© 2017 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 063/17 Einzelfragen zum Betriebsübergang und zur sogenannten Homebase-Regelung für Beschäftigte von Luftfahrtunternehmen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 063/17 Seite 2 Einzelfragen zum Betriebsübergang und zur sogenannten Homebase-Regelung für Beschäftigte von Luftfahrtunternehmen Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 063/17 Abschluss der Arbeit: 13. Dezember 2017 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 063/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Betriebsübergang 4 1.1. Voraussetzungen 4 1.1.1. Betrieb oder Betriebsteil 4 1.1.2. Ausgewählte Rechtsprechung 5 1.2. Weitere Voraussetzungen 6 1.3. Rechtsfolgen 6 1.3.1. Übergang der Arbeitsverhältnisse 7 1.3.2. Unterrichtungs- und Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer 7 1.3.3. Kündigungsverbot 7 1.3.4. Weitergeltung von Tarifverträgen 7 2. Die sogenannte Homebase-Regelung 8 2.1. Verordnung (EU) Nr. 965/2012 8 2.2. Bedeutung im Rahmen der Rom I-Verordnung 8 2.2.1. Anwendbarkeit 8 2.2.2. Anknüpfung 9 2.3. Fazit 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 063/17 Seite 4 1. Betriebsübergang Im Fall, dass ein Betrieb oder ein Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber übergeht (Betriebsübergang), schützen die Regelungen des § 613a BGB die Arbeitnehmer vor dem Verlust des Arbeitsplatzes und einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. § 613a BGB setzt die Richtlinie 2001/23/EG vom 12. März 20011 (Betriebsübergangsrichtlinie) in nationales Recht um. Für seine Anwendung sind daher neben der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) auch die Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über die Auslegung der Richtlinie von besonderer Bedeutung. 1.1. Voraussetzungen 1.1.1. Betrieb oder Betriebsteil Der Wortlaut des § 613a BGB lässt offen, was unter einem Betrieb bzw. Betriebsteil zu verstehen ist. Art. 1 Abs. 1 lit. b der maßgeblichen Betriebsübergangsrichtlinie definiert den Betriebsübergang als den „Übergang einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Hauptoder Nebentätigkeit“. Für die Frage, ob die Identität der wirtschaftlichen Einheit gewahrt bleibt, sind sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnende Tatsachen zu berücksichtigen.2 Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH und des BAG ist im Einzelfall zu prüfen, welche der nachfolgenden Kriterien für oder gegen einen Übergang der wirtschaftlichen Einheit sprechen: - Art des Unternehmens - Übergang der Aktiva - Wert der immateriellen Aktiva - Übernahme der Arbeitnehmer - Übernahme der Kundschaft - Ähnlichkeit der Tätigkeit vor und nach der Übernahme sowie - Dauer einer Unterbrechung der Geschäftstätigkeit.3 Dabei handelt es sich jedoch jeweils nur um Teilaspekte der vorzunehmenden Gesamtbewertung, die nicht isoliert betrachtet werden dürfen.4 Demnach kann es unter Umständen allein durch die 1 Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens - oder Betriebsteilen, ABl. L 82, S. 16. 2 Steffan, Ralf in: Ascheid/Preis/Schmidt: Kündigungsrecht, 5. Aufl. 2017, § 613a BGB Rn. 23. 3 Steffan (Fn. 2), § 613a BGB Rn. 25. 4 Ständige Rechtsprechung des EuGH seit EuGH vom 18. März 1986 - Rechtssache 24/85; ständige Rechtsprechung des BAG seit BAG vom 22. Mai 1997 - 8 AZR 101/96. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 063/17 Seite 5 Übernahme des Personals zu einem Betriebsübergang kommen.5 Demgegenüber stellt die bloße Funktionsübernahme, also die Übernahme einzelner Aufgaben durch ein anderes Unternehmen, nach der Rechtsprechung keinen Betriebsübergang dar.6 Ein Übergang im Sinne der Richtlinie 2001/23/EG erfordert nach der Rechtsprechung des EuGH eine Übernahme durch einen neuen Arbeitgeber.7 Als Voraussetzung für die Qualifizierung als Betriebsteil im Sinne des § 613a BGB verlangt die Rechtsprechung, dass es sich um eine organisatorisch abgrenzbare Teileinheit