© 2018 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 060/17 Fragen zur sozialen Selbstverwaltung Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Kritik an den Sozialwahlen und Reformvorschläge 16 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 060/17 Seite 4 1. Verfassung der Sozialversicherungsträger als öffentlich-rechtliche Körperschaften mit Selbstverwaltung In der Bundesrepublik Deutschland bildet die Sozialversicherung den Schwerpunkt der sozialen Sicherung. Rund 60 Prozent des Sozialbudgets entfallen auf die Leistungen der gesetzlichen Kranken-, Unfall-, und Rentenversicherung einschließlich der Alterssicherung für Landwirte sowie der sozialen Pflegeversicherung.1 Gemeinsame Vorschriften für die einzelnen Zweige der Sozialversicherung regelt das Vierte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Organisatorisch sind die Träger der Sozialversicherung gemäß § 29 SGB IV mitgliedschaftlich verfasste, rechtlich selbständige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung, die ihre Mittel überwiegend durch Beiträge der an ihr beteiligten Personen aufbringen. Beiträge zur Sozialversicherung zahlen in der Regel Arbeitnehmer und Arbeitgeber . Sie sind die Mitglieder der verschiedenen Körperschaften und bestimmen mit dem Institut der Selbstverwaltung denen einer Rechtsperson innewohnenden Willensbildungsprozess. Hierzu finden turnusmäßig Wahlen zu den Selbstverwaltungsorganen der Sozialversicherungsträger , kurz Sozialversicherungswahlen oder auch Sozialwahlen, statt. Sozialversicherungsträger sind die gesetzlichen Krankenkassen, die Berufsgenossenschaften und öffentlichen Unfallversicherungsträger , die Rentenversicherungsträger und landwirtschaftlichen Alterskassen sowie die bei den Krankenkassen errichteten Pflegekassen. Nicht zur Sozialversicherung im engeren Sinne gehören die Arbeitslosenversicherung und andere Aufgaben der Arbeitsförderung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III), auch wenn die Bundesagentur für Arbeit nach § 1 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB IV als Versicherungsträger gilt. Im Hinblick auf die Verfassung, die Zusammensetzung und die Besetzung der Selbstverwaltungsorgane bei der Bundesagentur für Arbeit sind von den übrigen Versicherungsträgern abweichende Regelungen in den §§ 374 ff. SGB III enthalten. Die für mehrere Länder zuständigen Sozialversicherungsträger sind unmittelbare Körperschaften des Bundes, die übrigen unmittelbare Körperschaften der Länder. Sie sind somit nicht Teil der unmittelbaren Staatsverwaltung, sondern werden von den Mitgliedern im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen selbst verwaltet. In Abgrenzung zur kommunalen Selbstverwaltung unterliegen die Sozialversicherungsträger wie Hochschulen und öffentlich-rechtliche Rundfunksender der funktionalen Selbstverwaltung.2 Die Rechtsgrundlagen für die Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger und die Vorbereitung und Durchführung der Sozialwahlen enthalten die §§ 31 ff. SGB IV und die Wahlordnung für die Sozialversicherung (SVWO) sowie die einzelnen Satzungen der Versicherungsträger, in 1 Vgl. Statistisches Jahrbuch 2017. Statistisches Bundesamt, S. 232. 2 Zum Begriff der funktionalen Selbstverwaltung: Kluth, Winfried (1999). Funktionale Selbstverwaltung. Tübingen , Mohr Siebeck, S. 12 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 060/17 Seite 5 denen zum Beispiel die Zahl der Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane, die Wahl der ehrenamtlich beratend tätigen Versichertenältesten beziehungsweise Versicherungsberaterinnen und -berater und der Mitglieder der Widerspruchsausschüsse näher bestimmt werden. 2. Durchführung der Sozialwahlen als Urwahl oder Friedenswahl3 Bei den alle sechs Jahre stattfindenden Sozialwahlen werden die Mitglieder der Verwaltungsräte der gesetzlichen Krankenkassen sowie der Vertreterversammlungen der gesetzlichen Unfall- und Rentenversicherungen und der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) bestimmt. Verwaltungsräte und Vertreterversammlungen wählen ihrerseits die Vorstände und Geschäftsführer der Versicherungsträger, bei der Deutschen Rentenversicherung Bund das Direktorium. Seit 1996 ist die Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung einstufig organisiert. Abb. Selbstverwaltungsorgane in der Sozialversicherung: Im Laufe der Jahrzehnte sind je nach Versicherungszweig und für einzelne Träger besondere Regelungen verabschiedet worden, die auf die jeweiligen Eigenheiten Rücksicht nehmen. Im Allgemeinen gehören den Selbstverwaltungsorganen paritätisch Vertreterinnen und Vertreter der Versicherten und der Arbeitgeber an. Für beide Gruppen ist in den Selbstverwaltungsorganen die 3 Vgl. Kommentar zur Wahlordnung für die Sozialversicherung und Auszug aus dem Vierten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Herausgegeben von der Deutschen Rentenversicherung Bund, Februar 2016, Berlin, S. 7 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 060/17 Seite 6 gleiche Anzahl an Sitzen vorgesehen. Jeder Versicherte hat eine Stimme. Die Stimmenzahl der Arbeitgeber richtet sich nach der Anzahl der versicherten Beschäftigten und beträgt höchstens zwanzig. Grundsätzlich wählen die Versicherten und Arbeitgeber die Vertreter ihrer Gruppen in die Vertreterversammlung beziehungsweise