© 2020 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 080/20 Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis durch Verwaltungsakt Zur Möglichkeit der Einführung einer bundesgesetzlichen Regelung entsprechend den §§ 31, 38 Landesdisziplinargesetz Baden-Württemberg Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis durch Verwaltungsakt 8 4.1. Berücksichtigung hergebrachter Grundsätze des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG 9 4.2. Kein Grundsatz der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nur durch Richterspruch 10 4.3. Kein Grundsatz der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nur durch eine vom Dienstvorgesetzten verschiedene Stelle oder ein Gremium 11 4.4. Kein Verstoß gegen das Lebenszeitprinzip 11 4.4.1. Bedeutung des Lebenszeitprinzips 11 4.4.2. Schutz durch effektiven nachträglichen Rechtsschutz und gerichtlicher Vollkontrolle 12 4.4.3. Keine besonderen Anforderungen an das behördliche Verfahren 14 4.4.4. Keine sonstigen durchgreifenden Bedenken 14 4.4.5. Sondervotum: Unverhältnismäßiger Eingriff in Art. 33 Abs. 5 GG 15 5. Fazit 15 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 080/20 Seite 4 1. Einleitung Anders als auf Bundesebene und in den meisten Bundesländern werden in Baden-Württemberg seit einer umfassenden Reform des Disziplinarrechts im Jahr 2008 sämtliche Disziplinarmaßnahmen durch Verwaltungsakt (Disziplinarverfügung) angeordnet. Damit wurde die zuvor bestehende eigenständige Disziplinarbefugnis der Disziplinargerichte auch bei Verhängung schwerer, statusrelevanter Maßnahmen aufgehoben. So wird in Baden-Württemberg auch die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als schwerste Disziplinarmaßnahme gemäß §§ 31 Abs. 1, 38 Abs. 1 Landesdisziplinargesetz (LDG BW)1 im behördlichen Verfahren durch Disziplinarverfügung ausgesprochen. Vor diesem Hintergrund wurden die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages um Auskunft gebeten, ob eine den §§ 31 Abs. 1, 38 Abs. 1 LDG BW (Entfernung aus dem Beamtenverhältnis durch Verwaltungsakt) entsprechende Regelung auch auf Bundesebene verfassungsrechtlich zulässig sei. Die nachfolgenden Ausführungen basieren im Wesentlichen auf dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Januar 20202, der die Überprüfung der einschlägigen Regelungen des LDG BW zum Gegenstand hat. 2. Rechtslage auf Bundesebene Das Bundesdisziplinargesetz, wie auch die disziplinarrechtlichen Regelungen der meisten Bundesländer , differenziert hinsichtlich der Entscheidungsbefugnis über eine Disziplinarmaßnahme: Während die Einstellung des Verfahrens und der Erlass leichter und mittlerer Disziplinarmaßnahen dem Dienstherrn erlaubt ist, obliegt die Entscheidung über die Verhängung schwerer, statusrelevanter Maßnahmen einer bei den Verwaltungsgerichten angesiedelten Disziplinargerichtsbarkeit .3 § 5 Bundesdisziplinargesetz (BDG) listet die Arten der möglichen Disziplinarmaßnahen gegen Beamte und Ruhestandsbeamte aufgrund von Dienstvergehen auf: Verweis, Geldbuße, Kürzung der 1 Landesdisziplinargesetz (LDG) vom 14. Oktober 2008, verkündet als Artikel 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Landesdisziplinarrechts (LDNOG) vom 14. Oktober 2008, BW GBl. vom 21. Oktober 2008, S. 343. 2 Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 2055/16 -. 3 BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 2055/16 -, Rn. 2; Koehler, LKV 2020, 260, 261. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 080/20 Seite 5 Dienstbezüge4, Zurückstufung5 und Entfernung aus dem Dienstverhältnis gegen Beamte und Kürzung 6 beziehungsweise Aberkennung des Ruhegehalts gegen Ruhestandsbeamte. Die Disziplinarmaßnahmen Verweis, Geldbuße, Kürzung der Dienstbezüge oder Kürzung des Ruhegehalts erfolgen im behördlichen Disziplinarverfahren durch Disziplinarverfügung, § 33 Abs. 1 BDG.7 Die Befugnis liegt für Verweise und Geldbußen bei dem Dienstvorgesetzten, § 33 Abs. 2 BDG. Kürzungen der Dienstbezüge können die oberste Dienstbehörde oder in bestimmten Fällen die der obersten Dienstbehörde unmittelbar nachgeordneten Dienstvorgesetzten festlegen, § 33 Abs. 3 BDG. Kürzungen des Ruhegehalts kann der zur Ausübung der Disziplinarbefugnisse zuständige Dienstvorgesetzte festsetzen. Soll hingegen auf Zurückstufung, auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder auf Aberkennung des Ruhegehalts gegen den Beamten erkannt werden, ist gegen ihn Disziplinarklage zu erheben , § 34 Abs. 1 BDG. Die Verhängung schwerer, statusrelevanter Disziplinarmaßnahmen bei besonders gravierenden Dienstpflichtverletzungen kann damit nur durch Richterspruch erfolgen. Den zuständigen Gerichten kommt dabei eine eigenständige Disziplinargewalt zu.8 Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BDG ergeht die Entscheidung über eine Disziplinarmaßnahme grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen. § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG enthalten ermessensbindende Zumessungskriterien. Danach ist die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen und das Persönlichkeitsbild des Beamten angemessen zu berücksichtigen. Ferner soll berücksichtigt werden, in welchem Umfang der Beamte das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit beeinträchtigt hat. 4 § 8 Abs. 1 BDG: Die Kürzung der Dienstbezüge ist die bruchteilmäßige Verminderung der monatlichen Dienstbezüge des Beamten um höchstens ein Fünftel auf längstens drei Jahre. Sie erstreckt sich auf alle Ämter, die der Beamte bei Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung inne hat. Hat der Beamte aus einem früheren öffentlich -rechtlichen Dienstverhältnis einen Versorgungsanspruch erworben, bleibt dieser von der Kürzung der Dienstbezüge unberührt. 5 § 9 Abs. 1 BDG: Die Zurückstufung ist die Versetzung des Beamten in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt. Der Beamte verliert alle Rechte aus seinem bisherigen Amt einschließlich der damit verbundenen Dienstbezüge und der Befugnis, die bisherige Amtsbezeichnung zu führen. Soweit in der Entscheidung nichts anderes bestimmt ist, enden mit der Zurückstufung auch die Ehrenämter und die Nebentätigkeiten, die der Beamte im Zusammenhang mit dem bisherigen Amt oder auf Verlangen, Vorschlag oder Veranlassung seines Dienstvorgesetzten übernommen hat. 6 § 11 Satz 1 BDG: Die Kürzung des Ruhegehalts ist die bruchteilmäßige Verminderung des monatlichen Ruhegehalts des Ruhestandsbeamten um höchstens ein Fünftel auf längstens drei Jahre. 7 Nach früherem Recht (§ 29 Bundesdisziplinarordnung [BDO], außer Kraft seit dem 31. Dezember 2001) konnten nur Verweis und Geldbuße durch Disziplinarverfügung verhängt werden. Ziel der Kompetenzerweiterung zugunsten der Dienstvorgesetzten auch auf die Kürzung der Dienstbezüge oder des Ruhegehalts war laut Gesetzesbegründung , die Disziplinarverfahren gerade bei Dienstpflichtverletzungen im mittleren Bereich wesentlich zu beschleunigen und die Gerichte zu entlasten (Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Bundesdisziplinarrechts (BDiszNOG), Bundestagsdrucksache 14/4659 14 vom 16. November 2000, S. 43). 8 BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 2055/16 -, Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 080/20 Seite 6 Demgegenüber ist ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen, § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG. Dem Ruhestandsbeamten wird das Ruhegehalt aberkannt, wenn er als noch im Dienst befindlicher Beamter aus dem Beamtenverhältnis hätte entfernt werden müssen, § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG. Die disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahmen sind folglich bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen zwingend vom Gericht im Verfahren der Disziplinarklage auszusprechen ; ein Ermessen besteht nicht.9 3. Rechtslage in Baden-Württemberg 3.1. Disziplinarrechtliche Regelungen Bis zur umfassenden Reform des Disziplinarrechts im Jahr 2008 entsprach die Rechtslage in Baden-Württemberg im Wesentlichen der damaligen Rechtslage im Bund. Seit der umfassenden Neuordnung des Landesdisziplinarrechts sieht das LDG BW vor, dass sämtliche Disziplinarmaßnahmen , also auch die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, die Zurückstufung und die Aberkennung des Ruhegehalts durch Verwaltungsakt angeordnet werden.10 In den §§ 26 ff. LDG BW sind die Bemessungsgrundlagen für die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme ausdrücklich festgelegt; das Verwaltungshandeln ist damit nach Aussage des Bundesverfassungsgerichts enger als nach alter Rechtslage legislativ gesteuert. Nach den Regelungen des LDG BW sind je nach Disziplinarmaßnahme in gradueller Abstufung bei feststehendem Dienstvergehen dessen Schwere, die Beeinträchtigung des Vertrauens sowie das Persönlichkeitsbild des Beamten maßgeblich.11 Die Neuregelungen sehen drei Schweregrade von Dienstvergehen (§ 27 LDB BW; §§ 28 bis 33 LDG BW) vor: Verweis und Geldbuße erfordern ein leichtes Dienstvergehen, Kürzung der Bezüge oder des Ruhegehalts und Zurückstufung setzen ein mittelschweres Dienstvergehen voraus, Entfernung aus dem Beamtenverhältnis und Aberkennung des Ruhegehalts sind nur bei einem schweren Dienstvergehen zulässig. Für die Disziplinarmaßnahmen gegen Beamte kommt es weiter auf das Maß an, in dem der Beamte durch das Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit in die pflichtgemäße Amtsführung beeinträchtigt hat, wobei fünf Grade des Maßes der Vertrauensbeeinträchtigung und zwei Grade des Maßes des Ansehensverlustes vorgesehen sind.12 9 Urban in: Urban/Wittkowski, Bundesdisziplinargesetz, 2. Auflage 2017, § 13, Rn. 28. 10 BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 2055/16 -, Rn. 3. 11 BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 2055/16 -, Rn. 4. 