© 2020 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 073/20 Kurzarbeit in Fällen mit grenzüberschreitendem Bezug Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 073/20 Seite 2 Kurzarbeit in Fällen mit grenzüberschreitendem Bezug Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 073/20 Abschluss der Arbeit: 24. August 2020 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 073/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld 4 2.1. Persönliche Voraussetzungen 4 2.2. Betriebliche Voraussetzungen 4 2.2.1. Betrieb 4 2.2.2. Betriebsabteilung 5 3. Grenzüberschreitende Fallgruppen 5 3.1. Grenzgänger und Grenzgängerinnen 6 3.2. Entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 6 3.3. Deutsche Arbeitgeber mit Betrieb im Ausland 7 3.4. Ausländischer Arbeitgeber 7 3.4.1. Betrieb/Betriebsabteilung im Inland 7 3.4.2. Kein Betrieb/Betriebsabteilung im Inland 8 3.4.2.1. Fachliche Weisungen der Bundesagentur für Arbeit 8 3.4.2.2. Kommentarliteratur 8 3.4.2.3. Rechtsprechung 8 4. Kurzarbeitergeld für Arbeitnehmer ausländischer Arbeitgeber in Frankreich 9 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 073/20 Seite 4 1. Einleitung Das Kurzarbeitergeld, geregelt in den §§ 95 bis 111 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (SGB III) gleicht als Leistung der Arbeitslosenversicherung einen Lohnausfall aufgrund eines vorübergehenden, konjunkturbedingten Arbeitsausfalls aus. Ziel der Regelung ist es, in konjunkturschwachen Phasen Entlassungen zu vermeiden und Arbeitsverhältnisse zu erhalten . 1 Probleme können sich ergeben, wenn die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nicht in dem Land ausgeübt wird, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat. Im Anschluss an einen kurzen Überblick über die wesentlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld wird nachfolgend auf den möglichen Anspruch auf Kurzarbeitergeld in verschiedenen Fallgruppen mit grenzüberschreitendem Bezug eingegangen. 2. Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld Nach § 95 SGB III haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf Kurzarbeitergeld, wenn ein erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall vorliegt, die betrieblichen sowie die persönlichen Voraussetzungen erfüllt sind und der Arbeitsausfall der Agentur für Arbeit angezeigt worden ist. Der erhebliche Arbeitsausfall ist in § 96 Abs. 1 SGB III definiert; § 99 SGB III regelt die Pflicht des Arbeitgebers zur Anzeige des Arbeitsausfalls bei der zuständigen Agentur für Arbeit. Im vorliegenden Zusammenhang bedarf vor allem die Erfüllung der persönlichen und betrieblichen Voraussetzungen weiterer Erörterung. 2.1. Persönliche Voraussetzungen Zur Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen im Sinne des § 98 SGB III muss der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin nach Beginn des Arbeitsausfalls sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein und das Arbeitsverhältnis darf nicht gekündigt sein. 2.2. Betriebliche Voraussetzungen Die betrieblichen Voraussetzungen sind nach § 97 SGB III erfüllt, wenn in dem Betrieb mindestens eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer beschäftigt ist. Betrieb im Sinne der Vorschriften über das Kurzarbeitergeld ist auch eine Betriebsabteilung. 2.2.1. Betrieb Wann ein Betrieb im Sinne des § 97 SGB III vorliegt, wird in den Vorschriften über die Kurzarbeit nicht definiert. Wegen der unmittelbaren Abhängigkeit der Kurzarbeit vom Arbeitsrecht wird 1 Vgl. zu Voraussetzungen und Wirkungen der Kurzarbeit auch: Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste: Kurzarbeit in der COVID-19-Pandemie, Aktueller Begriff Nr. 05/20, 6. Mai 2020, abrufbar im Internetauftritt des Deutschen Bundestages: https://www.bundestag.de/resource/blob/694420/1d910245b89d715e8e180d4aa8372255/Kurzarbeit_Coronadata .pdf (letzter Abruf: 20. August 2020). