© 2019 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 060/19 Arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Nachunternehmerhaftung für Mindestlöhne Einzelfragen zu Ausgestaltung und Wirksamkeit Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 060/19 Seite 2 Arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Nachunternehmerhaftung für Mindestlöhne Einzelfragen zu Ausgestaltung und Wirksamkeit Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 060/19 Abschluss der Arbeit: 17. Juni 2019 Fachbereich: WD 6 - Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 060/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Nachunternehmerhaftung nach dem Mindestlohngesetz 4 1.1. Inhalt 4 1.2. Zweck und Funktion 4 1.3. Art der Haftung 5 1.4. Haftungsumfang 6 1.5. Möglichkeiten der Haftungsreduzierung 7 1.6. Einwendungen gegen die Inanspruchnahme und Regress 7 1.7. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht 8 1.8. Sanktionen 8 2. Nachunternehmerhaftung für Branchenmindestlöhne 8 3. Nachunternehmerhaftung für Sozialversicherungsbeiträge 9 4. Mindestlohnkontrolle und Wirksamkeit der Nachunternehmerhaftung 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 060/19 Seite 4 1. Nachunternehmerhaftung nach dem Mindestlohngesetz Mit der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns zum 1. Januar 2015 hat der Gesetzgeber eine verschuldensunabhängige Haftung für Auftraggeber von Werk- und Dienstleistungen im Mindestlohngesetz (MiLoG) verankert. Dadurch sollte der gängigen Praxis Rechnung getragen werden, dass Unternehmen vertraglich übernommene Werk- oder Dienstleistungen an einen anderen Unternehmer übertragen. Die Vorschrift soll verhindern, dass die gesetzliche Pflicht zur Zahlung des Mindestlohnes umgangen wird. Das Mindestlohngesetz (MiLoG) enthält keine eigenständige Regelung hinsichtlich der Haftung von Arbeitgebern, die Teile der von ihnen zu erbringenden Leistung bei anderen Unternehmern in Auftrag geben. Vielmehr wird in § 13 MiLoG die analoge Anwendung der Regelungen des § 14 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG) angeordnet. Damit werden nicht mehr nur die tariflichen Branchenmindestlöhne nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz, sondern auch der allgemeine Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz abgesichert.1 1.1. Inhalt Aus der Regelung des § 13 MiLoG in Verbindung mit § 14 Satz 2 AEntG folgt, dass ein Unternehmer , der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Leistungen beauftragt, für die Verpflichtungen dieses Unternehmers, eines weiteren Nachunternehmers oder eines beauftragten Verleihers zur Zahlung des tariflichen Mindestentgelts an einen Arbeitnehmer wie ein Bürge haftet , der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat. 1.2. Zweck und Funktion Die Vorschrift soll nach dem Willen des Gesetzgebers der Verstärkung der tatsächlichen Wirksamkeit des Mindestlohnes dienen. Der Hauptunternehmer soll im eigenen Interesse dazu angehalten werden, bei der Auswahl eines Nachunternehmers darauf zu achten, dass dieser seiner Pflicht zur Zahlung des Mindestlohns an die bei ihm beschäftigten Mitarbeiter nachkommt.2 Der Begriff des Unternehmers bestimmt sich grundsätzlich nach § 14 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Für die Nachunternehmerhaftung ist der Unternehmerbegriff allerdings restriktiv auszulegen . Das bedeutet, dass der Auftraggeber nur dann gemäß § 13 MiLoG in Verbindung mit § 14 AEntG haftet, wenn er ein anderes Unternehmen beauftragt, eine Werk- oder Dienstleistung zu erbringen, zu dessen Erbringung er sich zuvor selbst vertraglich verpflichtet hat,3 nicht jedoch, wenn er ein anderes Unternehmen zur Durchführung von Werk- und Dienstleistungen beauftragt, mit denen der Eigenbedarf des Auftraggebers erfüllt werden soll, z.B. indem er einen Gärtnereibe- 1 Lakies, Mindestlohngesetz, 4. Auflage 2019, § 13 Rn. 1. 