in den Verwaltungsrat aufgrund von Vorschlagslisten. Die Listenwahl ist frei und geheim und jeweils nach den Grundsätzen der Verhältniswahl unter Anwendung des d’Hondtschen Höchstzahlverfahrens durchzuführen. Es gilt wie bei den Wahlen zum Deutschen Bundestag eine Sperrklausel von fünf Prozent. Eine Zusammenlegung mehrerer Vorschlagslisten zu einer Vorschlagsliste und eine Verbindung mehrerer Vorschlagslisten sind zulässig. Verbundene Listen gelten bei der Ermittlung des Wahlergebnisses im Verhältnis zu den übrigen Listen als eine Liste. Der gesamte Wahlvorgang ist abgesehen von der persönlichen Stimmabgabe öffentlich überprüfbar. Wird aus einer Gruppe nur eine Vorschlagsliste zugelassen oder werden auf mehreren Vorschlagslisten insgesamt nicht mehr Bewerber benannt, als Mitglieder zu wählen sind, gelten die Vorgeschlagenen als gewählt. Insoweit kann die Sozialwahl bei den einzelnen Trägern und ihrer jeweiligen Gruppen als Urwahl oder als Wahl ohne Wahlhandlung - der sogenannten Friedenswahl - durchgeführt werden. Urwahlen finden regelmäßig nur bei den großen Ersatzkassen und der Deutschen Rentenversicherung Bund in der Gruppe der Versicherten statt, da bei diesen Trägern im Vorfeld der Wahl mehrere Vorschlagslisten eingereicht werden. Bei der Sozialwahl 2017 kam es auch bei der Deutschen Rentenversicherung Saarland zu einer Urwahl. Ausschlaggebend für die Durchführung der Sozialwahl als Friedenswahl ist immer der Umstand, dass eine Wahlhandlung zum selben Ergebnis führen würde und deshalb unterbleiben kann. Das Verfahren zur Sozialwahl ist streng formalisiert und erstreckt sich über einen Zeitraum von etwa zwei Jahren. Es beginnt mit der Bestellung der Wahlbeauftragten im Bund und den Ländern zum 1. Oktober des zweiten Jahres vor dem Wahljahr und endet mit der vorgeschriebenen öffentlichen Bekanntmachung des endgültigen Wahlergebnisses, nachdem die Vertreterversammlungen beziehungsweise Verwaltungsräte erstmals zusammengetreten sind. Die wichtigsten Abläufe des Wahlverfahrens lassen sich wie folgt beschreiben: In der Wahlankündigung des oder der Bundeswahlbeauftragten wird der Wahltag festgelegt und die Fristen für die Vorschlagsberechtigung bekannt gemacht. Die öffentliche Bekanntmachung im Bundesanzeiger soll bereits bis zum 2. Dezember des zweiten Jahres erfolgen, das dem Wahljahr vorausgeht. Spätestens am 1. April des Jahres vor der Wahl erfolgt die Wahlausschreibung, mit der die Vorschlagsberechtigten zum Einreichen von Vorschlagslisten aufgefordert werden. Vorschlagsberechtigt sind vor allem Gewerkschaften und sonstige Arbeitnehmervereinigungen sowie deren Verbände, Vereinigungen von Arbeitgebern sowie deren Verbände. Versicherte und Arbeitgeber haben aber auch die Möglichkeit, freie Listen vorzuschlagen, wenn sie eine bestimmte Anzahl von Unterstützern vorweisen können. Nicht gewerkschaftlich oder in einer Arbeitnehmervereinigung organisierte Versicherte benötigen abhängig von der Größe des Versicherungsträgers bis zu 2.000 Unterstützerunterschriften, welches eine recht hohe Hürde darstellt. Freie Listen stehen aber auch nur vereinzelt zur Wahl, weil aufgrund des Sozialdatenschutzes nicht bekannt ist, wer bei welchem Versicherungsträger versichert ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 060/17 Seite 7 Über die Vorschlagsberechtigung und die Zulassung von Vorschlagslisten entscheiden die bei den Versicherungsträgern eingerichteten Wahlausschüsse spätestens 142 Tage vor dem in der Wahlankündigung festgelegten Wahltag. Bis zum 107. Tag vor dem Wahltag gibt der Wahlausschuss im Falle einer Friedenswahl öffentlich bekannt, wer als gewählt gilt. Wird eine Urwahl durchgeführt, erhalten die Listenträger die Gelegenheit zur Selbstdarstellung. Die Deutsche Rentenversicherung Bund versendet zu diesem Zweck an ihre Versicherten ein zusätzliches Wahlvorankündigungsschreiben . Seit 1974 wird die Sozialwahl als Briefwahl durchgeführt. Die Briefwahlunterlagen werden frühestens am 51. und spätestens am 20. Tag vor dem Wahltag versandt. Die Rücksendung der Wahlbriefe mit den Stimmzetteln muss bis zum Wahltag erfolgt sein. Nach der Auszählung der Stimmen der Urwahl finden spätestens fünf Monate nach dem Wahltag die konstituierenden Sitzungen der Verwaltungsräte und Vertreterversammlungen statt, in denen die Vorstände und Geschäftsführer beziehungsweise das Direktorium der Deutschen Rentenversicherung Bund gewählt werden. Damit findet der sogenannte Wahlkalender seinen Abschluss. 3. Ursprung und Entwicklung der sozialen Selbstverwaltung4 Vorläufer der sozialen Selbstverwaltung waren bereits vor Jahrhunderten die Knappschaften der Bergleute sowie freiwillige Kranken- und Begräbniskassen. Für die Träger der in den 1880er Jahren nacheinander eingeführten Kranken-, Unfall- und Invalidenversicherung der Arbeiter sah die Bismarck’sche Sozialgesetzgebung die Beteiligung der Versicherten und Arbeitgeber durch Vertreter in Ausschüssen und anderen Organen vor. Dabei existierten deutlich mehr Träger, insbesondere Krankenkassen, als heute. So gab es 1890 rund 13.000 selbstverwaltete Kassen gegenüber nur noch 112 im Oktober 2017.5 Die Wahl von Vertretern war zunächst über Delegierte und auch in Vollversammlungen der Mitglieder vorgesehen. Je nach finanzieller Beteiligung wurden Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter gewählt. Ab 1913 sah die Reichsversicherungsordnung für die Sozialwahl das Verhältniswahlrecht über Listen und gegebenenfalls auch Friedenswahlen vor. Im Jahre 1928 galten etwa 80 Prozent der Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane als gewählt. Wahlen fanden jedoch nur in der Krankenversicherung statt. Die Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter der Krankenkassen wählten ihrerseits die Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane der anderen Sozialversicherungszweige , zu denen ab 1913 die Rentenversicherung der Angestellten hinzutrat. 