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 073/20 Seite 5 für die §§ 95 ff. SGB III auf das arbeitsrechtliche Verständnis eines Betriebes zurückgegriffen. Damit ist ein Betrieb eine organisatorische Einheit, innerhalb welcher der Betriebsinhaber allein oder in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern mit Hilfe sächlicher und immaterieller Mittel einen bestimmten arbeitstechnischen Zweck fortgesetzt verfolgt. Für den Betriebsbegriff kommt es wesentlich auf das Vorhandensein einer eigenen institutionellen Leitung an, die die Durchführung der arbeitstechnischen Zwecke steuert und dabei den Kern der Arbeitgeberfunktionen im sozialen und personellen Bereich wahrnimmt. Der Unternehmensbegriff geht weiter als der Begriff des Betriebes - ein Unternehmen kann aus einem oder mehreren Betrieben bestehen.2 2.2.2. Betriebsabteilung Um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass in der einzelnen Betriebsabteilung durchaus andere arbeitsmarktpolitische Verhältnisse herrschen können als im gesamten Betrieb, stellt § 97 Satz 2 SGB III die Betriebsabteilung dem Betrieb gleich. Eine eigenständige Betriebsabteilung im Sinne von § 97 Satz 2 SGB III liegt vor, wenn die Abteilung personell und organisatorisch vom Gesamtbetrieb abgegrenzt, mit eigenen technischen Betriebsmitteln ausgestattet ist und - jedenfalls im Regelfall - einen eigenen Betriebszweck verfolgt. Nicht erforderlich ist dagegen eine selbständige personalpolitische Leitung. Entscheidend ist vielmehr, dass die Betriebsabteilung gesondert bestimmten und allgemeinen wirtschaftlichen Risiken und nachfolgenden Arbeitsausfällen ausgesetzt ist, die nicht den ganzen Betrieb treffen.3 3. Grenzüberschreitende Fallgruppen Für die Gewährung von Kurzarbeitergeld in Fällen mit grenzüberschreitendem Bezug ist zunächst festzustellen, dass es für sozialrechtliche Ansprüche grundsätzlich nicht auf die Staatsangehörigkeit ankommt. Anknüpfungspunkt ist in der Regel der Wohnsitz der betroffenen Person (Territorialitätsprinzip).4 Im Bereich der Sozialversicherung, einschließlich der Arbeitslosenversicherung ist davon abweichend für die Versicherungspflicht und Leistungsberechtigung im Regelfall der Beschäftigungsort maßgeblich, da die Regelungen über die Versicherungspflicht an die Beschäftigung anknüpfen.5 2 Müller - Grune in: Schlegel/Voelzke, SGB III, 2. Auflage 2019, § 97 SGB III, Rn. 13; Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Mai 1978 - 7/12 RAr 100/76, juris Rn. 23; Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen Kurzarbeitergeld (Kug), Drittes Buch Sozialgesetzbuch - SGB III, §§ 95 - 100 und 103 - 109 SGB III, Rn. 97.1; Bundesarbeitsgericht , Beschluss vom 14. September 1988 - 7 ABR 10/87. 3 Bieback in: Gagel, SGB II / SGB III, Werkstand: 77. EL März 2020, § 97 SGB III, Rn. 20 f.; Bundessozialgericht vom 29. April 1998 - B 7 AL 102/97, Rn. 17. 4 Seewald in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Werkstand: 109. Ergänzungslieferung Mai 2020, SGB I § 30 Rn. 2. 5 Seewald in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Werkstand: 109. Ergänzungslieferung, Mai 2020, SGB I § 30, Rn. 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 073/20 Seite 6 Diesem Prinzip folgt auch die Verordnung (EG) Nr. 883/20046, die festlegt, welcher Mitgliedstaat für die verschiedenen Zweige der sozialen Sicherheit zuständig ist, und grundsätzlich auf das Recht des Beschäftigungsstaates verweist. Anwendung findet sie nach ihrem Art. 3 Abs. 1 Buchst. h unter anderem für alle Rechtsvorschriften, die Zweige der Arbeitslosigkeit betreffen. Kurzarbeit gilt nach der Rechtsprechung als eine Sonderform der Arbeitslosigkeit in diesem Sinne.7 3.1. Grenzgänger und Grenzgängerinnen Als Grenzgänger beziehungsweise Grenzgängerinnen werden Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen bezeichnet, die im Inland sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, jedoch im grenznahen Ausland wohnen. Grenzgänger und Grenzgängerinnen, die zu ihrem Beschäftigungsort in Deutschland pendeln, sind nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahr 1999 grundsätzlich in die deutsche Arbeitslosenversicherung einbezogen. Da der Gesetzgeber nicht frei darin sei, ohne gewichtige sachliche Gründe den Anknüpfungspunkt zwischen Beitragserhebung und Leistungsberechtigung zu wechseln, verstoße der Ausschluss von Grenzgängern vom Arbeitslosengeld gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG).8 Nach dem Beschäftigungsortprinzip können daher Grenzgänger im Fall der Vereinbarung von Kurzarbeit für ihren deutschen Beschäftigungsbetrieb Kurzarbeitergeld erhalten . 