2 Gesetzentwurf der Bundesregierung - Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz ), Bundestagsdrucksache 18/1558, S. 40. 3 Lakies, Mindestlohngesetz, 4. Auflage 2019, § 13 Rn. 12. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 060/19 Seite 5 trieb mit der Pflege der zum Unternehmen gehörenden Grünanlagen oder ein Reinigungsunternehmen mit der Reinigung der Büroräume betraut.4 Die Nachunternehmerhaftung nach dem Mindestlohngesetz ist zudem nicht auf Privatpersonen anwendbar, die ein Unternehmen mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragen, die der privaten Lebensgestaltung dienen.5 Begünstigte der Haftung nach § 13 MiLoG in Verbindung mit § 14 AEntG sind die Arbeitnehmer der Nachunternehmer, die Werk- oder Dienstleistungen erbringen, die im Zusammenhang mit dem Vertrag stehen; dazu zählen auch entsprechende Arbeitnehmer eines von einem Nachunternehmer beauftragen Nach-Nachunternehmers.6 1.3. Art der Haftung Der Unternehmer haftet nach den Vorschriften des § 13 MiLoG in Verbindung mit § 14 Satz 1 AEntG wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat. Es handelt sich insoweit um eine gesetzlich ausgestaltete Bürgenhaftung, auf die §§ 765 ff. BGB entsprechend anzuwenden sind. Die Anspruchshöhe, die Fälligkeit sowie die Verjährung richten sich nach dem Hauptschuldverhältnis .7 Bei der Haftung nach § 13 MiLoG handelt es sich um eine verschuldensunabhängige Haftung ohne Exkulpationsmöglichkeit des Auftraggebers. Auf eine Exkulpationsmöglichkeit hat der Gesetzgeber bewusst verzichtet.8 Der Unternehmer kann sich auch nicht im Wege einer Unbedenklichkeitsbescheinigung von den Haftungsfolgen des § 13 MiLoG befreien. Der Hauptunternehmer kann vom Arbeitnehmer eines Nachunternehmers unmittelbar in Anspruch genommen werden. Aus der Nachunternehmerhaftung ergibt sich eine von der Vergütungspflicht des Nachunternehmers verschiedene eigene Leistungspflicht des Unternehmers.9 Soweit mehrere Nachunternehmer hintereinander als „Nachunternehmerkette“ geschaltet sind, hat der Arbeitnehmer das Wahlrecht, bei welchem seinem Arbeitgeber vorgeschalteten Unternehmen er seinen Anspruch auf Zahlung des Mindestlohnes geltend macht.10 4 Lelley in Thüsing, Mindestlohngesetz, Arbeitnehmer-Entsendegesetz, Kommentar, 2. Auflage 2016, § 13 MiLoG Rn. 15. 5 Düwell/Schubert, Mindestlohngesetz, 2. Auflage 2016, § 13 Rn. 9. 6 Vgl. zum AEntG Koberski/Asshoff/Eustrup/Winkler, Arbeitnehmerentsendegesetz, 3. Auflage 2011, § 14 Rn. 37. 7 Vgl. für das AEntG Koberski/Asshoff/Eustrup/Winkler, Arbeitnehmerentsendegesetz, 3. Auflage 2011, § 14 Rn. 34. 8 Düwell/Schubert, Mindestlohngesetz, 2. Auflage 2016, § 13 Rn. 5. 9 Vgl. Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, 2. Auflage 2017, § 13 Rn. 36. 10 Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, 2. Auflage 2017, § 13 Rn. 52. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 060/19 Seite 6 1.4. Haftungsumfang Die Haftung des Auftraggebers nach § 13 MiLoG in Verbindung mit § 14 AEntG erstreckt sich - anders als die Haftung unmittelbar nach § 14 AEntG11 - ausschließlich auf den gesetzlichen Mindestlohn . Sie ist nach § 13 MiLoG in Verbindung mit § 14 Satz 2 AEntG auf das Netto-Mindestentgelt ohne Berücksichtigung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen beschränkt.12 Die Vorschrift soll ausschließlich die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs nach dem Mindestlohngesetz absichern. Dies gilt auch, wenn den betroffenen Arbeitnehmern im Einzelfall ein höherer tariflicher oder individualvertraglicher Lohn zusteht.13 Die Nachunternehmerhaftung umfasst nur die tatsächlich geleistete Arbeit. Nicht umfasst sind daher Annahmeverzugsansprüche des Arbeitnehmers oder Entgeltfortzahlungsansprüche an Feiertagen oder im Krankheitsfall nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz oder auf Zahlung von Urlaubsentgelt nach den Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes.14 Die Haftung ist nicht beschränkt auf den Nachunternehmer, den der Hauptunternehmer unmittelbar ausgewählt und beauftragt hat, sondern erstreckt sich auch auf die Pflicht weiterer Nachunternehmer zur Zahlung des Mindestlohnes sowie eines beauftragten Verleihers im Rahmen der sogenannten „Kettenhaftung“. Dabei kommt es nicht auf die Kenntnis des Hauptauftraggebers des Einsatzes weiterer Subunternehmer an. 15 Die Haftung des Unternehmers greift nach Wortlaut des Gesetzes und Schutzweck der Norm auch dann, wenn der Nachunternehmer insolvent sein sollte.16 Denn aus der Nachunternehmerhaftung ergibt sich eine von der Vergütungspflicht des Nachunternehmers verschiedene eigene Leistungspflicht des Unternehmers.17 Das Bundesarbeitsgericht (BAG) verneint aber die Haftung des Hauptunternehmers nach § 14 AEntG, soweit die Bundesagentur für Arbeit bei der Insolvenz eines Nachunternehmers bereits Insolvenzgeld zahlt. Der Anspruch auf Zahlung des Mindestlohnes und die daraus resultierende Haftung des Hauptunternehmers erlischt dann in Höhe des gezahlten Insolvenzgeldes.18 11 Vgl. dazu Koberski/Asshoff/Eustrup/Winkler, Arbeitnehmerentsendegesetz, 3. Auflage 2011, § 14, Rn. 24 ff. 12 Düwell/Schubert, Mindestlohngesetz, 2. Auflage 2016, § 13 Rn. 30. 13 Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, 2. Auflage 2017, § 13 Rn. 36. 14 Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, 2. Auflage 2017, § 13 Rn. 35; Düwell/Schubert, Mindestlohngesetz, 2. Auflage 2016, § 13 Rn. 31. 15 Düwell/Schubert, Mindestlohngesetz, 2. Auflage 2016, § 13 Rn. 15. 16 Lakies, Mindestlohngesetz, 4. Auflage 2019, § 13 Rn. 10. 17 Vgl. Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, 2. Auflage 2017, § 13 Rn. 36. 18 BAG, Urteil vom 8. Dezember 2010 - 5 AZR 95/10 zu § 1a AEntG (Vorläuferregelung des § 14 AEntG). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 060/19 Seite 7 1.5. Möglichkeiten der Haftungsreduzierung Da § 13 MiLoG keine Exkulpationsmöglichkeit für den Auftraggeber vorsieht, kann das Haftungsrisiko lediglich durch vertragliche Vereinbarungen mit dem Subunternehmer eingeschränkt werden , die diesen insbesondere zu einer Informationspflicht hinsichtlich der Mindestlohnzahlung verpflichten, z.B. durch monatliche Vorlage entsprechender Unterlagen oder durch Gewährung der Einsichtnahme in Lohnlisten. Möglich ist auch die Vereinbarung von Vertragsstrafen gemäß §§ 339 ff. BGB. Schließlich hat der Generalunternehmer die Möglichkeit, sich den Einbehalt eines Teils der vereinbarten Vergütung vorzubehalten, um sich hinsichtlich eines Regresses bei Insolvenz abzusichern.19 Nach § 3 Satz 1 MiLoG können weder arbeitsvertraglich noch tarifvertraglich Ausschlussfristen hinsichtlich des Verfalls des Mindestlohnes vereinbart werden. Der Mindestlohnanspruch ist unabdingbar . Ein vorheriger vertraglicher Ausschluss des Mindestlohnanspruchs durch Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer ist daher nicht möglich. Der Verzicht auf den Mindestlohnanspruch ist nach § 3 Satz 2 MiLoG nur im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs zulässig. Eine Verwirkung des Mindestlohnanspruchs ist gemäß § 3 Satz 3 MiLoG ausgeschlossen. Vereinbarungen mit den Auftragnehmern bezüglich eines Ausschlusses der Haftung nach § 13 MiLoG sind demgegenüber nicht möglich, da es sich bei solchen Vereinbarungen um unzulässige Verträge zulasten Dritter (der Arbeitnehmer) handeln würde. 