© 2018 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 082/17 Ursachen langfristiger Armut Alleinerziehende, psychische Erkrankungen, Erwerbsminderung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 082/17 Seite 2 Ursachen langfristiger Armut Alleinerziehende, psychische Erkrankungen, Erwerbsminderung Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 082/17 Abschluss der Arbeit: 18. Januar 2018 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 082/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Alleinerziehende 4 3. Psychische Erkrankungen 7 4. Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 082/17 Seite 4 1. Einleitung Laut eines Presseartikels1 gelten in Fachbüchern Scheidung, Krankheit und Arbeitslosigkeit als Hauptursachen für langfristige Armut. Im Rahmen dieses Sachstands werden entsprechende Fachliteratur, Fachaufsätze und Statistiken vorgestellt. Die Daten des Statistischen Bundesamtes unterstützen die Aussage des Presseartikels. Danach haben ein besonders hohes Armutsrisiko Erwerbslose. „Mehr als die Hälfte (52,9 Prozent) der Erwerbslosen im früheren Bundesgebiet und mehr als zwei Drittel der Erwerbslosen in den neuen Ländern (66,9 Prozent) waren 2016 armutsgefährdet. Auch Alleinerziehende und ihre Kinder sind überdurchschnittlich armutsgefährdet. 42,4 Prozent der Alleinerziehenden-Haushalte im früheren Bundesgebiet und 46,9 Prozent dieser Haushalte in den neuen Ländern waren 2016 armutsgefährdet .“2 In dem Zeitraum 2008 bis 2016 waren Hauptauslöser für eine Verschuldung Arbeitslosigkeit (21,1 Prozent im Jahr 2016), Erkrankung, Sucht, Unfall (14,7 Prozent im Jahr 2016) sowie Trennung , Scheidung, Tod des Partners/der Partnerin in Höhe von 13,0 Prozent im Jahr 2016.3 Der Sachstand bezieht sich nur auf Alleinerziehende (häufig als Folge einer Scheidung) sowie Menschen, die von Krankheit, vor allem psychischen Erkrankungen, und Erwerbsminderung betroffen sind. 2. Alleinerziehende Nach Angaben des Datenreports 20164 waren im Jahr 2014 1,5 Millionen Mütter und 180 000 Väter alleinerziehend. Es handele sich in Westdeutschland bei den alleinerziehenden Frauen mehrheitlich um geschiedene beziehungsweise verheiratete und getrennt lebende Frauen und in Ostdeutschland mehrheitlich um ledige Frauen (Datenbasis 2012). 1 Schäfer, Christoph (2017), Langzeitarbeitslose: Arbeitsunfähig – für immer?, Frankfurter Allgemeine, 5. Dezember 2017, http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/beruf/langzeitarbeitslose-arbeitsunfaehig-fuer-immer- 15321704.html (zuletzt abgerufen am 8. Januar 2018). 2 Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung vom 29. August 2017 – 298/17, https://www.destatis.de/DE/Presse- Service/Presse/Pressemitteilungen/2017/08/PD17_298_122pdf.pdf?__blob=publicationFile (zuletzt abgerufen am 20. Dezember 2017). Alleinerziehende in der amtlichen Statistik sind Haushalte, die aus einer erwachsenen Person mit mindestens einem Kind bestehen. 3 Statistisches Bundesamt, Hauptauslöser für die Überschuldung in % für die Jahre 2008 bis 2016, https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/EinkommenKonsumLebensbedingungen/Vermoegen Schulden/Tabellen/Ueberschuldung.html (zuletzt abgerufen am 4. Januar 2018). 4 Der Datenreport 2016 wird von der Bundeszentrale für politische Bildung zusammen mit dem Statistischen Bundesamt (Destatis), dem Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) herausgegeben, https://www.destatis.de/DE/Publikationen /Datenreport/Downloads/Datenreport2016.pdf?__blob=publicationFile (zuletzt angerufen am 3. Januar 2018). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 082/17 Seite 5 Alleinerziehende sind häufig von Armut betroffen. Das liegt vielfach an unterbrochenen Erwerbsbiografien , mangelnden Angeboten für die Betreuung der Kinder und der hohen psycho-sozialen Belastung bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Nach Angaben der Statistik der Bundesagentur für Arbeit waren im Jahr 2015 „Alleinerziehende Arbeitslose (…) zu 92 Prozent weiblich und 94 Prozent waren zwischen 25 und 54 Jahre alt. 17 Prozent von ihnen hatten keinen Schulabschluss und 41 Prozent einen Hauptschulabschluss. 