Deutscher Bundestag Geschlechtsspezifische Entgeltungleichheit in Deutschland Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2012 Deutscher Bundestag WD 6 – 3000-078/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-078/12 Seite 2 Geschlechtsspezifische Entgeltungleichheit in Deutschland Aktenzeichen: WD 6 – 3000-078/12 Abschluss der Arbeit: 16. Mai 2012 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-078/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Gesetzliche Rahmenbedingungen 4 3. Erklärungsansätze zum Gender Pay Gap 6 3.1. Hauptursachen 7 3.1.1. Horizontale und vertikale Segregation 8 3.1.2. Erwerbsunterbrechungen und –reduzierungen 8 3.1.3. Lohnfindung 8 3.1.4. Niedriglöhne und Teilzeitbeschäftigung 9 4. Arbeitsbewertungssysteme 9 5. Systeme zur Ermittlung von Lohnungleichheit 11 5.1. Logib-D 11 5.2. eg-check 11 6. Literaturverzeichnis 13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-078/12 Seite 4 1. Einleitung Der durchschnittliche Bruttostundenverdienst von Frauen war im Jahr 2011 um 23 Prozent niedriger als der von Männern. Damit hat sich der unbereinigte Gender Pay Gap in den vergangenen fünf Jahren nicht verändert. Der unbereinigte Gender Pay Gap vergleicht den Durchschnittsverdienst aller Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in allgemeiner Form. Der bereinigte Gender Pay Gap hingegen misst den Verdienstabstand von Männern und Frauen mit vergleichbaren Qualifikationen , Tätigkeiten und Erwerbsbiographien.1 Auf der Grundlage der Verdienststrukturerhebung 2006 mit Angaben von 3,1 Millionen Beschäftigten hat das Statistische Bundesamt in einer Studie die Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen in Deutschland ermittelt. Rund zwei Drittel des Gender Pay Gap gehen demnach auf strukturell unterschiedliche arbeitsplatzrelevante Merkmale von Männern und Frauen zurück. Ein Drittel der Lohnlücke lasse sich allerdings nicht auf strukturelle Merkmale zurückführen . Frauen haben demzufolge auch bei gleicher Qualifikation und Tätigkeit je Stunde durchschnittlich acht Prozent weniger als Männer verdient.2 Das Statistische Bundesamt orientiert sich bei der Berechnung des unbereinigten Gender Pay Gap an den Vorgaben von Eurostat, dem statistischen Amt der Europäischen Gemeinschaften. Danach wird der Gender Pay Gap als prozentualer Unterschied zwischen dem durchschnittlichen Bruttostundenverdienst der Frauen und dem der Männer definiert. Im Gegensatz zum unbereinigten Gender Pay Gap erlaubt der bereinigte Indikator Aussagen zur Höhe des Unterschieds im Bruttostundenverdienst von Frauen und Männern mit vergleichbaren Eigenschaften.3 In der Privatwirtschaft ist der Verdienstunterschied deutlich höher als im öffentlichen Dienst. In der freien Wirtschaft verdienen Männer durchschnittlich 19,50 Euro pro Stunde, Frauen lediglich 15,08 Euro. Im öffentlichen Dienst verdienen Männer 18,89 Euro die Stunde, Frauen nur 17,57 Euro. Auch bei Führungskräften und beim Einstiegsgehalt von Hochschulabsolventen ist ein geschlechtsspezifischer Lohnunterschied festzustellen.4 2. Gesetzliche Rahmenbedingungen Artikel 3 Grundgesetz (GG) garantiert Gleichheit vor dem Gesetz. In Art. 3 Abs. 2 GG heißt es: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile ein.“ 1 STATISTISCHES BUNDESAMT (2012). Pressemitteilung vom 21. März 2012, Nr. 101/12. Abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2012/03/PD12_101_621.html (letzter Abruf am 14. Mai 2012). 