1.6. Einwendungen gegen die Inanspruchnahme und Regress Die Pflicht des Bürgen zur Zahlung des Mindestlohnes erlischt mit der Erfüllungsleistung des Arbeitgebers . Dem Unternehmer steht zudem die Einrede der Verjährung zu. Mangels eigenständiger Regelungen im MiLoG verjähren Ansprüche aus diesem gemäß § 195 BGB nach drei Jahren. Eine Besonderheit ergibt sich für Mindestlöhne aus für allgemeinverbindlich erklärten oder einer Rechtsverordnung nach § 7 AEntG zugrundeliegenden Tarifverträgen (Branchenmindestlöhne) gemäß § 9 Satz 3 AEntG. Danach ist es in diesen Fällen möglich, eine Ausschlussfrist zu vereinbaren , soweit diese Frist mindestens sechs Monate beträgt und in dem entsprechenden Tarifvertrag geregelt ist.20 Intern geht die Forderung gegen den Arbeitgeber auf den Unternehmer über, der als Bürge für die Hauptschuld einstehen muss (§ 774 Abs. 1 Satz 1 BGB). Dieser kann den Nachunternehmer in voller Höhe in Regress nehmen. Hinsichtlich der möglichen anderen Mitbürgen kann er diese aber nur anteilig in Regress nehmen, sodass ein Mitbürgenausgleich im Sinne der §§ 774 Abs. 2, 426 BGB stattfindet.21 19 Lelley in Thüsing, Mindestlohngesetz, Arbeitnehmer-Entsendegesetz, Kommentar, 2. Auflage 2016, § 13 MiLoG Rn. 21. 20 Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, 2. Auflage 2017, § 13 Rn. 49. 21 Lakies, Mindestlohngesetz, 4. Auflage 2019, § 13 Rn. 16. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 060/19 Seite 8 1.7. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht Es bestehen keine grundsätzlichen Zweifel an der Vereinbarkeit der Vorschrift des § 13 MiLoG mit höherrangigem Recht. Die Verfassungsmäßigkeit des § 1a AEntG a.F. als im Wesentlichen inhaltsgleiche Vorgängernorm des § 14 AEntG hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluss vom 20. März 200722 festgestellt. Da § 13 MiLoG lediglich die entsprechende Anwendung des § 14 AEntG für den Anspruch auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns anordnet, dürfte auch die Vorschrift des § 13 MiLoG als verfassungskonform anzusehen sein. Auch ein Verstoß gegen unionsrechtliche Vorgaben dürfte nicht vorliegen. Für Mindestlohnansprüche nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz hat dies der Europäische Gerichtshof (EuGH) 2004 auf Vorlage des Bundesarbeitsgerichts hin entschieden.23 1.8. Sanktionen Ein Verstoß gegen das Mindestlohngesetz kann empfindliche Sanktionen nach sich ziehen. Nach § 21 Abs. 2 Nr. 1 MiLoG handelt ordnungswidrig, wer Werk- oder Dienstleistungen in erheblichem Umfang ausführen lässt, indem er als Unternehmer einen anderen Unternehmer beauftragt, von dem er weiß oder fahrlässig nicht weiß, dass dieser bei der Erfüllung dieses Auftrags den gesetzlichen Mindestlohn nicht oder nicht rechtzeitig zahlt. Ordnungswidrig handelt auch ein Hauptunternehmer, der einen Nachunternehmer einsetzt oder zulässt, dass ein Nachunternehmer tätig wird, der den gesetzlichen Mindestlohn nicht oder nicht rechtzeitig zahlt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 MiLoG). Gemäß § 21 Abs. 3 Halbsatz 2 MiLoG kann in solchen Fällen ein Bußgeld bis zu 30.000 Euro verhängt werden. 2. Nachunternehmerhaftung für Branchenmindestlöhne Der gesetzliche Mindestlohnanspruch aus § 1 Abs. 1 MiLoG tritt neben die arbeits- oder tarifvertraglich vereinbarten Mindestentgeltansprüche.24 Für tarifvertragliche Branchenmindestlöhne, die durch Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes oder durch Verordnung nach §§ 7 bzw. 7a AEntG auf nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer erstreckt wurden, gilt die Nachunternehmerhaftung nach § 14 AEntG unmittelbar. Im Baugewerbe liegt der aktuelle Mindestlohn nach dem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag für das ganze Bundesgebiet bei 12,20 Euro und damit erheblich über dem gesetzlichen Mindestlohn 22 BVerfG, Beschluss vom 20.03.2007 - 1 BvR 1047/05. 