© 2020 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 – 091/20 Arbeits- und sozialrechtlicher Rahmen der Arbeit in der Plattformökonomie in Deutschland, Österreich und Frankreich Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 091/20 Seite 2 Arbeits- und sozialrechtlicher Rahmen der Arbeit in der Plattformökonomie in Deutschland, Österreich und Frankreich Aktenzeichen: WD 6 - 3000 – 091/20 Abschluss der Arbeit: 17. November 2020 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 091/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Erwerbstätigkeit in der Plattformökonomie 4 2. Rechtslage in Deutschland 4 2.1. Arbeitsrechtliche Einordnung 5 2.1.1. Begriff des Arbeitnehmers 5 2.1.2. Arbeitnehmerähnliche Personen 6 2.2. Soziale Sicherung 6 2.2.1. Beschäftigung als Anknüpfungspunkt 6 2.2.2. Grundsatz 7 2.2.3. Ausnahmen 7 3. Rechtslage in Österreich 8 3.1. Arbeitsrechtliche Einordnung 8 3.1.1. Begriff des Arbeitnehmers 8 3.1.2. Arbeitnehmerähnliche Personen 9 3.2. Projekt eines Plattformarbeitsgesetzes 9 3.3. Soziale Sicherung 10 3.3.1. Arbeitnehmer oder Selbständige 10 3.3.2. Gewerbliche Sozialversicherung 10 3.3.3. Sozialversicherungs-Zuordnungsgesetz 11 4. Rechtslage in Frankreich 11 4.1. Arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Einordnung 11 4.1.1. Arbeitsverhältnis 12 4.1.2. Sozialversicherung 13 4.2. Gesetzliche Neuregelungen 14 4.2.1. Definitionen 14 4.2.2. Soziale Verantwortung der Plattformen 14 4.2.3. Kollektivrechte der unabhängigen Mitarbeiter 15 4.2.4. Durchführungsbestimmungen 15 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 091/20 Seite 4 1. Erwerbstätigkeit in der Plattformökonomie Die Organisation der Arbeit über digitale Plattformen gewinnt zunehmend an Bedeutung. Rolle dieser Plattformen ist die Vermittlung zwischen Nutzergruppen. Neben sozialen Kommunikationsplattformen und digitalen Marktplätzen können dies vor allem auch Vermittlungs- oder sogenannte Crowdworking-Plattformen sein. Die Tätigkeiten auf Online-Plattformen können als sogenannte Microtasks sehr einfache, aber auch komplexe Arbeiten sein, sie können online oder als reale Leistung (sogenanntes Gigworking) erbracht werden.1 Die Begriffszuordnung ist im Einzelnen jedoch im Schrifttum nicht einheitlich. Zum Umfang der über digitale Plattformen erbrachten Arbeitsleistungen und die Zahl der dort Erwerbstätigen gibt es aufgrund der definitorischen Schwierigkeiten sowie von Problemen bei der Erfassung kaum verlässliche Angaben. Obwohl die Zahl Erwerbstätiger, die plattformbasiert Leistungen erbringen, in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen hat, dürfte sie deutschen und internationalen Studien zufolge insgesamt derzeit erst einen nur geringen Anteil der Erwerbsbevölkerung umfassen.2 Dies gilt insbesondere für den Anteil derjenigen, die regelmäßiges Einkommen aus einer solchen Tätigkeit erzielen.3 2. Rechtslage in Deutschland Spezielle Vorschriften, die den arbeitsrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Status von in der Plattformökonomie Tätigen regeln, gibt es in Deutschland nicht. Die Vielzahl der unterschiedlichen Plattformangebote lässt auch verallgemeinernde Aussagen über den Status der in diesem Rahmen tätigen Personen nicht zu. Hier kommt es auf die konkreten Rechtsverhältnisse bei den einzelnen Plattformanbietern an, die durchaus sehr unterschiedlich gestaltet sein können . So können Mitarbeiter je nach rechtlicher Ausgestaltung als Arbeitnehmer oder als Selbständige für die Plattform tätig werden. 1 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), Weißbuch Arbeiten 4.0, März 2017, S.55 ff., abrufbar im Internetauftritt des BMAS: http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/a883-weissbuch .pdf?__blob=publicationFile&v=9 (letzter Abruf am 27. Oktober 2017); vgl. dazu auch Schneider-Dörr, Andreja, Die neue Richtlinie 2019/1152 und die P2B-VO - ein Dilemma für Crowdwork, in: AuR 9/2020, S. 358. 2 Eine Reihe von Studien dazu, die im Wesentlichen auf repräsentativen Befragungen beruhen, werden in einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) vorgestellt: Schneider-Dörr, Andreja, Erwerbsarbeit in der Plattformökonomie - eine kritische Einordnung von Umfang, Schutzbedürftigkeit und arbeitsrechtlichen Herausforderungen, HBS, Working Paper Forschungsförderung Nr. 116, Februar 2019, S. 14 ff., 25 f., abrufbar im Internetauftritt der HBS: https://www.boeckler.de/pdf/p_fofoe_WP_116_2019.pdf (letzter Abruf: 27. Oktober 2020); vgl. zu den Erfassungsproblemen und Schätzungen für Österreich im internationalen Vergleich auch Mayrhuber, Christine / Bock-Schappelwein, Julia, Dimensionen plattformbasierter Arbeit in Österreich und Europa - Implikationen für die soziale Sicherheit, Wien: WIFO, Juli 2018, S. 25. Abrufbar im Internetauftritt des WIFO: https://www.wifo.ac.at/jart/prj3/wifo/resources/person_dokument/person_dokument.jart?publikationsid =61667&mime_type=application/pdf (letzter Abruf: 12. November 2020). 