© 2016 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 069/16 Regelung der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen und allgemeinverbindliche Tarifverträge im Bereich Kultur und Medien Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 069/16 Seite 2 Regelung der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen und allgemeinverbindliche Tarifverträge im Bereich Kultur und Medien Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 069/16 Abschluss der Arbeit: 1. September 2016 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 069/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen 4 1.1. Bedeutung und verfassungsrechtliche Aspekte 4 1.2. Voraussetzungen 5 1.3. Verfahren 6 2. Allgemeinverbindliche Tarifverträge im Bereich Kultur und Medien 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 069/16 Seite 4 1. Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 des Tarifvertragsgesetzes (TVG) kann das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Einvernehmen mit dem aus je drei Vertretern der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer bestehenden Tarifausschuss einen Tarifvertrag auf gemeinsamen Antrag der Tarifvertragsparteien für allgemeinverbindlich erklären, wenn die Allgemeinverbindlicherklärung im öffentlichen Interesse geboten erscheint. 1.1. Bedeutung und verfassungsrechtliche Aspekte Die grundsätzliche Begrenzung der Tarifgeltung auf die Mitglieder der Tarifvertragsparteien ermöglicht den nichtorganisierten Arbeitnehmern, beim Abschluss von Arbeitsverträgen den tarifvertraglich festgelegten Mindeststandard zu unterbieten. „Durch den staatlichen Hoheitsakt der Allgemeinverbindlicherklärung wird die Tarifgeltung im Geltungsbereich eines Tarifvertrags auf die bisher nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erstreckt (§ 5 Abs. 4 TVG).“1 „Die Allgemeinverbindlicherklärung soll die durch das Grundrecht der Koalitionsfreiheit [aus Art. 9 Abs. 3 GG] intendierte autonome Ordnung des Arbeitslebens durch die Tarifvertragsparteien abstützen. Daneben dient sie dem Ziel, den Außenseitern angemessene Arbeitsbedingungen zu sichern. Das Bundesverfassungsgericht führt die Allgemeinverbindlicherklärung insoweit auf die subsidiäre Regelungszuständigkeit (BVerfG) des Staats zurück. Die trete immer dann ein, wenn die Koalitionen die ihnen übertragene Aufgabe, das Arbeitsleben durch Tarifverträge sinnvoll zu ordnen, im Einzelfall nicht allein erfüllen können und die soziale Schutzbedürftigkeit einzelner Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen oder ein sonstiges öffentliches Interesse ein Eingreifen des Staates erforderlich macht.“2 Bei ihrem Einsatz ist also stets die Normsetzungsprärogative der Koalitionen zu beachten. Auch darf sie lediglich zum Schutz des strukturell unterlegenen Arbeitnehmers eingesetzt werden.3 Die Allgemeinverbindlicherklärung erfüllt damit insgesamt ähnliche sozialpolitische Aufgaben wie der Tarifvertrag allgemein. Sie schützt den einzelnen Arbeitnehmer (sog. Schutzfunktion), gewährleistet die einheitliche Gestaltung der Arbeitsbedingungen (sog. Ordnungsfunktion) und hindert die Arbeitgeber an einem Unterbietungswettbewerb bei den Arbeitsbedingungen (sog. Kartellfunktion). „Wird die Allgemeinverbindlicherklärung aufgehoben, so endet die Tarifgeltung für die bisher von ihr erfassten nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. […] Die Allgemeinverbindlicherklärung endet aber auch mit Ablauf des Tarifvertrags (§ 5 Abs. 5 Satz 3 TVG). Sie 1 Richardi, Reinhard (2015): Koalitions-, Tarifvertrags- sowie Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht. In: BMAS (Hrsg.): Übersicht über das Arbeitsrecht/Arbeitsschutzrecht. Nürnberg: BW Bildung und Wissen, Kap. 3, Rn. 125. 