© 2020 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 082/20 Einzelne Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes Hier: Lernförderung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 082/20 Seite 2 Einzelne Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes Hier: Lernförderung Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 082/20 Abschluss der Arbeit: 18. September 2020 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 082/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 4 3. Lernförderung als Bildungs- und Teilhabeleistung 5 3.1. Anspruchsberechtigte 5 3.2. Wesentliche Lernziele 6 3.3. Angemessene Ergänzung schulischer Angebote 8 3.4. Eignung und Erforderlichkeit 8 3.5. Leistungserbringung 10 4. Exkurs: Unvereinbarkeit der §§ 34, 34a SGB XII mit dem Grundgesetz 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 082/20 Seite 4 1. Einleitung Die Wissenschaftlichen Dienste wurden um Auskunft gebeten, welche Möglichkeiten nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) bestehen , infolge der Corona-Pandemie bedingte Lernlücken von Schülerinnen und Schülern mit Hilfe zusätzlicher pädagogischer Angebote auszugleichen. Ein solcher Anspruch kann sich aus dem 2011 eingeführten Bildungs- und Teilhabepaket ergeben . Dieses sieht auch die Berücksichtigung einer die schulischen Angebote ergänzenden Lernförderung vor. 2. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 9. Februar 20101 nicht die Höhe der Regelleistungen nach dem SGB II, aber die Art und Weise der Bemessung als nicht mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar beanstandet und dem Gesetzgeber aufgegeben, die Ermittlung der Regelbedarfe verfassungskonform neu zu regeln. Dabei hat es den Bedarfen von Kindern und Jugendlichen einen besonderen Stellenwert beigemessen. Kinder sind keine kleinen Erwachsenen; ihr Bedarf , der zur Sicherstellung eines menschenwürdigen Existenzminimums gedeckt werden muss, hat sich an kindlichen Entwicklungsphasen auszurichten und an dem, was für die Persönlichkeitsentfaltung eines Kindes erforderlich ist. Ein zusätzlicher Bedarf ist vor allem bei schulpflichtigen Kindern zu erwarten, zu deren existentiellem Bedarf auch notwendige Aufwendungen zur Erfüllung schulischer Pflichten gehören. Ohne Deckung dieser Kosten droht hilfebedürftigen Kindern der Ausschluss von Lebenschancen, so das Bundesverfassungsgericht. Bei schulpflichtigen Kindern, deren Eltern Leistungen nach dem SGB II beziehen, besteht die Gefahr, dass ohne hinreichende staatliche Leistungen ihre Möglichkeiten eingeschränkt werden, später ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften bestreiten zu können. Dies ist mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG nicht vereinbar.2 Auch die Zuständigkeit der Länder für das Schul- und Bildungswesen führen laut der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht dazu, dass die fürsorgerechtliche Berücksichtigung des Bedarfs für Schulkinder entbehrlich ist. Der Bundesgesetzgeber könnte erst dann von der Gewährung entsprechender Leistungen absehen, wenn sie durch landesrechtliche Ansprüche substituiert und hilfebedürftigen Kindern gewährt würden. Dann könnte eine einrichtungsbezogene Gewährung von Leistungen durch die Länder, zum Beispiel ein kostenloses Angebot von Nachhilfeunterricht , durchaus ein sinnvolles Konzept jugendnaher Hilfeleistung darstellen, das gewährleistet , dass der tatsächliche Bedarf gedeckt wird. Solange und soweit dies jedoch nicht der 1 BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 -. 2 BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09, u.a. -, Rn. 191 f. (juris). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 082/20 Seite 5 Fall ist, hat der Bundesgesetzgeber, der mit dem SGB II ein Leistungssystem schaffen wollte, welches das Existenzminimum vollständig gewährleistet, dafür Sorge zu tragen, dass mit den Leistungen nach dem SGB II dieser zusätzliche Bedarf eines Schulkindes hinreichend abgedeckt ist.3 In der Folge hat der Bundesgesetzgeber mit Wirkung zum 1. Januar 2011 im Rahmen der Neugestaltung des Verfahrens zur Ermittlung der Regelbedarfe nach den SGB II und SGB XII auch das sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket verabschiedet.4 Teil des Bildungs- und Teilhabepaketes ist die Lernförderung (§ 28 Abs. 5 SGB II und § 34 Abs. 5 SGB XII). Der Gesetzgeber erkennt damit an, dass der Anspruch auf Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums auch außerschulische Lernförderung umfassen kann.5 3. Lernförderung als Bildungs- und Teilhabeleistung Gemäß § 28 Abs. 5 Satz 1 SGB II und § 34 Abs. 5 Satz 1 SGB XII haben Schülerinnen und Schüler Anspruch auf eine schulische Angebote ergänzende angemessene Lernförderung, soweit diese geeignet und zusätzlich erforderlich ist, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen. Auf eine bestehende Versetzungsgefährdung kommt es dabei nicht an, § 28 Abs. 5 Satz 2 SGB II und § 34 Abs. 5 Satz 2 SGB XII. Systematisch handelt sich um einen Mehrbedarf für außerschulische Lernförderung.6 3.1. Anspruchsberechtigte Einen Anspruch auf Leistungen für Bildung und Teilhabe können grundsätzlich Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene haben, die Leistungen der Grundsicherung (Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld, §§ 28, 29 SGB II), der Sozialhilfe (Hilfe zum Lebensunterhalt oder Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung, §§ 34, 34a SGB XII) oder nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (§ 3 Abs. 4 AsylbLG) erhalten oder deren Eltern den Kinderzuschlag nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) oder Wohngeld beziehen (§ 6b BKGG). Dabei verweisen das AsylbLG auf die §§ 34, 34a und 34b SGB XII und das BKGG auf § 28 SGB II. 3 BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09, u.a. -, Rn. 197 (juris). 4 Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011, BGBl. I 2011 Nr. 12, S. 453. 5 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, Bundestagsdrucksache 17/3404 vom 26. Oktober 2010, S. 105; Leopold in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB II, 5. Auflage (Stand: 24. Juni 2020), § 28, Rn. 145; Luik in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB XII, 3. Auflage (Stand: 20. August 2020), § 34, Rn. 102. 6 Leopold in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB II, 5. Auflage (Stand: 24. Juni 2020), § 28, Rn. 141. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 082/20 Seite 6 Darüber hinaus kann ein Anspruch auf Bildungs- und Teilhabeleistungen nach dem SGB II oder SGB XII bestehen, wenn zwar weder das Kind noch die Eltern die oben genannten Leistungen beziehen , jedoch die spezifischen Bildungs- und Teilhabebedarfe nicht decken können. Bildungsund Teilhabebedarfe sind selbst bedarfsauslösend, das heißt, sie sind selbst nicht von einem bereits bestehenden Anspruch nach dem SGB II oder SGB XII abhängig (vgl. auch § 34a Abs. 1 Satz 2 SGB XII).7 Der Anspruch auf Lernförderung gemäß § 28 Abs. 5 SGB II und § 34 Abs. 5 SGB XII besteht für Schülerinnen und Schüler8 und kommt auch bei Grund- und Förderschülern in Betracht.9 3.2. Wesentliche Lernziele Die wesentlichen Lernziele ergeben sich aus den schulrechtlichen Bestimmungen des jeweiligen Bundeslandes (zum Beispiel Lehr- und Bildungspläne).10 Die Gesetzesbegründung hatte bei Einführung des Bildungs– und Teilhabepaketes 2011 darauf abgestellt, dass eine Lernförderung in der Regel nur kurzzeitig notwendig sei, um vorübergehende Lernschwächen zu beheben. Wesentliches Lernziel in der jeweiligen Klassenstufe sei zudem regelmäßig die Versetzung in die nächste Klassenstufe beziehungsweise ein ausreichendes Leistungsniveau.11 Mit dem Starke-Familien-Gesetz12 hat der Gesetzgeber 2019 nunmehr ausdrücklich klargestellt, dass es nicht (nur) auf eine bestehende Versetzungsgefährdung ankommt, § 28 Abs. 5 Satz 2 SGB II und § 34 Abs. 5 Satz 2 SGB XII. Zur Begründung heißt es, dass das Instrument der Lernförderung bei der Anwendung teilweise sehr restriktiv gehandhabt worden sei. Der Hinweis in der damaligen Gesetzesbegründung sei vielfach so verstanden worden, dass Lernförderung nur in Betracht komme, wenn die Versetzung schon konkret und unmittelbar bevorstehend gefährdet sei. Dementsprechend sei der Bedarf an Lernförderung oftmals erst im zweiten Schulhalbjahr auf 7 Schwabe in: Gagel, SGB II / SGB III, Werkstand: 78. EL Mai 2020, § 28 SGB II, Rn. 5. 