bzw. Teilorganisation handelt, mit der betriebstechnische Teilzwecke verfolgt werden und die zugleich wirtschaftlich Gegenstand einer Übertragung sein können.8 1.1.2. Ausgewählte Rechtsprechung Bei der Prüfung des Übergangs eines Betriebes kommt es nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung maßgeblich darauf an, ob es sich um einen „betriebsmittelarmen“ oder „betriebsmittelreichen “ Betrieb handelt. So stelle ein Möbelhaus einen betriebsmittelarmen Betrieb dar, der durch den Kundenkreis seine Prägung erhalte.9 In einem Fall der Fortführung eines ehemals durch einen gemeinnützigen Verein betriebenen Rettungsdienstes durch einen Landkreis, bei dem zwar das Personal, nicht aber die Rettungsfahrzeuge übernommen wurden, lehnte das BAG einen Betriebsübergang mangels Identitätswahrung ab. Zwar könne in Branchen, in denen es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankomme, der Übergang einer strukturierten Gesamtheit von Arbeitnehmern einen Betriebsübergang begründen. Wenn allerdings materielle Betriebsmittel das Erscheinungsbild prägten, sei auch deren Übernahme notwendig.10 Ähnlich entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz im Falle der Fortführung eines Busunternehmens ohne Übernahme der Busse.11 In einem Fall, in dem von einem Luftverkehrsunternehmen der Betrieb mehrerer Flugstrecken, nicht aber Flugzeuge übernommen wurden, entschied das LAG Berlin, dass es sich nicht um 5 Steffan (Fn. 2), § 613a BGB Rn. 24. 6 EuGH vom 10. Dezember 1998 - verb. Rechtssache C-127/96, C.229/96 u. C-74/97; BAG Urteil vom 26. August 1999 - 8 AZR 827/98. 7 EuGH vom 6. März 2014 - Rechtssache C-458/12. 8 BAG vom 13. Juli 2006 - 8 AZR 331/05; Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz vom 24. Mai 2007 - 11 Sa 55/07. 9 LAG Düsseldorf vom 30. August 2016 - 14 Sa 274/16. 10 BAG vom 25. August 2016 – 8 AZR 54/15. 11 LAG Hessen vom 19. Februar 2013 – 13 Sa 1029/12; LAG Rheinland-Pfalz vom 1. Februar 2016 – 3 Sa 257/15. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 063/17 Seite 6 einen Betriebsübergang im Sinne des § 613a BGB handele. „Gehen betriebsübergreifende, d.h. weder an einen Betrieb noch an einen Betriebsteil gebundene Aktivitäten incl. dazugehöriger Sachmittel durch Rechtsgeschäft von einem Unternehmen auf ein anderes über (hier: das Betreiben mehrerer Flugstrecken)“, komme auch eine analoge Anwendung von § 613a BGB mangels ausreichender Zuordnungskriterien für die betroffenen Arbeitnehmer nicht in Betracht.12 1.2. Weitere Voraussetzungen Ein Betriebsübergang setzt nach der Rechtsprechung des BAG außerdem voraus, dass an die Stelle des bisherigen Betriebsinhabers ein anderer tritt, der den Betrieb im eigenen Namen tatsächlich fortführt.13 Der bisherige Inhaber muss seine wirtschaftliche Betätigung in dem Betrieb(steil) einstellen.14 Der EuGH fordert für die Annahme eines Betriebsübergangs im Sinne der Richtlinie 2001/23/EG die Übernahme durch einen neuen Arbeitgeber.15 Das Tatbestandsmerkmal des Übergangs durch Rechtsgeschäft dient als Abgrenzung zur Gesamtrechtsnachfolge und der Übertragung aufgrund eines Hoheitsaktes. Der Begriff „Rechtsgeschäft“ ist dabei weit zu verstehen. Er erfasst alle Fälle einer Fortführung der wirtschaftlichen Einheit im Rahmen vertraglicher und sonstiger rechtsgeschäftlicher Beziehungen, ohne dass unmittelbar Vertragsbeziehungen zwischen dem bisherigen Inhaber und dem Erwerber bestehen müssen.16 1.3. Rechtsfolgen Geht ein Betrieb oder ein Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so werden die vom Gesetz bestimmten Rechtsfolgen ausgelöst. 12 LAG Berlin vom 7. September 1993 - 12 Sa 71/93. 13 BAG vom 6. Februar 1985 - 5 AZR 411/83. 14 Preis, Ulrich in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht (ErfK), § 613a BGB Rn. 50 f. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. 15 EuGH vom 6. März 2014 - Rechtssache C-458/12. 16 Preis (Fn. 14), § 613a BGB Rn. 58. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 063/17 Seite 7 1.3.1. Übergang der Arbeitsverhältnisse Nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB tritt der neue Inhaber in die Rechte und Pflichten der zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse ein. Angeordnet wird somit ein Vertragspartnerwechsel auf der Arbeitgeberseite, der das zwischen dem Arbeitnehmer und dem früheren Arbeitgeber bestehende Arbeitsverhältnis unverändert lässt.17 1.3.2. Unterrichtungs- und Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer Der Arbeitnehmer ist gem. § 613a Abs. 5 BGB über den Betriebsübergang in Textform zu unterrichten . Der Inhalt der Unterrichtung ergibt sich aus § 613a Abs. 5 Nr. 1 bis 4 BGB. Die Unterrichtung kann entweder der bisherige Betriebsinhaber oder der Betriebserwerber vornehmen.18 Innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung kann der Arbeitnehmer nach § 613a Abs. 6 BGB dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber widersprechen. Der Widerspruch bewirkt, dass das Arbeitsverhältnis nicht gem. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Erwerber übergeht, sondern beim bisherigen Betriebsinhaber verbleibt.19 1.3.3. Kündigungsverbot Gemäß § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Betriebsinhaber unwirksam, wenn sie wegen des Betriebsübergangs erfolgt. Dabei handelt es sich nach der Rechtsprechung des BAG um ein eigenes Kündigungsverbot, das unabhängig von einer etwaigen Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes besteht. Der Betriebsübergang muss aber das tragende Motiv der Kündigung sein.20 Sonstiges Kündigungsrecht bleibt gem. § 613a Abs. 4 Satz 2 BGB erhalten. 1.3.4. Weitergeltung von Tarifverträgen Ein Verbandstarifvertrag gilt gem. §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 des Tarifvertragsgesetzes (TVG) auch nach einem Betriebsübergang für das übergegangene Arbeitsverhältnis, wenn der Betriebserwerber ebenfalls – wie der Betriebsveräußerer – im tarifschließenden Arbeitgeberverband organisiert ist oder der Tarifvertrag aufgrund einer Allgemeinverbindlicherklärung gem. § 5 TVG Anwendung fand und der übertragene Betrieb(steil) weiterhin in den Geltungsbereich des allgemeinverbindlichen Tarifvertrages fällt.21 17 Preis (Fn. 14), § 613a BGB Rn. 66 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. 18 Grobys/Panzer-Heemeier in: StichwortKommentar Arbeitsrecht, Betriebsübergang Rn. 67. 19 Grobys/Panzer-Heemeier (Fn. 18), Betriebsübergang Rn. 91. 20 Grobys/Panzer-Heemeier (Fn. 18), Betriebsübergang Rn. 61, 63 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. 21 Grobys/Panzer-Heemeier, (Fn. 18), Betriebsübergang Rn. 104 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 063/17 Seite 8 2. Die sogenannte Homebase-Regelung 2.1. Verordnung (EU) Nr. 965/2012 Der Begriff der Homebase bzw. Heimatbasis findet sich in Anhang III der Verordnung (EU) Nr. 965/2012 vom 5. Oktober 2012 zur Festlegung technischer Vorschriften und von Verwaltungsverfahren in Bezug auf den Flugbetrieb gemäß der Verordnung (EG) Nr. 216/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates in der durch die Verordnung (EU) Nr. 83/2014 der Kommission vom 29. Januar 2014 geänderten Fassung. Sie wird dort in ORO.FTL.105 Nr. 14 definiert als „der vom Betreiber gegenüber dem Besatzungsmitglied benannte Ort, wo das Besatzungsmitglied normalerweise eine Dienstzeit oder eine Abfolge von Dienstzeiten beginnt und beendet und wo der Betreiber normalerweise nicht für die Unterbringung des betreffenden Besatzungsmitglieds verantwortlich ist.