3 Vgl. Mayrhuber/Bock-Schappelwein (Fn. 2), S. 30. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 091/20 Seite 5 Überwiegend wird die Tätigkeit jedenfalls nominell als selbständige Tätigkeit erbracht. Ob es sich dabei im Einzelfall um Scheinselbständigkeit handelt, die sich in Wahrheit als abhängiges Beschäftigungsverhältnis darstellt, ist anhand der Kriterien zu bestimmen, die den jeweiligen Status ausmachen. 2.1. Arbeitsrechtliche Einordnung 2.1.1. Begriff des Arbeitnehmers Der Begriff des Arbeitnehmers ist in § 611a Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) definiert. Wesensmerkmal eines Arbeitsverhältnisses ist danach, dass eine Person im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet wird. Mit dieser gesetzlichen Definition sollen missbräuchliche Gestaltungen des Fremdpersonaleinsatzes durch vermeintlich selbständige Tätigkeiten verhindert und die Rechtssicherheit erhöht werden.4 Dafür hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aufgegriffen. Auch Satz 4 dieser Regelung spiegelt die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung wieder, wonach die Abgrenzung des Arbeitsverhältnisses von anderen Vertragsverhältnissen im Wege einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist. Durch eine solche wertende Betrachtung kann - so die Gesetzesbegründung - den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung getragen werden. § 611a Abs. 1 Satz 5 BGB stellt für den Fall, dass sich der Vertrag und seine Durchführung widersprechen , klar, dass für die rechtliche Einordnung als Arbeitsverhältnis die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses maßgebend ist. Auch dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.5 Eine Basisvereinbarung eines Crowdworkers mit dem Betreiber einer Internetplattform, die ihn zur Übernahme von Aufträgen berechtigt, aber weder für den Crowdworker eine Verpflichtung zur Übernahme von Aufträgen noch für den Auftraggeber eine Verpflichtung zu entsprechenden Angeboten enthält, begründet nach einer neueren - noch nicht rechtskräftigen - Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) München kein Arbeitsverhältnis im Sinne des § 611a BGB. Darauf , dass der Auftragnehmer tatsächlich einen erheblichen Teil seines Lebensunterhalts durch das Crowdworking verdient, kommt es dem Gericht zufolge nicht an.6 4 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze, Bundestagsdrucksache 18/9232, S. 18. 5 Vgl. zu den Kriterien im Einzelnen: Deutscher Bundestag - Wissenschaftliche Dienste, Sozialrechtlicher Begriff der Beschäftigung und arbeitsrechtliche Arbeitnehmereigenschaft in Abgrenzung zur selbständigen Tätigkeit, Sachstand WD 6 - 3000-028/20 vom 12. Juni 2020. 6 LAG München, Urteil vom 4. Dezember 2019 - 8 Sa 146/19, anhängig: BAG - 9 AZR 102/20, Termin: 1. Dezember 2020 (http://www.bundesarbeitsgericht.de/termine/termine.html, letzter Abruf: 16. November 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 091/20 Seite 6 2.1.2. Arbeitnehmerähnliche Personen Nach dieser Rechtsprechung dürften für digitale Plattformen tätige Personen überwiegend nicht abhängig beschäftigt, sondern als selbständige Erwerbstätige anzusehen sein. Für diese Gruppe gilt daher das Arbeitsrecht grundsätzlich nicht. Als Solo-Selbständige können sie allerdings zu den sogenannten arbeitnehmerähnlichen Personen gehören, wenn sie wirtschaftlich abhängig und vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig sind. Eine gesetzliche Definition der arbeitnehmerähnlichen Person enthält § 12a Abs. 1 des Tarifvertragsgesetzes (TVG). Für arbeitnehmerähnliche Personen können nach § 12a TVG von den Sozialpartnern wie für Arbeitnehmer Tarifverträge abgeschlossen werden. Des Weiteren haben arbeitnehmerähnliche Personen wegen der mit Arbeitnehmern vergleichbaren sozialen Schutzbedürftigkeit insbesondere Anspruch auf Urlaub (§ 2 Satz 2 des Bundesurlaubsgesetzes - BUrlG), Anspruch auf Arbeitsschutzmaßnahmen (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 des Arbeitsschutzgesetzes ) und Anspruch auf Schutz vor Diskriminierung (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes), arbeitnehmerähnliche Frauen haben auch Anspruch auf Mutterschutz (§ 1 Abs. 2 Nr. 7 des Mutterschutzgesetzes - MuSchG). Außerdem unterliegen arbeitnehmerähnliche Personen bei Rechtsstreitigkeiten der Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit (§ 5 Abs. 1 Satz 2 des Arbeitsgerichtsgesetzes). Die Legaldefinition des § 12a Abs. 1 TVG findet dabei keine unmittelbare Anwendung in den anderen Bereichen; jedoch können nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts deren Auslegungskriterien herangezogen werden.7 Zu den arbeitnehmerähnlichen Personen werden wegen entsprechender