© 2016 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 090/16 Vereinfachungen und Ausnahmeregelungen im deutschen Arbeitsund Sozialrecht für kleine und mittlere Unternehmen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Betriebsänderungen und Sozialplanpflicht 9 4.3.5. Jugend- und Auszubildendenvertretung 10 4.4. Andere Vorschriften 10 4.4.1. Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) 10 4.4.2. Gesetz über die Pflegezeit (PflegeZG) 11 4.4.3. Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) 11 4.4.4. Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) 11 5. Sozialrecht 12 5.1. Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) - Arbeitsförderung 12 5.1.1. Förderung besonderer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 12 5.1.2. Weiterbildungsförderung in kleinen und mittleren Unternehmen 12 5.2. Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) - Gesetzliche Unfallversicherung 12 5.3. Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen 13 5.3.1. Beschäftigung schwerbehinderter Arbeitnehmer 13 5.3.2. Schwerbehindertenvertretung 13 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 090/16 Seite 4 1. Einleitung Zwar definieren die Europäische Kommission (EU-Kommission) und das Institut für Mittelstandsforschung Bonn (IfM Bonn) die Kategorie „Kleinstunternehmen, kleine und mittlere Unternehmen “ (KMU) anhand der gleichen Kriterien unterschiedlich, dennoch zählten, sowohl nach der Definition der EU-Kommission, als auch nach der des IfM Bonn, in Deutschland im Jahr 2013 rund 3,6 Millionen Unternehmen zu den KMU. Damit machten die KMU über 99% aller Unternehmen in Deutschland aus. Gleichzeitig beschäftigten sie über 50% der sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer.1 Damit kommt den KMU in der deutschen Wirtschaft eine tragende Rolle zu. 2. Definition KMU Nach der Empfehlung der EU-Kommission handelt es sich bei KMU um Unternehmen, die weniger als 250 Personen beschäftigen und die entweder einen Jahresumsatz von höchstens 50 Millionen Euro erzielen oder deren Jahresbilanzsumme sich auf höchstens 43 Millionen Euro beläuft.2 Innerhalb dieser Kategorie wird außerdem zwischen Kleinunternehmen, die weniger als 50 Personen beschäftigen und deren Jahresumsatz bzw. Jahresbilanz zehn Millionen Euro nicht übersteigt und Kleinstunternehmen, die weniger als zehn Personen beschäftigen und deren Jahresumsatz bzw. Jahresbilanz zwei Millionen Euro nicht überschreitet differenziert. Das IfM Bonn versteht unter Kleinstunternehmen Unternehmen, die bis zu neun Personen beschäftigen und deren Jahresumsatz bis zu zwei Millionen Euro beträgt. Kleinunternehmen beschäftigen nach dieser Definition bis zu 49 Personen und erwirtschaften einen Jahresumsatz von bis zu zehn Millionen Euro, wohingegen mittlere Unternehmen bis zu 499 Personen beschäftigen und einen Jahresumsatz von bis zu 50 Millionen Euro erwirtschaften.3 3. Schwellenwerte Weder das deutsche Arbeitsrecht, noch das deutsche Sozialrecht arbeiten mit dem Begriff KMU. Vielmehr werden hier Regelungen anhand von Schwellenwerten definiert. So entstehen je nach Anzahl der Arbeitnehmer Pflichten oder Belastungen für den Arbeitgeber. Mit dem Überschreiten einzelner Schwellenwerte können für den Arbeitgeber beispielsweise erschwerte Möglichkeiten zur Kündigung oder mit der Betriebsratsarbeit verbundene Kosten entstehen. Um KMU vor ho- 1 http://www.ifm-bonn.org/statistiken/unternehmensbestand/#accordion=0&tab=0 (zuletzt abgerufen am 4. Juni 2016). 2 Artikel 1, Anhang zu 2003/361/EG; abzurufen unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=uriserv:OJ.L_.2003.124.01.0036.01.DEU (zuletzt abgerufen am 4. Juni 2016). 