55 Prozent verfügten über keine abgeschlossene Berufsausbildung, der Anteil mit akademischer Ausbildung lag bei 3 Prozent. Der Anteil an Langzeitarbeitslosen betrug bei den Alleinerziehenden zuletzt 46 Prozent, im Vergleich zu 37 Prozent bei einer personengruppenübergreifenden Betrachtung .“5 KRAUSS6 hat im Rahmen ihrer Dissertation festgestellt, dass die hohe Armutsgefährdung von Alleinerziehenden unabhängig davon gilt, welche Datenquelle, konkrete Definition und Messmethode herangezogen wird – Unterschiede bestünden lediglich im Niveau.7 Ein Armutsausstieg von einem Jahr zum nächsten gelänge durchschnittlich rund 40 Prozent der Alleinerziehenden, umgekehrt würden etwa 25 Prozent in Armut abrutschen. Im Vergleich zu Müttern in Paarhaushalten seien dies weniger Abgänge aus und mehr Einstiege in Armut, was insgesamt für eine relativ hohe Persistenz der Armutsgefährdung von Alleinerziehenden sprechen würde. Entsprechend sei die Gefahr der Langzeitarmut für Alleinerziehende viermal höher als für Paarfamilien. Neben dem längerfristigen Verbleib im Sozialleistungsbezug seien Alleinerziehende überproportional häufig im Niedrigeinkommensbereich vertreten und hätten überdurchschnittlich oft Schulden.8 Es zeige sich, dass der Einstieg in Armut häufig mit der Trennung vom Partner zusammentreffe und der Beginn des Alleinerziehens mit starken Einkommensverlusten verbunden sei. So erfahre mindestens die Hälfte der Frauen einen Einkommensverlust von fast 30 Prozent, ein Viertel sogar von über 40 Prozent. Dadurch steige auch das Verschuldungsrisiko. So würde ein Viertel der verschuldeten alleinerziehenden Frauen als Ursache eine Trennung oder Scheidung angeben.9 Ferner seien das Erwerbseinkommen und die Erwerbsbeteiligung Risikofaktoren. Empirisch zeige sich, dass Alleinerziehende, die nicht am Arbeitsmarkt partizipieren oder nur eingeschränkte Erwerbsmöglichkeiten haben, besonders armutsgefährdet seien. Fast zwei Drittel aller Frauen im erwerbsfähigen Alter hätten ihre Erwerbstätigkeit schon einmal familienbedingt unterbrochen, 5 Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2015), Analyse des Arbeitsmarktes für Alleinerziehende in Deutschland, S. 15, https://statistik.arbeitsagentur.de/Statistikdaten/Detail/201512/analyse/analyse-arbeitsmarkt-alleinerziehende -bund/analyse-arbeitsmarkt-alleinerziehende-bund-d-0-201512-pdf.pdf (zuletzt abgerufen am 17. Januar 2018). 6 Krauss, Tanja (2014), Wege aus der Armut für Alleinerziehende, Dissertation, Springer VS, Springer Fachmedien Wiesbaden 2014. 7 Krauss (2014), S. 30. 8 Krauss (2014), S. 31-33. 9 Krauss (2014), S. 36. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 082/17 Seite 6 davon sei mehr als ein Drittel (noch) nicht auf den Arbeitsmarkt zurückgekehrt. Wenn ein Wiedereinstieg erfolge, dann überwiegend in Teilzeit. Neben dem beruflichen Humankapital seien die Arbeitsmarktchancen von Alleinerziehenden durch die Kinderbetreuungssituation geprägt. KRAUSS konnte in ihrer Arbeit zeigen, dass sowohl der Partnermarkt als auch der Arbeitsmarkt Wege aus der Armut darstellten, jedoch hätten arme Alleinerziehende sowohl auf dem Partnermarkt als auch auf dem Arbeitsmarkt schlechtere Chancen.10 KUMPMANN, GÜHNE, BUSCHER11 haben die Ursachen für Armut im Alter analysiert. Hierzu wurde eine Regressionsanalyse mit Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) durchgeführt. Danach würden Scheidungen scheinbar das Alterseinkommen negativ beeinflussen. Ehen würden sich positiv auf Renten und Alterseinkommen insgesamt auswirken.12 Nach HAUSER13 habe sich seit der Unterhaltsrechtsreform im Jahr 2008 die Lage für geschiedene Frauen mit Kindern deutlich verschlechtert. Zur Zahlung von Betreuungsunterhalt für die Mutter sei der frühere Ehemann in der Regel nur noch verpflichtet, solange das jüngste Kind jünger als drei Jahre ist oder sofern für ältere Kinder keine Kinderbetreuung zur Verfügung