4 Vgl. Ayaß, Wolfgang (2013). Zur Geschichte der Sozialwahlen. In: Soziale Sicherheit, Zeitschrift für Arbeit und Soziales, 62, 12, S. 422 - 426. 5 Vgl. Internetseite des GKV-Spitzenverbands: Startseite > Krankenversicherung > Grundprinzipien > Die gesetzlichen Krankenkassen. Abrufbar im Internet unter https://www.gkv-spitzenver-band.de/krankenversicherung /kv_grundprinzipien/alle_gesetzlichen_krankenkassen/alle_gesetzlichen_krankenkassen.jsp, zuletzt abgerufen am 27. November 2017. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 060/17 Seite 8 Während der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wurde die soziale Selbstverwaltung zwar formal beibehalten, jedoch faktisch durch das Führerprinzip ersetzt.6 Die ersten Sozialwahlen nach dem Zweiten Weltkrieg fanden nach Inkrafttreten des Gesetzes über die Selbstverwaltung und über Änderungen von Vorschriften auf dem Gebiet der Sozialversicherung vom 22. Februar 1951 im Jahre 1953 statt. Bis zur Einführung der Sozialgerichtsbarkeit mit dem Sozialgerichtsgesetz (SGG) vom 3. September 1953 erfolgte auch die Erledigung von Streitsachen dem Grundsatz der Gewaltenteilung entgegenstehend innerhalb der Sozialverwaltung, allerdings unter Mitwirkung von Vertretern der Versicherten und Arbeitgeber. Dem deutlichen Rückgang der Wahlbeteiligung wurde 1974 durch die Einführung der Briefwahl begegnet. Seit der Sozialwahl 1999 liegt die Wahlbeteiligung dennoch unter 40 Prozent. Das zum 1. Juli 1977 in Kraft getretene SGB IV, in dem die allgemeinen Regelungen zur Sozialversicherung kodifiziert worden sind, hat die Regelungen zur sozialen Selbstverwaltung und der Sozialwahl im Wesentlichen übernommen. Wahltag für die letzten Sozialwahlen war der 31. Mai 2017. Wegen der zum 1. Januar 2017 vollzogenen Fusion der BARMER GEK mit der Deutschen Betriebskrankenkasse zur BARMER fand die Urwahl dort am 4. Oktober 2017 statt. Der Schlussbericht der Bundeswahlbeauftragten für die Sozialversicherungswahlen 2017 wird noch erarbeitet. 7 4. Bedeutung der Sozialwahlen Als Möglichkeit demokratischer Mitbestimmung für einen großen Teil der Bevölkerung gilt der Entwicklung der Anzahl der Versicherungsträger, bei denen anlässlich der Sozialwahlen in der Gruppe der Versicherten eine Urwahl durchzuführen war, besonderes Augenmerk. Allerdings lassen sich hieraus keine Rückschlüsse auf die Anzahl der tatsächlich Wahlberechtigten für Urwahlen ziehen. Insbesondere bei den großen Ersatzkrankenkassen und der Deutschen Rentenversicherung Bund - der früheren Bundesversicherungsanstalt für Angestellte - mit ihren großen Mitgliederzahlen fanden kontinuierlich Wahlen mit Wahlhandlung statt. Die Entwicklung der Anzahl der Träger mit Urwahl ist auch gekennzeichnet vom stetigen Rückgang der Anzahl der Träger überhaupt. Insbesondere die Anzahl der Krankenkassen hat sich, wie bereits erwähnt, im Laufe der Jahre ständig reduziert. Waren es 1970 noch 1815 Krankenkassen, hatte sich 1990 die Anzahl bereits auf 1147 reduziert. Im Jahr 2000 waren es noch 420. Derzeit gibt es nur noch 112 Kassen. Auch in der Renten- und Unfallversicherung hat sich die Anzahl der Versicherungsträger deutlich reduziert. 6 U.a. Kluth, Winfried (1999). Funktionale Selbstverwaltung. Tübingen, Mohr Siebeck, S. 191. 7 Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 060/17 Seite 9 Heute existieren in Deutschland folgende Sozialversicherungsträger: 2 Verbundträger für mehrere Sozialversicherungszweige (Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See und SVLFG), 110 Krankenkassen und dort angesiedelte Pflegekassen,8 15 Rentenversicherungsträger (Deutsche Rentenversicherung Bund und Regionalträger),8 33 gewerbliche Berufsgenossenschaften, Gemeindeunfallversicherungsverbände und andere öffentliche Unfallkassen. Lediglich bei den großen Ersatzkassen (BARMER, DAK-Gesundheit, Techniker Krankenkasse, KKH - Kaufmännische Krankenkasse, hkk - Handelskrankenkasse), der BKK RWE, der Deutschen Rentenversicherung Bund und erstmals seit 1968 wieder bei einem Regionalträger, der Deutschen Rentenversicherung Saarland, waren im Jahr 2017 in der Gruppe der Versicherten Urwahlen durchzuführen, da von den jeweiligen Wahlausschüssen mehr als eine Vorschlagsliste zugelassen worden sind.9 Als Versicherte sind potentiell wahlberechtigt bei den Krankenkassen deren Mitglieder, also nicht die familienversicherten Ehepartner und Kinder, bei den Unfallversicherungsträgern die dort aufgrund einer Tätigkeit versicherten Personen und bestimmte Bezieher von Unfallrenten, bei den Rentenversicherungsträgern die versicherten Personen, die eine Versicherungsnummer erhalten oder beantragt haben, und die Bezieher von Versichertenrenten, also nicht die Bezieher von Hinterbliebenenrenten ohne eigene Versicherteneigenschaft. Zur Gruppe der Versicherten gehören in der gesetzlichen Krankenversicherung rund 56 Millionen Mitglieder. In der gesetzlichen Rentenversicherung zählen hierzu rund 74 Millionen und in der gesetzlichen Unfallversicherung rund 63 Millionen Versicherte und Rentenbezieher.10 Die genaue Anzahl der insgesamt potentiell wahlberechtigten Versicherten der Sozialversicherungsträ- 8 Ohne Knappschaft und SVLFG. 