3 http://www.ifm-bonn.org/definitionen/kmu-definition-des-ifm-bonn/ (zuletzt abgerufen am 4. Juni 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 090/16 Seite 5 hen finanziellen und administrativen Belastungen zu schützen wurden im Arbeits- und Sozialrecht Schwellenwerte eingeführt, welche sich jedoch nicht an der starren Definition KMU orientieren , sondern vielschichtiger sind.4 Diese Schwellenwerte werden an unterschiedliche Bezugspunkte geknüpft. So kommen, je nach Zweck der Regelung, als Bezugspunkte der Betrieb5, das Unternehmen6, der Arbeitgeber7 oder die Betriebsstätte8 in Betracht. Grundsätzlich gilt, dass Teilzeitbeschäftigte zur Ermittlung der Arbeitnehmeranzahl im Individualarbeitsrecht , je nach Stundenzahl, anteilig9, im Kollektivarbeitsrecht jedoch nach Kopfzahl berücksichtigt werden. Korrespondierend dazu werden Auszubildende in den Regelungen zum Individualarbeitsrecht häufig nicht zur Ermittlung der Arbeitnehmeranzahl berücksichtigt, im Kollektivarbeitsrecht hingegen ebenfalls nach Kopfzahl. Dahinter steckt der Gedanke, dass ausbildungsbereite Betriebe nicht „abgeschreckt“ oder „bestraft“ werden sollen.10 4. Arbeitsrecht 4.1. Kündigungsschutzgesetz (KSchG) Das KSchG greift in das arbeitgeberseitige Kündigungsrecht ein. Dabei ist besonders § 1 KSchG von großer Relevanz. Dieser regelt, dass eine ordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers, dessen Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat, sozial gerechtfertigt sein muss. Welche Kündigung sozial ungerechtfertigt ist, regelt § 1 Abs. 2 KSchG. 4 Koller, L., Schnabel, C. und Wagner, J., Schwellenwerte im Arbeitsrecht: Höhere Transparenz und Effizienz durch Vereinheitlichung, Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 8, 2007, S. 242–255, S. 242. 5 § 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), § 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG). 6 § 22 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). 7 § 71 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). 8 Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) 9 I.d.R. werden Teilzeitbeschäftigte mit einer Wochenarbeitszeit bis zu 20 Stunden mit 0,5 und mit einer Wochenarbeitszeit bis zu 30 Stunden mit 0,75 berücksichtigt, vgl. z.B. § 23 Abs. 1 KSchG. 10 Koller/ Schnabel/ Wagner, Schwellenwerte im Arbeitsrecht, Perspektiven der Wirtschaftspolitik, S. 246 (s.o. Fn. 4). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 090/16 Seite 6 4.1.1. Geltungsbereich § 23 KSchG schränkt den Geltungsbereich des allgemeinen Kündigungsschutzes ein. Hierbei kommt es maßgeblich auf die Zahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer an. Seit der Änderung des § 23 KSchG durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 200311 ist außerdem zwischen „Altarbeitnehmern“ (Beschäftigungsverhältnis begann vor dem 1. Januar 2004) und „Neuarbeitnehmern“ (Beschäftigungsverhältnis begann am 1.Januar 2004 oder später) zu unterscheiden. Vor der Gesetzesänderung lag der Schwellenwert des § 23 KSchG bei mehr als fünf Arbeitnehmern. Nunmehr liegt der Schwellenwert bei mehr als zehn Arbeitnehmern . Auf Betriebe mit in der Regel mehr als zehn beschäftigten Arbeitnehmern findet das KSchG folglich uneingeschränkt Anwendung, unabhängig davon, ob es sich dabei um Alt- oder Neuarbeitnehmer handelt. Nur bei der Berechnung der Arbeitnehmeranzahl in Betrieben mit regelmäßig mehr als fünf bis zehn beschäftigten Arbeitnehmern kommt es auf das Datum des Beginns der Beschäftigung an. Altarbeitnehmer, die vor der Gesetzesänderung Kündigungsschutz genossen, weil sie in einem Betrieb mit mehr als fünf regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmern eingestellt wurden, behalten im Zuge des Bestandsschutzes diesen Kündigungsschutz zeitlich unbeschränkt bei. Sinkt die Anzahl der vor dem 1. Januar 2004 beschäftigten Arbeitnehmer auf fünf oder weniger ab, geht der Kündigungsschutz nach alter Rechtslage verloren. Die verbliebenen Arbeitnehmer unterfallen dem KSchG nach neuer Regelung, also ab mehr als zehn Arbeitnehmern .12 Bei der Berechnung ist zu beachten, dass zu den Arbeitnehmern im Sinne des § 23 KSchG Auszubildende nicht zählen. Teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden werden bei der Berechnung mit 0,5, Arbeitnehmer bei einer Beschäftigung von nicht mehr als 30 Stunden, mit 0,75 berücksichtigt. Arbeitnehmer, deren Kündigungsschutz durch § 23 KSchG eingeschränkt wird, können sich nicht auf die strengen Anforderungen, die § 1 Abs. 2 KSchG an eine Kündigung stellt, berufen. Ihnen steht auch kein Abfindungsanspruch nach §§ 1a, 9 KSchG zu. Trotzdem bleibt auch diesen Arbeitnehmern die Anrufung des Arbeitsgerichts wegen behaupteter Unwirksamkeit der Kündigung nach den §§ 4-7, 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 KSchG möglich. 4.1.2. Massenentlassungen § 17 KSchG regelt die Anzeigepflicht des Arbeitgebers bei der Agentur für Arbeit innerhalb von 30 Kalendertagen bei Massenentlassungen. 11 Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt v. 24. Dezember 2003, BGBl. I, S. 3002. 12 Vgl. Kiel in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 16. Auflage 2016, KSchG § 23 Rn. 9, und Volkening in Beck’scher Online-Kommentar Arbeitsrecht, 40. Edition 2016, KSchG § 23 Rn. 13-15. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 090/16 Seite 7 Arbeitnehmer im Sinne dieser Norm sind alle Arbeiter, Angestellte, Auszubildende, Volontäre, auch Teilzeitbeschäftigte und Kurzarbeiter.13 Nach § 17 Abs. 5 Nr. 3 KSchG gehören Geschäftsführer , Betriebsleiter und ähnliche leitende Personen nicht zu den Arbeitnehmern. Bei der Feststellung der für den Anwendungsbereich des § 17 KSchG maßgeblichen Betriebsgröße ist auf die Zahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Entlassung abzustellen.14 Die Schwellenwerte des § 17 KSchG sind wie folgt ausgestaltet: Der Arbeitgeber ist verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, bevor er 1. in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als fünf Arbeitnehmer, 2. in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmern zehn vom Hundert der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 Arbeitnehmer, 3. in Betrieben mit in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmern mindestens 30 Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt. Den Entlassungen stehen andere Beendigungen des Arbeitsverhältnisses gleich, die vom Arbeitgeber veranlasst werden. 4.2. Arbeitsplatzschutzgesetz (ArbPlSchG) § 2 ArbPlSchG regelt den Kündigungsschutz von Wehrdienstleistenden von der Zustellung des Einberufungsbescheides bis zum Ende des Grundwehrdienstes, sowie während der Wehrübungen . Auch darf der Wehrdienst nicht als Anlass für eine Kündigung genommen werden. Außerdem darf bei einer betriebsbedingten Kündigung der Wehrdienst bei der Sozialauswahl nicht zu Ungunsten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden. Mit der Aussetzung der Wehrdienstpflicht durch das Wehrrechtsänderungsgesetz (WehrRÄndG) aus dem Jahr 201115 ist der freiwillige Wehrdienst an die Stelle des Grundwehrdienstes getreten. Jedoch sind nach § 58f Soldatengesetz (SG) Regelungen in anderen Gesetzen oder Rechtsverordnungen , die an die Ableistung des Grundwehrdienstes (§ 5 des Wehrpflichtgesetzes) oder des freiwilligen zusätzlichen Wehrdienstes im Anschluss an den Grundwehrdienst (§ 6b des Wehr- 13 Volkening in BeckOK ArbR, KSchG § 17 Rn. 6 (s.o. Fn. 12). 