© 2014 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 054/14 Fachkräftesicherung und Zuwanderung Statistiken, Studien, Standpunkte Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 054/14 Seite 2 Fachkräftesicherung und Zuwanderung Statistiken, Studien, Standpunkte Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 054/14 Abschluss der Arbeit: 18. März 2014 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 054/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Demografische Entwicklung 4 2.1. Entwicklung der Gesamtbevölkerung 5 2.2. Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials 5 2.3. Zugewanderte Personen 6 3. Prognosen und Empfehlungen zum Fachkräftemangel 7 3.1. Prognos-AG 7 3.2. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 8 3.3. Sachverständigenrat 9 4. Analysen und Empfehlungen zur Zuwanderung 9 4.1. OECD-Bericht 10 4.2. Institut für Wirtschaftsforschung (IW) Köln 10 4.3. Bertelsmann-Stiftung 11 4.4. Sachverständigenrat für Integration und Migration 13 5. Standpunkte verschiedener Akteure 14 5.1. Bundesregierung 14 5.2. Fraktionen im Deutschen Bundestag 15 5.3. Sozialpartner 16 5.4. Deutscher Städtetag 17 5.5. Katholischer Altenhilfeverband 18 5.6. Umfragen zum Thema Zuwanderung 19 6. Fazit 20 7. Literaturliste 21 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 054/14 Seite 4 1. Einleitung Aktuell lässt sich in Deutschland kein flächendeckender Fachkräftemangel feststellen, doch zeigen sich insbesondere in den MINT-Berufen1 und im Gesundheits- und Sozialbereich deutliche Fachkräfteengpässe. Die derzeitigen Stellenbesetzungsprobleme vieler Unternehmen sind nach Darstellung des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) vor allem auf die gute konjunkturelle Lage in Deutschland nach den Krisenjahren 2008/2009 zurückzuführen. Nach Ansicht der Experten deuten die Schwierigkeiten der Unternehmen, passendes Personal für freie Stellen zu finden, zurzeit eher auf ein so genanntes Mismatch2 hin. Allerdings bewirkt der demografische Wandel in Deutschland mit seinen beiden Grundtendenzen einer Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung, dass in den kommenden Jahrzehnten auch die Zahl der Personen im Erwerbsalter von 20 bis 64 Jahren deutlich zurückgehen wird. Die Reduktion des so genannten Erwerbspersonenpotenzials (EPP) stellt folglich für die Gesellschaft eine enorme Herausforderung dar. Im Zuge der zahlreichen und auch differierenden Prognosen unterschiedlicher Institute3 hat sich eine breite Debatte darüber entwickelt, wie Wirtschaft und Politik in Deutschland mit dem Rückgang des Arbeitsangebots und der Alterung der Gesellschaft, insbesondere der Erwerbstätigen, umgehen sollen. Zwei Handlungspfade lassen sich identifizieren: Die Aktivierung so genannter inländischer Potenziale , beispielsweise die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen und die Ausweitung ihrer Arbeitszeiten, sowie die gesteuerte Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte. Hier gibt es zahlreiche Empfehlungen aus dem Bereich der Wissenschaft.4 Im Folgenden werden Statistiken, Studien und Standpunkte unterschiedlicher Akteure zur Zuwanderung vor dem Hintergrund eines drohenden zukünftigen Fachkräftemangels dargestellt. 2. Demografische Entwicklung Die 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2009 prognostiziert die Bevölkerungsentwicklung bis zum Jahr 2060. Die aktuellere 13. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung mit Daten des Zensus von 2011 liegt nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes voraussichtlich Ende 2014 vor. 1 MINT: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik. 2 Mismatch meint ein Ungleichgewicht zwischen Arbeitskräftenachfrage und Arbeitskräfteangebot, das qualifikatorische , berufliche oder regionale Ursachen haben kann. In der Regel wird Mismatch mit Hilfe der sogenannten Beveridge-Kurve dargestellt. 3 Vgl. z.B. Neubecker, Nina (2014), S. 1. 4 Vgl. z.B. Kolodziej, Daniela (2012), S. 13ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 054/14 Seite 5 2.1. Entwicklung der Gesamtbevölkerung Gemäß den Schätzungen und Erhebungen nimmt die Bevölkerung in Deutschland seit 2003 ab. Ende 2008 lebten ca. 82 Millionen Menschen in Deutschland. 2060 werden es, so die derzeitige Prognose, zwischen 65 und 70 Millionen Menschen sein, abhängig von der tatsächlichen jährlichen Zuwanderung. Auch bei steigender Geburtenhäufigkeit, einem hohen Anstieg der Lebenserwartung und einem jährlichen Wanderungssaldo von 200.000 Menschen würden 2060 maximal 77 Millionen Menschen in Deutschland leben und damit rund fünf Millionen weniger als noch 2008. Die Bevölkerungszahl geht zurück, weil die Zahl der Gestorbenen die Zahl der Geborenen immer mehr übersteigt. Die Nettozuwanderung – der Saldo der Zuzüge nach und der Fortzüge aus Deutschland – kann diese Lücke nicht schließen. Zu dem Rückgang der Bevölkerung kommt eine deutliche Verschiebung der Altersstruktur innerhalb der Bevölkerung hinzu. Die jungen Alterskohorten werden aufgrund der geringen Geburtenzahlen weniger; die älteren Kohorten wachsen zunehmend an, da die Menschen eine längere Lebenserwartung haben. Während die Bevölkerung heute zu 19 Prozent aus Kindern und jungen Menschen unter 20 Jahren, zu 61 Prozent aus 20- bis unter 65-Jährigen und zu 20 Prozent aus 65- Jährigen und Älteren besteht, wird im Jahr 2060 bereits jeder Dritte (34 Prozent) mindestens 65 Jahre alt sein. 2060 werden doppelt so viele 70-Jährige leben, wie Kinder geboren werden.5 2.2. Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials Die Bevölkerung im Erwerbsalter von 20 bis 65 Jahren ist von der Schrumpfung und Alterung besonders stark betroffen. Heute gehören knapp 50 Millionen Menschen dieser Altersgruppe an. Die Zahl wird nach 2020 deutlich zurückgehen und im Jahr 2030 bei etwa 42 bis 43 Millionen Menschen liegen. 2060 werden nur noch rund 36 Millionen Menschen im Erwerbsalter sein - also 27 Prozent weniger als heute – unter der Voraussetzung, dass jährlich 200.000 Menschen zuwandern. Fällt die Zuwanderung nur halb so hoch aus, beträgt das Erwerbspersonenpotenzial (EPP)6 nur 33 Millionen Menschen – das sind 34 Prozent weniger als 2008. Die Höhe der Zuwanderung hat folglich einen sehr starken Einfluss auf das Ausmaß der Schrumpfung des EPP, ohne dass diese durch Zuwanderung völlig kompensiert werden könnte. Hinzu kommt, dass bereits um das Jahr 2035, wenn die so genannten „Baby-Boomer“ das Rentenalter erreichen, die Zahl der Personen im Erwerbsalter um neun bis zehn Millionen geringer sein wird als heute. Das EPP der Zukunft wird außerdem zu einem erheblichen Teil aus Menschen bestehen, die älter als 50 Jahre sind.7 Zum zukünftigen Wanderungssaldo werden vom Statistischen Bundesamt zwei Annahmen getroffen . Mittel- bis langfristig geht es von einer allmählichen Erhöhung des Saldos der Zu- und 5 Statistisches Bundesamt (2009), S. 12-14. 6 Das Erwerbspersonenpotenzial ist die Summe aus Erwerbstätigen, Erwerbslosen sowie der Stillen Reserve und bildet damit nahezu die Obergrenze des Angebots an Arbeitskräften. Dieses potenzielle Arbeitskräfteangebot bestimmt sich rechnerisch aus der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter und deren Erwerbsbeteiligung. 