . Der Gesundheitsprämie in Höhe von 200 Euro würde dazu führen, dass jede Krankenkasse zur Anbietung eines Versicherungsgrundtarifs in jener Höhe für jeden Bürger verpflichtet wäre. 3.1.2. Emanzipatorisches Grundeinkommen Das Modell des emanzipatorischen Grundeinkommens ist von der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Grundeinkommen in und bei der Partei Die Linke entworfen und seit dessen Entstehen fortlaufend bearbeitet worden. Das Konzept wurde zuletzt im Oktober 2020 aktualisiert.22 Das Modell wird sowohl basierend auf einer negativen Einkommensteuer als auch auf einer Sozialdividende präsentiert. Die BAG Grundeinkommen bevorzugt nach eigenen Angaben23 die Form der Sozialdividende, weshalb nachfolgend lediglich diese betrachtet werden soll. Auch bei der Sozialdividende handelt es sich jedoch um die Anwendung des Konzepts einer negativen Einkommensteuer .24 Unterschiede bestehen lediglich in der Art der Auszahlung, da das Grundeinkommen bei der Sozialdividende zunächst ohne Verrechnung mit der Steuerschuld ausgezahlt wird. Das verfügbare Nettoeinkommen ist nach diesem Konzept in beiden Varianten identisch. Nach diesem Modell soll allen Menschen mit Hauptwohnsitz in Deutschland ab dem vollendeten sechzehnten Lebensjahr ein Rechtsanspruch auf monatliche Auszahlung eines Grundeinkommens gewährt werden, welches sich an der Höhe des Volkseinkommens orientiert. Aktuell entspräche dies nach Angaben der Verfasser einem Betrag von 1.180 Euro. Der Finanzierungsbedarf liegt nach diesem Modell bei einem Bruttobetrag von circa 1.087 Milliarden Euro. Durch den Wegfall vieler steuerfinanzierter Leistungen, etwa der Grundsicherung für Arbeitssuchende oder dem Kindergeld, entstünde ein Nettofinanzierungsbetrag von 988 Milliarden Euro. Im Wege einer Besteuerung der Primäreinkommen privater Haushalte von 35 Prozent, einer Sachkapitalabgabe von 2,5 Prozent, einer Primärenergieabgabe auf nicht erneuerbare Energien im Volumen von 95 Milliarden Euro und einer Microabgabe von ein Promille auf Finanztransaktionen im Volumen von circa 85 Milliarden Euro soll der Finanzierungsbedarf gedeckt werden. Die bestehende Einkommensteuer soll beibehalten und in drei Sätzen erhoben werden, sodass das Einkommen bis zur zweifachen Höhe des Grundeinkommensbetrages zu fünf Prozent, ab diesem bis zum vierfachen zu 15 Prozent und darüber hinaus zu 24 Prozent besteuert wird. 21 Für eine detaillierte rechnerische Darstellung des Modells vgl. Fn. 4, S. 228-245. 22 Wolf/Blaschke, Das emanzipatorische Grundeinkommen der BAG Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE, Oktober 2020, abrufbar unter: https://www.die-linke-grundeinkommen.de/fileadmin/lcmsbaggrundeinkommen /PDF/NeufassungBGE_dinA5_22Okt._01.pdf (zuletzt abgerufen am 16. November 2020). 23 Wolf/Blaschke, Das emanzipatorische Grundeinkommen der BAG Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE, Oktober 2020, S. 5. 24 Vgl. Fn. 4, S. 227. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 094/20 Seite 10 Bestehende Kranken- und Pflegeversicherungen sollen durch eine einheitliche Abgabe von 16 Prozent auf alle Primäreinkommen finanziert werden, welche bei Lohneinkommen paritätisch aufgeteilt werden. Die Arbeitslosenversicherung soll mit einem Beitragssatz von einem Prozent auf alle Bruttoerwerbseinkommen, bei Lohneinkommen ebenfalls paritätisch, finanziert werden. Das Rentensystem soll aus der Grundrente, die dem Grundeinkommen entspricht, und einer Rentenzusatzversicherung bestehen. 3.1.3. Transfergrenzenmodell (Ulmer Modell) Ein weiteres Modell zur Realisierung eines bedingungslosen Grundeinkommens ist das Transfergrenzen - beziehungsweise Ulmer Modell. Dieses Modell wurde 1996 an der Universität Ulm entwickelt und steht dem Konzept des solidarischen Bürgergeldes inhaltlich nahe.25 Zusätzlich zu einem festgelegten Grundeinkommensbetrag, der sich in seiner Höhe auf der Basis aller Bruttobezüge der Volkswirtschaft bestimmt, wird eine Sozialabgabe auf jedes zusätzlich erzielte Einkommen vereinbart. Nach dem Konzept einer negativen Einkommensteuer wird bis zu einer gewissen Transfergrenze bei steigendem Einkommen ein positiver Grundeinkommensbetrag ausgezahlt. Oberhalb dieser Grenze übersteigt die Sozialabgabe den Grundeinkommensbetrag. Im Unterschied zu klassischen Modellen einer negativen Einkommensteuer werden Einkommen oberhalb der Transfergrenze prozentual geringer besteuert als unterhalb dieser Grenze, sodass das Nettoeinkommen beim Ulmer Modell oberhalb dieses Schwellenwertes höher liegt. Auch werden zusätzlich zu der Sozialabgabe unverändert Lohn- und Einkommensteuer erhoben. Durch die Sozialabgabe sollen ferner Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge finanziert werden. Das Modell verzichtet auf das Nennen konkreter Zahlen, da es sich als ein an die aktuellen Gegebenheiten anzupassendes Rechenmodell versteht.26 3.2. Das Modell nach Götz Werner Auch nach dem Modell des Unternehmers Götz Werner soll jedem deutschen Staatsbürger ein Anspruch auf die Auszahlung eines festgelegten Grundeinkommensbetrages gewährt werden, ohne dabei an weitere Bedingungen anzuknüpfen.27 25 Für eine detaillierte Übersicht über das Transfergrenzenmodell siehe: Fischer/Pelzer, Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist bezahlbar und wirtschaftspolitisch sinnvoll – Die Finanzierung über das Transfergrenzen- Modell, in: Neuendorff/Peter/Wolf, Arbeit und Freiheit im Widerspruch?: Bedingungsloses Grundeinkommen - ein Modell im Meinungsstreit, Hamburg: VSA-Verlag, 2009, S. 115-134. 