14 Volkening in BeckOK ArbR, KSchG § 17 Rn. 10, 11 (s.o. Fn. 12). 15 WehrRÄndG v. 2. Mai 2011 BGBl. I, S. 678. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 090/16 Seite 8 pflichtgesetzes) anknüpfen, auf Personen, die freiwilligen Wehrdienst nach § 58b SG leisten, entsprechend anzuwenden. Im Folgenden werden deswegen die Begriffe aus dem ArbPlschG verwendet , welche entsprechend anzuwenden sind. Das Recht der außerordentlichen fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 BGB bleibt von § 2 ArbPlSchG unberührt. Jedoch ist die Einberufung zum Wehrdienst gemäß § 2 Abs. 3 ArbPlSchG kein wichtiger Grund. Eine Ausnahme besteht nach § 2 Abs. 3 S. 2 ArbPlSchG in Betrieben mit regelmäßig weniger als fünf Arbeitnehmern bei einer Ableistung des Grundwehrdienstes von mehr als sechs Monaten für unverheiratete Arbeitnehmer, wenn dem Arbeitgeber infolge der Einstellung einer Ersatzkraft die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach Entlassung aus dem Wehrdienst nicht zugemutet werden kann. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit der zum Ersatz eingestellten Person nicht mehr lösen kann. Allerdings wird der Arbeitgeber angehalten, eine Ersatzkraft unter Berücksichtigung des Dienstaustrittsdatums des Wehrdienstleistenden nur befristet zu beschäftigen.16 Dazu ist anzumerken, dass nach § 58b SG der freiwillige Wehrdienst höchstens 23 Monate dauert, inklusive einer Probezeit von sechs Monaten. Bei der Berechnung sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen . Auszubildende werden bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl nicht berücksichtigt . 4.3. Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) 4.3.1. Errichtung von Betriebsräten Nach § 1 BetrVG kann ein Betriebsrat in der Regel erst ab fünf ständigen wahlberechtigten Arbeitnehmern , von denen drei wählbar sind, errichtet werden. Nach §§ 14a, 17a BetrVG kann die Betriebsratswahl für Betriebe mit fünf bis 50 wahlberechtigten bzw. 51 bis 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern (§ 14 a Abs. 5 BetrVG) vereinfacht werden. 16 Dörner/Linck in Ascheid/Preis/Schmidt (Hrsg.), Kündigungsrecht, 4. Auflage 2012, ArbPlSchG § 2 Rn. 15. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 090/16 Seite 9 4.3.2. Zahl der Betriebsratsmitglieder Die Zahl der Betriebsratsmitglieder bestimmt sich nach § 9 BetrVG: Anzahl Arbeitnehmer Größe Betriebsrat 5 bis 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer eine Person 21 bis 50 wahlberechtigte Arbeitnehmer 3 Mitglieder 51 wahlberechtigte bis 100 Arbeitnehmer 5 Mitglieder 101 bis 200 Arbeitnehmer 7 Mitglieder 201 bis 400 Arbeitnehmer17 9 Mitglieder 401 bis 700 Arbeitnehmer18 11 Mitglieder usw. Bei den ersten drei Schwellen (bis 100 Arbeitnehmer) kommt es noch maßgeblich auf die Zahl der aktiv wahlberechtigten Arbeitnehmer an. So müssen auch in einem Betrieb mit 52-100 Arbeitnehmern mindestens 51 wahlberechtigt sein. Erst ab 101 Mitarbeitern kommt es nur noch auf die Betriebszugehörigkeit an.19 4.3.3. Freistellung von Betriebsratsmitgliedern Die Freistellung von Betriebsratsmitgliedern nach § 38 BetrVG hängt von der Betriebsgröße ab. Demnach wird beginnend bei Betrieben mit in der Regel 200 bis 500 Arbeitnehmern ein Betriebsratsmitglied freigestellt. Bei größeren Betrieben, mit in der Regel 501 bis 900 Arbeitnehmern, werden zwei Betriebsratsmitglieder freigestellt. In Abhängigkeit von der Betriebsgröße erhöht sich dann jeweils die Anzahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder. 4.3.4. Betriebsänderungen und Sozialplanpflicht Nach § 111 BetrVG muss der Betriebsrat in Unternehmen mit mehr als 20 wahlberechtigten Mitarbeitern über geplante Betriebsänderungen, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können, rechtzeitig und umfassend unterrichtet werden. Außerdem muss die geplante Betriebsänderung mit dem Betriebsrat beraten werden. Bei Unternehmen mit mehr als 300 Mitarbeitern kann der Betriebsrat einen Berater hinzuziehen. 