Schutzbedürftigkeit auch die in Heimarbeit nach dem Heimarbeitsgesetz beschäftigten Personen gezählt, die zwar selbständig tätig sind, für die gleichwohl einige arbeitsrechtliche Sondervorschriften Anwendung finden (zum Beispiel § 12 BurlG und § 1 Nr. 2 MuSchG).8 Aber auch hier bestehen keine besonderen Regelungen im Hinblick auf in der Plattformökonomie Tätige. Zwar könnte - bei Vorliegen der Voraussetzungen nach dem Heimarbeitsgesetz - im Einzelfall eine Anwendung auf so genannte Crowdworker in Betracht kommen; dies wird allerdings in der Fachliteratur überwiegend bezweifelt.9 2.2. Soziale Sicherung 2.2.1. Beschäftigung als Anknüpfungspunkt Als in allen Zweigen der Sozialversicherung pflichtversicherte Personen sind in § 2 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) 7 Lampe in: Beck Online-Kommentar Arbeitsrecht, 57. Edition, Stand: 1. September 2020, § 2 BurlG Rn. 3 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des BAG und der Kommentarliteratur. 8 Hopfe in: Grobys/Panzer-Heemeier, StichwortKommentar Arbeitsrecht, 3. Auflage, Edition 13 2020, Stichwort „Heimarbeit“, Rn. 1. 9 Vgl. z.B. Däubler, Wolfgang / Klebe, Thomas, Crowdwork: Die neue Form der Arbeit - Arbeitgeber auf der Flucht?, NZA 2015, S. 1032, 1036. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 091/20 Seite 7 insbesondere Personen genannt, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind. Neben den übrigen in § 2 SGB IV genannten Personen, enthalten die jeweiligen Teile des Sozialgesetzbuches weitere Regelungen für den in den verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung (z.B. vgl. § 5 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) versicherten Personenkreis. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV bezeichnet als Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ist damit Anknüpfungspunkt für die Sozialversicherung: Beschäftigte sind in allen Zweigen der Sozialversicherung nach Maßgabe der besonderen Vorschriften in den Versicherungszweigen versichert. Im Verhältnis zum Arbeitsrecht regelt der sozialversicherungsrechtliche Begriff der Beschäftigung zwei verschiedene Aspekte: Zum einen wird klargestellt, dass in der Regel ein wirksames Arbeitsverhältnis zur sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigung führt; zum anderen wird deutlich, dass der Begriff der Beschäftigung auch in Fällen anwendbar sein kann, in denen kein privatrechtliches Arbeitsverhältnis vorliegt. Der Begriff der Beschäftigung ist insofern weiter, als der des privatrechtlichen Arbeitsverhältnisses. 2.2.2. Grundsatz Anders als abhängige Beschäftigte sind Selbständige - abgesehen von einigen Ausnahmen in der gesetzlichen Rentenversicherung und der sozialen Sicherung der freien Berufe - grundsätzlich sozialversicherungsfrei. Im Sozialgesetzbuch wird die selbständige Tätigkeit nicht definiert und muss daher im Umkehrschluss zur abhängigen Beschäftigung definiert und abgegrenzt werden. Dabei steht bei der Selbständigkeit die persönliche Unabhängigkeit im Vordergrund, insbesondere hinsichtlich des Arbeitsortes, der Arbeitszeit und der Art und Weise der Arbeitsausführung. Der Selbständige arbeitet für eigene Rechnung und trägt das wirtschaftliche Risiko. Insgesamt kommt es für die Beurteilung, ob eine selbständige Tätigkeit oder ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt, auf die Umstände des Einzelfalls an. 2.2.3. Ausnahmen Zu den Ausnahmen, in denen trotz Selbständigkeit eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung besteht, zählen nach § 2 Nr. 9 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) selbständig tätige Personen, die im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen und auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind, sowie Künstler und Publizisten nach näherer Bestimmung des Künstlersozialversicherungsgesetzes (§ 2 Nr. 5 SGB IV). Geringfügig Beschäftigte nach §§ 8, 8a SGB IV, die in der gesetzlichen Krankenversicherung, der Arbeitslosenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung versicherungsfrei sind, sind in der gesetzlichen Unfallversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig . Von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung können sie sich allerdings nach § 6 Abs. 1b SGB VI auf Antrag befreien lassen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 091/20 Seite 8 3. Rechtslage in Österreich 3.1. Arbeitsrechtliche Einordnung 3.1.1. Begriff des Arbeitnehmers Der Begriff des Arbeitnehmers ist in Österreich nicht gesetzlich definiert. Die österreichische Rechtsordnung kennt unterschiedliche Arbeitnehmerbegriffe und unterscheidet zwischen arbeitsvertraglichen , betriebsverfassungsrechtlichen und sonstigen rechtlichen Zusammenhängen.10 Für arbeitsrechtliche Fragen wie Entlohnung und die Anwendung von Kollektivverträgen kommt es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung auf die arbeitsvertragliche Arbeitnehmereigenschaft an. Arbeitnehmer im Sinne des österreichischen Arbeitsvertragsrechts ist danach, wer aufgrund eines Arbeitsvertrages einem anderen zur Dienstleistung in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. „Wesentliches Merkmal des Arbeitsverhältnisses ist die persönliche Abhängigkeit des/der Arbeitnehmers/-in, die sich vor allem durch die Einordnung in den betrieblichen Ordnungsbereich des/der Arbeitgebers/-in und nicht zuletzt durch die Weisungsgebundenheit ergibt. Auch die wirtschaftliche Abhängigkeit stellt ein Kriterium dieses Arbeitnehmerbegriffes dar.