© 2019 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 055/19 Einzelfragen zur rechtlichen Bedeutung von Berufserfahrung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 055/19 Seite 2 Einzelfragen zur rechtlichen Bedeutung von Berufserfahrung Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 055/19 Abschluss der Arbeit: Datum: 11. April 2019 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 055/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Berufserfahrung als informelle Voraussetzung 4 2. Berufserfahrung als formelle Voraussetzung 4 2.1. Tarifverträge 4 2.2. Gesetzliche Bestimmungen 4 2.2.1. Zulassung als Fachanwalt 4 2.2.2. Ausübung des Notaramts 4 2.2.3. Einstellung als Fachhochschulprofessor 5 2.2.4. Studienzugang 5 3. Rechtliche Bewertung von Praktika als Berufserfahrung 5 3.1. Definition des Praktikums 5 3.2. Tarifverträge 5 3.3. Gesetzliche Bestimmungen 6 4. Bedeutung von Praktika 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 055/19 Seite 4 1. Berufserfahrung als informelle Voraussetzung Private und öffentliche Arbeitgeber erwarten von Stellenbewerbern vielfach Erfahrung in einem bestimmten Berufsfeld. Inwieweit dafür der Nachweis einer entsprechenden beruflichen Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis oder einer selbständigen Tätigkeit gefordert wird oder auch die Ableistung eines Praktikums im Einzelfall als ausreichend erachtet wird, liegt allein in der Entscheidungsfreiheit des jeweiligen Arbeitgebers. Gesetzliche Vorgaben gibt es in diesem Zusammenhang nicht. Im öffentlich-rechtlichen Bereich wird diese Praxis mitunter durch entsprechende gesetzliche Vorschriften unterstützt. So lässt beispielsweise § 45 Abs. 3 des Hochschulgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen bei Stellenbesetzungen für wissenschaftliche Mitarbeiter an Fachhochschulen als zusätzliche Einstellungsvoraussetzung Erfahrungen in einer beruflichen Tätigkeit außerhalb der Hochschule zu, wenn dies den Anforderungen der Stelle entspricht. Ob in derartigen Fällen im Rahmen eines Praktikums erworbene Erfahrungen unter Umständen dann als Kriterium herangezogen werden können, wenn es keine Bewerber mit Erfahrungen aus einer beruflichen Tätigkeit gibt, war - soweit ersichtlich - noch nicht Gegenstand gerichtlicher Verfahren. 2. Berufserfahrung als formelle Voraussetzung 2.1. Tarifverträge In Tarifverträgen kommt es auf das Vorliegen von Zeiten der Berufserfahrung regelmäßig für die Frage der Eingruppierung in Entgeltgruppen an. Als Beispiele seien hier die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst und für Ärzte im Krankenhausbereich genannt, nach deren Bestimmungen der Nachweis einschlägiger Berufserfahrung zu einer höheren Eingruppierung führen kann. 2.2. Gesetzliche Bestimmungen Vereinzelt finden sich auch gesetzliche Tatbestände, bei denen besondere berufliche Erfahrungen eine Rolle spielen. Es folgt eine beispielhafte Darstellung, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. 2.2.1. Zulassung als Fachanwalt So schreibt beispielswiese § 3 der Fachanwaltsordnung als Voraussetzung für die Verleihung einer Fachanwaltsbezeichnung unter anderem eine dreijährige Zulassung und Tätigkeit als Rechtsanwalt innerhalb der letzten sechs Jahre vor Antragstellung vor. 2.2.2. Ausübung des Notaramts § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 3 Abs. 2 der Bundesnotarordnung bestimmt, dass in Gerichtsbezirken, in denen kein hauptamtlicher Notar bestellt wird, als Notar im Nebenberuf (sog. Anwaltsnotar) unter anderem nur bestellt werden soll, „wer nachweist, dass er bei Ablauf der Bewerbungsfrist mindestens fünf Jahre in nicht unerheblichem Umfang für verschiedene Auftraggeber als Rechtsanwalt tätig war“. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 055/19 Seite 5 2.2.3. Einstellung als Fachhochschulprofessor § 36 Abs. 1 Nr. 5 des Hochschulgesetzes Nordrhein-Westfalen schreibt als Einstellungsvoraussetzung für Professoren an Fachhochschulen über die allgemeinen Voraussetzungen hinaus besondere Leistungen bei der Anwendung oder Entwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden vor, die während einer fünfjährigen berufspraktischen Tätigkeit, von denen mindestens drei Jahre außerhalb des Hochschulbereichs ausgeübt worden sein müssen, auf einem Gebiet erbracht wurden, das ihren Fächern entspricht. 