2 STATISTISCHES BUNDESAMT (2010). Pressemitteilung vom 25. Oktober 2010, Nr. 384. Vgl. auch das IW-Köln, das eine geschlechtsspezifische Lohnlücke von vier Prozent bei Frauen mit Kindern, die nur für kurze Zeit die Erwerbsarbeit unterbrochen haben, errechnet hat. IW-Köln, Entgeltgleichheit, Mai 2012. 3 FINKE (2010), S. 5ff. 4 KLAMMER u.a. (2011), S. 118. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-078/12 Seite 5 Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) 5, das 2006 in Kraft getreten ist, sind Benachteiligungen in Bezug auf „die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg“ unzulässig. Ziel des Gesetzes ist gemäß § 1 AGG, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. § 3 AGG regelt die Begriffsbestimmung für unmittelbare und mittelbare Benachteiligung. Demnach liegt gemäß § 3 Abs. 1 AGG eine unmittelbare Benachteiligung vor, „wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.“ Eine mittelbare Benachteiligung liegt gemäß § 3 Abs. 2 AGG vor, „wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften , Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften , Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.“ Für Beschäftigte ist das Benachteiligungsverbot gemäß § 7 Abs. 1 AGG ausschlaggebend: „Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.“ Das Verbot gilt für den Arbeitgeber sowie für die Tarif- und Betriebspartner und für Arbeitskollegen oder Dritte, wie zum Beispiel Kunden des Arbeitgebers. Die Verletzung des Benachteiligungsverbotes stellt eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie löst die Unwirksamkeit von Vereinbarungen sowie Entschädigungs- und Schadensersatzpflichten nach § 15 AGG aus.6 Nach § 8 Abs. 2 AGG ist die Vereinbarung einer geringeren Vergütung für gleiche oder gleichwertige Arbeit wegen eines in § 1 genannten Grundes nicht dadurch gerechtfertigt, dass wegen eines in § 1 genannten Grundes besondere Schutzvorschriften gelten. In Abschnitt 4 des AGG ist der Rechtsschutz einer diskriminierten Person geregelt. § 23 Abs. 2 AGG erlaubt die „Unterstützung“ durch Antidiskriminierungsverbände. Diese Verbände sind befugt, in gerichtlichen Verfahren ohne Anwaltszwang als Beistand des/der Benachteiligten aufzutreten , jedoch nicht als Prozessvertreter. Gemäß § 23 Abs. 3 AGG dürfen Antidiskriminierungsverbände Betroffene zudem über ihre Rechtslage beraten und auch Schriftsätze oder Klagen abfassen. Im deutschen Arbeitsrecht existiert kein Verbandsklagerecht, sodass vermeintlich Betroffene in diesem Rechtsbereich auf die Individualklage angewiesen sind. Gemäß § 27 Abs. 1 AGG können sich Personen, die der Ansicht sind, wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt worden zu sein, an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) wenden. 5 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vom 14. August 2006 ( BGBl. I S. 1897), das zuletzt durch Artikel 15 Absatz 66 des Gesetzes vom 5. Februar 2009 (BGBl. I S. 160) geändert worden ist. 6 ROLOFF, Sebastian (2012). In: Beck´scher Online-Kommentar, § 7 AGG, Rn 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-078/12 Seite 6 Auf europäischer Ebene ist die Richtlinie (RL) 2006/54/EG7 entscheidend. Artikel 4 verbietet jegliche Diskriminierung bei der Entlohnung, es gilt der Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit. „Insbesondere wenn zur Festlegung des Entgelts ein System beruflicher Einstufung verwendet wird, muss dieses System auf für männliche und weibliche Arbeitnehmer gemeinsamen Kriterien beruhen und so beschaffen sein, dass Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts ausgeschlossen werden.