8 Der Kreis der Anspruchsberechtigten variiert leicht abhängig von der Anspruchsgrundlage. § 34 SGB XII enthält keine Altersbeschränkungen; der Anspruch steht Schülerinnen und Schülern zu. Demgegenüber begrenzt § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB II die Berechtigung auf Schülerinnen und Schüler, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Gleiches gilt für die Ansprüche auf Lernförderung nach dem BKGG und dem AsylbLG (siehe zum AsylbLG: Frerichs in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB XII, 3. Auflage (Stand: 27. August 2020), § 3 AsylbLG, Rn. 191. 9 Leopold in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB II, 5. Auflage (Stand: 24. Juni 2020), § 28, Rn. 144. 10 Leopold in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB II, 5. Auflage (Stand: 24. Juni 2020), § 28, Rn. 150. 11 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, Bundestagsdrucksache 17/3404 vom 26. Oktober 2010, S. 105, 124. 12 Gesetz zur zielgenauen Stärkung von Familien und ihren Kindern durch die Neugestaltung des Kinderzuschlags und die Verbesserung der Leistungen für Bildung und Teilhabe (Starke-Familien-Gesetz - StaFamG) vom 29. April 2019, BGBl. I 2019 Nr. 16, S. 530. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 082/20 Seite 7 Basis des Halbjahreszeugnisses geprüft und gegebenenfalls erst zum Schuljahresende hin gewährt worden. Mit der Gesetzesänderung solle klargestellt werden, dass die Versetzung in die nächste Klassenstufe zwar nach den schulrechtlichen Bestimmungen ein wesentliches Lernziel sein könne, der Bedarf an Lernförderung aber nicht von einer unmittelbaren Versetzungsgefährdung abhänge. Es genüge ein im Verhältnis zu den wesentlichen Lernzielen nicht ausreichendes Leistungsniveau . Dies könne zum Beispiel aus dem bisherigen Leistungsbild des vergangenen und gegenwärtigen Schuljahres oder aufgrund einer pädagogischen Einschätzung ersichtlich sein. Maßgeblich sei, dass die in den einzelnen Unterrichtsfächern im jeweiligen Schuljahr verfolgten Lernziele erreicht würden (zum Beispiel im Mathematikunterricht die Erlangung der verlangten Rechen-, im Deutschunterricht der verlangten Lese- und Schreibkompetenzen).13 Nach der Rechtsprechung umfasst der Begriff Lernförderung nicht nur die klassische Nachhilfe, sondern grundsätzlich jede Förderung Lernender. Gefördert werden kann zum Beispiel auch die Vermittlung ergänzender Kompetenzen bei Lese-Rechtschreibschwächen oder Dyskalkulie.14 Anders als in der Gesetzesbegründung vorgesehen15 sind nach der Rechtsprechung zudem nicht nur kurzzeitige Bedarfe förderfähig, sondern auch längerfristige Bedarfe.16 Auch die Vermeidung von Schulabbrüchen oder der Verschlechterung von Schulnoten können Lernziele sein.17 Eine bloße Verbesserung von Notenstufen oder das Erreichen einer besseren Schulartempfehlung (zum Beispiel Gymnasium statt Realschule) ist in der Regel hingegen nicht förderbar.18 13 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur zielgenauen Stärkung von Familien und ihren Kindern durch die Neugestaltung des Kinderzuschlags und die Verbesserung der Leistungen für Bildung und Teilhabe (Starke-Familien-Gesetz - StaFamG), Bundestagsdrucksache 19/7504 vom 1. Februar 2019, S. 21, 47, 51. 14 Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 25. April 2018 - B 4 AS 19/17 R -, Rn. 18 ff. (juris); Schwabe in: Gagel, SGB II / SGB III, Werkstand: 78. EL Mai 2020, § 28 SGB II, Rn. 41; Leopold in: Schlegel/Voelzke, juris Praxis- Kommentar SGB II, 5. Auflage (Stand: 24. Juni 2020), § 28, Rn. 141. 15 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, Bundestagsdrucksache 17/3404 vom 26. Oktober 2010, S. 105, 124; Luik in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB XII, 3. Auflage (Stand: 20. August 2020), § 34, Rn. 103 f. 16 BSG, Urteil vom 25. April 2018 - B 4 AS 19/17 R -, Rn. 21 (juris); Luik in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB XII, 3. Auflage (Stand: 20. August 2020), § 34, Rn. 103. 