12 Gesetzentwurf der Landesregierung, Gesetz zur Neuordnung des Landesdisziplinarrechts (LDNOG), Landtagsdrucksache 14/2996 vom 15. Juli 2008, S. 86 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 080/20 Seite 7 Außer bei der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis und der Aberkennung des Ruhegehalts ist auf Rechtsfolgenseite behördliches Ermessen eingeräumt. Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 LDG BW wird der Beamte aus dem Beamtenverhältnis entlassen, wenn er durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen der Allgemeinheit in die pflichtgemäße Amtsführung endgültig verloren hat; mit der Entfernung endet das Dienstverhältnis, § 33 Abs. 1 Satz 2 LDG BW. Es handelt sich folglich um eine gebundene Entscheidung, die in Hinblick auf sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Ein behördlicher Beurteilungsspielraum besteht nicht. Laut Gesetzesbegründung soll so insbesondere auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Rechnung getragen werden.13 Nach § 38 Abs. 1 LDG BW werden Disziplinarmaßnahmen durch Disziplinarverfügung ausgesprochen . Die Disziplinarverfügung ist ein Verwaltungsakt im Sinne von § 35 Verwaltungsverfahrensgesetz für Baden-Württemberg (Landesverwaltungsverfahrensgesetz - LVwVfG). Hinsichtlich der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis sieht § 38 Abs. 1 Satz 2 LDG BW ein Zustimmungserfordernis der höheren Disziplinarbehörde beziehungsweise ein Vorlageerfordernis an die Rechtsaufsichtsbehörde vor; im Vergleich zum allgemeinen Verwaltungsverfahren wird so die Stellung des Beamten im Disziplinarverfahren gestärkt.14 Ferner stellt § 38 Abs. 2 Satz 2 LDG BW gesteigerte Begründungsanforderungen. So sind in der Begründung der persönliche und berufliche Werdegang des Beamten, der Gang des Disziplinarverfahrens, die Tatsachen, die ein Dienstvergehen begründen, und die anderen Tatsachen und Beweismittel darzustellen, die für die Entscheidung bedeutsam sind. In seiner Entscheidung verweist das Bundesverfassungsgericht auf die Besonderheiten der Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens gegenüber dem allgemeinen Verwaltungsgerichtsverfahren : Der Beamte kann gegen die ergangene Disziplinarverfügung ohne Vorverfahren Klage vor dem Verwaltungsgericht erheben, § 15 Abs. 2 Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung Baden-Württemberg (AGVwGO BW). Die Klage hat keine aufschiebende Wirkung, § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i. V. m. §§ 23 Abs. 5, 31 Abs. 2 Satz 6 LDG BW. Der Rechtsweg umfasst grundsätzlich drei Instanzen, wobei die Berufung anders als nach § 64 BDG zulassungsabhängig ausgestaltet ist. Für die gerichtliche Überprüfung der Disziplinarverfügung werden gemäß den §§ 7 und 8 AGVwGO BW bei den Verwaltungsgerichten beziehungsweise beim Verwaltungsgerichtshof besondere Disziplinarkammern beziehungsweise -senate eingerichtet. Die Übertragung auf den Einzelrichter ist ausgeschlossen (§ 7 Abs. 3 AGVwGO BW). Obwohl sich das disziplinarrechtliche Verfahren nunmehr stärker am Verwaltungsgerichtsverfahren orientiert, verweist § 19 Abs. 1 AG VwGO für die Beweisaufnahme weiterhin auf strafprozessuale Vorschriften.15 Nach § 21 Satz 2 AGVwGO BW hebt das Gericht die Verfügung auf, soweit die Abschlussverfügung rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Ist ein Dienstvergehen 13 BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 2055/16 -, Rn. 5 unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung; Gesetzentwurf der Landesregierung, Gesetz zur Neuordnung des Landesdisziplinarrechts (LDNOG), Landtagsdrucksache 14/2996 vom 15. Juli 2008, S. 86 ff. 14 BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 2055/16 -, Rn. 6. 15 BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 2055/16 -, Rn. 7. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 080/20 Seite 8 erwiesen, kann das Gericht die Verfügung aufrechterhalten oder zugunsten des Beamten abändern , sofern mit der gerichtlichen Entscheidung die Rechtsverletzung beseitigt ist, wobei die Vorschriften des LDG BW über die Bemessung von Disziplinarmaßnahmen Anwendung finden. 