“11 Der so beschriebene Arbeitnehmerbegriff ähnelt sehr dem Arbeitnehmerbegriff des § 611a BGB, sodass im Zusammenhang mit Auslegungsfragen nicht selten auch deutsches Schrifttum herangezogen wird.12 „Die Crowdworker/-innen schließen zumeist Rahmenverträge mit den jeweiligen Crowdsourcing- Plattformen ab. Ob diese Verträge als Arbeitsverträge zu werten sind, muss aber stets im Einzelfall beurteilt werden und wird auch in der Literatur kontroversiell diskutiert.“13 Im Einzelfall wird auch geprüft, ob es sich bei den einzelnen Aufträgen, die von den Crowdworkern übernommen werden, um Arbeitsverträge handeln könnte.14 Aufgrund fehlender Weisungsgebundenheit und organisatorischer Einbindung in einen Betrieb wird aber bei Crowdworkern auch nach österreichischem Recht zumeist von einer selbständigen Tätigkeit auszugehen sein.15 10 Vgl. dazu Bremm, Gerhard / Karlod, Mario, Die Problematik von Crowdwork im österreichischen Arbeitsrecht - Arbeitsrechtliche Begriffsbestimmungen des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers am Prüfstand, WISO (Zeitschrift des Linzer Instituts für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften - ISW) 2/2017, S. 71, 74 ff., abrufbar im Internetauftritt des ISW: https://www.isw-linz.at/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=45&token =55a6c6f96774d01c8482988d858f0386da2d1b10 (letzter Abruf: 12. November 2020). 11 Bremm/Karlod (Fn. 10), S. 75 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (OGH); dabei handelt es sich um das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit; er entspricht dem Bundesgerichtshof. 12 Vgl. Bremm/Karlod (Fn. 10), S. 76, Fn. 13. 13 Bremm/Karlod (Fn. 10), S. 75. 14 Bremm/Karlod (Fn. 10), S. 76 mit Nachweis. 15 Bremm/Karlod (Fn. 10), S. 75 f., 78 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 091/20 Seite 9 3.1.2. Arbeitnehmerähnliche Personen Das österreichische Recht kennt wie das deutsche Recht auch das Konzept der arbeitnehmerähnlichen Person. Entscheidendes Merkmal ist die wirtschaftliche Unselbständigkeit, zu deren Feststellung der Oberste Gerichtshof16 eine Gesamtbetrachtung mehrerer Faktoren heranzieht. Wegen fehlender unternehmerischer Struktur werden Crowdworker in vielen Fällen als arbeitnehmerähnliche Person einzustufen sein.17 Diese Qualifizierung würde für die Betroffenen „freilich nur wenig Probleme lösen, zumal zentrale arbeitsrechtliche Bestimmungen wie das Arbeitszeitgesetz , das Urlaubsgesetz, die Entgeltfortzahlung bei Krankheit, der Kündigungsschutz sowie die Regelungen über den Kettenarbeitsvertrag nicht zur Anwendung gelangen.“18 Erwogen wird auch die Frage, ob auf Crowdworker, die ihre Arbeit im Wesentlichen von zu Hause aus erbringen, das österreichische Heimarbeitsgesetz (HeimArbG) Anwendung finden könnte, das arbeitsrechtliche Mindeststandards und auch eine Mindestentlohnung festlegt. „Da die Tätigkeiten der Crowdworker/-innen jedoch durchwegs nicht-manuelle Tätigkeiten betreffen, ist der Anwendungsbereich des HeimArbG nicht eröffnet.“19 3.2. Projekt eines Plattformarbeitsgesetzes In der politischen Diskussion war vor wenigen Jahren das Projekt eines Plattformarbeitsgesetzes. „Herzstück des Vorschlags war eine widerlegliche Vermutung eines Arbeitsverhältnisses zur Plattform mit einem konkreten Indizienkatalog […]. Dadurch wurde zwar keine verbindliche Qualifikation der Vertragsverhältnisse vorgenommen, aber immerhin eine Beweislastumkehr herbeigeführt . Denn üblicherweise sind es die arbeitenden Personen, die beweisen müssen, dass sie eben nicht selbständig, sondern abhängig beschäftigt werden. […] Zusätzlich wurden in diesem Entwurf aber auch weitere Punkte aufgenommen, die auch auf arbeitnehmer*innenähnliche Plattformbeschäftigte Anwendung finden sollten. Hierzu seien etwa Informationspflichten hinsichtlich der Vertragspartner und deren Adresse (insbesondere im Falle einer bloßen Vermittlungstätigkeit der Plattformbetreiber), die Anwendung des Gleichbehandlungs-rechts auf Plattformen und als Reaktionsmöglichkeit auf diskriminierende Auftragszuteilungen oder die Deaktivierung des Benutzer*innenkontos genannt. Vorgesehen war ebenso eine Equal-Pay-Pflicht - ähnlich der Bestimmungen im Arbeitskräfteüberlassungsgesetz - sowie ein Verbot bestimmter Vertragsklauseln , etwa der unbegründeten Ablehnung von Arbeitsergebnissen, und das Verbot des Crow- 16 Siehe oben Fn. 11. 