17 Leopold in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB II, 5. Auflage (Stand: 24. Juni 2020), § 28, Rn. 152; Sozialgericht (SG) Braunschweig, Urteil vom 8. August 2013 - S 17 AS 4125/12 -, Rn. 46 (juris). 18 Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 28. Juni 2011 - L 5 AS 40/11 B ER -, Rn. 13 (juris); Luik in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB XII, 3. Auflage (Stand: 20. August 2020), § 34, Rn. 109. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 082/20 Seite 8 In Schulen ohne Versetzungsentscheidung (zum Beispiel Förderschulen) kann statt der Versetzung in die nächsthöhere Klassenstufe auch das Erreichen der Lernziele nach den individuellen Förderplänen für die einzelnen Schülerinnen und Schüler maßgebend sein.19 3.3. Angemessene Ergänzung schulischer Angebote Die Lernförderung soll die schulischen Angebote ergänzen. Die Angebote dürfen mithin nicht der schulischen Verantwortung unterliegen, da insoweit die Aufgaben- und Finanzierungszuständigkeit bei den Bundesländern liegt.20 Nur der durch die Inanspruchnahme außerschulischer Angebote entstehende Bedarf kann berücksichtigt werden. Aufgrund des grundsätzlichen Nachranggebotes der Grundsicherung (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 SGB II) beziehungsweise der Sozialhilfe (vgl. § 2 SGB XII) sind schulische Angebote vorrangig zu nutzen.21 Die (wirtschaftliche) Angemessenheit der Lernförderung beurteilt sich grundsätzlich nach den Kriterien des örtlichen Marktes und den individuellen Bedürfnissen des Schülers.22 3.4. Eignung und Erforderlichkeit Die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Lernförderung beziehen sich auf das wesentliche Lernziel , das sich wiederum im Einzelfall je nach Schulform und Klassenstufe aus den schulrechtlichen Bestimmungen des jeweiligen Landes ergibt. Dabei ist eine auf das Schuljahresende bezogene prognostische Einschätzung unter Einbeziehung der schulischen Förderangebote zu treffen .23 Die außerschulische Förderung muss geeignet sein, die schulischen Defizite zu vermindern oder zu beseitigen. Die Eignung der Lernförderung ist zu bejahen, wenn sie mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Prognose möglich erscheinen lässt, dass das mit der Förderung verfolgte Ziel noch erreicht werden kann, auch wenn der Erfolg ungewiss ist.24 Maßgebend sind letztlich die 19 SG Itzehoe, Beschluss vom 3. April 2012 - S 11 AS 50/12 ER -, Rn. 20 (juris); Leopold in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB II, 5. Auflage (Stand: 24. Juni 2020), § 28, Rn. 151. 20 Luik in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB XII, 3. Auflage (Stand: 20. August 2020), § 34, Rn. 108. 21 Leopold in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB II, 5. Auflage (Stand: 24. Juni 2020), § 28, Rn. 146; Luik in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB XII, 3. Auflage (Stand: 20. August 2020), § 34, Rn. 108. 22 Breitkreuz in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher OnlineKommentar Sozialrecht, 57. Edition (Stand: 1. Dezember 2019), § 28 SGB II, Rn. 7. 23 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, Bundestagsdrucksache 17/3404 vom 26. Oktober 2010, S. 105. 24 Voelzke in: Hauck/Noftz, SGB, Stand Juli 2020, § 28 SGB II, Rn. 82; Leopold in: Schlegel/Voelzke, juris Praxis- Kommentar SGB II, 5. Auflage (Stand: 24. Juni 2020), § 28, Rn. 155; Luik in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB XII, 3. Auflage (Stand: 20. August 2020), § 34, Rn. 110. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 082/20 Seite 9 Umstände des Einzelfalls. Ferner muss die Lernförderung von geeigneten Dritten geleistet werden .25 Laut Gesetzesbegründung soll dabei vorrangig auf vorhandene schulnahe Strukturen zurückgegriffen werden, da diese am ehesten geeignet seien, die jeweiligen Schwächen der Schülerinnen und Schüler zu beheben.26 Ist im Zeitpunkt der Bedarfsfeststellung die Prognose negativ, besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Lernförderung. Die Lernförderung ist auch dann nicht geeignet, wenn das Lernziel objektiv nicht mehr erreicht werden kann, sondern nach den schulrechtlichen Bestimmungen beispielsweise ein Wechsel der Schulform oder eine Wiederholung der