23 EuGH, Urteil vom 12. Oktober 2004 – C-60/03 [Wolff & Müller], zit. nach Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz , 2. Auflage 2017, § 13 Rn. 13, die Entscheidung erging ebenfalls noch zu § 1a AEntG a.F. 24 BAG, Urteil vom 25. Mai 2016 - 5 AZR 135/16, Leitsatz 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 060/19 Seite 9 von 9,19 Euro.25 Der durch die Nachunternehmerhaftung des Mindestlohngesetzes abgesicherte Mindestlohn spielt daher in diesem Wirtschaftszweig kaum eine Rolle. In der Fleischwirtschaft wurde mit Wirkung vom 1. Januar 2019 ebenfalls ein Mindestlohntarifvertrag abgeschlossen, der einen Branchenmindestlohn von 9,00 Euro vorsieht; er wurde bisher nicht auf nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer erstreckt.26 Da dieser Branchenmindestlohn unter dem aktuellen gesetzlichen Mindestlohn von 9,19 Euro liegt, ist davon auszugehen , dass dies auch nicht mehr erfolgen wird. In der Fleischwirtschaft ist daher derzeit der gesetzliche Mindestlohnanspruch nach wie vor relevant. Hinsichtlich der Nachunternehmerhaftung nach dem Mindestlohngesetz bestehen in beiden Branchen keine Besonderheiten. Eine Haftung über den gesetzlichen Mindestlohn hinaus ergibt sich daraus nicht, auch wenn branchentariflich ein höherer Mindestlohn vereinbart wurde.27 Für den Branchenmindestlohn ist § 14 AEntG - wie bereits festgestellt - unmittelbar anwendbar. 3. Nachunternehmerhaftung für Sozialversicherungsbeiträge Das Mindestlohngesetz regelt nicht die Haftung für Sozialversicherungsbeiträge, sondern schützt allein den Mindestlohnanspruch, der - wie dargelegt (oben 1.2.1) - Sozialversicherungsbeiträge nicht erfasst. In den erwähnten beiden Branchen gibt es aber als Besonderheit neben der arbeitsrechtlichen auch eine sozialversicherungsrechtliche Nachunternehmerhaftung. § 28e Abs. 3a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV), der durch das Gesetz zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit eingeführt wurde und am 1. August 2002 in Kraft getreten ist, ordnet für das Baugewerbe eine branchenspezifische Nachunternehmerhaftung bezüglich der Sozialversicherungsbeiträge an. Diese Regelung erfolgte nach der Gesetzesbegründung wegen der 25 Tarifvertrag zur Regelung der Mindestlöhne im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV Mindestlohn) vom 3. November 2017 zwischen dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes e.V, dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V. und der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, abrufbar im internetauftritt der SOKA Bau: https://www.soka-bau.de/fileadmin/user_upload/Dateien/Arbeitgeber/tv-mindestlohn.pdf (zuletzt abgerufen: 4. Juni 2019), durch die Zehnte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe vom 19. Februar 2018 auf nichtgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer erstreckt, BAnz AT 27, Februar 2019 V1; einen Überblick über die derzeit geltenden Branchenmindestlöhne bietet das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut in der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) unter: https://www.boeckler.de/wsi-tarifarchiv_50804.htm (letzter Abruf: 4. Juni 2019). 26 Vgl. Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB), Branchenmindestlöhne im Überblick, abrufbar im Internetauftritt des DGB: https://www.dgb.de/schwerpunkt/mindestlohn/hintergrund/branchenmindestloehne (letzter Abruf: 6. Juni 2019). 27 Lakies, Mindestlohngesetz, 4. Auflage 2019, § 13 Rn. 26, vgl. auch Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, 2. Auflage 2017, S. 247, Rn. 36. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 060/19 Seite 10 besonderen Bedeutung der illegalen Beschäftigung im Baugewerbe.28 „Ziel der Regelung ist es, den Hauptunternehmer zu veranlassen, dafür zu sorgen, dass der Nachunternehmer seinen sozialversicherungsrechtlichen Zahlungspflichten nachkommt.“29 Nach § 28e Abs. 3a SGB IV haftet ein Unternehmer des Baugewerbes, welcher einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen im Sinne des § 101 Abs. 