“ (Artikel 4 Abs. 2 RL 2006/54/EG) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) handelt es sich um gleiche Arbeit, wenn Arbeitnehmer an verschiedenen oder nacheinander an denselben technischen Arbeitsplätzen identische oder gleichartige Tätigkeiten ausüben. Ob die Arbeit gleich ist, soll durch einen Gesamtvergleich ermittelt werden. Die Frage der Gleichwertigkeit von Arbeit ist nach der Rechtsprechung des BAG auf die Arbeitsleistung abzustellen. Ob die Arbeiten gleichwertig sind, kann demnach nur festgestellt werden, indem die geschuldeten Tätigkeiten insgesamt miteinander verglichen werden. Für die qualitative Wertigkeit einer Arbeit ist unter anderem das Maß der erforderlichen Vorkenntnisse und Fähigkeiten nach Art, Vielfalt und Qualität bedeutsam.8 ZIEGLER, GARTNER, TONDORF weisen kritisch darauf hin, dass in der deutschen Rechtsprechung und auch in der juristischen Literatur die Begriffe gleiche und gleichwertige Arbeit häufig synonym und deshalb missverständlich verwendet würden. Das Prinzip von gleichwertiger Arbeit sei in Deutschland auch bei den Sozialpartnern oftmals noch unbekannt, was ein mangelndes Problembewusstsein von geschlechtsspezifischer Entgeltungleichheit zur Folge habe.9 3. Erklärungsansätze zum Gender Pay Gap In Deutschland werden typische Frauenberufe schlechter bezahlt als typische Männerberufe.10 Dieser Befund ist gemeinhin anerkannt. Für die schlechtere Bezahlung von Frauen gibt es allerdings eine Vielzahl von Faktoren und Ursachen. RAASCH beispielsweise führt die Ursachen auf eine strukturelle Benachteiligung von Frauen zurück: „Hierzu zählen insbesondere: die fortbestehende Abwertung von Tätigkeiten und Verhaltensweisen , die mit Frauen und Weiblichkeit identifiziert werden; die Dominanz des Familienernährer -Zuverdienerinnen-Modells als Lebensform, das Verbleiben der Haus- und Familienarbeit vorrangig bei den Frauen, selbst wenn partnerschaftlich gelebt werden soll, die geschlechtsspezifisch getrennten Arbeitsmärkte in der Gesamtwirtschaft und in den einzelnen Betrieben (…), die geringe Vereinbarkeit von Beruf und Familie mit der Folge, dass Frauen ihre Erwerbstätigkeit häufiger und länger unterbrechen als Männer und deswegen erhebliche Geldeinbußen hinnehmen müssen oder in Teilzeit ausweichen; die Diskriminierung von Teilzeitarbeit; die Diskrimi- 7 Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Neufassung). ABlEU L 204/23 vom 26.7.2006. 8 Vgl. auch FUCHS, Maximilian. In: Beck´scher Online-Kommentar, § 7 AGG, Rn 15-16. 9 ZIEGLER; GARTNER; TONDORF (2010), S. 307ff. 10 KLAMMER u.a. (2011), S. 117. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-078/12 Seite 7 nierung von Frauen bei der Einstellung und beim beruflichen Aufstieg, die unverändert extreme Unterrepräsentanz von Frauen in Führungs- und Leistungspositionen, verschiedene Formen von Entgeltdiskriminierung.