© 2019 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 054/19 Aufsichts- und Weisungsbefugnisse der Bundesagentur für Arbeit im Rahmen des SGB II Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Einleitung Die verwaltungsorganisatorischen Aufsichts- und Weisungsbefugnisse nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) richten sich grundsätzlich danach, wer in verwaltungsorganisatorischer Hinsicht für die Durchführung des Gesetzes und die Gewährung der Leistungen sachlich zuständig ist (Trägerschaft). Die Trägerschaft für Leistungen ist im SGB II nicht einheitlich bestimmt (geteilte Trägerschaft). Im Grundsatz wird ein Teil der Aufgaben von der Bundesagentur für Arbeit und ein Teil von den kreisfreien Städten und Kommunen wahrgenommen (§ 6 SGB II). Daneben kann im Falle der sog. Optionskommunen die Leistungsträgerschaft auch die Wahrnehmung sämtlicher Aufgaben nach dem SGB II durch einen zugelassenen kommunalen Träger umfassen (§ 6a SGB II).1 2. Gemeinsame Einrichtungen gemäß § 44b SGB II Träger der Leistungen nach dem SGB II sind gemäß § 6 Abs. 1 SGB II „1. die Bundesagentur für Arbeit (Bundesagentur), soweit Nummer 2 nichts Anderes bestimmt , 2. die kreisfreien Städte und Kreise für die Leistungen nach § 16a, das Arbeitslosengeld II und das Sozialgeld, soweit Arbeitslosengeld II und Sozialgeld für den Bedarf für Unterkunft und Heizung geleistet wird, die Leistungen nach § 24 Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 und 2 sowie für die Leistungen nach § 28, soweit durch Landesrecht nicht andere Träger bestimmt sind (kommunale Träger).“ § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB II legt damit eine Regelzuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit fest; die kommunalen Träger sind lediglich in den abschließend geregelten Fällen des § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB II zuständig.2 Die Bundesagentur für Arbeit ist folglich grundsätzlich zuständig für die Lebensunterhaltsleistungen in Form der Regelbedarfe und teilweise der Mehrbedarfe sowie Leistungen zur Eingliederung mit Ausnahme der kommunalen Eingliederungsleistungen.3 Zu den Leistungen in der Zuständigkeit der Kommunen gehören die kommunalen Eingliederungsleistungen nach § 16a SGB II, Leistungen für Unterkunft und Heizung (§§ 22 ff. SGB II) und Leistungen zur Erstausstattung für die Wohnung und bei Schwangerschaft und Geburt (§ 24 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 und 2 SGB II) sowie Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Bildung und Teilhabe nach § 28 SGB II. Zur einheitlichen Durchführung ihrer Aufgaben sieht § 44b SGB II vor, dass die Bundesagentur für Arbeit und der jeweilige kommunale Träger eine gemeinsame Einrichtung bilden, die gemäß 1 Altmann in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, 51. Edition, Stand: 1. Dezember 2018, SGB II § 6, Rn. 2 f. 2 Luik in: Gagel, SGB II / SGB III, Werkstand: 72. EL Dezember 2018, SGB II § 6, Rn. 30. 3 Altmann in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, 51. Edition, Stand: 1. Dezember 2018, SGB II § 6, Rn. 4. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 054/19 Seite 5 § 6d SGB II die Bezeichnung Jobcenter führt. Das Jobcenter nimmt die Aufgaben nach dem SGB II wahr, wobei die Trägerschaft gemäß § 6 SGB II unberührt bleibt, § 44b Abs. 1 Satz 2 SGB II. 2.1. Aufsichts- und Weisungsbefugnisse der Bundesagentur für Arbeit Gemäß § 44b Abs. 3 Satz 1 SGB II obliegt den Trägern, also Bundesagentur für Arbeit und kommunalem Träger, die Verantwortung für die rechtmäßige und zweckmäßige Erbringung ihrer Leistungen. Dieser Verantwortung entspricht die in § 44b Abs. 3 Satz 2 SGB II festgelegte Weisungsbefugnis der Träger gegenüber den gemeinsamen Einrichtungen. So ist sichergestellt, dass jeder Träger innerhalb der gemeinsamen Einrichtung seine Trägerverantwortung auch umsetzen kann. Die Reichweite des Weisungsrechts ist dabei nicht auf