7 Statistisches Bundesamt (2009), S. 17-18. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 054/14 Seite 6 Fortzüge aus. Nach der ersten Annahme steigt der jährliche Wanderungssaldo bis zum Jahr 2014 auf 100.000 Personen und verharrt dann auf diesem Niveau. Nach der zweiten Annahme wird ein Anstieg des jährlichen Saldos auf 200.000 Personen bis 2020 und anschließende Konstanz unterstellt. Dies ist der Korridor, in dem sich das Wanderungsgeschehen nach Einschätzung des Statistischen Bundesamtes abspielen dürfte.8 2.3. Zugewanderte Personen Nach jüngsten Angaben des Statistischen Bundesamtes lebten zum Jahresende 2013 mehr als 7,6 Millionen Menschen mit ausschließlich ausländischer Staatsangehörigkeit in Deutschland. Die Zahl der Ausländerinnen und Ausländer, die im Ausländerzentralregister (AZR) erfasst wird, stieg gegenüber 2012 um rund 419.000 Personen, das ist eine Zunahme um 5,8 Prozent. Der Anstieg im Jahr 2013 ist der höchste seit 1992. Die neu ins AZR aufgenommenen Personen stammen zu 75 Prozent aus den Mitgliedstaaten der EU. Die im AZR registrierte ausländische Bevölkerung aus Nicht-EU-Staaten hat im Jahr 2013 um 103.800 Personen zugenommen, das ist ein Anstieg um 2,5 Prozent.9 2012 lebten 16,3 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. 10,9 Millionen von ihnen sind selbst nach 1949 aus dem Ausland zugewandert, weitere 5,4 Millionen wurden als deren Kinder in Deutschland geboren. Daten über Personen mit Migrationshintergrund liegen seit 2005 vor, seither ist ihre Zahl um 1,3 Millionen bzw. 8,5 Prozent gestiegen. Die Zuwanderer stammen mehrheitlich (70,6 Prozent) aus Europa, vor allem aus den Mitgliedstaaten der EU.10 Zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund zählen alle, die nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik zugezogen sind, alle in Deutschland geborenen Ausländerinnen und Ausländer und alle in Deutschland mit deutscher Staatsangehörigkeit Geborenen mit zumindest einem zugezogenen oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil.11 8 Statistisches Bundesamt (2009), S. 7. 9 Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung vom 7. März 2014, Nr. 81/14 „Ausländerzahl in Deutschland 2013 auf Rekordniveau“. https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2014/03/PD14_081_12521.html (letzter Abruf am 14. März 2013). 10 Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung vom 17. Dezember 2013, Nr. 430/13, „Migration hat eine lange Tradition in Deutschland“. https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2013/12/PD13_430_122.html (letzter Abruf am 14. März 2014) 11 Statistisches Bundesamt, Personen mit Migrationshintergrund, Methodische Erläuterungen. https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/MigrationIntegration/Migrationshint ergrund/Aktuell.html (letzter Abruf am 14. März 2014). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 054/14 Seite 7 3. Prognosen und Empfehlungen zum Fachkräftemangel Es gibt zahlreiche Analysen, Prognosen und Handlungsempfehlungen zum Fachkräftemangel in Deutschland. Sie differieren in ihren Ergebnissen zum Teil deutlich, denn ihnen liegen häufig unterschiedliche Datenerhebungen, Annahmen und Methoden zugrunde. 