17 Bremm/Karlod (Fn. 10), S. 77. 18 Bremm/Karlod (Fn. 10), S. 77. 19 Bremm/Karlod (Fn. 10), S. 76 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 091/20 Seite 10 dsourcings für von Streik oder Aussperrung betroffene Betriebe. […] Aufgrund politischer Umwälzungen wurde das Projekt eines Plattformarbeitsgesetzes in der jüngeren Vergangenheit allerdings nicht mehr weiterverfolgt.“20 3.3. Soziale Sicherung 3.3.1. Arbeitnehmer oder Selbständige „Sind Crowdworker gegen Entgelt überwiegend in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit beschäftigt, sind sie DienstnehmerInnnen im Sinne des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG). […] Werden die Dienstleistungen überwiegend persönlich erbracht und sind keine wesentlichen Betriebsmittel vorhanden, handelt es sich um Freie DienstnehmerInnen, die im Prinzip den DienstnehmerInnen gleichgestellt sind. Werden die Arbeiten selbständig außerhalb der Gewerbeordnung erbracht, gelten die Crowdworker als Neue Selbständige[21] […].“22 3.3.2. Gewerbliche Sozialversicherung „In Österreich unterliegen [auch] Gewerbetreibende und Neue Selbständige […] der Sozialversicherungspflicht . Neben der Unfall-, Kranken- und Pensionsversicherung (‚Vollversicherung‘) besteht die Möglichkeit einer freiwilligen Arbeitslosenversicherung. Die Kranken- und Pensionsversicherung sind im Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz (GSVG), die Unfallversicherung ist im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz(ASVG) und die Selbständigenvorsorge ist im Betrieblichen Mitarbeitervorsorgegesetz (BMSVG) geregelt. Unter bestimmten Voraussetzungen können Kleingewerbetreibende eine Ausnahme von der Vollversicherung erwirken. Personen, die gleichzeitig unselbständig und selbständig erwerbstätig sind, sind mehrfach beitragspflichtig in der Unfallversicherung , in der Pensionsversicherung ist der Grundsatz der Mehrfachversicherung durchbrochen. Sobald die GSVG-Mindestbeitragsgrundlage (2017: monatlich € 723,52 in der Pensionsversicherung bzw. € 425,70 in der Krankenversicherung) überschritten wird, liegt eine Vollversicherung vor, die auch Soloselbständige umfasst. Prinzipiell ist diese Gruppe sozialrechtlich voll abgesichert […].“23 Das österreichische Sozialversicherungssystem verknüpft allerdings den 20 Gruber-Risak, Martin / Warter, Johannes / Berger, Christian, Plattformarbeit – was tun?, Grundlagenpapier, Wien September 2020, S. 10 f. mit weiteren Nachweisen. 21 Als Neue Selbständige werden in Österreich solche Personen bezeichnet, die aufgrund einer betrieblichen Tätigkeit steuerrechtlich Einkünfte aus selbstständiger Arbeit erzielen und die für diese Tätigkeiten keine Gewerbeberechtigung benötigen, vgl. dazu im Unternehmensserviceportal der österreichischen Bundesregierung: https://www.usp.gv.at/Portal.Node/usp/public/content/mitarbeiter/arten_von_beschaeftigung/neue_selbststaendige /Seite.880004.html (letzter Abruf: 17. November 2020). 22 Vgl. Mayrhuber/Bock-Schappelwein (Fn. 2), S. 31. 23 Vgl. Mayrhuber/Bock-Schappelwein (Fn. 2), S. 20 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 091/20 Seite 11 Anspruch und das Niveau der sozialen Absicherung mit der Einkommenshöhe und der Dauer der sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit.24 3.3.3. Sozialversicherungs-Zuordnungsgesetz Die Unterscheidung zwischen abhängiger Beschäftigung im Arbeitsverhältnis und selbständiger Erwerbstätigkeit ist von Bedeutung für die Zuordnung zu den verschieden Sozialversicherungsträgern . Wegen der Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zwischen echtem Dienstvertrag, freiem Dienstvertrag und Werkvertrag im Einzelfall gerade auch bei den Crowdworkern, wurden durch das Sozialversicherungszuordnungsgesetz mit Wirkung vom 1. Juli 2017 mit den §§ 412a bis 412d ASVG Regelungen für ein förmliches Sozialversicherungs-Zuordnungsverfahren in das ASVG aufgenommen.25 Während es bisher der Ex-post-Beurteilung des Einzelfalls durch die Versicherungsträger bedurfte und es infolge von Gerichtsurteilen häufig zu nachträglichen Umqualifizierungen kam, bei denen rückwirkend die Zuständigkeit eines anderen Sozialversicherungsträgers festgestellt wurde,26 stellen die neuen Regelungen ein Verfahren zur verbindlichen Vorabzuordnung zur Verfügung. Dies soll mehr Rechtsicherheit bei der sozialversicherungsrechtlichen Abgrenzung bieten.27 4. Rechtslage in Frankreich Auch in Frankreich erlangt die Plattformökonomie, die in Frankreich überwiegend als économie collaborative (kollaborative Ökonomie) bezeichnet wird, immer größere Bedeutung. Nach Informationen der französischen Assemblée nationale arbeiteten 2015 in der Plattformökonomie etwa 13.000 abhängig Beschäftigte und 80.000 selbständig erwerbstätige Personen. 