3.2. Zielsetzung des Landesgesetzgebers Laut der Begründung des Gesetzes zur Neuordnung des Landesdisziplinarrechts vom 14. Oktober 2008 sollte durch die Neugestaltung der Disziplinargesetze das Disziplinarrecht den Erfordernissen einer modernen Verwaltung und Rechtspflege angepasst werden, um eine rasche und wirksame Sanktionierung von Dienstvergehen sicherzustellen. Ferner sollte die Durchführung von Disziplinarverfahren wesentlich vereinfacht und insgesamt verkürzt werden sowie die Eigenverantwortung des Dienstherrn gestärkt, Verfahrens- und Entscheidungskompetenzen gebündelt und das Disziplinarrecht von Formalismen befreit werden.16 Mit Bezug auf § 38 LDG BW heißt es in der Gesetzesbegründung ferner, die volle behördliche Disziplinarbefugnis ermögliche es, Disziplinarverfahren grundsätzlich schon mit Zustellung beziehungsweise Bestandskraft der Disziplinarverfügung zum Abschluss zu bringen. Das Disziplinarverfahrensrecht werde so einfacher und trüge zur Beschleunigung von Disziplinarverfahren bei. Die Ausweitung der behördlichen und der Wegfall der gerichtlichen Disziplinarkompetenz seien schließlich auch Voraussetzung dafür, die Kompetenzen zur Durchführung des Verfahrens und zum Ausspruch von Disziplinarmaßnahmen bei der unteren Disziplinarbehörde bündeln zu können. Sowohl im Hinblick auf die Sachnähe als auch aus Gründen der Effizienz solle das Ermittlungsverfahren von der Behörde betrieben und abgeschlossen werden, welche die Verhältnisse vor Ort und den betroffenen Beamten am besten kenne.17 4. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis durch Verwaltungsakt Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinem Beschluss vom 14. Januar 2020 im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde mit der Frage befasst, ob eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis durch Verwaltungsakt gemäß §§ 31 Abs. 1, 38 Abs. 1 LDG BW verfassungsrechtlich zulässig ist. Dabei hat es insbesondere geprüft, ob ein Verstoß gegen die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums im Sinne von Art. 33 Abs. 5 Grundgesetz (GG) vorliegt. 16 Gesetzentwurf der Landesregierung vom 15. Juli 2008. Gesetz zur Neuordnung des Landesdisziplinarrechts (LDNOG), Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 14/2996, S.1. 17 Gesetzentwurf der Landesregierung, Gesetz zur Neuordnung des Landesdisziplinarrechts (LDNOG), Landtag von Baden-Württemberg, Drucksache 14/2996 vom 15. Juli 2008, S.113 bis 114. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 080/20 Seite 9 4.1. Berücksichtigung hergebrachter Grundsätze des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG Gemäß Art. 33 Abs. 5 GG ist das Recht des öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln. Gegenstand dieses Auftrags ist nicht das öffentliche Recht insgesamt, sondern nur das Beamtenrecht18, und zwar sowohl des Bundes als auch der Länder.19 Sowohl das Recht der Bundesbeamten als auch das Recht der Landesbeamten ist nach den gleichen Grundsätzen zu gestalten, nämlich, wie in Art. 33 Abs. 5 GG formuliert, "unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums ".20 Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist mit den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG der Kernbestand von Strukturprinzipien gemeint, die allgemein oder doch ganz überwiegend während eines längeren, traditionsbildenden Zeitraums, insbesondere unter der Reichsverfassung von Weimar, als verbindlich anerkannt und gewahrt worden sind.21 Bezugspunkt von Art. 33 Abs. 5 GG sei nicht das gewachsene Beamtenrecht, sondern das Berufsbeamtentum . Daher seien nur diejenigen Regelungen in ihrem Bestand geschützt, die das Bild des Berufsbeamtentums in seiner überkommenen Gestalt maßgeblich prägten, sodass ihre Beseitigung das Berufsbeamtentum als solches antasten würde. Der Sinn der institutionellen Garantie liege gerade darin, den Kernbestand der Strukturprinzipien, mithin die Grundsätze, die nicht hinweggedacht werden könnten, ohne dass damit zugleich die Einrichtung selbst in ihrem Charakter grundlegend verändert würde, dem gestaltenden Gesetzgeber verbindlich als Rahmen vorzugeben . Art. 33 Abs. 5 GG stehe jedoch einer Weiterentwicklung des Beamtenrechts nicht entgegen , solange keine strukturelle Veränderung an den für Erscheinungsbild und Funktion des Berufsbeamtentums wesentlichen Regelungen vorgenommen werde. In der Pflicht zur Berücksichtigung der Grundsätze nach Art. 33 Abs. 5 GG sei eine Entwicklungsoffenheit angelegt, die es dem Gesetzgeber ermögliche, die Ausgestaltung des Dienstrechts den jeweiligen Entwicklungen der Staatlichkeit anzupassen und die geschichtlich gewachsene Institution in den Rahmen des heutigen Staatslebens einzufügen und den Funktionen anzupassen, die das Grundgesetz dem öffentlichen Dienst in der freiheitlichen, rechts- und sozialstaatlichen Demokratie zuschreibe.22 18 Nicht erfasst von Art. 33 Abs. 5 GG sind Berufssoldaten (BVerfG, Urteil vom 26. Februar 1954 - 1 BvR 371/52 -, BVerfGE 3, 288, 334 [beck-online]; Brosius-Gersdorf in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2015, § 33, Rn. 173 mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). 19 Brosius-Gersdorf in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2015, § 33, Rn. 172. 20 BVerfG, Urteil vom 1. Dezember 1954 - 2 BvG 1/54 -, BVerfGE 4, 115, 135 (beck-online); BVerfG, Beschluss vom vom 5. Juli 1983 - 2 BvR 460/80 -, BVerfGE 64, 367, 378 (beck-online). 