“ Definition und Festlegung der Heimatbasis haben danach im Wesentlichen Bedeutung im Rahmen der technischen Vorschriften und der Verwaltungsverfahren im Flugbetrieb . Nach ORO.FTL.200 hat der Betreiber jedem Besatzungsmitglied eine Heimatbasis zuzuweisen . Dabei kann Heimatbasis immer nur ein Ort (Flugplatz) sein. Eine Doppelstationierung ist grundsätzlich nicht zulässig.22 Nach bundesdeutschem Arbeitsrecht ist die Zuweisung einer Heimatbasis Bestandteil des Weisungsrechts des Arbeitgebers, das in § 106 Satz 1 der Gewerbeordnung seinen Ausdruck gefunden hat, wonach dieser grundsätzlich „Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen“ kann. Kommt es zu einem Wechsel des Arbeitgebers, kann der neue Arbeitgeber die Heimatbasis nach denselben Regeln bestimmen. Die Vorschriften der Verordnung (EU) Nr. 965/2012 bieten für sich genommen keine Handhabe für die Beantwortung der Frage, welches nationale Arbeitsrecht auf das Arbeitsverhältnis eines Mitglieds einer Flugzeugbesatzung anwendbar ist. Der Homebase-Regelung kann jedoch gleichwohl Bedeutung für diese Feststellung zukommen. 2.2. Bedeutung im Rahmen der Rom I-Verordnung 2.2.1. Anwendbarkeit Welches Recht auf vertragliche Schuldverhältnisse in der Europäischen Union im Einzelfall anwendbar ist, bestimmt sich grundsätzlich nach der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht23 (Rom I-Verordnung). Luftfahrtspezifische Unionsregeln für die 22 Vgl. zur Vorgängerregelung Rundschreiben des Luftfahrtbundesamts (LAB): LBA-Rundschreiben Flugbetrieb 12/2008, Az. B 239 30301.430.01.03 vom 6. Juni 2008. Abrufbar im Internetauftritt des LBA: http://www.lba.de/SharedDocs/Downloads/DE/B/B2_Flugbetrieb/Rundschreiben /97_RS_2008_12.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (letzter Abruf: 21. November 2017). 23 ABl. 2008 L 177, S. 6. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 063/17 Seite 9 Arbeitsverhältnisse von Flugzeugbesatzungen gibt es nicht, daher sind auch auf diese Arbeitsverhältnisse grundsätzlich die Bestimmungen der Rom I-Verordnung anzuwenden, die in Art. 8 Bestimmungen zum anwendbaren Arbeitsrecht enthält. Das Arbeitsvertragsstatut unterliegt jedoch nur bei Vertragsschluss seit dem 17. Dezember 2008 der Rom I-Verordnung, wenn es nicht nach diesem Stichtag in einem Umfang abgeändert wurde, dass vom Abschluss eines neuen Vertrages auszugehen ist.24 2.2.2. Anknüpfung Hinsichtlich der Rechtswahl nach Art. 8 Abs. 1 Rom I-Verordnung dürften für den genannten Personenkreis keine Besonderheiten bestehen. Die deutsche und die französische Rechtsprechung haben in einer Bezugnahme auf die Kollektivvereinbarungen der Association of Flight Attendants im Arbeitsvertrag bereits eine konkludente Rechtswahl gesehen.25 Für die übrigen Fälle bestimmt Art. 8 Abs. 2 Satz 1 Rom I-Verordnung: „Soweit das auf den Arbeitsvertrag anzuwendende Recht nicht durch Rechtswahl bestimmt ist, unterliegt der Arbeitsvertrag dem Recht des Staates, in dem oder andernfalls von dem aus der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet.“ Für diese objektive Anknüpfung werden für Flugarbeitsverhältnisse in der Fachliteratur verschiedene Anknüpfungsmodelle vorgeschlagen . Während einige Autoren bei Flugarbeitsverhältnissen im internationalen Luftverkehr unter anderem an der Flagge bzw. am Register als Unterfall der Arbeit in einem Staat oder an die einstellende Niederlassung des jeweiligen Luftfahrtunternehmens anknüpfen wollen,26 wird überwiegend angenommen, dass „grundsätzlich an einem gewöhnlichen Arbeitsort im territorial verstandenen Sinne“27 anzuknüpfen sei und die „von dem aus“-Klausel des Art. 8 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 Rom I-Verordnung jedenfalls dann angewendet werden könne, wenn es eine Operationsbasis des fliegenden Personals gibt und diese weitere Arbeiten am Boden verrichten.28 24 Rauscher, Thomas: Die Entwicklung des Internationalen Privatrechts 2016 bis 2017, NJW 2017, S. 3486 (3493) mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des EuGH und des BAG. 25 Henze, Michael: Die Anknüpfung von mobilen Arbeitsverhältnissen anhand des Art. 8 Rom I-Verordnung. Baden-Baden 2017: Nomos, S. 340. 26 Vgl. dazu Henze (Fn. 25), S. 341 f., 347 ff. sowie 342 f., 367 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen. 27 Henze (Fn. 25), S. 342. 