2 Richardi (Fn. 1), Rn. 126; BVerfGE 44, 322 [340]. 3 Giesen in: Beck’scher Online-Kommentar Arbeitsrecht. 40. Ed. Stand: 1. Juni 2016, § 5 TVG Rn. 6. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 069/16 Seite 5 nimmt den Tarifvertragsparteien nicht die Herrschaft über den Tarifvertrag. Sie können ihn jederzeit ändern und dadurch die Beendigung der Allgemeinverbindlicherklärung herbeiführen.“4 1.2. Voraussetzungen Die Allgemeinverbindlichkeit kann grundsätzlich nur ausgesprochen werden, wenn sie im öffentlichen Interesse geboten erscheint. Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 TVG ist dies in der Regel der Fall, wenn 1. der Tarifvertrag in seinem Geltungsbereich für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen überwiegende Bedeutung erlangt hat oder 2. die Absicherung der Wirksamkeit der tarifvertraglichen Normsetzung gegen die Folgen wirtschaftlicher Fehlentwicklung eine Allgemeinverbindlicherklärung verlangt. Die Bestimmungen des § 5 Abs. 1 TVG sind durch das Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie mit Wirkung vom 16. August 2014 neu gefasst worden. Dabei wurde die bisherige Voraussetzung, dass mindestens 50 Prozent der unter den Geltungsbereich des für allgemeinverbindlich zu erklärenden Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigt sein mussten, abgelöst. Die überwiegende Bedeutung eines Tarifvertrages im Sinne des heutigen § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TVG setzt einen so weitgehenden Geltungsgrad nicht mehr voraus. Der Gesetzesbegründung zufolge sollen auch solche Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt werden können, welche den Geltungsbereich des Tarifvertrages wesentlich prägen, ohne dass das 50-Prozent-Quorum erfüllt ist.5 Die überwiegende Bedeutung kann sich danach „in erster Linie aus der mitgliedschaftlichen Tarifbindung ergeben. Darüber hinaus sind für die überwiegende Bedeutung des Tarifvertrages nunmehr sämtliche Arbeitsverhältnisse, die tarifgemäß ausgestaltet sind, heranzuziehen. Berücksichtigt werden können damit inhaltsgleiche Anschlusstarifverträge, vertragliche Inbezugnahmen sowie die anderweitige Orientierung des Arbeitsverhältnisses an den tariflichen Regelungen .“6 Soweit das früher erfordliche Quorum allerdings erfüllt ist, dürften in jedem Fall auch die Anwendungsvoraussetzungen der Neuregelung gegeben sein.7 Durch das Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie neu eingeführt wurde die Möglichkeit nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TVG, die Allgemeinverbindlichkeit zur Abwehr der Folgen wirtschaftlicher Fehlentwicklung zu erklären. Durch diese Regelung wird die Funktion der Allgemeinverbindlicherklärung gegenüber den Ausführungen weiter oben unter Punkt 1.1 ausgeweitet, da sie 4 Richardi (Fn. 1), Rn. 132. 5 Giesen in: Beck’scher Online-Kommentar Arbeitsrecht (Rn. 3), § 5 TVG Rn. 11. 6 Bundesratsdrucksache 147/14, S. 54. 7 Giesen in: Beck’scher Online-Kommentar Arbeitsrecht (Rn. 3), § 5 TVG Rn. 11. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 069/16 Seite 6 nicht mehr primär den Arbeitnehmerschutz zum Ziel haben muss, sondern auch der Abstützung des tarifvertraglichen Systems selbst dienen kann. Nicht zuletzt deshalb wurden dagegen verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht.8 Über die im Gesetz selbst genannten Fälle hinaus ist ein öffentliches Interesse, das für die Allgemeinverbindlichkeit auch nach der früheren Gesetzesfassung erforderlich war, nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung immer dann anzunehmen, „wenn die Allgemeinverbindlicherklärung drohende wesentliche Nachteile für eine erhebliche Anzahl von Arbeitnehmern abwenden kann. Es muss mithin eine Interessenabwägung zwischen den Vor- und Nachteilen der Allgemeinverbindlicherklärung vor dem Hintergrund ihrer Schutzzwecke stattfinden.