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (SGB III) beauftragt, wie ein selbstschuldnerischer Bürge für die Pflicht des Nachunternehmers zur Abgabe von Sozialversicherungsbeiträgen. Nach § 28e Abs. 3d Satz 1 SGB IV beginnt die Haftung nach § 28e Abs. 3a SGB IV aber erst bei einem geschätzten Gesamtwert der beauftragten Bauleistungen in Höhe von 275.000 Euro. Dabei kommt es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht auf den konkreten Auftrag an, für den der Unternehmer haften soll, sondern auf den Gesamtwert aller in Auftrag gegebenen Bauleistungen, unabhängig davon, wer den Auftrag erteilt hat.30 Anders als bei der Nachunternehmerhaftung nach dem Mindestlohngesetz „wird der Hauptunternehmer aber nicht gleichberechtigter Schuldner der Sozialversicherungsbeiträge, sondern es wird nur seine subsidiäre Haftung begründet. Die Ausgestaltung als subsidiäre Haftung zeigt sich deutlich daran, dass eine Aufteilung der Beitragspflicht zwischen Unternehmer- und Nachunternehmer fehlt. Der Hauptunternehmer haftet nur, wenn die Einzugsstelle den Subunternehmer gemahnt hat und die Mahnfrist abgelaufen ist (nach § 28e Abs. 2 Satz 2 SGB IV, auf den die neue Regelung des § 28e Abs. 3a in Satz 2 verweist).“31 Anders als die Haftungsregelung in § 13 MiLoG in Verbindung mit § 14 AEntG bietet § 28e Abs. 3b SGB IV dem Unternehmer eine Exkulpationsmöglichkeit. Danach entfällt die Haftung, wenn der Hauptunternehmer nachweist, dass er ohne eigenes Verschulden davon ausgehen konnte, dass der Nachunternehmer oder ein von ihm beauftragter Verleiher seine Zahlungspflicht erfüllt. Dabei hat er nach der Gesetzesbegründung „nachzuweisen, dass er bei der Auswahl der Nachunternehmer die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Kaufmanns aufgewandt hat.“32 Ein Verschulden des Unternehmers ist nach § 28e Abs. 3b Satz 2 SGB IV ausgeschlossen, soweit und solange er Fachkunde, Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit des Nachunternehmers oder des von diesem beauftragten Verleihers durch eine Präqualifikation nachweist, die die Eignungsvoraussetzungen nach der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen erfüllt. Aus den genannten 28 Gesetzesentwurf der Bundesregierung - Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit, Bundestagsdrucksache 14/8221 vom 11. Februar 2002, S. 1. 29 Gesetzesentwurf der Bundesregierung - Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit, Bundestagsdrucksache 14/8221 vom 11. Februar 2002, S. 15. 30 BSG, Urteil vom 27. Mai 2008 – B 2 U 21/07. 31 Gesetzesentwurf der Bundesregierung - Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit, Bundestagsdrucksache 14/8221 vom 11. Februar 2002, S. 15. 32 Gesetzesentwurf der Bundesregierung - Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit, Bundestagsdrucksache 14/8221 vom 11. Februar 2002, S. 15. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 060/19 Seite 11 Anforderungen für die Präqualifikation lässt sich ableiten, dass es nicht ausreichen wird, lediglich darauf zu verweisen, dass der Subunternehmer dem Auftraggeber erklärt, er habe die Sozialversicherungsbeiträge regelmäßig gezahlt.33 Zudem haben die Auftraggeber auch die Möglichkeit sich von der Einzugsstelle eine aktuelle Unbedenklichkeitsbescheinigung im Sinne des § 28e Abs. 3f SGB IV übergeben zu lassen. Für die Fleischwirtschaft verweist § 3 des am 25. Juli 2017 in Kraft getretenen Gesetzes zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch) auf die Vorschriften des § 28e SGB IV, insbesondere die des § 28e Abs. 3a und 3b SGB IV. Somit gibt es auch für die Fleischwirtschaft eine den Bestimmungen für das Baugewerbe entsprechende Nachunternehmerhaftung hinsichtlich der Sozialversicherungsbeiträge, von denen sich der Unternehmer bei Vorliegen der Voraussetzungen exkulpieren kann. 4. Mindestlohnkontrolle und Wirksamkeit der Nachunternehmerhaftung Dem Unternehmer wird durch die Nachunternehmerhaftung nach § 13 MiLoG in Verbindung mit § 14 AEntG ein großes Risiko auferlegt, da es für ihn keine Exkulpationsmöglichkeit gibt und dadurch das Haftungsrisiko erhöht wird. Eine regelmäßige staatliche Kontrolle der Betriebe hinsichtlich der Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns erscheint vor diesem Hintergrund erforderlich . Für die Prüfung der Einhaltung der Pflicht eines Arbeitgebers nach § 20 MiLoG sind gemäß § 14 MiLoG die Behörden der Zollverwaltung zuständig. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) verfolgt dabei einen ganzheitlichen Prüfansatz, sodass nun bei jeder Überprüfung eines Betriebes neben der Kontrolle der Zahlung von Sozialbersicherungsbeiträgen auch eine Mindestlohnprüfung nach dem Mindestlohngesetz stattfindet. Die Prüfung erfolgt risikoorientiert, aber verdachtsunabhängig . Es finden aber auch Prüfungen nach eingegangenen Hinweisen oder aufgrund von Erkenntnissen von Prüfungen statt.34 Dabei hat die FKS eine Kontrollkompetenz für alle Betriebe mit mindestens einem Arbeitnehmer. Im Jahr 2016 wurden 40.374 Arbeitgeber überprüft, im Jahr 2018 waren es bereits 53.491.35 In der FKS sollen nach Angaben der Bundesregierung in den Haushaltsjahren 2017 bis 2022 insgesamt 1.600 zusätzliche Planstellen eingerichtet werden, die für die Kontrolle des gesetzlichen Mindestlohnes zur Verfügung stehen, sodass es bis zum Jahr 2022 rund 8.600 Planstellen geben soll. 33 Vgl. auch Barkow von Creytz, Mindestlohngesetz, Nachunternehmerhaftung und Beitragsrecht, DStR-Beih 2015, S. 96. 34 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Bundestagsdrucksache 18/7525 vom 15. Februar 2016, S. 1. 35 Generalzolldirektion: Jahresstatistik 2018, März 2019, S. 18. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 060/19 Seite 12 Die Qualität der Prüfungen habe in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesteigert werden können.36 Die Generalunternehmerhaftung für Sozialversicherungsbeiträge in der Bauwirtschaft hat sich nach Ansicht der Bundesregierung als Instrument zur Förderung der Einhaltung gesetzlicher Regelungen im Zusammenhang mit der Erbringung von Bauleistungen unter Einbindung von Nachunternehmern und Verleihern - insbesondere unter dem Aspekt der Eindämmung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung - bewährt. Bezüglich der Generalunternehmerhaftung für Sozialversicherungsbeiträge in der Fleischwirtschaft stünden keine Daten zur Verfügung.37 Nach in der Literatur vertretener Auffassung habe die Nachunternehmerhaftung nach dem Mindestlohngesetz auch zur Folge, dass die Einhaltung des Mindestlohngesetzes faktisch nicht mehr vom Staat kontrolliert werde, sondern diese Kontrolle von den Auftraggebern selbst vorgenommen werden müsse.38 Der Auftraggeber müsse versuchen, sein Haftungsrisiko so niedrig wie möglich zu halten, indem er wie oben beschrieben, einen regen Informationsaustausch mit dem Subunternehmer hält. Dies sei mit einem erhöhten bürokratischen Aufwand für den Generalunternehmer verbunden. Die Gewerkschaft IG Bau und der Zentralverband des Baugewerbes vertreten einem aktuellen Pressebericht zufolge die Auffassung, dass der Zoll noch nicht die Kapazitäten habe, um Betriebe flächendeckend zu kontrollieren. Um das Risiko der sozialversicherungsrechtlichen Nachunternehmerhaftung einzudämmen, habe sich zwar die Unbedenklichkeitsbescheinigung als geeignetes Mittel erwiesen, was aber zu mehr „Zettelwirtschaft“ führe. Auch die Präqualifikation sei ein Mittel, das das Haftungsrisiko wirksam einschränken könne. In der Baubranche werde aber vermehrt versucht, das Gesetz durch Scheinselbstständigkeit oder Ein-Mann-Unternehmen auszuhebeln .39 *** 36 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE., Bundestagsdrucksache 19/2101 vom 14. Mai 2018, S. 5f. 37 Antwort der Bundesregierung auf eine Schriftliche Frage der Abgeordneten Katharina Dröge, Bundestagsdrucksache 19/6511 vom 14. Dezember 2018, S. 81. 38 Barkow von Creytz, Mindestlohngesetz, Nachunternehmerhaftung und Beitragsrecht, DStR-Beih 2015, S. 95. 39 Lamparter, Vom Bau lernen, DIE ZEIT vom 14. März 2019.