stehe. In allen anderen Fällen sei der Mutter eine Vollzeiterwerbstätigkeit generell zuzumuten. Die große Zahl von Alleinerziehenden, die arbeitslos seien oder nur eine geringfügige Beschäftigung ausübten, weise darauf hin, dass die Arbeitsmarktlage und die Situation bei der ganztägigen Kinderbetreuung nicht die Voraussetzungen bieten würden, um dieses Postulat des Gesetzgebers voll zu verwirklichen . Darüber hinaus verweist HAUSER auf die Unterhaltsproblematik bei Kindern. In vielen Fällen würde der den Kindern zustehende Barunterhalt ausbleiben. Exkurs: Nach §§ 1569 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sind Unterhaltsansprüche von ehemaligen Partnern eng begrenzt. Prinzipiell gilt der Grundsatz der Eigenverantwortung. Die Unterhaltsverpflichtungen von Eltern gegenüber ihren Kindern bestehen jedoch auch nach einer Trennung weiter. Dies gilt bis zur Volljährigkeit oder zum Abschluss der ersten Berufsausbildung des Kindes . Nach einer Trennung verbleiben die Kinder meistens bei einem Elternteil. Dieser kommt seinen Unterhaltspflichten durch die Betreuung und Versorgung des Kindes im gemeinsamen Haushalt nach. Der andere Elternteil ist zur Zahlung eines sogenannten Barunterhalts verpflichtet. Wenn die Barunterhaltszahlungen nicht regelmäßig beziehungsweise nicht erfolgen oder den Mindestunterhalt des Kindes nicht decken, kann ein Anspruch auf Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz bestehen. Dieser Anspruch ist unabhängig vom Einkommen des alleinerziehenden Elternteils. Seit dem 1. Juli 2017 können Kinder bis zur Vollendung des 12. Lebensjahres ohne zeitliche Einschränkung einen Unterhaltsvorschuss erhalten. Kinder im Alter von zwölf Jahren bis zum vollendeten 18. Lebensjahr können ebenfalls einen Unterhaltsvorschuss erhalten, wenn sie nicht auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) angewiesen 10 Krauss (2014), S. 39-42, 240-241. 11 Kumpmann, Ingmar/Gühne, Michael/ Buscher, Herbert (2012), Armut im Alter – Ursachenanalyse und eine Projektion für das Jahr 2023, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Band 232, Lucius & Lucius Stuttgart 2012. 12 Kumpmann et al. (2012), S. 72. 13 Hauser, Richard (2015), Alleinerziehende kommen zu kurz: zunehmende Betroffenheit von Armut – Vorschläge zur Milderung des Problems, in: Soziale Sicherheit, Heft 5/2015, S. 193-200. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 082/17 Seite 7 sind oder der alleinerziehende Elternteil im SGB II-Bezug mindestens 600 Euro brutto verdient. Der Unterhaltsvorschuss ist eine vorrangige Sozialleistung, die auf die Ansprüche des Kindes auf Sozialgeld, Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe oder Kinderzuschlag und Wohngeld angerechnet wird. Soweit der notwendige Lebensunterhalt durch den Unterhaltsvorschuss nicht vollständig gedeckt wird, kommen die genannten Leistungen ergänzend in Betracht. 3. Psychische Erkrankungen Armut und Krankheit bedingen sich häufig wechselseitig. Die gesundheitlichen Folgen von Krankheiten sind vielfach belegt. Umgekehrt führen Krankheiten oft zu einem sozialen Abstieg. Ausgangspunkt der Studie der britischen Epidemiologen PICKETT und WILKINSON ist die Frage, warum einige Krankheiten in einer Gesellschaft häufig, in einer anderen nur selten auftreten oder aber nur bestimmte Schichten treffen. Die Wissenschaftler kommen nach umfangreichen Analysen zu dem Ergebnis, dass der entscheidende Faktor für eine sozial funktionsfähige Gesellschaft die Einkommensverteilung ist. Einkommensunterschiede innerhalb einer Gesellschaft würden die Lebensqualität stärker beeinflussen als das Durchschnittseinkommen einer Gesellschaft . Die Studie zeigt, dass bei zunehmender Ungleichheit in einer Gesellschaft die physische sowie psychische Gesundheit (Lebenserwartung, Depressionen, Drogensucht, Kindersterblichkeit , Fettleibigkeit) abnimmt. Das sinngemäße Fazit der Autoren lautet daher: Ein Mehr an Gleichheit ist besser für die Gesellschaft und jeden Einzelnen.14 Nach Angaben des Fünften Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung bestehen soziale Unterschiede bei psychischen Erkrankungen. Insbesondere Angststörungen und affektive Störungen wie Depressionen gehörten zu den psychischen Störungen, die im Erwachsenenalter unter sozial Benachteiligten stärker verbreitet seien als unter sozial Bessergestellten. Nach den Daten der Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell“ der Jahre 2009 und 2010 betrage der Anteil der 30-bis 64-jährigen Männer, bei denen eine Depression diagnostiziert wurde, in der niedrigen Statusgruppe knapp 11 Prozent und bei denjenigen mit hohem Sozialstatus nur knapp 4 Prozent. Für gleichaltrige Frauen lägen die entsprechenden Werte bei rund 14 und rund 7 Prozent.15 Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat die Situation psychisch Kranker untersucht , die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II beziehen: „Für Deutschland wird die Arbeitssituation für psychisch erkrankte Menschen mit chronischen und schweren Verläufen16 wie folgt eingeschätzt (Aktion psychisch Kranke 2004-2007): 14 Wilkinson, Richard; Pickett, Kate (2010), Gleichheit ist Glück: warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind / - Dt. Erstausgabe, 1. Auflage, Frankfurt am Main, Tolkemitt-Verlag bei Zweitausendeins. 15 Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2017), Lebenslagen in Deutschland, Der Fünfte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, S. 413, http://www.armuts-und-reichtumsbericht.de/SharedDocs/Downloads /Berichte/5-arb-langfassung.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (zuletzt abgerufen am 8. Januar 2018). 16 Definiert wird die Gruppe der schwer psychisch Kranken hierbei v.a. über den Rehabilitationsbedarf, der sich bei diesem Personenkreis an eine Krankenhausbehandlung anschließt. Unter diagnostischen Aspekten handelt es sich hier insbesondere um Personen mit Schizophrenien, Depressionen, neurotischen Störungen und Persönlichkeitsstörungen (Aktion psychisch Kranke 2004). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 082/17 Seite 8 – 10 Prozent befinden sich in regulärer Erwerbsarbeit (Voll- und Teilzeit) – 20 Prozent haben einen beschützten Arbeitsplatz – 5 Prozent befinden sich in einem beruflichen Training oder beruflicher Rehabilitation – 15 Prozent erhalten Angebote zur Tagesgestaltung – ca. die Hälfte der Betroffenen ist ohne jegliches Arbeits- und Beschäftigungsangebot. Auch die jüngsten Ergebnisse der repräsentativen Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (…) vom Robert-Koch-Institut sowie dessen Zusatzmodul ‚Psychische Gesundheit‘ (…) belegen, dass die Wahrscheinlichkeit psychisch und schwer psychisch Erkrankter, arbeitslos oder frühberentet zu sein, deutlich erhöht ist. Demnach ist das Risiko einer Erwerbslosigkeit für schwer psychisch Kranke gegenüber psychisch gesunden Studienteilnehmenden um das Fünffache und das einer Frühberentung um das Dreifache erhöht (…). In Deutschland ist die mit Abstand verbreitetste Maßnahmenform der beruflichen Rehabilitation psychisch kranker Menschen die Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) (…), obwohl die Übergangsraten in den Ersten Arbeitsmarkt sehr gering sind. Kritikerinnen und Kritiker monieren , dass die WfbM eine Art neues Arbeitshaus ohne Zwang darstellen, in denen die „Überflüssigen “ überwiegend dauerhaft vom Arbeitsmarkt ausgesteuert werden (…). Zumindest ist weithin umstritten, ob die Werkstätten die richtigen Einrichtungen im Sinne der Inklusion sind.