3.1. Prognos-AG Das Prognos-Institut hat in kürzeren Abständen zwei Studien veröffentlicht, die einen Fachkräftemangel im Jahr 2030 von gut fünf Millionen bzw. im Jahr 2035 von „nur“ noch vier Millionen prognostizieren. Der neueren Studien liegt die 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes und eine angenommene Nettozuwanderung von 200.000 Personen (vorher 150.000 Personen) zugrunde. Zudem hat die Studie nunmehr das Basisjahr 2010 (vorher 2004) als Ausgangspunkt genommen, den Prognosezeitraum auf 2035 erweitert und positive Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt wie die Erwerbsintegration von Personen ohne berufliche Bildung berücksichtigt.12 Nach der jüngsten Projektion des Prognos-Instituts werden 2035 vor allem Arbeitskräfte mit einem beruflichen Abschluss fehlen, insbesondere in den Fachrichtungen Baugewerbe, Hoch- und Tiefbau, im Bereich Feinwerktechnik, Gesundheitstechnik und Metalltechnik. In der Tendenz werde das Arbeitsangebot mit unteren und mittleren Qualifikationen im Jahr 2035 kleiner sein als im Jahr 2011. In den Fachrichtungen, die einen Hochschulabschluss benötigen, werde es ausnahmslos bis 2035 ein deutlich wachsendes Angebot an Fachkräften geben.13 Bei einer Gegenüberstellung von Arbeitsnachfrage und Arbeitsangebot zeige sich jedoch, dass der demografische Wandel ein Mismatch am Arbeitsmarkt verstärken werde: Auf der einen Seite könne der Bedarf an hochqualifizierten Arbeitskräften nicht gedeckt werden, auf der anderen Seite könne Personen mit bestimmten beruflichen Qualifikationen aufgrund des wirtschaftlichen Strukturwandels (Tertiärisierung )14 keine passende Beschäftigung mehr angeboten werden.15 Das Prognos-Institut empfiehlt neben anderen Maßnahmen auch eine gezielte Zuwanderung ausländischer Fachkräfte. Zuwanderung könne den drohenden Arbeitskräftemangel am deutschen Arbeitsmarkt von vier Millionen Personen zwar nicht reduzieren, aber einen Beitrag dazu leisten, dass die Lücke sich nicht noch vergrößere. Dafür sei eine „realistische und über die Zeit konstante Zuwanderung“ nötig, deren Qualifikationsniveau sich dem der einheimischen Bevölkerung anpasse.16 12 Vgl. Prognos-AG (2011), Arbeitslandschaft 2030 und Prognos-AG (2012), Arbeitslandschaft 2035. 13 Prognos AG (2012), S. 33. 14 Tertiärisierung meint des Umwandlungsprozess von einer Industriegesellschaft zu einer Dienstleistungsgesellschaft . 15 Prognos-AG (2012), S. 47. 16 Prognos-AG (2012), S. 71. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 054/14 Seite 8 3.2. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) widerspricht Prognosen, die einen strukturellen Fachkräftemangel im Sinne eines dauerhaften Überschusses der Arbeitsnachfrage über das Arbeitsangebot prognostizieren. Diese würden mögliche Veränderungen der Parameter, die den Arbeitsmarkt beeinflussen, nicht berücksichtigten. Es sei aber davon auszugehen, dass sich die Arbeits-, Kapital- und Gütermärkte an den Rückgang des Arbeitsangebots anpassen, etwa durch einen abnehmenden Kapitalstock oder steigende Löhne.17 Die Arbeitsmarktexperten sehen aber für die Zukunft ebenfalls ein Ungleichgewicht, sprich Mismatch , am Arbeitsmarkt: Die Entwicklung des Arbeitskräfteangebots werde nicht automatisch mit der Entwicklung der Nachfrage übereinstimmen, sondern dürfte vielmehr aufgrund langfristiger Trends im Hinblick auf Qualifikation und Beruf erheblich von der Arbeitsnachfrage abweichen. Insbesondere in der Gruppe der Personen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung dürfte das Arbeitsangebot besonders stark zurückgehen. Im akademischen Bereich werde das Arbeitsangebot hingegen spürbar steigen. Auch das IAB setzt zur Kompensation des demografiebedingten Rückgangs des EPP auf die vorhandenen inländischen Potenziale und eine gesteuerte Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte. Sowohl das Volumen als auch die Qualifikation und Produktivität des EPP müsse erhöht werden. Hierbei gehe es vor allem