21 BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 2055/16 -, Rn. 29 mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung. 22 BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 2055/16 -, Rn. 31 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 080/20 Seite 10 Es gehören folglich nicht sämtliche beamtenrechtliche Bestimmungen zu den hergebrachten Grundsätzen, sondern nur solche, denen maßgebliche Prägekraft für das Leitbild des Berufsbeamtentums in seiner überkommenen Gestalt zukommt.23 Ein feststehender, abschließender Katalog der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums existiert nicht, jedoch haben sich eine Vielzahl von Strukturprinzipien des Beamtenrechtes herausgebildet , die - obwohl im Detail zum Teil umstritten - grundsätzlich als hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt sind.24 Neben der institutionellen Garantie des Berufsbeamtentums und dem an den Gesetzgeber gerichteten Regelungsauftrag enthält Art. 33 Abs. 5 GG auch ein grundrechtsgleiches Recht der Beamten , soweit ein hergebrachter Grundsatz deren persönliche Rechtsstellung betrifft.25 4.2. Kein Grundsatz der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nur durch Richterspruch Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts besteht kein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums im Sinne von Art. 33 Abs. 5 GG, nach dem die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nur durch Richterspruch zu erfolgen hätte. Das Bundesverfassungsgericht definiert zunächst den grundgesetzlichen Begriff der „rechtsprechenden Gewalt“ im Sinne des Grundsatzes der Gewaltenteilung.26 Auf Grundlage dieses Verständnisses der rechtsprechenden Gewalt betrachtete das Bundesverfassungsgericht in einer ausführlichen rechtshistorischen Analyse27, ausgehend vom Beginn des 19. Jahrhunderts, die Entwicklungen in einzelnen Teilstaaten sowie auf Reichsebene. Danach habe sich während des traditionsbildenden Zeitraums bis zum Ende der Weimarer Republik keine Regel etabliert, der zufolge eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nur durch Richterspruch erfolgen dürfe. Zwar hätten einzelne Teilstaaten schon ab Mitte des 19. Jahrhunderts einen disziplinaren Richtervorbehalt aufgenommen. Eine richterliche Disziplinargewalt im Sinne einer unabhängigen Justiz sei jedoch beispielsweise im politisch wie flächenmäßig bedeutsamen Preußen erst 1932 eingeführt worden; auf Reichsebene habe sich ein entsprechender Grundsatz weder im Kaiserreich noch während der Weimarer Republik herausgebildet. Vielmehr habe in 23 Hense in: Epping/Hillgruber, Beck’scher Onlinekommentar Grundgesetz, 44. Edition, Stand: 15. August 2020, Art. 33, Rn. 37. 24 Brosius-Gersdorf in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2015, § 33, Rn. 178; Hense in: Epping/Hillgruber , Beck’scher Onlinekommentar Grundgesetz, 44. Edition, Stand: 15. August 2020, Art. 33, Rn. 39. 25 Badura in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 90. EL Februar 2020, Art. 33, Rn. 53. 26 BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 2055/16 -, Rn. 34. 27 Siehe hierzu BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 2055/16 -, Rn. 35 bis 57. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 080/20 Seite 11 den Teilstaaten eine Regelungsvielfalt bestanden, sodass sich für den traditionsbildenden Zeitraum bis zum Ende der Weimarer Republik kein Richtervorbehalt für den wenigstens ganz überwiegenden Teil des Reiches habe feststellen lassen.28 4.3. Kein Grundsatz der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nur durch eine vom Dienstvorgesetzten verschiedene Stelle oder ein Gremium Auch ein hergebrachter Grundsatz, demzufolge die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis der alleinigen unmittelbaren Dienstgewalt des Dienstvorgesetzen entzogen und immer einem gesonderten Gremium zu überantworten sei, existiert nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht. Wie ausgeführt war das Disziplinarverfahren im traditionsbildenden Zeitraum in Hinblick auf die Entfernung aus dem Dienstverhältnis unterschiedlich ausgestaltet. Neben der Übertragung der Disziplinarbefugnis auf Gerichte hätten sich verschiedene Elemente exekutiver Selbst- und judikativer Fremdkontrolle gefunden, die ihrerseits unterschiedlich kombiniert wurden. Hierbei sei es jedoch nicht primär darum gegangen, gerade dem Dienstvorgesetzten die Disziplinarbefugnis zu entziehen, sondern darum, den Beamten nach Möglichkeit vor einer willkürlichen Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zu schützen und deshalb zu verhindern, dass die alleinige und letztverbindliche Gestaltung in der Hand eines Einzelnen liege.29 Zu diesem Zweck seien aber auch weitere Instrumente, insbesondere eine nachträgliche gerichtliche Vollkontrolle, denkbar. Daraus folge im Umkehrschluss, dass die Entziehung der alleinigen Disziplinarbefugnis des Dienstvorgesetzten nicht derart prägend für das Beamtentum sei, dass sie zum Kernbestand der Strukturprinzipien gezählt werden könne.30 4.4. Kein Verstoß gegen das