“11 Als besonders diskriminierungsanfällig gelten in Teilen der wissenschaftlichen Literatur Mechanismen der Arbeitsbewertung, die beispielsweise Anforderungen, die an frauendominierte Arbeitsplätze besonders häufig auftreten, unterbewerten. Exemplarisch wird die Tätigkeitsanforderung „soziale Kompetenz“ genannt, die häufig nicht Gegenstand der Arbeitsbewertung sei. Ebenso könnten sich scheinbar geschlechtsneutrale Kriterien zur Einstufung des Grundentgelts wie Berufsjahre oder Betriebszugehörigkeit vor dem Hintergrund familienbezogener Erwerbsunterbrechungen diskriminierend auswirken. Auch Geschlechterstereotype und Vorurteile hinsichtlich der Frage, welche Wertigkeit eine Arbeit innerhalb einer Gesellschaft besitzt und was als Arbeitsleistung bewertet wird, spielten demnach eine Rolle.12 Direkte oder unmittelbare Lohndiskriminierung von Frauen ist in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten zurückgegangen. Lohnabschlagsklauseln für Frauen gibt es in der Bundesrepublik nicht mehr.13 Heute gehe es, wie ZIEGLER in ihren Antworten auf einen Fragenkatalog für eine Sachverständigenanhörung im Deutschen Bundestag darlegt, vielmehr um versteckte Ursachen , um mittelbare oder indirekte Diskriminierung. Diese Diskriminierung sei viel schwerer nachzuweisen, weil sie sich hinter geschlechtsneutral formulierten Regelungen und betrieblichen Umsetzungspraxen verberge. Die betriebliche Ebene spiele bei der Erklärung des Gender Pay Gap eine wesentliche Rolle. Hier werde über Personaleinstellungen und Stellenbesetzungen entschieden , Betriebe gestalteten Entlohnungssysteme, definierten und bewerteten Arbeitsplätze. All dies könne Frauen benachteiligen, wenn sie nur aufgrund ihre Geschlechts nicht eingestellt würden, für eine höhere Position als nicht geeignet gälten oder frauendominierte Arbeitsplätze und Tätigkeiten in den Betrieben geringer entlohnt würden.14 3.1. Hauptursachen Viele Faktoren auf der individuellen, betrieblichen oder institutionellen Ebene tragen zum Gender Pay Gap bei.15 Nach KLAMMER u.a. lassen sich die Hauptursachen für den Gender Pay Gap in Deutschland systematisieren: – horizontale und vertikale Segregation: Frauen fehlen in bestimmten Berufen und Branchen (horizontal) sowie auf höheren Führungsebenen (vertikal) im Vergleich zu Männern. – familienbedingte Erwerbsunterbrechungen und –reduzierungen: Frauen unterbrechen und reduzieren ihre Erwerbstätigkeit familienbedingt häufiger und länger als Männer. 11 RAASCH (2009), S. 126. 12 HANS-BÖCKLER-STIFTUNG (2010), S. 4. 13 KRELL (2011), S. 333. 14 ZIEGLER, Astrid (2009), S. 3. 15 ZIEGLER; GARTNER; TONDORF (2010), S. 293. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-078/12 Seite 8 – Lohnfindung: Frauen werden schlechter bewertet als Männer trotz individueller und kollektiver Lohnverhandlungen. Frauendominierte Tätigkeiten in sozialen Bereichen sind niedriger eingruppiert als die männerdominierten im technischen Bereich. Zudem wird ein größerer Teil der Frauenarbeitsplätze von Tarifverträgen nicht (mehr) erreicht. Hier werden häufig nur Niedriglöhne gezahlt.16 „Insgesamt zeigt sich, dass sich in der geschlechtsspezifischen Lohnlücke (…) jene zentralen Probleme verdichten, mit denen Frauen im Erwerbsleben konfrontiert sind: begrenztes Berufswahlspektrum , Karrierehindernisse, tradierte Rollenverständnisse, Schwierigkeiten der Integration von Familie und Beruf sowie Hürden beim beruflichen Wiedereinstieg nach familienbedingten Erwerbsunterbrechungen.