“17 HERZOG erläutert, dass mit einer chronischen psychischen Erkrankung üblicherweise eine Erosion der sozialen und personellen Netzwerke verbunden ist mit der Folge von Statusverlust, ökonomischer Verarmung und sozialer Isolation. Diese Stigmatisierung käme einer „zweite Krankheit “ gleich und sei ein Hauptgrund für die „Negativkarriere der Betroffenen“. Da die Leistungsfähigkeit infolge der chronischen Erkrankung sich erheblich verringere, sei kontinuierliche Erwerbsarbeit kaum noch möglich. Einige psychische Erkrankungen seien mit einem besonders hohen, typischen Verarmungsrisiko behaftet. Hierzu gehört nach HERZOG: – Schizophrenie (paranoid-halluzinatorische). Bei diesem Krankheitsbild sei das Verhalten der Betroffenen oft drastisch fehlangepasst verbunden mit den üblichen sozialen und arbeitsrechtlichen Konsequenzen. Schizophrene Kranke gehörten zu den „Long-stay-Patienten “ mit langen Ausfallzeiten, was das Verarmungsrisiko deutlich erhöhe. – Bei schwer depressiven Menschen sei die Leistungsfähigkeit deutlich eingeschränkt, so dass diese kaum noch in einem Arbeitsverhältnis stünden. Meist lebten die Betroffenen isoliert . 17 Oschmiansky, Frank; Popp, Sandra et al. (2017), Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Psychisch Kranke im SGB II: Situation und Betreuung, IAB Forschungsbericht 14/2017, S. 41, 42, 47; http://doku.iab.de/forschungsbericht/2017/fb1417.pdf (zuletzt abgerufen am 16. Januar 2018). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 082/17 Seite 9 – Bei Alkoholerkrankung sei das Verarmungsrisiko immens hoch. Durch den exzessiven Alkoholkonsum liefen in der Regel hohe Schulden auf. Primärschulden und damit verbundene (drohende) Wohnungslosigkeit seien hier beinahe die Regel. – Ferner würde bei einer Borderline-Persönlichkeitsstörung sowie bei Demenz ein hohes Verarmungsrisiko bestehen.18 Auch die Caritas beschreibt die Wechselwirkungen von psychischen Erkrankungen (vor allem Depressionen) und Armut. Die Krankheit erlaube es den Betroffenen oft nicht mehr, einer geregelten Beschäftigung nachzugehen. Der Arbeitsplatzverlust und die soziale Ausgrenzung mit Folgen für den Sozialstatus wirkten sich wiederum negativ auf die Gesundheit aus und stünden der Genesung meist noch zusätzlich im Weg.19 Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung erfolgte ein Rentenzugang wegen Erwerbsminderung überwiegend aufgrund psychischer Störungen (im Jahr 2016 42, 8 Prozent) gefolgt von Krankheiten des Skeletts, der Muskeln oder des Bindegewebes (im Jahr 2016 13,1 Prozent) und Neubildungen (z.B. Krebs im Jahr 2016 12, 8 Prozent).20 Eine dauerhafte berufliche (Re-)Integration gelinge durch entsprechende Rehabilitationsmaßnahmen umso seltener, je höher die Zahl der krankheitsbedingten Fehltage vor der Rehabilitation sei. Dabei nehme der Anteil der Erwerbsminderungsrenten aufgrund psychischer Erkrankungen an der Gesamtheit der Berentungen seit 2001 kontinuierlich zu. Innerhalb der Gruppe der psychischen Erkrankungen und Verhaltensstörungen , die zu einer Erwerbsminderungsrente führen, seien die affektiven Störungen wie die Depression und auch Angststörungen führend. Diese würden kontinuierlich zunehmen, während die Zahl der Neuberentungen wegen schizophrener, schizotyper und wahnhafter Störungen über die Jahre gesehen stabil geblieben seien. Der Rentenbeginn bei psychischer Erkrankung liege im Schnitt bei 48 Jahren und damit niedriger als der Durchschnitt der Rentnerinnen und Rentner anderer Diagnosegruppen (50,4 Jahre).21 Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und der Deutsche Gewerkschaftsbund haben im September 2013 die „Gemeinsame 18 Herzog, Uta (2008), Die Zusammenhänge von Armut, psychischer Erkrankung und Überschuldung, BtPRAX, Zeitschrift für soziale Arbeit, gutachterliche Tätigkeit und Rechtsanwendung in der Betreuung, Heft 1/2008, S. 7-10. 19 Neue Caritas spezial: Politik, Praxis, Forschung, Heft 2/2012, S. 10. 20 Statistik der Deutschen Rentenversicherung, Erwerbsminderungsrenten im Zeitablauf 2017, http://www.deutsche -rentenversicherung.de/Allgemein/de/Inhalt/6_Wir_ueber_uns/03_fakten_und_zahlen/03_statistiken /02_statistikpublikationen/13_erwerbsminderungsrenten_zeitablauf_2017.pdf?__blob=publicationFile&v=18 (zuletzt abgerufen am 20. Dezember 2017). 21 Deutsche Rentenversicherung zitiert nach Oschmiansky, Frank; Popp, Sandra et al. (2017), Institut für Arbeitsmarkt - und Berufsforschung, Psychisch Kranke im SGB II: Situation und Betreuung, IAB Forschungsbericht 14/2017, S. 42; http://doku.iab.de/forschungsbericht/2017/fb1417.pdf (zuletzt abgerufen am 16. Januar 2018). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 082/17 Seite 10 Erklärung psychische Gesundheit in der Arbeitswelt“ unterzeichnet. Durch verschiedene Maßnahmen soll der Schutz der psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt verbessert werden.22 4. Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit Je nach Art der Beschäftigung (Beamter, Selbständiger, unselbständig Beschäftigter) sind verschiedene Versicherungssysteme zuständig. Die folgende kurze Zusammenstellung der Bezugsbedingungen bezieht sich auf Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherung. Eine Rente wegen voller Erwerbsminderung können Versicherte erhalten, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf nicht absehbare Zeit weniger als drei Stunden täglich arbeiten können. Wer drei bis sechs Stunden täglich arbeiten kann, hat Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (bei Arbeitslosigkeit voller Rentenanspruch). Darüber hinaus müssen Versicherte in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (§ 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – SGB VI). Von 2001 bis 2011 waren abschlagfreie Renten ab dem 63. Lebensjahr möglich. Diese Altersgrenze wird seit 2012 schrittweise auf das 65. Lebensjahr angehoben. Gleichzeitig erhöht sich auch die Altersgrenze für die Höchstabschläge von 60 Jahren auf 62 Jahre und jünger. Für jeden Monat, den eine Person früher in Rente geht, beträgt der Abschlag 0,3 Prozent, insgesamt jedoch höchstens 10,8 Prozent. Ab 2024 kann eine abschlagfreie Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit erst mit 65 Jahren bezogen werden. Wer zu diesem Zeitpunkt jünger ist, muss Abschläge von bis zu 10,8 Prozent hinnehmen. Das durchschnittliche Rentenzugangsalter bei einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit lag im Jahr 2016 bei 51,7 Jahren.23 Seit 2014 wird als Berechnungsgrundlage der Durchschnittsverdienst während des gesamten Erwerbslebens herangezogen. Nach der „Günstiger-Prüfung“ können die letzten vier Jahre vor der Erwerbsminderung aus der Rentenberechnung herausgenommen werden, falls diese niedriger sind. Das kann beispielsweise erforderlich sein, wenn ein Versicherter schon vorher lange und oft wegen einer Erkrankung nicht arbeiten konnte. Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Leistungen bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und zur Änderung anderer Gesetze (EM-Leistungsverbesserungsgesetz) vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2509) wird die Zurechnungszeit ab 1. Januar 2018 schrittweise vom 62. auf das vollendete 65. Lebensjahr verlängert. Durch die verlängerte Zurechnungszeit werden die Versicherten 22 Die Erklärung ist abrufbar beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales: http://www.bmas.de/Shared- Docs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/a-449-gemeinsame-erklaerung-psychische-gesundheit-arbeitswelt .pdf;jsessionid=DE07398E456B18AD4AB367C73A51D97A?__blob=publicationFile&v=2 (zuletzt abgerufen am 17. Januar 2018). 23 Statistik der Deutsche Rentenversicherung, Rentenversicherung in Zahlen 2017, S. 68, Stand 30. Juni 2017, https://www.deutsche-rentenversicherung.de/cae/servlet/contentblob/238692/publication- File/61815/01_rv_in_zahlen_2013.pdf (zuletzt abgerufen am 17. Januar 2018). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 082/17 Seite 11 bei einer Erwerbsminderungsrente so gestellt, als hätten sie bis zum vollendeten 65. Lebensjahr Beiträge gezahlt. Die schrittweise Verlängerung der Zurechnungszeit gilt für Rentenneuzugänge mit einem Rentenbeginn ab 2018; sie ist in Gänze wirksam bei einem Rentenbeginn ab 2024. Das bedeutet, ab einem Rentenbeginn im Jahr 2024 werden Erwerbsgeminderte dann so gestellt, als ob sie mit ihrem bisherigen durchschnittlichen Einkommen bis zum 65. statt wie derzeit bis zum 62. Geburtstag weitergearbeitet hätten. Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung führt die Verlängerung der Zurechnungszeit um drei Jahre bei Erwerbsminderungsrenten, die ab 2024 beginnen, im Durchschnitt zu einer Erhöhung von monatlich rund 62 Euro brutto (heutige Werte). In der Übergangszeit von 2018 bis 2023 sind die Verbesserungen entsprechend geringer.24 Der Bezug einer Rente wegen Erwerbsminderung gilt als ein Risikofaktor für Armut. Der Zahlbetrag einer Rente wegen voller Erwerbsminderung lag zum 31. Dezember 2016 bei 771 Euro (alte Bundesländer) und bei 793 Euro (neue Bundesländer).25 Auf Basis der SOEP-Stichprobe lag die Armutsrisikoschwelle im Jahr 2014 für einen Einpersonenhaushalt bei 1050 Euro pro Monat.26 Im Zusammenhang mit einer Erwerbsminderungsrente wird häufig der ergänzende Bezug von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII (§§ 41-46) betrachtet, eine Leistung im Rahmen der Sozialhilfe. Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung haben von den rund 1,28 Millionen Beziehern einer vollen Erwerbsminderungsrente im Jahr 2016 14,7 Prozent ergänzende Leistungen der Grundsicherung erhalten. Die Zahl der Bezieher ist in den letzten Jahren gestiegen (2005 – 6,5 Prozent, 2010 – 9, 5 Prozent) und hatte ihren bisherigen Höhepunkt im Jahr 2015 bei 15,4 Prozent.27 Nachteil bei diesen Zahlen ist der Umstand, dass sie nur diejenigen Grundsicherungsbezieher zeigen können, die die Leistung tatsächlich beantragt haben. Nicht erfasst werden Menschen, die in Armut leben, aber die Leistung aus unterschiedlichen Gründen nicht beantragt haben. Die Deutsche Rentenversicherung empfiehlt daher prüfen zu lassen, ob ein Anspruch auf Grundsicherung im Alter besteht, wenn das monatliche Einkommen durchschnittlich unter 838 Euro liegt.28 24 Die Informationen basieren überwiegend auf Angaben der Deutschen Rentenversicherung. 25 Statistik der Deutsche Rentenversicherung, Rentenversicherung in Zahlen 2017, Rentenhöhe inkl. Auffüllbetrag nach Abzug der Kranken – und Pflegeversicherung, Stand 30. Juni 2017, https://www.deutsche-rentenversicherung .de/cae/servlet/contentblob/238692/publicationFile/61815/01_rv_in_zahlen_2013.pdf (zuletzt abgerufen am 10. Januar 2018). 26 Grabka, Markus; Goebel, Jan (2017), Realeinkommen sind von 1991 bis 2014 im Durchschnitt gestiegen – erste Anzeichen für wieder zunehmende Einkommensungleichheit, DIW Wochenbericht Nr.4/2017, S. 78, http://www.diw.de/sixcms/detail.php?id=550890 (zuletzt abgerufen am 17. Januar 2018). 27 Statistik der Deutsche Rentenversicherung, Rentenversicherung in Zahlen 2017, S. 74, Stand 30. Juni 2017, https://www.deutsche-rentenversicherung.de/cae/servlet/contentblob/238692/publication- File/61815/01_rv_in_zahlen_2013.pdf (zuletzt abgerufen am 17. Januar 2018). 28 Abrufbar im Internet unter http://www.deutsche-rentenversicherung.de/Allgemein/de/Inhalt /2_Rente_Reha/01_rente/04_in_der_rente/04_grundsicherung_bei_kleinstrenten/00_01_grundsicherung_anspruch _und_hoehe.html (zuletzt abgerufen am 17. Januar 2018). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 082/17 Seite 12 Bei der Deutschen Rentenversicherung wurde die Studie „Sozioökonomische Situation von Personen mit Erwerbsminderung“ mit Daten aus dem 2011 durchgeführt. Die Daten basieren auf einer schriftlichen Befragung einer repräsentativen Zufallsstichprobe von Erwerbsminderungsrentnern , die im Jahr 2008 erstmals wegen einer Erwerbsminderung berentet wurden (Stichprobenumfang 4276 Personen). Kurze Zusammenfassung der Studienergebnisse: Projektbericht I zur Studie: – Im Jahr 2010 lag die Armutsgefährdungsschwelle29 bei rund 806 Euro pro Monat (SOEP 2010). Gemessen an diesem Wert waren rund 37 Prozent aller Personen in den befragten Haushalten mit Erwerbsminderungsrente armutsgefährdet. Im Vergleich dazu waren es in der Gesamtbevölkerung nur rund 14 Prozent. Bestimmte Personengruppen sind besonders betroffen: Alleinlebende und Personen, die in Haushalten mit männlichen Erwerbsminderungsrentnern leben, Erwerbsminderungsrentner ohne deutsche Staatsbürgerschaft oder mit Migrationshintergrund, Personen ohne Schulabschluss oder ohne berufliche Ausbildung. – Gut ein Viertel der Haushalte