9 Bundeswahlbeauftragte für die Sozialversicherungswahlen: Ergebnisse der Sozialwahlen 2017. Abrufbar im Internet unter http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Thema-Soziale-Sicherung/Sozialwahlen/wahlergebnisse -sozialwahlen-2017.pdf;jsessionid=449EE18553BE5964D4C8F546C102839E?__blob=publication- File&v=5, zuletzt abgerufen am 27. November 2017. 10 Vgl. Internetseite des GKV-Spitzenverbands: Startseite > Über uns > Presse > Zahlen und Grafiken: Abrufbar im Internet unter https://www.gkv-spitzenverband.de/media/grafiken/gkv_kennzahlen/kennzahlen _gkv_2017_q2/160dpi_13/GKV-Kennzahlen_MitgliederVersicherte_2017.jpg, Jahresbericht 2016 der Deutschen Rentenversicherung, S. 65, 66. Abrufbar im Internet unter http://www.deutsche-rentenversicherung .de/Allgemein/de/Inhalt/5_Services/03_broschueren_und_mehr/02_fachliteratur/jahresbericht_download .pdf?__blob=publicationFile&v=35, DGUV Spitzenverband > Start >Zahlen und Fakten > Versicherte und Unternehmen > Versicherte. Abrufbar im Internet unter http://www.dguv.de/de/zahlen-fakten/versicherte-unternehmen /versicherte/index.jsp, zuletzt abgerufen am 27. November 2017. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 060/17 Seite 10 ger wird in den Statistiken nicht ausgewiesen. Die Anzahl der tatsächlich für eine Urwahl wahlberechtigten Versicherten hängt von der Anzahl der jeweiligen Versicherungsträger ab, bei denen mehrere Vorschlagslisten eingereicht und zugelassen worden sind. Da ein und dieselbe Person bei mehreren Trägern versichert und wahlberechtigt sein kann, ist die Bestimmung der Anzahl der Versicherten, die bei einer Friedenswahl von der Wahlhandlung ausgeschlossen ist, nicht ohne weiteres möglich. So kann beispielsweise ein Versicherter sowohl bei der Deutschen Rentenversicherung Bund als auch bei einer Krankenkasse wahlberechtigt sein. Auch ist denkbar, dass eine Stimmabgabe nur in einem oder gar keinem Sozialversicherungszweig vorgesehen ist. Nur vereinzelt, zuletzt im Jahre 1974, fanden Urwahlen auch in der Gruppe der Arbeitgeber statt. In der nur in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung bestehenden Gruppe der Selbständigen ohne fremde Arbeitskräfte war 2017 eine Urwahl zur Vertreterversammlung der SVLFG durchzuführen . Die SVLFG hatte entschieden, die Sozialwahl 2017 nur in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung durchzuführen.11 Aufgrund dessen gehört die Gruppe der Bezieher von Leistungen der Alterssicherung der Landwirte, die nicht mehr der Unfallversicherung unterliegen, nicht zum Kreis der Wahlberechtigten.12 Die Anzahl der Träger, bei denen in der Gruppe der Versicherten eine Urwahl stattgefunden hat, der hierzu Wahlberechtigten und der Wahlbeteiligung hat sich seit 1953 wie folgt entwickelt: 13 Tabelle: Entwicklung der Anzahl der Träger mit Urwahl in der Gruppe der Versicherten: 1953 1958 1962 1968 1974 1980 1986 1993 1999 2005 2011 2017 Krankenkassen 5 9 25 31 35 41 28 23 13 6 7 6 Unfallversicherungsträger - 1 2 7 1 7 5 3 1 1 2 - Rentenversicherungsträger (inkl. Knappschaften ) 4 8 11 13 1 1 2 1 1 1 1 2 Gesamt 9 18 38 51 37 49 35 27 15 8 10 8 11 Pressedienst der SVLFG vom 13. Februar 2017. Abrufbar im Internet unter http://www.svlfg.de/63- presse/pres03/00_pres_pdf_2017/18_2017.pdf, zuletzt abgerufen am 28. November 2017. 12 Näher hierzu: Deutscher Bundestag (2017): Fragen zur Selbstverwaltung der landwirtschaftlichen Sozialversicherung . Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Az. WD 6 - 3000 - 028-17, Berlin. Abrufbar im Internet unter https://www.bundestag.de/blob/511134/6993272f44272d8c47acc1dcbe8b528f/wd-6-028-17-pdfdata .pdf, zuletzt abgerufen am 28. November 2017. 13 Schlussbericht des Bundeswahlbeauftragten für die Sozialversicherungswahlen 2011, S. 33. Abrufbar im Internet unter http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen-DinA4/a411-schlussbericht-sozialwahlen -2011.pdf?__blob=publicationFile, S. 33, zuletzt abgerufen am 27. November 2017. Zahlen für 2017 vgl. Fn. 9. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 060/17 Seite 11 Tabelle: Entwicklung der Anzahl der für eine Urwahl Wahlberechtigten und der Wahlbeteiligung :14 1953 1958 1962 1968 1974 1980 1986 1993 1999 2005 2011 2017 Wahlberechtigte in Mio. 5,2 10,3 16,7 28,9 23,0 32,8 35,3 45,6 46,9 44,2 49,7 50,8 Wahlbeteiligung in % 42,4 27,5 26,2 20,5 43,7 43,8 43,9 43,5 38,4 30,8 30,2 30,4 5. Entschädigung der ehrenamtlich Tätigen Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane15 Die Entschädigung der in der sozialen Selbstverwaltung ehrenamtlich Tätigen ist in § 41 SGB IV geregelt. Danach haben Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane neben dem Verdienstausfall Anspruch auf Erstattung ihrer Auslagen beispielsweise für Fahrt- und Übernachtungskosten, Parkund Telefongebühren. Gemäß § 69 Abs. 2 SGB IV müssen die Ausgaben nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit notwendig