28 Henze (Fn. 25), S. 342 mit weiteren Nachweisen. In Art. 19 Brüssel I-Verordnung heißt es: „Ein Arbeitgeber, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann verklagt werden: 1. vor den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem er seinen Wohnsitz hat, oder 2. in einem anderen Mitgliedstaat a) vor dem Gericht des Ortes, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat, […].“ Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 063/17 Seite 10 Dem folgt für die Anknüpfung im Rahmen des ähnlich formulierten Art. 19 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen29 (Brüssel I-Verordnung ) inzwischen auch die Rechtsprechung des BAG.30 Der EuGH hat im September 2017 in zwei Vorlageentscheidungen festgestellt, dass Art. 19 Abs. 2 Buchst. a Brüssel I-Verordnung „dahin auszulegen ist, dass im Fall der Klage eines Mitglieds des bei einer Fluggesellschaft beschäftigten oder ihr zur Verfügung gestellten Flugpersonals zur Klärung der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts der Begriff ‚Ort, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet‘ im Sinne dieser Vorschrift nicht mit dem Begriff ‚Heimatbasis ‘ im Sinne von Anhang III der Verordnung (EWG) Nr. 3922/9131 gleichgesetzt werden kann. Der Begriff ‚Heimatbasis‘ ist jedoch ein wichtiges Indiz für die Bestimmung des ,Ortes, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet‘.“32 Maßgeblich ist nach dieser Rechtsprechung also eine indiziengestützte Methode, bei der allerdings der Heimatbasis eine besondere Bedeutung zukommt: „Die ‚Heimatbasis‘ verlöre nur dann ihre Relevanz für die Bestimmung des ‚Ortes, von dem aus der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet‘, wenn unter Berücksichtigung aller möglichen tatsächlichen Umstände des jeweiligen Falles Anträge wie die in den Ausgangsverfahren eine engere Verknüpfung mit einem anderen Ort als der ‚Heimatbasis‘ aufwiesen “.33 Diese Argumentation dürfte auf die Anwendung der Regelung der Rom I-Verordnung zur Bestimmung des anwendbaren Arbeitsrechts entsprechend anwendbar sein. 2.3. Fazit Vor dem Hintergrund der vorgestellten Rechtsprechung kommt es mithin für die objektive Anknüpfung nach Art. 8 Abs. 2 Rom I-Verordnung zur Feststellung des für Flugzeugbesatzungen im internationalen Flugverkehr anwendbaren Arbeitsstatuts weder auf Flagge oder Registereintrag des Flugunternehmens noch auf den Sitz der einstellenden Niederlassung an, vielmehr lässt sich in der Regel „ein gewöhnlicher Arbeitsort im Sinne eines Mittelpunkts der beruflichen Tätigkeit anhand der ‚von dem aus‘-Klausel im Staat der Heimatbasis feststellen. Dafür kommt es insbesondere nicht auf ergänzende Bodentätigkeiten an. […] Alle Einsätze, die den Arbeitnehmer über die Grenzen des gewöhnlichen Arbeitsstaats hinausführen, sind vorübergehende Entsendungen . Das Flugzeug ist lediglich Arbeitsgerät und nicht Arbeitsort des Flugpersonals.“34 Anwendbar sind also in aller Regel die arbeitsrechtlichen Bestimmungen des Staates, in dem die 29 ABl. 2001, L 12, S. 1, zuletzt geändert durch Verordnung (EU) Nr. 566/2013 vom 18. Juni 2013 (ABl. L 167 S. 29) . 30 BAG vom 20. Dezember 2012 - 2 AZR 481/11. 31 Verordnung (EWG) Nr. 3922/91 des Rates vom 16. Dezember 1991 zur Harmonisierung der technischen Vorschriften und der Verwaltungsverfahren in der Zivilluftfahrt in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1899/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 geänderten Fassung (ABl. EU 2014 L 28, S. 17). Dabei handelt es sich um eine Vorgängerreglung zur Verordnung (EU) Nr. 965/2012 (oben 2.1.), die im Wesentlichen gleichlautende Bestimmungen zur Heimatbasis enthielt. 32 EuGH vom 14. September 2017 - C-168/16 - C-169/16, Rn. 77. 33 EuGH vom 14. September 2017 - C-168/16 - C-169/16, Rn. 73. 34 Henze (Fn. 25), S. 375. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 063/17 Seite 11 jeweils individuell zugewiesene Heimatbasis liegt. Eine hilfsweise vorzunehmende Anknüpfung an die Niederlassung des Arbeitgebers gemäß Art. 8 Abs. 3 Rom I-Verordnung wird nur im Ausnahmefall in Betracht kommen. ***