darum, die Erwerbsbeteiligung von Frauen zu verstärken und ihre Arbeitszeiten zu erweitern. Zudem müsse die Dauer der Erwerbstätigkeit von Älteren erhöht werden und verstärkt in Bildung und Ausbildung junger Menschen investiert werden. In quantitativer Hinsicht sei die Mobilisierung der inländischen Potenziale zwar wichtig, spiele jedoch eine deutlich geringere Rolle als die Ausweitung des EPP durch weitere Zuwanderung.18 Das IAB gibt in diesem Zusammenhang zu bedenken: „Aus der empirischen Forschung (…) lassen sich zwei wichtige Befunde ableiten: Zum einen hat die Einwanderungspolitik den stärksten Einfluss auf die Qualifikationsstruktur der Migranten. Migranten in Ländern mit einer an Qualifikationskriterien ausgerichteten Einwanderungspolitik sind im Schnitt deutlich besser qualifiziert als in Ländern, die auf eine solche Politik verzichten.“19 In den vergangenen Jahren sei das Qualifikationsniveau der Neuzuwanderer angestiegen und habe sich zugunsten qualifizierter Fachkräfte verschoben, wie aus dem Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes hervorgehe (siehe hierzu auch Punkt 4). Eine langfristig angelegte Einwanderungspolitik sollte für Fachkräfte, die sich flexibel an strukturelle Veränderungen anpassen können, die Schwellen für eine Zuwanderung senken. Entweder mit Hilfe eines Punktesystems oder aber durch Systeme, die sich an realistischen Einkommensschwellen orientieren. Für Anfangsgehälter von Hochschulabsolventen nennen die Arbeitsmarkt- 17 Brücker, Herbert u.a. (2012), S. 210. 18 Brücker, Herbert u.a. (2012), S. 245. 19 Brücker, Herbert u.a. (2012), S. 269 mit Anmerkungen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 054/14 Seite 9 experten 35.000 Euro Jahreseinkommen. Die Zuwanderung könnte wie in anderen Ländern an einen Arbeitsvertrag geknüpft werden, der die Kriterien der branchenüblichen Tarifverträge erfüllt . Aufenthaltsrechte könnten befristet erteilt werden, um die Risiken einer Zuwanderung in die Sozialsysteme zu begrenzen, wobei nach etwa drei Jahren und nach transparenten Kriterien ein Daueraufenthaltsrecht gewährt werden sollte.20 3.3. Sachverständigenrat Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung geht in einer Expertise für die Bundesregierung aus dem Jahr 2011 davon aus, dass der Rückgang des EPP vermieden werden könne, wenn die Erwerbstätigkeit von Frauen erhöht, das Eintrittsalter in eine Erwerbstätigkeit vorverlegt und das Renteneintrittsalter hinausgeschoben werde. Die Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften könne ebenfalls eine deutliche Entlastung bewirken.21 Der Sachverständigenrat befürwortet die Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften. Dafür müsste jedoch die „restriktive Einwanderungspolitik gegenüber der Arbeitsmigration aus Drittstaaten aufgegeben und stattdessen eine gezielte Immigrationspolitik verfolgt werden, wie sie beispielsweise Australien und Kanada praktizieren“.22 4. Analysen und Empfehlungen zur Zuwanderung Grundsätzlich genießen Bürger der Europäischen Union und der EFTA-Staaten (Island, Liechtenstein , Norwegen, Schweiz) Arbeitnehmerfreizügigkeit und können ohne Einschränkung in den EU-Mitgliedsländern arbeiten. Einreise und Aufenthalt für EU-Bürger regelt das Freizügigkeitsgesetz /EU (FreizügG/EU).23 Es gilt seit dem 1. Januar 2014 auch für Staatsangehörige der EU- Beitrittsländer Rumänien und Bulgarien. Angehörige so genannter Drittstaaten können nur unter bestimmten Voraussetzungen eine Beschäftigung in Deutschland aufnehmen. Drittstaatsangehörige fallen in der Regel unter die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG), das