Lebenszeitprinzip 4.4.1. Bedeutung des Lebenszeitprinzips Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehört das Lebenszeitprinzip zu dem Kernbestand von Strukturprinzipien, bei dem die Beachtenspflicht nach Art. 33 Abs. 5 GG den Weg zu tiefgreifenden strukturellen Veränderungen durch den einfachen Gesetzgeber versperrt. Es beinhaltet neben dem Grundsatz der lebenslangen Anstellung auch die grundsätzliche Unentziehbarkeit des statusrechtlichen Amtes.31 Das Bundesverfassungsgericht betont zunächst die Funktion des Lebenszeitprinzips und seine Bedeutung für das Gemeinwohl und den Rechtsstaat. Es diene - gemeinsam mit dem Alimentationsprinzip - dazu, die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Beamten im Interesse einer 28 BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 2055/16 -, Rn. 34 bis 57. 29 BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 2055/16 -, Rn. 61. 30 BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 2055/16 -, Rn. 62. 31 BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 2055/16 -, Rn. 62 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 080/20 Seite 12 rechtsstaatlichen Verwaltung zu gewährleisten. Denn erst rechtliche und wirtschaftliche Sicherheit - und damit persönliche Unabhängigkeit - böten die Gewähr dafür, dass das Berufsbeamtentum zur Erfüllung der ihm vom Grundgesetz zugewiesenen Aufgabe, im politischen Kräftespiel eine stabile, gesetzestreue Verwaltung zu sichern, beitragen könne. Dazu gehöre auch, dass der Beamte nicht willkürlich oder nach freiem Ermessen politischer Gremien aus seinem Amt entfernt werden dürfe, da damit seine Unabhängigkeit entfiele. Vielmehr sei die Beendigung des Beamtenverhältnisses nur unter genau gesetzlich geregelten Voraussetzungen und Formen zulässig. Die mit dem Lebenszeitprinzip angestrebte Unabhängigkeit der Amtsführung sei dabei nicht etwa ein persönliches Privileg der Beamten, sondern diene dem Gemeinwohl. Nur wenn die innere und äußere Unabhängigkeit gewährleistet sei, könne realistischerweise erwartet werden, dass ein Beamter auch dann auf rechtsstaatlicher Amtsführung beharrt, wenn sie (partei-)politisch unerwünscht sein sollte. Das Berufsbeamtentum werde so zu einem tragenden Element des Rechtsstaates .32 4.4.2. Schutz durch effektiven nachträglichen Rechtsschutz und gerichtlicher Vollkontrolle Maßgebende Bedeutung für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der behördlichen Erstentscheidung über die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis kommt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts der Ausgestaltung des nachträglichen Rechtsschutzes und dem Umfang der gerichtlichen Kontrolle zu. So werde zwar der Schutz vor Staatswillkür und Machtmissbrauch zur Freiheitssicherung im demokratischen Rechtsstaat des Grundgesetzes insbesondere durch die Gewaltenteilung als tragendes Organisationsprinzip des Grundgesetzes gewährleistet, wobei der Judikative die Kontrolle über die Exekutive obliege. Dies bedeute jedoch nicht, dass auch bei einer Entfernung aus dem Dienst die disziplinare Erstentscheidung von einem Gericht getroffen werden müsse. Vielmehr könne angesichts des ausdifferenzierten Rechtsschutzsystems ein hinreichender Grundrechtsschutz grundsätzlich durch nachträgliche gerichtliche Kontrolle gewährleistet werden. Lediglich wenn nachträglicher Rechtsschutz nur unzureichenden Schutz böte, könne ausnahmsweise im Sinne eines Grundrechtsschutzes durch Verfahren eine originäre gerichtliche Primärentscheidung geboten sein. Auch wenn eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis in essentieller Weise in das Lebenszeitprinzip eingreife, könne ein etwaiger unberechtigter Eingriff durch nachträglichen gerichtlichen (Eil-) Rechtsschutz hinreichend effektiv korrigiert werden.33 Dem Lebenszeitprinzip sei jedenfalls im Fall eines nachgelagerten effektiven Rechtsschutzes in Form einer gerichtlichen Vollkontrolle einer gebundenen behördlichen Entscheidung - wie es die vom Bundesverfassungsgericht überprüften Regelungen des LDG BW vorsehen - ausreichend Rechnung getragen. Das Bundesverfassungsgericht geht in seiner Prüfung ausführlich auf die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen und deren Auslegung durch die Rechtsprechung und das Schrifttum ein. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 LDG BW wird ein Beamter aus dem Beamtenverhältnis entfernt, wenn er durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit in die 32 BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 2055/16 -, Rn. 65 f. 33 BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 2055/16 -, Rn. 68 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 080/20 Seite 13 pflichtgemäße Amtsführung endgültig verloren hat. Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 LDG BW ist dabei das Persönlichkeitsbild des Beamten zu berücksichtigen. So sei folglich zunächst festzustellen, ob es sich um ein schweres Dienstvergehen handele, wobei in be- und entlastender Weise die objektive Handlung (zum Beispiel die Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung), subjektive Handlungsmerkmale sowie unmittelbare Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und Dritte zu berücksichtigen seien. In Bezug auf den endgültigen Vertrauensverlust sei zu prüfen, ob auf Grund der prognostischen Gesamtwürdigung der Schluss gezogen werden müsse, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen Dienstpflichten verstoßen, oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wieder gutzumachen, wobei das Vorliegen eines schweren Dienstvergehens endgültigen Vertrauensverlust indiziere. Für die Berücksichtigung des Persönlichkeitsbilds des Beamten seien ferner unter anderem die persönlichen Verhältnisse, der berufliche Werdegang, die dienstliche Leistung und Führung, das Verhalten vor, bei und nach der Pflichtverletzung sowie etwaige disziplinaroder strafrechtliche Vorbelastungen beziehungsweise Unauffälligkeiten einzubeziehen.34 Hierbei seien weder auf Tatbestands- noch auf Rechtfolgenseite Beurteilungs- oder Ermessenspielräume seitens der Behörde eröffnet. Insbesondere der endgültige Vertrauensverlust sei anhand der maßgeblichen ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nach objektiven Kriterien zu ermitteln. Da es sich um eine gebundene Entscheidung handele, verblieben auch keine kontrollfreien Räume in Hinblick auf ein etwaiges Entschließungsermessen der Behörden. In einem solchen System gerichtlicher Vollkontrolle bedürfe es keiner zumindest partiellen originären gerichtlichen Disziplinargewalt, um dem Lebenszeitprinzip zu genügen, da Beamte eine rechtwidrige endgültige Entscheidung durch die nachträgliche Kontrolle der Gerichte abwenden könnten.35 Die Frage einer zumindest partiellen originären Disziplinargewalt von Gerichten bei Entfernungsentscheidungen sei damit letztlich nur unter Beschleunigungsgesichtspunkten relevant, so das Bundesverfassungsgericht. Jedoch auch eine mit dem nachgelagerten Rechtsschutz möglicherweise in Einzelfällen einhergehende erhebliche Verzögerung des Disziplinarverfahrens, zum Beispiel wenn die Dienstvorgesetzten nach einem kassatorischen Urteil erneut eine - wiederum gerichtlich überprüfbare - Disziplinarmaßnahme verhängten, wöge nicht so schwer, dass eine solche originäre Disziplinargewalt der Gerichte zwingend sei.36 34 BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 2055/16 -, Rn. 78 bis 80 mit Nachweisen in Rechtsprechung und Schrifttum. 35 BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 2055/16 -, Rn. 81 bis 83. 36 BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 2055/16 -, Rn. 84. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 080/20 Seite 14 Das Lebenszeitprinzip stelle auch beim Verweis des Beamten auf den nachgelagerten gerichtlichen Rechtsschutz keine besonderen Anforderungen bei der Ausgestaltung des Rechtsmittelverfahrens . Durch die Eröffnung einer effektiven judikativen Kontrollmöglichkeit sei dem Schutz des Beamten insoweit genüge getan.37 4.4.3. Keine besonderen Anforderungen an das behördliche Verfahren Laut der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts seien auch an das behördliche Disziplinarverfahren keine besonderen Anforderungen zu stellen. Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis müsse zwar in einem gesetzlich geregelten förmlichen Verwaltungsverfahren erfolgen. Das Lebenszeitprinzip wie auch die prozessrechtliche Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber dem Beamten vor ungerechtfertigten Sanktionen verböten ein Disziplinarverfahren als formloses Schnellverfahren. Aufgrund der nachgelagerten gerichtlichen Vollkontrolle sei jedoch die Beteiligung weiterer Stellen im behördlichen Verfahren, wie etwa die Zustimmungs- oder Vorlageerfordernisse der beziehungsweise zu den höheren Disziplinarbehörden nach dem LDG BW (siehe oben unter Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.), verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten. Auch wenn eine Beteiligung der höheren Disziplinarbehörde im Sinne einer exekutiven Selbstkontrolle zur Intensivierung des Schutzniveaus beitragen könne, genüge die ausdifferenzierte gerichtliche Kontrolldichte den verfassungsrechtlichen Anforderungen.38 4.4.4. Keine sonstigen durchgreifenden Bedenken Schließlich geböten auch die sonstigen in der Literatur und im Gesetzgebungsverfahren vorgebrachten Bedenken nicht, mit Blick auf das Lebenszeitprinzip weitere Schutzelemente vorzusehen . Die Sorge, es könne zu Missbrauchsfällen im Sinne von unterbliebenen Entfernungen aus Gefälligkeit oder Scheu vor einem öffentlichen Gerichtsprozess kommen, gelte gleichermaßen im Disziplinarklagesystem , da auch hier das Risiko bestehe, dass von der Erhebung der Klage abgesehen werden könne. Dasselbe gelte für den Fall einer Missbrauchsgefahr im Sinne „schikanöser“ Entfernungen , denn eine Entfernungsentscheidung, die den gesetzlichen Anforderungen nicht genüge , sei gerichtlich angreif- und aufhebbar, so dass für die Annahme von Missbrauch kein Raum bestehe.39 Auch das Argument, das Disziplinarklagesystem gewährleiste eine größere Rechtsvereinheitlichung , bleibe verfassungsrechtlich ohne Konsequenz. Die nachträgliche gerichtliche Kontrolle im Bescheidsystem entfalte über Präjudizienbildung eine Vereinheitlichungswirkung unabhängig davon, dass die Gerichte selbst keine eigene Disziplinargewalt und damit eine geringere inhaltli- 37 BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 2055/16 -, Rn. 87. 