und der Höhe nach angemessen sein. Die Versicherungsträger können unter anderem Tage- und Übernachtungsgelder als feste Sätze vorgeben. Die von DGB und BDA formulierte Gemeinsame Empfehlung für die Entschädigung der Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane in der Sozialversicherung wird in der Regel von den Versicherungsträgern übernommen.16 Die Höhe der für die Erstattung der Auslagen gewährten Tage- und Übernachtungsgelder richtet sich danach nach dem für hauptamtlich Tätige geltenden Regelungen . Gemäß §§ 6 und 7 des Bundesreisekostengesetzes (BRKG) i.V.m. § 9 Abs. 4a Satz 3 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) betragen die Tagegelder für die Verpflegung 24 Euro und die Übernachtungsgelder 20 Euro. Darüber hinaus kann den Mitgliedern der Selbstverwaltungsorgane für den Zeitaufwand bei Teilnahme an Sitzungen ein Pauschbetrag als sogenanntes Sitzungsgeld gewährt werden. Für Sitzungen werden nach der Gemeinsamen Empfehlung von DGB und BDA an jedes Mitglied der Selbstverwaltungsorgane unabhängig von der Sitzungsdauer höchstens 70 Euro je Sitzungstag erstattet. Vorsitzende und stellvertretende Vorsitzende von Ausschüssen der Organe erhalten bei Sitzungen ihres Ausschusses den doppelten Betrag. Wegen der besonderen Inanspruchnahme der Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden der Selbstverwaltungsorgane ist für diese auch für eine Tätigkeit außerhalb von Sitzungen bei den einzelnen Versicherungsträgern ein Pauschbetrag für den Zeitaufwand vorgesehen. Dieser 14 Fn. 13, S. 35, 36. Zahlen für 2017 vgl. Fn. 9. 15 Vgl. Fn. 3, S. 312 ff. 16 Gemeinsame Empfehlung von DGB und BDA für die Entschädigung der Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane in der Sozialversicherung Handbuch für institutionelle Zusammenarbeit (2017), herausgegeben vom Selbstverwaltungsbüro der Deutschen Rentenversicherung Bund, Berlin, S. 37. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 060/17 Seite 12 beträgt nach der Gemeinsamen Empfehlung von DGB und BDA je nach Anzahl der Versicherten des Trägers zwischen dem zwei bis zehnfachen des für einen Sitzungstag vorgesehenen Betrags für Vorsitzende des Vorstands beziehungsweise des Verwaltungsrats und bis zum zweifachen des für einen Sitzungstag vorgesehenen Betrags für Vorsitzende der Vertreterverssammlung. Ferner können den Vorsitzenden der Organe Auslagen außerhalb von Sitzungen, mit Ausnahme von Reisekosten, auch durch einen Pauschbetrag abgegolten werden. Dieser beträgt für Vorsitzende eines Vorstands, Verwaltungsrats oder Aufsichtsrats monatlich zwischen 27 Euro und 81 Euro und für Vorsitzende der Vertreterversammlung monatlich zwischen 14 Euro und 41 Euro. Die Höhe der festen Sätze für Tage- und Übernachtungsgelder und für Pauschbeträge bedarf der Genehmigung der Aufsichtsbehörde. Für bundesunmittelbare Versicherungsträger obliegt die Aufsicht dem Bundesversicherungsamt, sonst den nach Landesrecht bestimmten Behörden. 6. Vergütung der Vorstandsmitglieder der Krankenkassen Die administrative Organisation der gesetzlichen Krankenversicherung orientiert sich an der von Aktiengesellschaften. Der Verwaltungsrat entspricht etwa dem Aufsichtsrat, dem der hauptamtliche Vorstand gegenüber verantwortlich ist. Insoweit weichen die Selbstverwaltungsorgane der Orts-, Betriebs-, und Innungskrankenkassen sowie der Ersatzkassen (Techniker Krankenkasse, BARMER, DAK-Gesundheit, KKH Kaufmännische Krankenkasse, hkk - Handelskrankenkasse und HEK - Hanseatische Krankenkasse) von denen der übrigen Sozialversicherungsträger ab. Hintergrund ist die mit der einstufigen Selbstverwaltung ebenfalls 1996 eingeführte Wahlfreiheit und der Wettbewerb innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung. Damit sollte den gestiegenen Anforderungen an Entscheidungsfähigkeit, Kompetenz und Flexibilität der Führungsspitze der Krankenkassen Rechnung getragen werden.17 Außer den genannten Krankenkassen übernehmen lediglich die Knappschaft-Bahn-See und die SVLFG, deren Vorstände ehrenamtlich tätig sind, Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung. Neben der Neuregelung der Selbstverwaltung wurden auch die bis dahin teilweise am Beamtenrecht orientierten Vergütungsregelungen für die Geschäftsführer der Krankenkassen aufgegeben. Seitdem erfolgt die Vergütung des hauptamtlichen Vorstands auf vertraglicher Grundlage. Hierdurch soll die Gewinnung von qualifizierten Personen für die Tätigkeit als Manager ermöglicht werden.18 Gemäß § 35a Abs. 6a SGB IV bedürfen die Vorstandsdienstverträge zu ihrer Wirksamkeit der vorherigen Zustimmung der Aufsichtsbehörde. Die Vergütung der Mitglieder des Vorstandes hat in angemessenem Verhältnis zum Aufgabenbereich, zur Größe und zur Bedeutung der Krankenkasse zu stehen. Dabei ist insbesondere die Zahl der Mitglieder der Körperschaft zu berücksichtigen. 17 Bundestags-Drucksache 12/3608, S. 75. 18 Fn. 17, S. 128. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 060/17 Seite 13 Diese seit 2013 bestehende Regelung weist Parallelen zu den in § 87 Aktiengesetz geregelten Grundsätzen für die Bezüge der Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften auf.19 Die Entscheidung über Abschluss, Verlängerung oder Änderung eines Vorstands- bzw. Geschäftsführervertrages trifft nach § 33 Abs. 3 SGB IV der Verwaltungsrat. Dieser schließt in Vertretung der Krankenkasse den Dienstvertrag mit dem Vorstandsmitglied ab. Die Aufsichtsbehörden der Sozialversicherungsträger bewerten vor der Vertragsunterzeichnung im Rahmen der Prüfung ihrer Zustimmung die Wirtschaftlichkeit von Vorstandsdienstverträgen anhand der Spannbreite der Vergütungen, die die Krankenkassen vergleichbarer Größe für die Vergütungen ihrer Vorstände aufwenden und jährlich im Bundesanzeiger veröffentlichen.20 Danach betragen die jährlichen Grundvergütungen des ersten Vorstandsmitglieds aktuell bei Krankenkassen mit bis zu 25.000 Versicherten bis zu 130.000 Euro, 25.000 bis 150.000 Versicherten bis zu 185.000 Euro, 150.000 bis 500.000 Versicherten bis zu 205.000 Euro, über 500.000 Versicherten bis zu 315.000 Euro.21 Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts steht den Versicherungsträgern bei Anwendung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ein gehöriger Einschätzungsspielraum zu, welche die Aufsichtsbehörde zu respektieren hat. Lediglich eindeutige Grenzüberschreitungen dürften von der Aufsichtsbehörde als rechtswidrig beanstandet werden. Andererseits hat der Gesetzgeber der Aufsichtsbehörde durch die Regelung eines Zustimmungsvorbehalts besondere Einwirkungsmöglichkeiten eröffnet, um ihr die Sicherstellung einer die Belange der Versichertengemeinschaft und der staatlichen Sozialversicherung als Ganzes berücksichtigenden sach- und funktionsgerechten Aufgabenerfüllung durch den Sozialversicherungsträger zu ermöglichen . Die Aufsichtsbehörde habe hierzu unter Einbeziehung aller Vergütungsbestandteile allgemeine Bewertungsmaßstäbe zu entwickeln, mit denen sie die Rechtsbegriffe der Wirtschaftlich- 19 Andelewski, Utz und Steinbring, Kristin (2014): Angemessenheit von Vorstandsvergütungen und Vorlagepflicht für Vorstandsverträge. In: Kranken- und Pflegeversicherung - Rechtspraxis im Gesundheitswesen. S. 142 ff. 20 Vgl. Arbeitspapier der Aufsichtsbehörden der Sozialversicherungsträger Vorstands- und Geschäftsführervergütungen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung (Stand 22. März 2016). Abrufbar im Internet unter http://www.bundesversicherungsamt.de/fileadmin/redaktion/Personal%20u%20Verwaltung%20der%20Traeger %20-%20Selbstverwaltung/Personal-%20und%20Verwaltungsangelegenheiten/Vorstandsverguetung/Arbeitspapier _Stand_22.3.16_01.pdf, zuletzt abgerufen am 30. November 2017. 21 Vom Bundesversicherungsamt aus den im Bundesanzeiger veröffentlichten Grundvergütungen erstellte Trendlinien für das Jahr 2017. Abrufbar im Internet unter http://www.bundesversicherungsamt.de/fileadmin/redaktion /Personal%20u%20Verwaltung%20der%20Traeger%20-%20Selbstverwaltung/Personal-%20und%20Verwaltungsangelegenheiten /Vorstandsverguetung/Trendlinien_2017.pdf, zuletzt abgerufen am 30. November 2017. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 060/17 Seite 14 keit und Sparsamkeit in einer bestimmten, für alle Anwendungsfälle maßgeblichen Weise konkretisiert und so die Grundlage für eine einheitliche Genehmigungspraxis schafft. Dabei hat sie ihrerseits einen Beurteilungsspielraum der nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist.22 Aus den Rechnungsergebnissen der gesetzlichen Krankenversicherung geht der Anteil der Vergütungen der hauptamtlichen Vorstandsmitglieder an den Verwaltungsausgaben nicht hervor, da sie zusammen mit den Vergütungen der Arbeitnehmer aber ohne die Dienstbezüge der Beamten und Dienstordnungsangestellte ausgewiesen werden.23 7. Die Friedenswahl als Wahl ohne Wahlhandlung im demokratischen Staatsgefüge Im Gegensatz zur kommunalen Selbstverwaltung, der in Art. 28 Abs. 2 GG Verfassungsrang zukommt , ergibt sich die soziale Selbstverwaltung aus dem Grundgesetz nur indirekt in den Festlegungen zur Bundesverwaltung: Über drei Länder zuständige Sozialversicherungsträger sind gemäß Art. 87 Abs. 2 GG als bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechtes zu führen , welches einen Grundbestand an Selbstverwaltung der ihr unterstellten Personen beinhaltet.24 Die Durchführung der Sozialwahlen ist dabei das wichtigste Instrument der Begründung und Vermittlung demokratischer Legitimation. In der Gruppe der Arbeitgeber wurden die Selbstverwaltungsorgane im Zuge der letzten sieben Sozialwahlen ausschließlich und in der Gruppe der Versicherten bei den meisten Trägern ohne Wahlhandlung, also durch Friedenswahlen, besetzt. Eine einer demokratischen Wahl zugrunde liegende Entscheidung der Wahlberechtigten zwischen mehreren Möglichkeiten findet dort also nicht statt. Ob dies dem vom Grundgesetz vorgegebenen Demokratieprinzip entspricht, ist umstritten . Gemäß Art. 20 Abs. 2 GG geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Die Ausübung staatlicher Gewalt setzt nach dem Demokratieprinzip eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zur Gewalt ausübenden Person voraus. Die Besetzung staatlicher Organe erfolgt daher grundsätzlich mit direkt oder indirekt vom Volk gewählten Personen. Dies ist bei den Sozialversicherungsträgern im Rahmen der funktionalen Selbstverwaltung nur der Fall, soweit bei den Sozialwahlen eine Wahlhandlung stattgefunden hat. Die Friedenswahlen können insoweit als Ausnahme vom Demokratieprinzip angesehen werden. 22 Urteile des Bundessozialgerichts vom 9. Dezember 1997, Az.: 1 RR 3/94 und vom 28. Juni 2000, Az.: B 6 KA 64/98 R. 23 Bundesministerium für Gesundheit: Gesetzliche Krankenversicherung - Vorläufige Rechnungsergebnisse 1.