“17 3.1.1. Horizontale und vertikale Segregation Die Tatsache, dass Frauen aus einem insgesamt engeren Berufsspektrum auswählen als Männer trägt zu ihrer im Durchschnitt schlechteren Bezahlung bei. Frauentypische Berufe im Dienstleistungssektor werden schlechter bezahlt als technisch-wissenschaftliche Berufe, die eher von Männern gewählt werden. Auch in Führungspositionen werden so genannte Frauenberufe - das sind Berufe mit einem Anteil von mehr als 70 Prozent Frauen - schlechter entlohnt als Männerberufe . In „Mischberufen“ erzielen Frauen 80 Prozent des „Männereinkommens“. Die vertikale Segregation zeigt, dass Frauen selbst in Führungspositionen deutlich weniger verdienen als Männer. Zudem sind deutlich weniger Frauen als Männer in Führungspositionen vertreten .18 3.1.2. Erwerbsunterbrechungen und –reduzierungen Familienbedingte Erwerbsunterbrechungen führen in mehrfacher Hinsicht zu Lohneinbußen bei Frauen. Nach langen Pausen können sich die Aufstiegschancen bzw. die Chancen auf Rückkehr in eine angemessene berufliche Position verringern. Häufig verkürzen Frauen nach einer solchen Pause wegen der Familie ihre Arbeitszeit, was sich ebenfalls negativ auf das Einkommen von Frauen auswirkt. Mit dem Wechsel von Vollzeit auf Teilzeit ist zudem häufig ein beruflicher Abstieg verbunden.19 3.1.3. Lohnfindung Die Unterbewertung von Frauentätigkeiten ist vielfach das Ergebnis von Vorurteilen und geschlechterbezogenen Stereotypen. Besonders anfällig für mittelbare Diskriminierung sind summarische Arbeitsbewertungsverfahren, weil die Kriterien der Arbeitsbewertung pauschal oder in der Summe bewertet werden. Hinzu kommt, dass Frauen anders verhandeln als Männer. Sie 16 KLAMMER u.a. (2011), S. 118ff. 17 KLAMMER u.a. (2011), S. 119. 18 KLAMMER u.a. (2011), S. 119. 19 KLAMMER u.a. (2011), S. 120. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-078/12 Seite 9 handeln eher familienfreundliche Rahmenbedingungen als ein höheres Gehalt aus. Zudem befürchten Frauen eher, dass ein höheres Gehalt automatisch die Erwartung einer stärkeren Verfügbarkeit im Beruf nach sich ziehen könnte.20 3.1.4. Niedriglöhne und Teilzeitbeschäftigung Frauen machen mehr als zwei Drittel aller Beschäftigten im Niedriglohnbereich in Deutschland aus. Sie haben ein mehr als doppelt so hohes Risiko wie Männer, niedrig entlohnt zu werden. Hinzu kommt, dass vor allem in Teilzeittätigkeiten das Risiko der niedrigen Entlohnung besonders hoch ist und auch in der Teilzeitbeschäftigung Frauen überproportional vertreten sind. Teilzeitbeschäftigte erhalten durchschnittlich 4,17 Euro weniger Stundenlohn als Vollzeitbeschäftigte . Hier zeigt sich ein direkter Zusammenhang mit der geschlechtsspezifischen Segregation des Arbeitsmarktes.21 Der hohe Frauenanteil in diesem Segment bedingt eine vergleichsweise geringe Entlohnung. 4. Arbeitsbewertungssysteme Zu den vielschichtigen Ursachen des Gender Pay Gap gehört wie bereits unter Punkt 3 ausgeführt auch die geschlechtsspezifische Diskriminierung im Bereich der Lohnfindung. Daher ist eine geschlechterneutrale Bewertung von Tätigkeiten und die entsprechende Eingruppierung in das betriebliche Gefüge der Entlohnung von zentraler Bedeutung für die Vermeidung von Lohnungleichheit . Das Internationale Arbeitsamt hat Kriterien für geschlechtsneutrale Arbeitsbewertungsmethoden aufgestellt. Demnach erfordere die Herstellung von Entgeltgerechtigkeit, Vergleiche anzustellen. Der relative Wert zweier Arbeitsstellen mit verschiedenen Inhalten könne bemessen werden, indem man die Arbeitsplätze in Komponenten oder „Faktoren“ und „Subfaktoren“ aufgliedere und diesen Punkte zuordne. Nach analytischen Arbeitsbewertungsmethoden würden Faktoren wie Fertigkeiten/Qualifizierung, Verantwortung, Leistung und Arbeitsbedingungen herangezogen. Um „Männer“- und „Frauen“-Stellen fair bewerten zu können, „muss die Arbeitsbewertung frei von geschlechtsspezifischer Voreingenommenheit sein.