4.1. Arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Einordnung Eine einheitliche Vertragsgestaltung für in der Plattformökonomie tätige Personen gibt es in Frankreich ebenfalls nicht. Je nach Gestaltung im Einzelfall können sie abhängig Beschäftigte der 24 Mayrhuber/Bock-Schappelwein (Fn. 2), S. 38. 25 Vgl. zu Gesetzestext und Informationen zum Beratungsablauf im Internetauftritt des österreichischen Parlaments : https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/ME/ME_00297/index.shtml#tab-Uebersicht (letzter Abruf : 17. November 2020). 26 Vgl. Noggler, Katharina Maria, Das Sozialversicherungs-Zuordnungsgesetz 2017 und seine Auswirkungen - Mehr Rechtssicherheit?, Diplomarbeit an der Karl-Franzens-Universität Graz, Sep. 2018, S. 1 ff., abrufbar im Intenetauftritt der Universität Graz; https://unipub.uni-graz.at/obvugrhs/download/pdf/2878979?originalFilename =true (letzter Abruf: 17. November 2020). 27 Bremm/Karlod (Fn. 10), S. 82 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 091/20 Seite 12 jeweiligen Plattform sein oder als selbständige Mitarbeiter für eine Plattform tätig werden. Vielfach wird die Arbeit in der Plattformökonomie gar nicht als formale Erwerbstätigkeit empfunden .28 Das französische Arbeitsrecht ist durch eine strenge Dichotomie zwischen Arbeitsverhältnis und selbständiger Tätigkeit geprägt,29 sodass der Status stets eindeutig geklärt werden muss. Je nach vertraglicher und tatsächlicher Ausgestaltung des Verhältnisses mit dem Plattformbetreiber im Einzelfall handelt es sich bei den Nutzern der Plattform um Arbeitnehmer, auf die das Arbeitsrecht Anwendung findet, oder aber um Selbständige, die dem Schutz des Arbeitsrechts nicht unterliegen . Die meisten in der Plattformökonomie Tätigen entscheiden sich für eine Tätigkeit als Kleinstunternehmer, die steuerliche Vorteile bietet und für die eine – allerdings widerlegliche - Selbständigkeitsvermutung gilt (Art. L8221-6 des Arbeitsgesetzbuchs - Code du travail30).31 4.1.1. Arbeitsverhältnis Das Arbeitsverhältnis ist in Frankreich gesetzlich nicht definiert.32 Nach gefestigter Rechtsprechung zeichnet es sich vor allem durch ein rechtliches (nicht nur wirtschaftliches) Unterordnungsverhältnis des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber aus. Der französische Kassationshof (Cour de cassation)33 definiert es als Erbringung einer Arbeitsleistung in einem Unterordnungsverhältnis , das charakterisiert ist durch Ausübung von Arbeit unter Aufsicht eines Arbeitgebers , der befugt ist, Anordnungen und Anweisungen zu erteilen, deren Ausführung zu kontrollieren und Verstöße zu ahnden.34 Dabei kommt es für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses nicht auf den Willen der Vertragsparteien an, sondern auf die tatsächliche Durchführung im Einzelfall. Die Rechtsprechung ist an 28 Vgl. Sevin, Nicolas de / Masnou, Benoît, Le droit du travail face à l’économie collaborative, Internetveröffentlichung , Les Echos, 27. Januar 2016 (frz.), abrufbar im Internetauftritt von Les Echos: https://business.lesechos .fr/directions-ressources-humaines/partenaire/partenaire-536-le-droit-du-travail-face-a-l-economie-collaborative -206633.php (letzter Abruf: 11. November 2020). 29 Daugareilh, Isabelle, Der Widerstand der französischen Richter gegen die Sirenen der Uberisierung der Wirtschaft , AuR 9/2020, S. 352 ff., Abschnitt I 1. 30 Die konsolidierte Fassung des französischen Arbeitsgesetzbuchs ist abrufbar in der Internet-Gesetzesdatenbank der französischen Regierung: https://www.legifrance.gouv.fr/affichCode.do?cidTexte=LEGITEXT000006072050 (letzter Abruf: 12. November 2020). 31 Daugareilh (Fn. 31), Abschnitt I 1. 32 Sevin/Masnou (Fn. 28). 33 Beim Kassationsgericht handelt es sich um das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit; er entspricht dem Bundesgerichtshof. 34 Abate Puissilieux, Claire, Economie collaborative et contrat de travail : quoi de neuf sous le soleil? Internetveröffentlichung , 27. Januar 2016, aktualisiert 11. September 2017 (frz.), mit Nachweis, abrufbar im juristischen Internetnetzwerk Village de la justice: https://www.village-justice.com/articles/Economie-collaborative-contrat ,21168.html (letzter Abruf: 9. November 2020); vgl. auch Sevin/Masnou (Fn. 28) und Daugareilh (Fn. 31), Abschnitt I 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 091/20 Seite 13 die von den Parteien gewählte Bezeichnung des Vertrags nicht gebunden und hat vermeintlich selbständige Tätigkeiten bereits vielfach als Arbeitsverhältnisse qualifiziert. Im Falle festgestellter Scheinselbständigkeit kann der Arbeitgeber wegen des Verbergens eines Arbeitsverhältnisses strafbar sein.35 Am 4. März 2020 hat die Kammer für Sozialsachen des Kassationshofs eine Entscheidung des Pariser Appellationshofs (Cour d’appel) vom 10. Januar 2019 bestätigt, wonach es sich bei einem Vertrag, den der Betreiber der Mobilitätsplattform Uber mit einem Fahrer als freiem Mitarbeiter abgeschlossen hatte, in Wahrheit um einen Arbeitsvertrag handelte. Die darin geregelte Weisungsbefugnis des Plattformbetreibers gegenüber dem Fahrer sowie die Kontroll- und Sanktionsrechte ließen das Vertragsverhältnis in der Gesamtschau als Arbeitsverhältnis erscheinen.36 Bereits in einer Entscheidung vom 28. November 2018 hatte der Kassationshof das Vertragsverhältnis eines für eine Essensauslieferungsplattform tätigen Kurierfahrers als Arbeitsverhältnis gewertet , der zwar in seiner Arbeitszeiteinteilung frei war, aber bei der Ausführung seiner Aufträge über ein Geolokalisierungsprogramm vom Plattformbetreiber kontrolliert wurde, der ihn bei Verstößen gegen seine Vorgaben auch sanktionieren konnte. In dieser Konstellation erkannte das Gericht ein für Arbeitsverträge typisches Unterordnungsverhältnis.37 In der Rechtspraxis wird die zitierte Rechtsprechung als Tendenz interpretiert, die Tätigkeit für digitale Plattformen unter Anpassung der Auslegung der richterrechtlich erarbeiteten Kriterien der rechtlichen Unterordnung an die digitalen Organisationsformen und Kontrollmechanismen der Plattformökonomie dem Schutz des Arbeitsrechts zu unterstellen.38 4.1.2. Sozialversicherung Die allgemeine Sozialversicherungspflicht folgt der strengen Dichotomie des Arbeitsrechts. Ausschlaggebend ist auch hier das Vorliegen eines zivilrechtlichen Arbeitsverhältnisses.39 Selbständige sind ohne Ausnahme weder sozialversicherungspflichtig noch können sie Leistungen beanspruchen . 35 Abate Puissilieux (Fn. 34). 36 Vgl. La Cour de cassation requalifie le lien unissant Uber à un chauffeur en "contrat de travail", Internetveröffentlichung , Le Monde du Droit, 5. März 2020 (frz.), abrufbar im Internetauftritt der Zeitschrift Le Monde du Droit: https://www.lemondedudroit.fr/decryptages/68913-cour-cassation-requalifie-lien-unissant-uber-chauffeur -contrat-travail.html (letzter Abruf: 9. November 2020). 37 Vgl. dazu Daugareilh (Fn. 31), Abschnitt I 2. 38 Daugareilh (Fn. 31), Abschnitt II; vgl. auch bereits Sevin/Masnou (Fn. 28). 39 Abate Puissilieux (Fn. 34). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 091/20 Seite 14 4.2. Gesetzliche Neuregelungen Auf der Grundlage eines im Februar 2016 erstellten Berichts zur Plattformökonomie40, der unter anderem eine Reihe politischer Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der Situation selbständiger Plattformmitarbeiter enthielt, hat auch der Gesetzgeber auf die Entwicklungen in der Plattformökonomie reagiert und weitere Arbeitnehmern vorbehaltene Rechte teilweise auch für selbständige Mitarbeiter digitaler Plattformen geöffnet und weitere Maßnahmen zu deren sozialem Schutz eingeführt Durch das Gesetz Nr. 2016-1088 vom 8. August 2016 über die Arbeit, die Neugestaltung der Sozialpartnerschaft und die Sicherung des beruflichen Werdegangs41 wurden unter anderem Neuregelungen geschaffen, die die Arbeitsbedingungen und den sozialen Schutz selbständig Erwerbstätiger in der Plattformökonomie verbessern sollen. Sie sind am 1. Januar 2018 in Kraft getreten. Das Gesetz sieht hierzu in dem Teil des Arbeitsgesetzbuches über personenbezogene Dienstleistungen die Einführung eines neuen Abschnitts mit der Überschrift „Erwerbstätige, die eine elektronische Vernetzungsplattform nutzen“ vor (Artikel L. 7341-1 bis L. 7342-6 des Arbeitsgesetzbuches ). 4.2.1. Definitionen Die in diesem Abschnitt vorgesehenen Bestimmungen enthalten erstmals eine Legaldefinition des Begriffs „travailleur indépendent“ (unabhängiger Mitarbeiter) im Zusammenhang mit dem Begriff „Plattform“, was auf die wachsende Bedeutung dieser Art von Tätigkeit hindeutet. Eine Plattform wird definiert als Unternehmen, welches Menschen durch ein Netzwerk zum Zweck des Verkaufs einer Ware, der Erbringung einer Dienstleistung oder des Tausches oder des Teilens einer Ware oder einer Dienstleistung verbindet. 4.2.2. Soziale Verantwortung der Plattformen Das Gesetz führt außerdem den Grundsatz der „sozialen Verantwortung der Plattformen“ ein, indem es diesen unter bestimmten Voraussetzungen Pflichten gegenüber den unabhängigen Mitar- 40 Terrasse, Pascal / Barbezieux, Philippe / Herody, Camille, Rapport au premier ministre sur l’économie collaborative , Hôtel de Matignon - Février 2016 (frz.), abrufbar im Internetauftritt der der französischen Regierung: https://www.gouvernement.fr/sites/default/files/document/document/2016/02/08.02.2016_rapport_au_premier _ministre_sur_leconomie_collaborative.pdf; eine Zusammenfassung des Berichts und der politischen Handlungsempfehlungen (frz.) findet sich ebenfalls dort: https://www.gouvernement.fr/sites/default/files /contenu/piece-jointe/2016/02/08.02.2016_synthese_du_rapport_sur_leconomie_collaborative.pdf (letzter Abruf jeweils: 12. November 2020). 