“9 Die Möglichkeit der Allgemeinverbindlicherklärung ohne nähere materielle Anforderungen sieht die Sonderregelung des § 5 Abs. 1a TVG ausschließlich für die dort genannten Fälle von Vorschriften zu gemeinsamen Einrichtungen der Tarifparteien vor. 1.3. Verfahren Das Verfahren der Allgemeinverbindlicherklärung ist in § 5 Abs. 2, 3 und 7 TVG geregelt. Weitere Einzelheiten bestimmt die Verordnung zur Durchführung des Tarifvertragsgesetzes (TVGDV). Hervorzuheben ist, dass die Parteien des für allgemeinverbindlich zu erklärenden gültigen Tarifvertrags die Allgemeinverbindlicherklärung gemeinsam, das heißt übereinstimmend beim BMAS beantragen müssen. Die Allgemeinverbindlicherklärung kann vom BMAS nur mit Zustimmung des Tarifausschusses ausgesprochen und aufgehoben werden. Der Tarifausschuss wird nach § 1 Satz 2 TVGDV vom BMAS für die Dauer von vier Jahren bestellt und besteht aus je drei Vertretern der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer als Mitglieder sowie mindestens je drei weitere als stellvertretende Mitglieder, die von diesen Organisationen vorgeschlagen werden. Der Legaldefinition der Spitzenorganisation in § 12 Satz 1 TVG unterfallen derzeit nach allgemeiner Auffassung ausschließlich die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und der Deutsche Gewerkschaftsbund.10 Die Allgemeinverbindlicherklärung wie auch die Aufhebung der Allgemeinverbindlichkeit bedürfen für ihre Wirksamkeit nach § 5 Abs. 7 TVG in Verbindung mit § 4 DVTVG der öffentlichen Bekanntmachung im Bundesanzeiger. 8 Vgl. z. B. Bepler, Klaus (2014): Stärkung der Tarifautonomie – Welche Änderungen des Tarifvertragsrechts empfehlen sich? Gutachten B zum 70. Deutschen Juristentag, S. 110 f. 9 Franzen in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht. 16. Auflage 2016, § 5 TVG Rn. 12 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. 10 Giesen in: Beck’scher Online-Kommentar Arbeitsrecht (Rn. 3), § 12 TVG Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 069/16 Seite 7 2. Allgemeinverbindliche Tarifverträge im Bereich Kultur und Medien Von den rund 70.000 in das Tarifregister eingetragenen Tarifverträgen sind zurzeit etwa 500 Tarifverträge allgemeinverbindlich. Ein Verzeichnis der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge bietet das BMAS in seinem Internetauftritt: https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen-DinA4/arbeitsrechtverzeichnis -allgemeinverbindlicher-tarifvertraege.pdf?__blob=publicationFile (letzter Abruf : 30. August 2016). Danach sind zum Stand 1. Juli 2016 in der Wirtschaftsgruppe „Wissenschaft und Publizistik“ folgende Tarifverträge allgemeinverbindlich: – Tarifvertrag zur Regelung des Mindestlohns für pädagogisches Personal vom 15. November 2011 in der Fassung des Änderungs-Tarifvertrag Nr. 2 vom 27. Januar 2015, verbindlich ab 1. Januar 2016 durch die dritte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem Zweiten oder Dritten Buch Sozialgesetzbuch vom 10. Dezember 2015 (BAnz AT 22. Dezember 2015 V1). Die Verordnung tritt am 31. Dezember 2017 außer Kraft. – Tarifvertrag über die Altersversorgung für Redakteurinnen und Redakteure vom 15. Dezember 1997, allgemeinverbindlich ab 1. Januar 1999, jedoch für die Länder Brandenburg, Mecklenburg -Vorpommern und Sachsen sowie das Gebiet des früheren Berlin-Ost allgemeinverbindlich ab 30. Januar 1999. Die Allgemeinverbindlicherklärung erstreckt sich nicht auf die Länder Sachsen-Anhalt und Thüringen. – Tarifvertrag über das Redaktionsvolontariat vom 22. September 1990, allgemeinverbindlich ab 13. April 1991. Ende der Bearbeitung