die rechtmäßige und zweckmäßige Leistungserbringung beschränkt, sondern kann sich auf sämtliche Fragen im Verantwortungsbereich des Trägers beziehen.4 Die Weisung kann sich zudem auf einen konkret-individuellen Fall beziehen oder auch als allgemeine Weisung für eine Vielzahl gleich gelagerter Fälle durch Erlass von Verwaltungsvorschriften erfolgen.5 Das Weisungsrecht gilt jedoch gemäß § 44b Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 SGB II nicht im Zuständigkeitsbereich der Trägerversammlung der gemeinsamen Einrichtung nach § 44c SGB II. Die Trägerversammlung entscheidet über organisatorische, personalwirtschaftliche, personalrechtliche und personalvertretungsrechtliche Angelegenheiten der gemeinsamen Einrichtung, § 44c Abs. 2 Satz 1 SGB II. Dazu gehören beispielsweise die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers, der Verwaltungsablauf und die Organisation, die Änderung des Standorts der gemeinsamen Einrichtung und die die Aufstellung des Stellenplans und der Richtlinien zur Stellenbewirtschaftung, § 44c Abs. 2 Satz 2 SGB II. Damit die Träger ihrer Verantwortung für die recht- und zweckmäßige Leistungserbringung gerecht werden können, sind sie nach § 44b Abs. 3 Satz 3 SGB II berechtigt, von den Jobcentern die Erteilung von Auskunft und Rechenschaftslegung über die Leistungserbringung zu fordern, die Wahrnehmung der Aufgaben in der gemeinsamen Einrichtung selbst zu prüfen und die gemeinsame Einrichtung an ihre Auffassung zu binden. In Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung haben die Träger vor Ausübung des Weisungsrechts den Kooperationsausschuss nach § 18b SGB II zu befassen, der innerhalb von zwei Wochen nach Anrufung eine Empfehlung abgeben kann, § 44b Abs. 3 Satz 4 und 5 SGB II. Aus dem Gesetz ergibt sich nicht, wann eine solche Angelegenheit von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt. Nach in der Literatur vertretener Auffassung ist eine grundsätzliche Bedeutung gegeben, wenn sich eine Weisung im Zuständigkeitsbereich des jeweils anderen Trägers auswirkt und in nennenswerter Weise dessen Aufgabeninhalte berührt. Dies ist z. B. der Fall bei der Einführung 4 Mushoff in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, 51. Edition, Stand: 1. Dezember 2018, SGB II § 44b, Rn. 8. 5 Weißenberger in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, SGB II § 44b, Rn. 22. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 054/19 Seite 6 neuer IT-Verfahren oder bei massiven Organisations- und Geschäftsprozessveränderungen, die nicht in den Aufgabenbereich der Trägerversammlung fallen.6 2.2. Aufsichts- und Weisungsbefugnisse des BMAS Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) führt wiederum die Rechts- und Fachaufsicht über die Bundesagentur für Arbeit, soweit dieser nach § 44b Abs. 3 SGB II ein Weisungsrecht gegenüber den gemeinsamen Einrichtungen zusteht, § 47 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Das heißt, die Aufsichtsrechte des BMAS sind begrenzt auf die der Bundesagentur obliegenden Aufgaben in gemeinsamer Trägerschaft.7 Die Rechtsaufsicht dient der Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Handelns der Bundesagentur für Arbeit; Kontrollmaßstab ist allein die Einhaltung des Rechts.8 Die Fachaufsicht geht darüber hinaus und ermöglicht auch die Einflussnahme auf Sachentscheidungen der Bundesagentur für Arbeit. Sie umfasst Fragen der Zweckmäßigkeit, der Ausübung des Verwaltungsermessens, der Wirtschaftlichkeit sowie auch der politischen Auswirkungen. Die Fachaufsicht dient folglich der umfassenden Überprüfung staatlichen Handelns, ohne dass der Bundesagentur für Arbeit eigenverantwortliche , unabhängige oder prüfungsfreie Entscheidungsbefugnisse bei der Wahrnehmung der Aufgaben nach dem SGB II verblieben.9 Die Bundesagentur für Arbeit wird folglich bei der Aufgabenerfüllung nach dem SGB II ohne Selbstverwaltung tätig.10 Das BMAS kann der Bundesagentur für Arbeit