26 Weitere Informationen sind im Internetauftritt der Initiative Grundeinkommen Ulm abrufbar unter: https://www.grundeinkommen-ulm.de/wer-soll-das-bezahlen/transfergrenzenmodell-tgm/ (zuletzt abgerufen am 16. November 2020). 27 Vgl. Fn. 20, S. 16. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 094/20 Seite 11 Eine konkrete Höhe für das Grundeinkommen wurde von Werner bisher nicht verbindlich festgelegt , auch liegen keine belastbaren Daten zu den Gesamtkosten seines Modells vor. Als Finanzierungskonzept soll jedoch - anders als bei den Modellen einer negativen Einkommensteuer - nicht das Einkommen, sondern der Verbrauch von Gütern, Ressourcen und Dienstleistungen besteuert werden.28 Diese Konsumsteuer würde, bei gleichzeitigem Wegfall sämtlicher anderer Steuern, für Produkte des täglichen Grundbedarfs deutlich geringer, für Luxusartikel deutlich höher ausfallen . Das Sozialversicherungssystem soll nach Werners Modell zudem vollständig erneuert werden. Die Versorgung solle nicht mehr über die Erwerbstätigkeit, sondern durch individuelle Versicherungen gewährleistet werden. Es solle einzig eine Form der Einheitsversicherung nach Schweizer Vorbild eingeführt werden. Für speziell pflegebedürftige Menschen sollen Sonderregelungen festgelegt werden.29 Nach eigenen Angaben versteht Werner sein Konzept mehr als eine Idee und weniger als ein Modell , welche sich erst in der Entwicklungsphase befindet und deshalb noch keine konkreten Zahlen bezüglich der Finanzierbarkeit aufweisen kann.30 4. Weiterführende Literatur Für weiterführende Informationen zu einzelnen Aspekten des bedingungslosen Grundeinkommens sowie zu Argumenten für und wider dessen Einführung kann exemplarisch auf folgende Fachliteratur verwiesen werden: - Brütt, Christian, Auf die Lesart kommt es an - pro Grundeinkommen, WSI-Mitteilungen: Monatszeitschrift des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts in der Hans- Böckler-Stiftung. - 73 (2020), 2, Seite 140-142 - Kronauer, Martin, Bedingungsloses Grundeinkommen oder besser ein Recht auf Arbeit? WSI-Mitteilungen: Monatszeitschrift des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts in der Hans-Böckler-Stiftung. - 73 (2020), 2, Seite 143-145 - Spermann, Alexander, Basisgeld plus Steuergutschriften statt Hartz IV, Wirtschaftsdienst: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik. - 99 (2019), 3, Seite 181-188 28 Ute Fischer, Das Bedingungslose Grundeinkommen - Drei Modelle, Bundeszentrale für politische Bildung, abrufbar unter: https://www.bpb.de/dialog/netzdebatte/223286/das-bedingungslose-grundeinkommen-drei-modelle (zuletzt abgerufen am 16. November 2020). 29 Vgl. Fn. 20, S. 16. 30 Internetauftritt von Götz Werner, http://www.unternimm-die-zukunft.de/das-grundeinkommen1/index (zuletzt abgerufen am 16. November 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 094/20 Seite 12 - Cremer, Georg, Für ein bedingungsloses Grundeinkommen den Sozialstaat aufgeben? In: ORDO - Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, Band 70 (2019), S. 215-238 - Staubhaar, Thomas / Cremer, Georg, 2019, Das bedingungslose Grundeinkommen. Zum Für und Wider eines gesellschaftspolitischen Reformkonzepts, RHI-Diskussion, Nr. 32, München - Petersen, Thieß, Makroökonomische Effekte eines bedingungslosen Grundeinkommens, Wirtschaftsdienst: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik. - 97 (2017), 9, Seite 629-636. Ferner wird auch auf die von den Wissenschaftlichen Diensten bereits erstellten und im Internet abrufbaren Gutachten zu diesem Themenkomplex verwiesen: - Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Rechtliche Voraussetzung für Pilotprojekte zum Grundeinkommen, WD 6 - 3000-115/16, abrufbar unter: http://www.bundestag.de/blob/482656/75b3637b195166eb0b115b36b5c4f119/wd-6- 115-16-pdf-data.pdf (zuletzt abgerufen am 16. November 2020) - Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Aspekte zum bedingungslosen Grundeinkommen, WD 6 - 3000-080/17, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource /blob/538874/7457bdf7fd58e3e90ff4fb6e0a72af9f/wd-6-080-17-pdf-data.pdf (zuletzt abgerufen am 16. November 2020) - Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens, WD 5 - 201/06, abrufbar unter: https://www.bundestag .de/resource/blob/417862/3e097f1996bc9ec497f77918059c3994/WD-5-201-06-pdfdata .pdf (zuletzt abgerufen am 16. November 2020). ***