3.2. Entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die von ihrem inländischen Arbeitgeber vorübergehend für eine Tätigkeit ins Ausland entsendet werden, haben nach einem Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts (BayLSG) aus dem Jahr 2009 ebenfalls Anspruch auf Kurzarbeitergeld.9 Im Fall einer Entsendung gilt für die entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach Art. 12 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 weiterhin das Recht des Entsendestaates. Damit ändert eine vorübergehende Auslandstätigkeit nichts an der Kurzarbeitergeldberechtigung im Inland, sofern die Voraussetzungen einer Entsendung gegeben sind. 6 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. EU L 166S. 1; die Verordnung gilt für die Mitgliedstaaten der EU, des EWR und die Schweiz. 7 Vgl. Bayerisches Landessozialgericht (BayLSG), Beschluss vom 1. Juli 2009 - L 9 AL 109/09 B ER, juris Rn. 25. 8 BVerfG, Beschluss vom 30. Dezember 1999 - 1 BvR 809/95; NZA 2000, S. 391; Gegenstand der Verfassungsbeschwerde war die Frage, ob eine grenznah zur Bundesrepublik Deutschland wohnende Angehörige eines Staates , der nicht Mitglied der Europäischen Gemeinschaft war, Anspruch auf Leistungen der Arbeitslosigkeit hat, wenn sie in der Arbeitslosenversicherung der Bundesrepublik pflichtversichert war und - vorbehaltlich ihres Wohnsitzes - die Leistungsvoraussetzungen erfüllt. 9 BayLSG, Beschluss vom 1. Juli 2009 - L 9 AL 109/09 B ER; in dem Verfahren ging es um die Gewährung von Kurzarbeitergeld für einen kurzzeitig von der deutschen Niederlassung in das österreichische Werk des deutschen Arbeitgebers entsandten Arbeitnehmer. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 073/20 Seite 7 Für das Saison-Kurzarbeitergeld nach § 101 SGB III als Sonderform des Kurzarbeitergesldes hat das Bundessozialgericht (BSG) 2019 in einem Urteil entschieden, dass die Leistungsgewährung auf die Inlandsbeschäftigung beschränkt ist. Saison-Kurzarbeitergeld ist danach nicht für einen auf einer ausländischen Baustelle eingetretenen Arbeitsausfall zu erbringen, auch wenn für die Arbeitnehmer Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu entrichten sind. Die Beschränkung auf Inlandssachverhalte bei Saison-Kurzarbeitergeld folge nicht aus dem Territorialitätsprinzip. Vielmehr hänge es vom Zweck der beantragten Leistung ab, ob diese auch für im Ausland Beschäftigte zu gewähren sei. Die Leistungen der früheren Winterbauförderung, aus der das Saison-Kurzarbeitergeld entwickelt worden ist, seien unter anderem deshalb auf inländische Sachverhalte beschränkt worden, weil der wirtschaftspolitische Zweck der gleichmäßigen jahreszeitlichen Verteilung des Bauvolumens nur auf das Inland bezogen sei. Durch die Neuregelung als Saison- Kurzarbeitergeld habe sich daran nichts geändert.10 3.3. Deutsche Arbeitgeber mit Betrieb im Ausland Da die Verordnung (EG) 883/2004 für die Sozialversicherungspflicht grundsätzlich auf das Recht des Beschäftigungsstaates verweist, haben Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die bei einem ausländischen Betrieb eines deutschen Unternehmens beschäftigt sind, grundsätzlich keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld nach den Bestimmungen des SGB III. Der Wohnsitz ist insoweit unerheblich . Der Anspruch kann der Kommentarliteratur zufolge aber unter Umständen gegeben sein, wenn der Betrieb beziehungsweise die Betriebsabteilung sehr eng mit dem Heimatbetrieb und damit dem deutschen Arbeitsmarkt verknüpft ist und dadurch nicht dauerhaft Teil des ausländischen Arbeitsmarktes geworden ist.11 3.4. Ausländischer Arbeitgeber Der Anspruch auf Kurzarbeitergeld im Inland sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter eines ausländischen Arbeitgebers hängt davon ab, ob der Arbeitgeber einen Betrieb beziehungsweise eine Betriebsabteilung im Inland unterhält. 