muss staatliche Leistungen (Wohngeld, Arbeitslosengeld II/Sozialgeld, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Sozialhilfe) in Anspruch nehmen. – Die prekäre Einkommenssituation ist problematisch, weil im Hinblick auf den betrachteten Personenkreis davon auszugehen ist, dass – sofern die Erwerbsminderung andauert bzw. keine vollständige Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit erfolgen wird – die Problemlage dauerhaft bestehen bleibt.30 Projektbericht II zur Studie: – Mit einer durchschnittlichen Höhe von 660 Euro gewährleistet die Erwerbsminderungsrente keine ausreichende Absicherung des Haushalts. – Subjektive materielle Lage: Nur ein Zehntel der Personen kommt gut oder sehr gut mit den verfügbaren Einkünften zurecht. Mehr als die Hälfte schätzt das finanzielle Zurechtkommen als relativ schlecht, schlecht oder sehr schlecht ein. Besonders groß ist der Anteil die nach eigenen Angaben finanziell schlecht auskommen unter den Alleinlebenden, in Haushalten mit Erwerbsminderungsrentnern ohne deutsche Staatsbürgerschaft oder mit Migrationshintergrund , ohne Schulabschluss oder ohne berufliche Ausbildung sowie in Haushalten erwerbsgeminderter Männer. Die finanzielle Situation hat sich für fast drei Viertel der 29 Die Armutsgefährdungsschwelle ist definiert als 60 Prozent des Median aller Nettoäquivalenzeinkommen. Eine Person gilt dann als armutsgefährdet, wenn ihr Äquivalenzeinkommen die Armutsgefährdungsschwelle unterschreitet . 30 Märtin, Stefanie; Zollmann, Pia; Buschmann-Steinhage, Rolf (2012), DRV-Schriften Band 99 – Oktober 2012, Sozioökonomische Situation von Personen mit Erwerbsminderung, Projektbericht I zur Studie, Hrsg. Deutsche Rentenversicherung Bund. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 082/17 Seite 13 Personen in Haushalten infolge der Erwerbsminderungsrente verschlechtert. Die überwiegend negativen subjektiven Einschätzungen basieren nicht auf überhöhten Ansprüchen: Das mindestens benötigte monatliche Haushaltseinkommen entspricht bei knapp einem Fünftel der Personen etwa dem tatsächlichen Einkommen. Zwei Drittel geben an, höhere Einkünfte zu benötigen, um finanziell gerade noch auskommen zu können. – Finanzielle Teilhabemöglichkeiten: Die Ergebnisse sprechen insgesamt für eine deutliche Deprivation der Erwerbsgeminderten (bezogen auf Urlaub, Heizung, Arzneimittel, unerwartete Ausgaben). – Sparverhalten und Zahlungsrückstände: Lediglich ein Viertel kann regelmäßig sparen. Demgegenüber muss fast ein Zehntel regelmäßig auf bestehende Rücklagen zurückgreifen, weil die Einkünfte nicht ausreichen, um die laufenden Kosten zu decken. Der Mehrheit der Befragten ist dies jedoch nicht möglich, weil es keine Ersparnisse (mehr) gibt. Bei einem Viertel entstanden mehrmals Zahlungsrückstände. – Wohnsituation: 81 Prozent der Personen in Haushalten mit Erwerbsminderungsrenten bewerten ihre Wohnkosten als eher große Belastung für den Haushalt. In der Bevölkerung trifft dies nur auf ein Fünftel der Haushalte zu.31 EHLSCHEID und NEUMANN betrachten in ihrer Publikation die Rentenreformen seit 2001 bis heute und plädieren für eine bessere materielle Absicherung für den Fall einer Erwerbsminderung , insbesondere durch Abschaffung der Abschläge als auch durch eine Erhöhung des Leistungsniveaus der gesetzlichen Rente insgesamt. Darüber hinaus müsse verstärkt an einer übergreifenden Strategie gearbeitet werden, um (dauerhafte) Erwerbsminderung möglichst zu vermeiden . Hierzu gehörten besonders die Stärkung von Prävention und Rehabilitation sowie Maßnahmen zu Reintegration aus der Erwerbsminderung zurück in Beschäftigung.32 *** 31 Märtin, Stefanie; Zollmann, Pia; Buschmann-Steinhage, Rolf (2014), DRV-Schriften Band 105 – Oktober 2014, Sozioökonomische Situation von Personen mit Erwerbsminderung, Projektbericht II zur Studie, Hrsg. Deutsche Rentenversicherung Bund. 32 Ehlscheid, Christoph; Neumann, Dirk (2017), Armutsrisiko Erwerbsminderung in: Altersarmut: Schicksal ohne Ausweg? von Wicher, Klaus (Hrsg.), S. 87-99, VSA: Verlag Hamburg.