-2. Quartal 2017, S. 12. Abrufbar im Internet unter https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien /3_Downloads/Statistiken/GKV/Finanzergebnisse/KV45_1-2_Quartal_2017.pdf, zuletzt abgerufen am 6. Dezember 2017. 24 Grundgesetz Kommentar. Maunz/Dürig/Lerche, 62. EL Mai 2011, GG Art. 87 Rn. 159, beck-online. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 060/17 Seite 15 Das Bundessozialgericht hat diese Ausnahme vom Demokratieprinzip als verfassungsgemäß anerkannt , weil die Friedenswahl mit dem Grundgesetz und den in ihm enthaltenen Wertentscheidungen vereinbar ist.25 Die historisch gewachsene Organisationsform der funktionalen Selbstverwaltung ist auch vom Bundesverfassungsgericht als vorkonstitutionelles, etabliertes Recht und damit als verfassungsgemäß angesehen worden. Danach sei das Demokratiegebot außerhalb der unmittelbaren Staatsverwaltung und der gemeindlichen Selbstverwaltung - also in der funktionalen Selbstverwaltung - offen für Formen der Organisation und Ausübung von Staatsgewalt, die vom Erfordernis lückenloser personeller demokratischer Legitimation aller Entscheidungsbefugten abweichen.26 Im Schrifttum wird die Friedenswahl ebenfalls meist als zulässig angesehen.27 Friedenswahlen finden ihre Rechtfertigung dahingehend, dass der sozialen Selbstverwaltung staatliche Aufgaben zugewiesen sind, die nicht das Staatsvolk als solches, sondern die beitragspflichtigen Versicherten und ihre Arbeitgeber betreffen. Diese sind auch im Falle der Friedenswahlen durch die Beteiligung ihrer Interessenvertretungen oder - soweit ausreichend Unterschriften von Unterstützern vorliegen - durch die Zulassung von freien Listen hinreichend beteiligt. Eine Wahlhandlung ist im Gegensatz zur kommunalen Selbstverwaltung auch nicht vom Grundgesetz vorgegeben. Das Fehlen der demokratischen Legitimation der durch Friedenswahl bestellten Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane bleibt rechtlich ohne Folgen, da der Gesetzgeber sich auch für andere Verwaltungsformen der Sozialversicherung hätte entscheiden können. So wäre auch ein Berufungsverfahren analog zur Selbstverwaltung der Bundesagentur für Arbeit gemäß § 377 SGB III denkbar. Soweit die bisherige Rechtsprechung für überholt und die Friedenswahlen wegen des Demokratiedefizits und wegen des Verstoßes gegen Wahlgrundsätze wie die Wahlgleichheit oder die Wahlfreiheit für verfassungswidrig gehalten werden, wird eine Ausweitung der Urwahlen vorgeschlagen . 28 Auch der Bundesrechnungshof hat in seinen Bemerkungen 2007 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes erhebliche Legitimationsdefizite des Verfahrens der Sozialversicherungswahlen aufgeführt und insbesondere die Friedenswahlen, die Aufstellung der Listen und die Neubesetzung ausgeschiedener Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane kritisiert.29 25 Urteile des Bundesozialgerichts vom 15. November 1973 - Az. 3 RK 57/72 - und vom 23. April 1975 - Az. 2/8 RU 62/73 -. 26 Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Dezember 2002, Az. 2 BvL 5/98 und 2 BvL 6/98. 27 U.a. Seewald, Ottfried (2006): Gibt es noch eine Selbstverwaltung in der Unfallversicherung? Sozialgerichtsbarkeit , S. 569 ff.; Zabre, Bernd-Rainer (2014). Kommentar zum SGB IV, Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung , herausgegeben von Dr. Ralf Kreikebohm. § 46 Rn. 1-10, 2. Auflage, Beck-Online. 28 U.a. Wimmer, Raimund (2004): Friedenswahlen in der Sozialversicherung - undemokratisch und verfassungswidrig . NJW, S. 3369 ff.; Jung, Ottfried (2007): Die demokratische Legitimation der Selbstverwaltung und der Sozialwahlen in einer sich verändernden Sozialversicherungslandschaft. Sozialgerichtsbarkeit, S. 65 ff.; Schmähl, Winfried (2010): Voraussetzungen für eine erfolgreiche Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, in: Wirtschaftsdienst, 7/2010, S. 474 ff. Weiß, Peter (2010): Wahlhandlung als Regelfall, in: Gesellschaftspolitische Kommentare Nr. 4/11, S. 10 f. 29 Bundestags-Drucksache 16/7100, S. 165 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 060/17 Seite 16 Gegen die Ausweitung von Urwahlen und damit die Beibehaltung der Friedenswahlen wird hervorgebracht , dass die Wahlberechtigten weder Kenntnis über die Arbeit der Sozialversicherungsträger hätten, noch die Vorschlagslisten personell oder programmatisch richtig beurteilen könnten . Die von den Gewerkschaften, sonstigen Arbeitnehmervereinigungen und den Vereinigungen von Arbeitgebern sowie deren Verbänden auf den Listen vorgeschlagenen Vertreter verfügten als aktive Vertreter spezifischer gesellschaftlicher Interessen über eine hohe Sachkompetenz. Die Sozialpartner haben sich - als Nutznießer der Friedenswahlen - gegen eine Ausweitung der Urwahlen positioniert.30 Im Gegensatz zu politischen Wahlen fehle es bei den Sozialwahlen an kontroversen Wahlkampfthemen, mit denen die Vertreter der Vorschlagslisten werben könnten. Auch wegen des geringen Interesses der Wahlberechtigten könne auf Urwahlen, die eine bloße Förmlichkeit darstellten, verzichtet werden. 