41 Loi n° 2016-1088 du 8 août 2016 relative au travail, à la modernisation du dialogue social et à la sécurisation des parcours professsionnels, Journal officiel de la République française (JORF) n°0184 du 9 août 2016, abrufbar in der Internet-Gesetzesdatenbank der französischen Regierung: https://www.legifrance.gouv.fr/affichTexte.do?cidTexte=JORFTEXT000032983213&categorieLien=id (letzter Abruf: 12. November 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 091/20 Seite 15 beitern auferlegt, welche die von der Plattform angebotenen Dienstleistungen oder Waren erbringen , und den besagten Mitarbeitern bestimmte Rechte eröffnet. Die soziale Verantwortung der Plattformen erstreckt sich auf den Zugang zur Berufsunfallversicherung, zur beruflichen Weiterbildung sowie zur Anerkennung erworbener Berufserfahrungen. Die Plattformen werden zur Übernahme der Kosten für eine von dem unabhängigen Mitarbeiter abgeschlossene Berufsunfallversicherung verpflichtet. Die Plattformen müssen daher entweder einen Kollektiv-Versicherungsvertrag zur Deckung von Berufsunfällen für die dort tätigen unabhängigen Mitarbeiter abschließen oder die Versicherungsbeiträge der individuell versicherten Mitarbeiter (freiwillige gesetzliche Versicherung oder Privatversicherung) erstatten. Der Plattformbetreiber muss darüber hinaus einen Beitrag zur beruflichen Weiterbildung (Contribution à la formation professionnelle continue42) der unabhängigen Mitarbeiter leisten, die ihre Dienstleistungen nutzen. Er trägt außerdem die Kosten für die Verfahren zur Anerkennung erworbener Berufserfahrung (validation des aquis de l’expérience43). 4.2.3. Kollektivrechte der unabhängigen Mitarbeiter Die unabhängigen Mitarbeiter erhalten das Recht, im Rahmen einer konzertierten Vorgehensweise die Erbringung ihrer Dienstleistungen zu verweigern, um berufliche Interessen zu verteidigen , ohne dass dadurch - außer in Fällen einer missbräuchlichen Ausübung dieses Rechts - die vertragliche Haftung der Mitarbeiter ausgelöst wird oder seitens der Plattformen Vergeltungsmaßnahmen ergriffen oder die Geschäftsbeziehung gelöst werden können. Sie erhalten außerdem das Recht zur Gründung einer Gewerkschaft. 4.2.4. Durchführungsbestimmungen Das Dekret Nr. 2017-774 vom 4. Mai 2017 über die sozialrechtliche Verantwortung der elektronischen Vernetzungsplattformen44 regelt die Durchführung der Bestimmungen zur sozialen Verantwortung der Plattformen der kollaborativen Wirtschaft und ergänzt den Titel IV des Arbeitsgesetzbuches . Es ist am 1. Januar 2018 in Kraft getreten. Die Kosten einer Berufsunfallversicherung für unabhängige Mitarbeiter werden danach von der Plattform übernommen, sofern der unabhängige Mitarbeiter durch die Zusammenarbeit mit die- 42 Dabei handelt es sich um einen Beitrag zu einem von den Sozialpartnern der jeweiligen Branche paritätisch geführten Fond, aus dem Weiterbildungsmaßnahmen gefördert werden. Beitragspflichtig waren Unternehmer nach den Bestimmungen des Arbeitsgesetzbuches zuvor nur für abhängig Beschäftigte; vgl. dazu im Internet (frz.): https://www.opcalia.com/employeurs/financer-la-formation-et-lapprentissage/contributions-formation/ (letzter Abruf: 12. November 2020). 43 Dabei handelt es sich um ein System staatlicher Zertifizierung in der Praxis erworbener Berufserfahrung; vgl. dazu im Internet (frz.): http://www.vae.gouv.fr/ (letzter Abruf: 12. November 2020). 44 Décret n° 2017-774 du 4 mai 2017 relatif à la responsabilité sociale des plateformes de mise en relation par voie électronique, JORF n° 0107 du 6 mai 2017, abrufbar in der Internet-Gesetzesdatenbank der französischen Regierung : https://www.legifrance.gouv.fr/eli/decret/2017/5/4/ETST1710240D/jo/texte (letzter Abruf: 12. November 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 091/20 Seite 16 ser Plattform einen Umsatz in Höhe von 13 Prozent oder mehr der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der Sozialversicherung (für das Jahr 2017 entsprach dies einem Betrag in Höhe von 5.099,64 EUR) erwirtschaftet hat. Der Beitrag zur beruflichen Weiterbildung sowie die Kosten im Zusammenhang mit der Anerkennung erworbener Berufserfahrungen werden ebenfalls bis zu dieser Bemessungsgrenze von der Plattform getragen. Arbeitet ein unabhängiger Mitarbeiter für mehrere Plattformen, werden die oben genannten Kosten von jeder der Plattformen anteilig übernommen, bezogen auf den Umsatz, den der Mitarbeiter der jeweiligen Plattform im Verhältnis zum über diese Plattformen erwirtschafteten Gesamtumsatz erzielt hat. Schließlich regelt das Dekret die Geltendmachung der Kostenübernahme. Der Antrag kann online und kostenlos gestellt werden. Die Plattformen sind verpflichtet, ihre Mitarbeiter auf die Möglichkeit und die Bedingungen einer Kostenübernahme hinzuweisen. ***