38 BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 2055/16 -, Rn. 88 bis 90. 39 BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 2055/16 -, Rn. 93, 95. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 080/20 Seite 15 che Steuerungswirkung vor allem im Hinblick auf die Milderung von Disziplinarmaßnahmen besitzen . Darüber hinaus könnten Vereinheitlichungseffekte über die Beteiligung Dritter, etwa der höheren Disziplinarbehörde entsprechend der baden-württembergischen Regelung im behördlichen Verfahren, erreicht werden. Daher bestehe hier kein strukturelles Gleichheitsproblem.40 4.4.5. Sondervotum: Unverhältnismäßiger Eingriff in Art. 33 Abs. 5 GG Lediglich ergänzend wird auf das Sondervotum des Richters Peter M. Huber hingewiesen. Dieser stimmt zwar zunächst der Mehrheitsmeinung zu, dass die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nur durch Richterspruch kein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums sei. Dem Lebenszeitprinzip sei jedoch mit einer nachträglichen gerichtlichen Überprüfung nicht Genüge getan. Der präventive Richtervorbehalt wäre durch jahrzehntelange Geltung zu einer wesentlichen Ausformung des Lebenszeitprinzips geworden und damit Teil des Gewährleistungsbereichs von Art. 33 Abs. 5 GG. Er böte den Beamten ein Höchstmaß an Rechtsschutz, sichere Fairness und Waffengleichheit zwischen dem Beamten und seinem Dienstherrn und erschwere eine missbräuchliche Inanspruchnahme des Disziplinarverfahrens durch den Vorgesetzten. Die ersatzlose Streichung des präventiven Richtervorbehalts erscheine aus diesen Gründen als unverhältnismäßiger Eingriff in den relativen Normbestandsschutz von Art. 33 Abs. 5 GG.41 5. Fazit Unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundesverfassungsgerichts dürfte die Einführung einer den §§ 31 Abs. 1, 38 Abs. 1 LDG BW entsprechenden bundesrechtlichen Regelung grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig sein. Weder die Entfernung eines Beamten aus dem Dienstverhältnis nur durch Richterspruch noch durch eine vom Dienstvorgesetzten verschiedene Stelle oder ein Gremium sind nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG. Auch das Lebenszeitprinzip gebietet demnach nicht zwingend eine richterliche Erstentscheidung . Nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts muss jedoch der Schutz des Lebenszeitprinzips durch ein gesetzlich geregeltes förmliches Verwaltungsverfahren, einen effektiven nachträglichen Rechtsschutz und die gerichtliche Vollkontrolle gewährleistet sein. Eine solche Gewährleistung ist laut Bundesverfassungsgericht nach den Regelungen des LDG BW und der AGVwGO BW in Baden-Württemberg aufgrund deren Ausgestaltung und Auslegung gegeben . Zentraler Bedeutung kommt nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts dabei zu, dass die Entfernungsentscheidung als gebundene Entscheidung ausgestaltet ist und so der 40 BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 2055/16 -, Rn. 94. 41 Abweichende Meinung des Richters Huber zu BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 2055/16. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 080/20 Seite 16 vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Weder auf Tatbestands- noch auf Rechtsfolgenseite sind Beurteilungs- oder Ermessensspielräume eröffnet. Darüber hinaus sind weder an das behördliche Verfahren noch an das nachgerichtliche gerichtliche Verfahren besondere Anforderungen zu stellen. Die Beteiligung weiterer Stellen im behördlichen Verfahren, wie etwa der höheren Disziplinarbehörde, sei dabei verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten, könne aber im Sinne einer exekutiven Selbstkontrolle zur Intensivierung des Schutzniveaus und zur Rechtsvereinheitlichung beitragen. Da die verfassungsrechtlichen Anforderungen nach Art. 33 Abs. 5 GG (Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums) wie oben unter 4.1 ausgeführt gleichermaßen für Bundes- wie für Landesbeamtenrecht gelten, lassen sich die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu den disziplinarrechtlichen Regelungen des Landes Baden-Württemberg auch auf die disziplinarrechtlichen Regelungen auf Bundesebene übertragen. ***