Klasse angezeigt sind.27 Liegt die Ursache für die vorübergehende Lernschwäche in unentschuldigtem Fehlen oder vergleichbaren Ursachen und bestehen keine Anzeichen für eine nachhaltige Verhaltensänderung, ist Lernförderung ebenfalls nicht erforderlich.28 Jedoch kann auch in solchen Fällen nach in der Literatur vertretener Auffassung eine spezifische Form der Lernförderung in Betracht kommen, um die mangelnde Motivation des Schülers zu überwinden.29 Sind Schülerinnen oder Schüler aus unverschuldeten Umständen in einen von ihnen allein nicht aufzuholenden Rückstand geraten oder stehen solche Umstände der Erreichung einer der Leistungsfähigkeit entsprechenden Schulart entgegen (zum Beispiel aufgrund von Krankheit), so kann eine Lernförderung geeignet und erforderlich sein.30 Gleiches dürfte grundsätzlich für Lerndefizite gelten, die infolge der Corona-Pandemie und den damit verbundenen (zeitweise) eingeschränkten Lernmöglichkeiten entstanden sind. 25 Luik in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB XII, 3. Auflage (Stand: 20. August 2020), § 34, Rn. 114. 26 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, Bundestagsdrucksache 17/3404 vom 26. Oktober 2010, S. 105. 27 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, Bundestagsdrucksache 17/3404 vom 26. Oktober 2010, S. 105; Luik in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB XII, 3. Auflage (Stand: 20. August 2020), § 34, Rn. 112; Leopold in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB II, 5. Auflage (Stand: 24. Juni 2020), § 28, Rn. 155. 28 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, Bundestagsdrucksache 17/3404 vom 26. Oktober 2010, S. 105. 29 Schwabe in: Gagel, SGB II / SGB III, Werkstand: 78. EL Mai 2020, § 28 SGB II, Rn. 43; Leopold in: Schlegel /Voelzke, juris PraxisKommentar SGB II, 5. Auflage (Stand: 24. Juni 2020), § 28, Rn. 158; Voelzke in: Hauck/Noftz, SGB, Stand Juli 2020, § 28 SGB II, Rn. 83. 30 LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13. Mai 2011 - L 5 AS 498/10 B ER -; Schwabe in: Gagel, SGB II / SGB III, Werkstand: 78. EL Mai 2020, § 28 SGB II, Rn. 44; Voelzke in: Hauck/Noftz, SGB, Stand Juli 2020, § 28 SGB II, Rn. 81; Luik in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB XII, 3. Auflage (Stand: 20. August 2020), § 34, Rn. 109. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 082/20 Seite 10 Lernförderbedarfe können laut Gesetzesbegründung grundsätzlich im Rahmen der pädagogisch ohnehin gebotenen Diagnoseaufgaben der Lehrkräfte an Schulen festgestellt werden.31 3.5. Leistungserbringung Leistungen zur Lernförderung können durch Sach- und Dienstleistungen, insbesondere in Form von personalisierten Gutscheinen, Direktzahlungen an Anbieter von Leistungen oder Geldleistungen erbracht werden, wobei die zuständigen Träger bestimmen, in welcher Form sie die Leistungen erbringen (§ 29 Abs. 1 SGB II und § 34a Abs. 2 SGB XII). 4. Exkurs: Unvereinbarkeit der §§ 34, 34a SGB XII mit dem Grundgesetz Ergänzend wird darauf verwiesen, dass das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 7. Juli 2020 weite Teile der §§ 34, 34a SGB XII, unter anderem auch § 34 Abs. 5 SGB XII (Bedarfe für außerschulische Lernförderung), wegen Verletzung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt hat. Die Übertragung der Aufgaben auf die Kommunen verstoße gegen das Durchgriffsverbot nach Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG, demzufolge Gemeinden und Gemeindeverbänden Aufgaben nicht durch Bundesgesetz übertragen werden dürfen. Die Bestimmungen sind jedoch noch längstens bis zum 31. Dezember 2021 anwendbar.32 Ein Anspruch auf Lernförderung kann daher derzeit auch gemäß § 34 Abs. 5 SGB XII geltend gemacht werden. *** 31 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, Bundestagsdrucksache 17/3404 vom 26. Oktober 2010, S. 105; so auch Leopold in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB II, 5. Auflage (Stand: 24. Juni 2020), § 28, Rn. 155; Luik in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar SGB XII, 3. Auflage (Stand: 20. August 2020), § 34, Rn. 110. 32 BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 2020 - 2 BvR 696/12-.