17 Grenze KMU nach EU-Kommission: 250 Arbeitnehmer, s.o.. 18 Grenze KMU nach IfM: 499 Arbeitnehmer, s.o.. 19 Brors in Düwell (Hrsg.), Betriebsverfassungsgesetz, 4. Auflage 2014, BetrVG § 9 Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 090/16 Seite 10 §§ 112, 112a BetrVG regeln den Interessenausgleich über die Betriebsänderung und die Sozialplanpflicht . Die Absätze vier und fünf des § 112 BetrVG bestimmen die Erzwingbarkeit von Sozialplänen , die durch § 112a BetrVG eingeschränkt wird. Demnach kann, wenn eine geplante Betriebsänderung allein in der Entlassung von Arbeitnehmern besteht, abhängig von der Größe des Betriebs, ein Sozialplan nur dann erzwungen werden, wenn die in Absatz eins Nummer bis vier genannten Grenzen erreicht werden. Diese sind folgendermaßen ausgestaltet: Betriebsgröße Zahl der aus betriebsbedingten Gründen zu entlassenden Arbeitnehmer in der Regel weniger als 60 Arbeitnehmer 20 % der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer, aber mindestens sechs Arbeitnehmer in der Regel mindestens 60 und weniger als 250 Arbeitnehmer 20 % der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer, oder mindestens 37 Arbeitnehmer in der Regel mindestens 250 und weniger als 500 Arbeitnehmer 15 % der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer, oder mindestens 60 Arbeitnehmer 4.3.5. Jugend- und Auszubildendenvertretung Nach § 60 BetrVG werden in Betrieben, die in der Regel mindestens fünf Arbeitnehmer, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (jugendliche Arbeitnehmer) oder die zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind und das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, beschäftigen, Jugend - und Auszubildendenvertretungen gewählt. Die Zahl der Mitglieder dieser Vertretungen erhöht sich nach § 62 BetrVG in Abhängigkeit von der Zahl der regelmäßig beschäftigten jugendlichen Arbeitnehmern und der Zahl der Auszubildenden unter 25 Jahren. 4.4. Andere Vorschriften 4.4.1. Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) Gemäß § 8 Abs. 1 und Abs. 7 TzBfG haben Arbeitnehmer Anspruch auf Verringerung und Neuverteilung der Arbeitszeit, wenn ein Unternehmen regelmäßig mehr als 15 Arbeitnehmer beschäftigt . Teilzeitbeschäftigte sind nicht anteilig, sondern pro Kopf zu berücksichtigen; nicht zu den Arbeitnehmern zählen hingegen zu ihrer Berufsausbildung beschäftigte Personen. Solange Aushilfskräfte nur kurzfristig (in der Regel unter sechs Monaten) beschäftigt sind, werden auch sie nicht bei der Zahl der Arbeitnehmer berücksichtigt.20 20 Bayreuther in BeckOK ArbR, TzBfG § 8 Rn. 8 (s.o. Fn. 12). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 090/16 Seite 11 4.4.2. Gesetz über die Pflegezeit (PflegeZG) Nach § 2 Abs. 1 PflegeZG haben Beschäftigte, unter bestimmten Voraussetzungen, das Recht bis zu zehn Arbeitstage zur Pflege naher Angehöriger von der Arbeit freigestellt zu werden. Nach §§ 3, 4 PflegeZG haben Beschäftigte auch das Recht bis zu sechs Monate für die Pflege freigestellt zu werden. Diese Regelung gilt jedoch gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 PflegeZG nicht für Kleinbetriebe mit in der Regel 15 oder weniger Beschäftigten. Zu den Beschäftigten im Sinne des § 3 PflegeZG gehören gemäß § 7 Abs. 1 PflegeZG Arbeitnehmer , Auszubildende und arbeitnehmerähnliche Personen. Teilzeitbeschäftigte zählen ebenfalls nicht anteilig sondern pro Kopf.21 4.4.3. Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) § 11 ASiG regelt, dass ein Arbeitgeber, soweit in einer sonstigen Rechtsvorschrift nichts anderes bestimmt ist, mit mehr als 20 Beschäftigten im Betrieb einen Arbeitsschutzausschuss einrichten muss. Dieser tritt mindestens einmal vierteljährlich zusammen und berät über Anliegen des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung. Bei der Feststellung der Zahl der Beschäftigten sind Teilzeitbeschäftigte anteilig mit dem Faktor 0,5 (regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden) bzw. 0,75 (regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von nicht mehr als 30 Stunden) zu berücksichtigen. Auszubildende zählen, wie Vollzeitbeschäftigte pro Kopf.22 4.4.4. Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) Nach § 6 Abs. 3 ArbStättV ist in Betrieben mit mehr als zehn Beschäftigten ein Pausenraum oder ein entsprechender Pausenbereich zur Verfügung zu stellen. Dies gilt nicht, wenn die Beschäftigten in Büroräumen oder vergleichbaren Arbeitsräumen beschäftigt sind und dort gleichwertige Voraussetzungen für eine Erholung während der Pause gegeben sind. In Betrieben mit weniger als zehn Beschäftigten kann eine Pflicht zur Bereitstellung eines Pausenraumes oder -bereiches auch bereits dann entstehen, wenn Sicherheits- oder Gesundheitsgründe es erfordern. Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn die Beschäftigten hauptsächlich im Freien arbeiten und dadurch Hitze, Kälte, Nässe und Schmutz ausgesetzt sind, oder wenn zum Arbeitsplatz auch Dritte, beispielsweise Kunden, Zutritt haben.23 21 Joussen in BeckOK ArbR, PflegeZG § 3 Rn. 8 (s.o. Fn. 12). 22 Hochheim in, Boecken/Düwell/Diller/Hanau (Hrsg.), Gesamtes Arbeitsrecht, 1. Auflage 2016, ASiG § 11 Rn. 3. 23 Wiebauer/Kollmer in Landmann/Rohmer (Hrsg.), Gewerbeordnung, 71. EL, Januar 2016, ArbStättV § 6 Rn. 32 (65. EL, September 2013). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 090/16 Seite 12 5. Sozialrecht 5.1. Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) - Arbeitsförderung 5.1.1. Förderung besonderer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer § 82 SGB III stellt eine Ausnahme von dem Grundsatz dar, dass die Weiterbildung von Arbeitnehmern im Beschäftigungsverhältnis Aufgabe des Unternehmens bzw. des Arbeitnehmers selbst ist.24 Durch die Förderung im Wege der Übernahme von Weiterbildungskosten dient § 82 SGB III somit der Qualifizierung von Arbeitnehmern über 45 Jahren.25 Nach § 82 Nr. 3 SGB III wird die Förderung nur gewährt, wenn es sich um Arbeitnehmer in Betrieben mit weniger als 250 Beschäftigten handelt. Bei der Berechnung der Beschäftigtenzahl sind Teilzeitbeschäftigte gemäß § 82 SGB III nach Stundenzahl mit den Faktoren 0,25, 0,5 oder 0,75 zu berücksichtigen. 5.1.2. Weiterbildungsförderung in kleinen und mittleren Unternehmen Zusätzlich zu der Förderung von Arbeitnehmern über 45 Jahren, sieht § 131a SGB III auch eine Weiterbildungsförderung für Arbeitnehmer unter 45 Jahren in KMU26 vor, wenn der Arbeitgeber 50% der Lehrgangskosten trägt und die Maßnahme vor dem 31. Dezember 2019 beginnt. 5.2. Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) - Gesetzliche Unfallversicherung Gemäß § 22 SGB VII hat der Unternehmer in Unternehmen mit regelmäßig mehr als 20 Beschäftigten einen Sicherheitsbeauftragten zu bestellen. Dieser hat den Unternehmer bei der Durchführung der Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten zu unterstützen, indem er sich beispielsweise von dem Vorhandensein und ordnungsgemäßer Benutzung von Schutzausrüstung überzeugt oder auf Unfall- und Gesundheitsgefahren für die Versicherten aufmerksam macht. Als Beschäftigte zählen alle in § 2 Abs. 1 Nr. 1, 2, 8, 12 SGB VII genannten Personengruppen und damit auch Auszubildende und unentgeltlich Tätige, die beispielsweise ehrenamtlich für das Deutsche Rote Kreuz, den Arbeiter-Samariter-Bund, den Malteser Hilfsdienst oder das Technische Hilfswerk arbeiten.27 24 Hassel in Brand (Hrsg.), Sozialgesetzbuch Arbeitsförderung, SGB III, 7. Auflage 2015, § 82 Rn. 3. 25 BT-Drucks. 14/6944, S. 51. 26 KMU bedeutet hier gemäß § 82 S. 1 Nr.3 SGB III weniger als 250 Beschäftigten im Betrieb. 27 Marschner in Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht, 41. Edition 2016, SGB VII § 2 Rn. 46-47. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 090/16 Seite 13 5.3. Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen 5.3.1. Beschäftigung schwerbehinderter Arbeitnehmer §§ 71 ff. SGB IX normieren die öffentlich-rechtliche Verpflichtung zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen.28 Ein Schwerbehinderter hat weder gegenüber einem einzelnen Arbeitgeber, noch gegenüber dem Staat einen einklagbaren Anspruch, der zur Zwangseinstellung führen würde.29 Die Nichtbeschäftigung schwerbehinderter Menschen, trotz Verpflichtung, stellt lediglich gemäß § 156 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX eine Ordnungswidrigkeit dar. Unter diese Rechtsfolge sollen zunächst nur Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich monatlich mindestens 20 Arbeitsplätzen fallen. Diese haben auf wenigstens 5% der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Um kleinere Unternehmen nicht übermäßig zu belasten wurden Staffelungen geschaffen, die in den Stufen von unter 40 und unter 60 Arbeitsplätzen von der 5%-Regelung nach unten abweichen. So müssen Arbeitgeber mit unter 40 Arbeitsplätzen lediglich einen, Arbeitgeber mit unter 60 Arbeitsplätzen lediglich zwei schwerbehinderte Arbeitnehmer beschäftigen. Der Begriff des Arbeitsplatzes wird in § 73 SGB IX definiert. Danach zählen dazu alle Stellen, auf denen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Beamte und Beamtinnen, Richter und Richterinnen sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt werden . Negativkriterien lassen sich den Absätzen zwei und drei entnehmen. Zur Berechnung der Pflichtarbeitsplätze und der Mindestzahl an Arbeitsplätzen werden abweichend davon nach § 74 SGB IX Arbeitsplätze von Auszubildenden und Rechts- oder Studienreferendaren mit einem Anspruch auf Einstellung nicht mitgerechnet. 5.3.2. Schwerbehindertenvertretung In Betrieben und Dienststellen, in denen wenigstens fünf schwerbehinderte Menschen (nicht nur vorübergehend) beschäftigt sind, werden nach § 94 SGB IX eine Vertrauensperson und wenigstens ein stellvertretendes Mitglied gewählt. Nach § 96 Abs. 2 SGB IX hat die gewählte Vertrauensperson gegenüber dem Arbeitgeber die gleiche persönliche Rechtsstellung, insbesondere den gleichen Kündigungs-, Versetzungs- und Abordnungsschutz wie ein Mitglied des Betriebs-, Personal-, Staatsanwalts- oder Richterrates. Damit verbunden können nach Absatz vier weitere Verpflichtungen für den Arbeitgeber entstehen, wie 28 Jabben in BeckOK SozR, SGB IX § 71, Vorbemerkung (s.o. Fn. 27). 29 Ambs in Erbs/Kohlhaas (Hrsg.), Strafrechtliche Nebengesetze, 207. EL, März 2016, SGB IX § 71 Rn. 2 (186. EL, September 2011). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 090/16 Seite 14 z.B. die Freistellung der Vertrauensperson von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts oder der Dienstbezüge. Ende der Bearbeitung