ferner Weisungen erteilen und sie an seine Auffassung binden sowie organisatorische Maßnahmen zur Wahrung der Interessen des Bundes an der Umsetzung der Grundsicherung für Arbeitsuchende treffen, § 47 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Weitere Instrumente der Fachaufsicht sind unter anderem Berichte und Aktenvorlage, mündliche und schriftliche Unterrichtungen, vollständige Informationsbefugnisse sowie Einflussnahme auf die Sachverhaltsermittlung, auf die Beurteilung und Entscheidung eines Sachverhaltes.11 Das BMAS ist darüber hinaus gemäß § 47 Abs. 5 SGB II als aufsichtführende Stelle selbst berechtigt , die Wahrnehmung der Aufgaben bei den gemeinsamen Einrichtungen (Jobcentern) vor Ort zu prüfen. Die Zusammenarbeit der Bundesministerien untereinander ist wiederum in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) geregelt. Berühren Angelegenheiten die Geschäftsbereiche mehrerer Bundesministerien, so arbeiten diese zusammen; für die rechtzeitige 6 Weißenberger in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, SGB II § 44b, Rn. 24. 7 Altmann in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, 51. Edition, Stand: 1. Dezember 2018, SGB II § 47, Rn. 2. 8 Harich in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 47, Rn. 3. 9 Harich in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 47, Rn. 3. 10 Wendtland in: Gagel, SGB II / SGB III, Werkstand: 72. EL Dezember 2018, SGB II § 47, Rn. 8. 11 Harich in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 47, Rn. 4. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 054/19 Seite 7 und umfassende Beteiligung der betroffenen Bundesministerien ist das jeweils federführende Bundesministerium verantwortlich (§ 19 Abs. 1 GGO). 3. Zugelassene kommunale Träger gemäß §§ 6a, 6b SGB II (sog. Optionskommunen) Abweichend von der als Grundsatz im SGB II verankerten Aufteilung der Trägerschaft zwischen der Bundesagentur für Arbeit und den kommunalen Trägern besteht nach § 6a SGB II die Möglichkeit , dass kommunale Träger anstelle der Bundesagentur für Arbeit als Träger der Leistungen nach § 6 Abs. 1 Abs. 1 SGB II zugelassen werden (sog. Optionskommunen). Die Optionskommunen sind folglich grundsätzlich originär für die Aufgabenerfüllung nach dem SGB II zuständig (mit Ausnahme einiger in § 6b Abs. 1 Satz 1 SGB II aufgeführten Aufgaben bzw. Verpflichtungen ). Die verfassungsrechtliche Grundlage ist Art. 91e GG. Die Optionskommunen sind verpflichtet, zur Wahrnehmung der Aufgaben anstelle der Bundesagentur für Arbeit besondere Einrichtungen für die Erfüllung der Aufgaben nach dem SGB II zu errichten und zu unterhalten, § 6a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 5 SGB II; diese führen gleichfalls die Bezeichnung Jobcenter, § 6d SGB II. Es handelt sich dabei eine um eigenständige, von den anderen Organisationseinheiten der Kommune abgrenzbare Einrichtungen mit eigenen, von der übrigen kommunalen Verwaltung unabhängigen Strukturen. Dies soll sicherstellen, dass die Aufgabenerfüllung transparent erfolgt und keine Vermischung mit anderen kommunalen Aufgaben stattfindet.12 Die Aufsicht, das heißt die Rechts- und Fachaufsicht13, über die Optionskommunen obliegt den zuständigen Landesbehörden, § 48 Abs. 1 SGB II. Soweit die Optionskommunen Aufgaben anstelle der Bundesagentur für Arbeit, also Aufgaben i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II, erfüllen, übt die Bundesregierung die Rechtsaufsicht über die obersten Landesbehörden aus und kann zu diesem Zweck mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen, § 48 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB II. Nach § 48 Abs. 2 Satz 3 SGB II kann die Bundesregierung die Ausübung der Rechtsaufsicht auf das BMAS übertragen. *** 12 Stachnow-Meyerhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, § 6a, Rn. 28. 13 Luik in: Gagel, SGB II / SGB III, Werkstand: 72. EL Dezember 2018, SGB II § 6b, Rn. 19.