2.2.4. Studienzugang Auch der Zugang zu einem Hochschulstudium kann unter Umständen von einschlägigen Berufserfahrungen abhängig sein. So setzt z.B. § 62 Abs. 3 des Hochschulgesetzes Nordrhein-Westfalen für die Zulassung zu einem weiterbildenden Masterstudiengang neben den allgemeinen Voraussetzungen das besondere Eignungserfordernis eines einschlägigen berufsqualifizierenden Studienabschlusses und das besondere Eignungserfordernis einer einschlägigen Berufserfahrung voraus . 3. Rechtliche Bewertung von Praktika als Berufserfahrung 3.1. Definition des Praktikums Eine Legaldefinition des Begriffs des „Praktikanten“ enthält § 22 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohnes (Mindestlohngesetz), dessen Formulierung sich an der von der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung erarbeiteten allgemeinen Definition orientiert. Praktikant ist danach „unabhängig von der Bezeichnung des Rechtsverhältnisses derjenige, der sich nach der tatsächlichen Ausgestaltung und Durchführung des Vertragsverhältnisses für eine begrenzte Dauer zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Erfahrungen einer bestimmten betrieblichen Tätigkeit zur Vorbereitung auf eine berufliche Tätigkeit unterzieht, ohne dass es sich um eine Berufsausbildung im Sinne des Berufsbildungsgesetzes oder um eine vergleichbare praktische Ausbildung handelt.“ Mit dieser Formulierung wird das Praktikum zwar von einer förmlichen Berufsausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz eindeutig abgegrenzt, gleichzeitig aber stellt die Definition begrifflich auf die Ähnlichkeit der Zwecksetzung ab, die ein Praktikum wiederum grundsätzlich von einer beruflichen Tätigkeit unterscheidet. Dies ist bei der Beantwortung der Frage, inwieweit Praktika im Einzelfall als Berufserfahrung zu werten sein können, zu berücksichtigen . 3.2. Tarifverträge Voraussetzung für die Berücksichtigung von Berufserfahrung im Rahmen tarifvertraglicher Eingruppierung ist im Allgemeinen, dass die Erfahrungen im Rahmen einer beruflichen Beschäftigung erworben wurden und nicht nur einer Ausbildung oder einem Praktikum entstammen. Nach einem obergerichtlichen Urteil wird zum Beispiel bei der Eingruppierung eines Krankenhausarztes selbst das zur staatlichen Anerkennung erforderliche berufspraktische Jahr, das auf eine selbständige ärztliche Tätigkeit vorbereiten soll, nicht als einschlägige Berufserfahrung gewertet . Im Einzelnen kommt es hierbei aber auf die konkrete Formulierung der jeweiligen Tarifnorm und ihre Auslegung im konkreten Einzelfall an, so dass generelle Aussagen hierzu nicht getroffen werden können. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 055/19 Seite 6 3.3. Gesetzliche Bestimmungen Soweit in gesetzlichen Bestimmungen als Voraussetzung für die Zulassung zum Studium oder zu bestimmten Tätigkeiten oder Ämtern der Nachweis von Berufserfahrung verlangt wird, reicht die Ableistung von Praktika dafür keinesfalls aus und kann auch nicht teilweise als Berufserfahrung gewertet werden. 4. Bedeutung von Praktika Gleichwohl kommt auch der Ableistung von Praktika in der Rechtsordnung eine besondere Bedeutung zu. Ein Praktikum ist vielfach verpflichtender Ausbildungsbestandteil aufgrund von schulrechtlichen Bestimmungen, Ausbildungsordnungen, hochschulrechtlichen Bestimmungen oder im Rahmen einer Ausbildung an einer gesetzlich geregelten Berufsakademie (sog. Pflichtpraktika ). Ohne den Nachweis der Ableistung eines Pflichtpraktikums kann der angestrebte Bildungsabschuss dann in der Regel nicht erreicht werden. Das Gesetz über die Feststellung der Gleichwertigkeit von Berufsqualifikationen (Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz ) sieht im Rahmen des förmlichen Verfahrens zur Feststellung der Gleichwertigkeit einer im Ausland erworbenen beruflichen Qualifikation in einem nicht reglementierten Ausbildungsberuf die Möglichkeit vor, Defizite bei den berufspraktischen Kenntnissen durch eine individuelle betriebliche Anpassungsqualifizierung auszugleichen, wenn wesentliche Unterschiede zwischen den nachgewiesenen Berufsqualifikationen und der entsprechenden inländischen Berufsbildung vorliegen. Sie erfolgt in der Regel ebenfalls in der Form eines Praktikums. Eine herausgehobene Funktion kommt sogenannten berufspraktischen Zeiten zu, deren Ableistung in zahlreichen Berufen Voraussetzung für die staatliche Anerkennung ist. Neben den Ärzten zählen hierzu z.B. Architekten, Erzieher, Sozialarbeiter etc. Solche Berufspraktika dienen in der Regel der Vertiefung der erworbenen theoretischen Kenntnisse und der Einarbeitung in eine selbständige Tätigkeit im jeweiligen Beruf. ***