“22 KRELL weist darauf hin, dass es bei der mittelbaren Diskriminierung gerade um geschlechtsneutrale Regelungen gehe, die im Effekt benachteiligend seien. Es finde keine intendierte Benachteiligung statt, sondern den Akteuren sei oft gar nicht bewusst, dass die entsprechenden Regelungen Benachteiligungen nach sich ziehen könnten. Das gelte nicht nur für Tarifverträge, sondern für alle Kriterien, Verfahren und Praktiken, mit denen auf der betrieblichen Ebene Entgelte bzw. Entgeltbestandteile differenziert würden.23 ZIEGLER führt an, dass vor allem die unmittelbare Diskriminierung von den Akteuren wahrgenommen werde, nicht aber die mittelbare Diskriminierung, Studien zeigten, dass Personalmana- 20 KLAMMER u.a. (2011), S. 120ff. 21 KLAMMER u.a. (2011), S. 121ff. 22 INTERNATIONALES ARBEITSAMT (2007), Bericht I (B), Nr. 281, S. 81. 23 KRELL (2011), S. 334. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-078/12 Seite 10 gement, Betriebsrat und Beschäftigte oft ein mangelndes Bewusstsein dafür hätten, dass die betriebliche Arbeitsbewertung- und Eingruppierungspraxis zu einer mittelbaren Benachteiligung von Frauen führen könne.24 Die Bewertung von Arbeit kann demzufolge Ursache mittelbarer Diskriminierung sein. ZIEGLER, GARTNER, TONDORF listen wesentliche Mechanismen mittelbarer Diskriminierung auf: – die Nichtbewertung von Anforderungen, die an frauendominierten Arbeitsplätzen auftreten , z.B. soziale Kompetenzen – die Verwendung unterschiedlicher Kriterien bei der Bewertung von frauen- und männerdominierten Tätigkeiten, z.B. bei frauendominierten Angestelltentätigkeiten ausschließlich Kenntnisse und Fertigkeiten, bei männerdominierten Arbeitertätigkeiten zusätzlich körperliche Belastungen, – die Doppel- oder Mehrfachbewertung von Kriterien, die ähnliche Sachverhalte erfassen und männerdominierte Gruppen begünstigen, z.B. Kenntnisse und Denken, – die diskriminierende Auslegung von Kriterien, z.B. Verantwortung nur als Führungsverantwortung , obgleich auch andersartige Verantwortung abgefordert wird, – die fehlende oder uneindeutige Definition von Kriterien, die zu Lasten von frauendominierten Tätigkeiten ausgelegt werden können, z.B. „Belastungen unterschiedlicher Art“, – das Aneinanderbinden von Kriterien, z.B. Bewertung von „besonderer Verantwortung“ nur dann, wenn „gründliche, umfassende Fachkenntnisse und selbständige Leistungen“ erfüllt sind, – die unverhältnismäßig hohe Gewichtung von Kriterien, die auf männerdominierte Tätigkeiten zutreffen, z.B. Muskelkraft, – das Bewerten von anspruchsvollen Tätigkeitsanteilen erst dann, wenn sie einen bestimmten Zeitanteil erreichen, z.B. 50 Prozent der Arbeitszeit, – die Verwendung unterschiedlicher Bewertungslogiken bei einem Arbeitgeber, z.B. für Arbeiter Innen und Angestellte, – das Brechen von Verfahrensregeln, z. B. willkürliche Zuordnung von Tätigkeiten zu Entgeltgruppen , um zu einem erwünschten Ergebnis zu gelangen.25 24 ZIEGLER (2009), S. 6. 25 ZIEGLER; GARTNER; TONDORF (2010), S. 314. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-078/12 Seite 11 5. Systeme zur Ermittlung von Lohnungleichheit 5.1. Logib-D Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) hat im Jahr 2009 das System „Lohngleichheit im Betrieb - Deutschland“ (Logib-D) nach einem Vorbild aus der Schweiz entwickelt. Es handelt sich um ein Instrument, mit dem untersucht werden kann, ob Lohngleichheit – also gleicher Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit – zwischen Männern und Frauen in einem Unternehmen besteht. Die Berechnung erfolgt mittels einer statistischen Regressionsanalyse. „Es wird berechnet, wie sich lohnrelevante Faktoren wie beispielsweise Ausbildung oder Dienstalter auf den Lohn auswirken . Das Geschlecht wird als weitere unabhängige Variable in die Regressionsfunktion einbezogen . Wenn keine Diskriminierung vorliegt, darf diese Variable keinen signifikanten Einfluss auf den Lohn haben. Grundlage für die Berechnung sind Lohn-, Qualifikations- und Arbeitsplatzdaten der MitarbeiterInnen. Diese können in Logib-D importiert oder eingebettet werden.“26 Betriebe können freiwillig dieses Instrument anwenden, um zu überprüfen, ob wirklich gleiche Löhne für gleiche oder gleichwertige Arbeit zwischen Männern und Frauen gezahlt werden. „Dieser Selbsttest kann daher das proaktive Verhalten stärken. Unternehmen werden zum Handeln zugunsten von Lohngleichheit weniger durch Kontrollen und Sanktionen in der Breite, als vielmehr durch ihre Überzeugung geleitet.“27 Für Logib-D können die Daten verwendet werden, die für Meldungen für die Verdienststrukturerhebung zur Verfügung stehen. „Es ist ein standardisiertes Programm, welches eine erste Möglichkeit gibt, relativ schnell und mit relativ geringem Aufwand die Entgeltstruktur eines Unternehmens bezüglich einer geschlechtsspezifischen Lohndifferenz zu testen.“28 5.2. eg-check TONDORF, JOCHMANN-DÖLL haben den Entgeltgleichheits-Check als Alternative zum Angebot des BMFSFJ entwickelt.29 Wesentliches Merkmal von eg-check ist, dass jeder Entgeltbestandteil für sich geprüft wird. Die wichtigsten Bestandteile sind: – anforderungsbezogenes Grundentgelt 26 BMFSFJ (2009), S. 1. 27 BMFSFJ (2009), S. 1. 28 BMFSFJ (2009), S. 1. 29 HANS-BÖCKLER-STIFTUNG (2010), S. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-078/12 Seite 12 – Stufensteigerungen beim Grundentgelt – Leistungsvergütungen – Überstundenvergütungen – Erschwerniszuschläge. Genutzt werden verschiedene Instrumente: – Statistiken mit anonymisierten Entgeltdaten, differenziert nach Geschlecht und weiteren Kriterien – Der Regelungs-Check soll diskriminierende Bestimmungen in entgeltrelevanten Bestimmungen offenlegen – Der Paarvergleich vergleicht die individuelle Bezahlung einer weiblichen Beschäftigten mit der eines männlichen Beschäftigten – zum Beispiel der einer Küchenleiterin mit der eines Werkstattleiters. 30 In der Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung heißt es: „Damit lassen sich mit eg-check.de für jede einzelne Beschäftigte die Ursachen einer Benachteiligung identifizieren und der finanzielle Anspruch berechnen. Das macht die Prüfinstrumente nicht nur für die Arbeitgeber interessant , sondern auch für individuell Betroffene, deren Rechtsbeistände, Arbeitsgerichte, Betriebsund Personalräte, sowie die Tarifparteien.“ 30 HANS-BÖCKLER-STIFTUNG (2010). S. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-078/12 Seite 13 6. Literaturverzeichnis BUNDESMINISTERIUM FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN UND JUGEND (2009) Lohngleichheitsinstrument Bund für Deutschland – Logib D, Berlin: BMFSFJ. Abrufbar unter: http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung4/Pdf-Anlagen/logib-dinformationen ,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf (letzter Abruf am 14. Mai 2012). FINKE, Claudia (2010). Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen 2006. Wiesbaden : Statistisches Bundesamt. Abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/VerdiensteArbeitskosten/Verdiens tunterschiede/VerdienstunterschiedeMannFrau5621001069004.pdf?__blob=publicationFil e (letzter Abruf am 14. Mai 2012). FUCHS, Maximilian (2010). Kommentierung § 7 AGG. In: Beckscher Online-Kommentar. HANS-BÖCKLER-STIFTUNG (2010). Gehaltsunterschiede zwischen Frauen und Männern. Neues Prüfinstrument gegen Entgeltdiskriminierung. Pressemitteilung vom 18. März 2012. Abrufbar unter: http://www.boeckler.de/1143_1161.htm (letzter Abruf am 15. Mai 2012). INTERNATIONALES ARBEITSAMT (2007). Internationales Arbeitsamt Genf, Bericht des Generaldirektors . Gleichheit bei der Arbeit: Den Herausforderungen begegnen. Gesamtbericht im Rahmen der Folgemaßnahmen zur Erklärung der IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit, Bericht I (B). Abrufbar unter: http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/@ed_norm/@relconf/documents/meetingdocu ment/wcms_ilc_96_rep-i-b_de.pdf (letzer Abruf am 16. Mai 2012). KLAMMER, Ute u.a. (2011). Neue Wege - gleiche Chancen. Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebensverlauf. Gutachten der Sachverständigenkommission an das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für den ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung. Abrufbar unter: http://www.fraunhofer.de/content/dam/zv/de/documents/Summary_Sachverstaendigengu tachten_1._Gleichstellungsbericht_Bundesregierung_tcm7-78852.pdf (letzter Abruf am 14. Mai 2012). KLENNER, Christina; ZIEGLER, Astrid (2010). Mit Logib-D zur Überwindung der geschlechtsspezifischen Entgeltlücke? Die Grenzen der freiwilligen betrieblichen Selbsttests. In: WSI- Report, Nr. 3/März 2010. Abrufbar unter: http://www.boeckler.de/pdf/p_wsi_report_3_10.pdf (letzter Abruf am 14. Mai 2012). KRELL, Gertraude (2011). Entgelt(un)gleichheit: Grundfragen und Grundlagen. In: KRELL, Gertraude; ORTLIEB, Renate; SIEBEN, Barbara (Hrsg.). Chancengleichheit durch Personalpolitik . Gleichstellung von Frauen und Männern in Unternehmen und Verwaltung. Wiesbaden : Gabler Verlag, S. 331-342. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-078/12 Seite 14 RAASCH, Sibylle (2009). Gender Pay Gap mit neuen Instrumenten überwinden. In: Zeitschrift des Deutschen Juristinnenbundes (djbZ), Heft 3, S. 126. Abrufbar unter: http://www.djb.de/publikationen/zeitschrift/ (letzter Abruf am 15. Mai 2012). ROLOFF, Sebastian (2012). Kommentierung § 7 AGG. in: Beckscher Online-Kommentar, Stand: 1. März 2012. Abrufbar unter: http://beckonli - ne.beck.de/Default.aspx?vpath=bibdata/komm/BeckOK_ArbR_23/AGG/cont/beckok.AGG. p7.htm (letzter Abruf am 16. Mai 2012). ZIEGLER, Astrid (2009). Beantwortung des Fragenkatalogs zu der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Thema „Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern“, Stand: 21. Januar 2009. Abrufbar unter: http://www.boeckler.de/pdf/wsi_text_entgeltgleichheit_ziegler.pdf (letzter Abruf am 14. Mai 2012). ZIEGLER, Astrid; GARTNER, Hermann; TONDORF, Karin (2010). Entgeltdifferenzen und Vergütungspraxis . In: ACHATZ, Juliane; BEBLO, Miriam; BOTHFELD, Silke u.a. (Hrsg.). Geschlechterungleichheiten im Betrieb. Arbeit, Entlohnung und Gleichstellung in der Privatwirtschaft , Berlin: edition sigma, S. 271-346. (Bestand der Bibliothek des Deutschen Bundestags, Sign. P 5130441).