3.4.1. Betrieb/Betriebsabteilung im Inland Ausländische Arbeitgeber, die einen Betriebssitz im Inland haben, können für ihre Beschäftigten, die im Inland sozialversicherungspflichtig sind, Kurzarbeitergeld beantragen. Inländische Betriebe und Betriebsabteilungen ausländischer Unternehmen sind in die Bewilligung von Kurzarbeitergeld einbezogen, weil dadurch Arbeitsplätze im Inland gesichert werden.12 Ein ausreichender Bezug zum inländischen Arbeitsmarkt ist damit gegeben. 10 BSG, Urteil vom 7. Mai 2019 - B AL 11/18 R. 11 Petzold in: Hauck/Noftz, SGB, 05/12, § 97 SGB III, Rn. 14; Kühl in: Brand, SGB III, 8. Auflage 2018, Rn. 9. Als Beispiel für diese Fallgruppe wird eine Verkaufsniederlassung genannt, die nur deutsche Spezialisten beschäftigt . 12 Kühl in: Brand, SGB III, 8. Auflage 2018, Rn. 9. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 073/20 Seite 8 3.4.2. Kein Betrieb/Betriebsabteilung im Inland Hat der ausländische Arbeitgeber hingegen keinen Betriebssitz im Inland, wird für die hier sozialversicherungspflichtig Beschäftigten kein Kurzarbeitergeld gewährt. 3.4.2.1. Fachliche Weisungen der Bundesagentur für Arbeit Nach den fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) zum Kurzarbeitergeld müssen sich ein Betrieb oder eine Betriebsabteilung im Geltungsbereich des SGB III, also in den Grenzen der Bundesrepublik Deutschland, befinden, damit die betrieblichen Voraussetzungen des § 97 Satz 1 SGB III erfüllt sind. Antragsberechtigt ist danach der Betrieb; dem Arbeitnehmer stehe gesetzlich kein eigenständiges Recht zur Geltendmachung des Anspruchs auf Kurzarbeitergeld zu. Daher hätten auch Home-Office-Mitarbeiter ausländischer Firmen, die in Deutschland keinen Betrieb unterhalten, keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld, selbst wenn sie nach deutschem Recht sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind.13 3.4.2.2. Kommentarliteratur Die Beschränkung der Förderung auf den inländischen Arbeitsmarktes wird in der Literatur damit begründet, dass dieser nicht nur durch die Arbeitnehmer, sondern auch durch die Betriebsstätten maßgeblich geprägt sei. Die Förderung des inländischen Arbeitsmarktes führe schließlich dazu, dass inländische Betriebe und Betriebsteile ausländischer Unternehmen in die Kurzarbeitergeldbewilligung miteinbezogen sind. 14 Vereinzelt wird jedoch unter Bezugnahme auf die zitierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Grenzgängern (siehe oben 3.1) die Ansicht vertreten, dass die Beitragspflicht grundsätzlich auch die Schutzwirkung des SGB III auslösen und Leistungsrechte begründen müsse. Maßgeblich sei „immer der individuelle Versicherungsschutz und nicht die Förderung des deutschen Arbeitsmarktes im Rahmen einer hochgradigen Internationalisierung der Wirtschaft und der Arbeitsmarktrisiken.“15 3.4.2.3. Rechtsprechung In einem Verfahren im vorläufigen Rechtsschutz über die Gewährung von Kurzarbeitergeld hat das Bayerische Landessozialgericht im Juni 2020 die Ablehnung der Gewährung von Kurzarbeitergeld für Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer eines ausländischen Arbeitgebers durch die Bundesagentur für Arbeit bestätigt, soweit im Inland keine betrieblichen Strukturen 13 BA, Fachliche Weisungen, Kurzarbeitergeld (Kug), Drittes Buch Sozialgesetzbuch - SGB III, §§ 95-100 und 103- 109 SGB III, gültig ab 20.12.2018 fortlaufend, Rn. 97.2. 14 Müller-Grune in: Schlegel/Voelzke, 2. Auflage 2019, § 97 SGB III, Rn. 15; Kühl in: Brand, SGB III, 8. Auflage 2018, § 97 SGB III, Rn. 9. 15 Bieback in: Gagel, SGB II; SGB III, Werkstand: 78. Ergänzungslieferung Mai 2020, § 95 SGB III, Rn. 116a. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 073/20 Seite 9 vorhanden sind.16 Die Anforderungen an betriebliche Strukturen seien freilich bei einem Unternehmen der Arbeitnehmerüberlassung geringer als etwa bei einem Produktionsbetrieb. Das auf dem Solidarprinzip fußende System unterscheide sich wesentlich von anderen Versicherungssystemen , die überwiegend nach dem Äquivalenzprinzip funktionierten. Damit sei es in der Arbeitslosenversicherung nicht aus Gründen des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG geboten, eine versicherungsmathematische Äquivalenz zwischen entrichteten Beiträgen und der Höhe der gewährten Leistungen herzustellen. Auch Grundrechte des ausländischen Arbeitgebers sind der Entscheidung zufolge nicht verletzt, obwohl diese grundsätzlich auch juristische