8. Kritik an den Sozialwahlen und Reformvorschläge Regelmäßig in den Wahljahren wird Kritik an der sozialen Selbstverwaltung laut. Ihr werden in Anbetracht der hohen Kosten der Sozialwahlen fehlende Bekanntheit, nur sehr eingeschränkte Gestaltungskompetenzen und mangelnde Professionalität der Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane und häufig auch die unzureichende Legitimation der Friedenswahlen vorgeworfen. Dabei wird jedoch in unzulässiger Weise außer Acht gelassen, dass die Kosten der Sozialwahl gerade nicht durch die Friedenswahl, sondern durch die als Briefwahl durchzuführende Urwahl verursacht werden. Bei der letzten Sozialwahl 2011 lagen die Kosten pro Wahlberechtigtem unter einem Euro, insgesamt waren 46,3 Millionen Euro aufzuwenden.31 Es erscheint zweifelhaft, ob höhere Kosten durch eine verpflichtende Urwahl nach der heutigen Bedeutung der Selbstverwaltung zu rechtfertigen wären. Denn im Verlauf der letzten Jahrzehnte ist der Einfluss der sozialen Selbstverwaltung in allen Bereichen gesunken, weil ihr der Staat zunehmend Kompetenzen entzogen hat. Viele Leistungen wurden bis ins Detail vom Gesetzgeber vorgeschrieben und echte Gestaltungsmöglichkeiten für die Selbstverwaltung begrenzt. Dies steht im Widerspruch zum Prinzip der Selbstverwaltung, wonach die Organmitglieder die Willensbildung ihres Versicherungsträgers beeinflussen und im Rahmen gesetzlicher Vorgaben maßgeblich auf Art, Inhalt und Umfang von Leistungen Einfluss nehmen sollen.32 Aus den ersten Schlussfolgerungen zu den Sozialwahlen 2017 geht hervor, dass die seit Jahren geringe Wahlbeteiligung bei den Urwahlen auf das zu komplizierte Wahlverfahren zurückzuführen sei. Viele Menschen könnten die Inhalte, um die es geht, nur sehr schwer erfassen und die 30 Gemeinsame Stellungnahme von BDA und DGB zum Sozialwahlbericht 2011. Abrufbar im Internet unter file://parlament/Benutzer/verbraunre/_unverschluesselt/Benutzerprofil/Desktop/Stellungnahme-von-DGB-und- BDA-Selbstverwaltung-staerken-Sozialwahlen-modernisieren.pdf, zuletzt abgerufen am 14. Dezember 2017. 31 Fn. 13, S. 20; Wahlbüro der Sozialwahl 2017 bei der Deutschen Rentenversicherung Bund. Abrufbar im Internet unter https://www.sozialwahl.de/ihre-fragen/unsere-antworten/welche-kosten-entstehen-bei-der-sozialwahl/ zuletzt abgerufen am 14. Dezember 2017. 32 Leopold, Dieter (2012): Von Friedenswahlen zu echten Sozialwahlen. In: Soziale Sicherheit, 10/2012, S. 349 mit weiteren Nachweisen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 060/17 Seite 17 Akteure nicht eindeutig voneinander unterscheiden. Von den Gewerkschaften wird außerdem beanstandet, dass Vorschlagslisten den Namen des Versicherungsträgers führen. So wären die Vorschlagslisten BfA DRV-Gemeinschaft, TK-Gemeinschaft, BARMER Versichertengemeinschaft und anderer Versicherten- und Rentnervereinigungen bei der Durchführung von Urwahlen allein wegen der Namensnennung unangebracht bevorzugt.33 Die kritische Betrachtung der Sozialwahlen ist jedoch nichts Neues. Im Vergleich zu früheren Sozialwahlen haben die Medien im Jahr 2017 deutlich weniger ablehnend berichtet, obwohl die Kritikpunkte und auch Vorschläge zu deren Behebung seit Jahren bekannt sind. Bereits im von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen im Jahre 2008 vorgelegten Gutachten zur Modernisierung der Sozialversicherungswahlen werden nicht zuletzt verpflichtende Urwahlen empfohlen.34 Im Schlussbericht des Sozialwahlbeauftragten der Bundesregierung über die Sozialversicherungswahlen 2011 sind ebenfalls umfangreiche Vorschläge zur Reform des Sozialwahlrechts und der sozialen Selbstverwaltung enthalten.35 Das im Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2013 vereinbarte Vorhaben, in der sozialen Selbstverwaltung unter anderem Direktwahlen und Online-Wahlen einzuführen und das repräsentative Verhältnis von Frauen und Männern in der Selbstverwaltung zu verbessern, ist nicht umgesetzt worden.36 Im politischen Raum werden wohl neben der Frage, ob Friedens- oder Urwahlen der Vorzug zu geben sein soll, folgende Vorschläge zur Reform der sozialen Selbstverwaltung und der Sozialwahl weiter diskutiert werden: Stärkung der Kompetenzen der Selbstverwaltungsorgane: Beispielsweise sollten die Sozialversicherungsträger eigenständig über die Höhe des Beitragssatzes, des Budgets für Leistungen zur Rehabilitation und der Nachhaltigkeitsreserve der gesetzlichen Rentenversicherung entscheiden können, Durchführung von Online-Wahlen, Einführung einer Frauenquote in den Vorschlagslisten und Selbstverwaltungsorganen, Sicherstellung einer angemessenen Vertretung behinderter und zugezogener Menschen, Bessere Gestaltung der Wahlunterlagen zur Vermeidung ungültiger Stimmen und des Abbaus von Hemmnissen, Verstärkte Öffentlichkeitsarbeit über die Tätigkeit der Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane . *** 33 Frank, Marco (2017): Die Ergebnisse der Sozialwahlen 2017. In: Soziale Sicherheit 7-8/2017, S. 279. 34 Abrufbar im Internet auf der Seite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales unter http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/forschungsbericht-f377.pdf?__blob=publication File&v=2, zuletzt abgerufen am 14. Dezember 2017. 35 Fn. 13, S. 129 ff. 36 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 18. Legislaturperiode. Abrufbar im Internet unter https://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/2013/2013-12-17-koalitionsvertrag.pdf?__blob=publication File zuletzt abgerufen am 18. Dezember 2017, S. 74