Personen im EU-Ausland schützen. Sowohl das aus Art. 12 GG abzuleitende Recht auf eine zu Erwerbszwecken erfolgende Teilnahme am Wettbewerb als auch das aus Art. 14 Abs. 1 GG folgende Recht auf ungestörte Betätigung eines Gewerbes sicherten aber nur den Kern der wirtschaftlichen Tätigkeit, und gewährten keinen Leistungsanspruch gegenüber der öffentlichen Hand auf Sicherung einer erfolgreichen Marktteilnahme oder künftiger Erwerbschancen. Schließlich verneint das Gericht wegen fehlender Anknüpfung der wirtschaftlichen Tätigkeit des Arbeitgebers an feste und dauerhafte betriebliche Strukturen in Deutschland auch einen Verstoß gegen europarechtliche Vorgaben. Nach dem bereits zitierten Urteil des Bundessozialgerichts vom 7. Mai 2019 (siehe oben 3.3, Fn. 10) folgt im Übrigen aus der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 kein unmittelbarer Anspruch auf (Saison-)Kurzarbeitergeld. Zwar sei (Saison-)Kurzarbeitergeld von den Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach Art. 3 Abs. 1 lit h der Verordnung (EG) 883/2004 erfasst. Die Verordnung gebiete aber lediglich, für alle erfassten Sozialleistungen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zu beachten, wonach Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten die gleichen Rechte und Pflichten eingeräumt werden müssen wie Inländern. Der Beschränkung der Gewährung von (Saison-)Kurzarbeitergeld auf Inlandssachverhalte seien jedoch EU- Ausländer ebenso wie Inländer unterworfen. 4. Kurzarbeitergeld für Arbeitnehmer ausländischer Arbeitgeber in Frankreich Am 28. März 2020 ist in Frankreich eine Verordnung bekanntgemacht worden17, die ausländischen Unternehmen ohne Niederlassung in Frankreich erlaubt, für ihre in Frankreich beschäftig- 16 BayLSG, Beschluss vom 4. Juni 2020 - L 9 AL 61/20 B ER; in dem Verfahren ging es um in Deutschland stationierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einer österreichischen Arbeitnehmerüberlassung für Flugpersonal. 17 Ordonnance n° 2020 - 346 du 27 mars 2020 portant mesures d’urgence en matière d’activité partielle, JORF n° 2020-246 du 28 mars 2020, texte n° 24, abrufbar unter: https://www.legifrance.gouv.fr/affichTexte.do?cid- Texte=JORFTEXT000041762506&categorieLien=id. Eine Aufzählung der getroffenen Maßnahmen in deutscher Sprache findet sich im Internetauftritt der privaten Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft Rödl & Partner: https://www.roedl.net/fileadmin/user_upload/Roedl_France/Offres/200327_ARBEITSRECH- TINFO_Update_Kurzarbeit_Verordnungsentwurf.pdf (letzter Abruf: 20. August 2020). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 073/20 Seite 10 ten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen Kurzarbeit zu beantragen, wenn die Arbeitnehmer einem französischen Arbeitsvertrag unterliegen und Sozialversicherungsbeiträge in Frankreich leisten Art. 9 der Verordnung). Die Regelung ist anwendbar bis zu einem per Dekret festzulegenden Zeitpunkt, längstens aber bis 31. Dezember 2020 (Art. 12 der Verordnung). Auf die schriftliche Frage des Abgeordneten Oliver Luksic von der Fraktion der FDP, ob die Bunderegierung entsprechend der französischen Entscheidung plane, eine Regelung einzuführen, nach der ausländische Unternehmen ohne Betriebssitz in Deutschland Kurzarbeitergeld für ihre in Deutschland tätigen und nach deutschem Recht beschäftigten Mitarbeiter beantragen können, hat die Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales Anette Kramme geantwortet: „[…] Die Bundesregierung prüft derzeit eine zur französischen Verordnung analoge Regelung. Dabei gilt es auch zu beachten, dass sich die Bundesagentur für Arbeit derzeit in einer Sondersituation befindet und die Anzeigen von Kurzarbeitergeld von 2.000 im Februar auf rund 470.000 im März 2020 gestiegen sind und im April weiter ansteigen. Vor diesem Hintergrund ist die Bundesregierung bestrebt, die Kurzarbeitergeldregelungen für die Arbeitgeber und die Agenturen für Arbeit, die die Regelungen umsetzen müssen, möglichst einfach zu gestalten .“18 *** 18 Schriftliche Fragen mit den in der Woche vom 13. April 2020 eingegangenen Antworten der Bundesregierung, Bundestagsdrucksache 19/18555, 17. April 2020, S. 71.