die zentralen Regelungen zur Ein- und Ausreise , zur Erwerbstätigkeit und zur Förderung der Integration von Ausländern, die keine EU- Bürger sind, enthält. Gemäß § 1 AufenthG ist der Zweck des Gesetzes die Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland. Es ermöglicht und gestaltet Zuwanderung unter Berücksichtigung der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit sowie der wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland. 20 Brücker, Herbert u.a. (2012), S. 271ff. 21 Sachverständigenrat (2011), S. III und S. 2. 22 Sachverständigenrat (2011), S. 115ff. 23 Freizügigkeitsgesetz/EU vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950, 1986), das durch Artikel 14 des Gesetzes vom 20. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2854) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 054/14 Seite 10 4.1. OECD-Bericht Die OECD bewertet in einem Bericht über gesteuerte Arbeitsmigration die Arbeitsmigrationspolitik Deutschlands als eine der offensten für hochqualifizierte Migranten im OECD-Raum. Der Bericht beschäftigt sich eingehend mit den nachfrageseitigen Aspekten der Arbeitsmigration und berücksichtigt auch bundesrepublikanische Reformen in diesem Bereich aus dem Jahr 2012. 24 Die OECD kommt zu der Einschätzung, dass trotz der relativ offenen Arbeitsmigrationspolitik Unternehmen, die Engpässe und Rekrutierungsschwierigkeiten haben, vergleichsweise selten Personal im Ausland suchen. Arbeitgeber im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), die verstärkt über Schwierigkeiten bei der Stellenbesetzung klagen, scheinen nach Ansicht der OECD-Experten auf sehr spezifische Qualifikationen zu bestehen, die im Ausland schwer zu finden seien. Hinzu kämen mangelnde Sprachkenntnisse. Die OECD macht in ihrem Bericht darauf aufmerksam, dass die Nachfrage nach Sprachkursen in vielen Ländern das Angebot übersteige.25 Im internationalen Wettbewerb um hochqualifizierte Fachkräfte liege Deutschland hinter anderen Ländern zurück. Die OECD bewertet die Image- und Informationskampagnen Deutschlands jedoch als positiv. Hinsichtlich ausländischer Studierender erklärt die OECD: „Deutschland verfügt mit seinen renommierten Universitäten, niedrigen Studiengebühren, günstigen Regelungen für Nebentätigkeiten während des Studiums und einem großzügig bemessenen Zeitrahmen für die Arbeitsplatzsuche nach Abschluss des Studiums über zahlreiche Stärken. Die Bundesrepublik könnte aber mehr tun, um diese Stärken zu ihrem Vorteil zu nutzen, sowohl durch die Förderung von Kontakten zwischen Arbeitgebern und Hochschulabsolventen als auch die verstärkte Positionierung Deutschlands als attraktives Studienland auf dem umkämpften nationalen Markt für die Tertiärbildung .“26 Die OECD empfiehlt der Bundesrepublik eine Verbesserung des bisherigen Systems durch – eine Vereinfachung der Verwaltungsverfahren, – die Schaffung neuer Zugangsmöglichkeiten für die Arbeitsmigration, – eine gezieltere Förderung arbeitsmarktorientierter Zuwanderung, – eine verbesserte Kontrolle und Überwachung der Arbeitsmigration (Monitoring).27 4.2. Institut für Wirtschaftsforschung (IW) Köln Die Autoren eines „Policy-Papers“ des IW Köln befürworten eine gesteuerte Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte nach Deutschland. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung 24 OECD (2013), S. 4 und 15. 25 OECD (2013), S. 16. 26 OECD (2013), S. 17. 27 (OECD) (2013), S. 18. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 054/14 Seite 11 und angesichts der Tatsache, dass sich die Struktur der Zuwanderer hinsichtlich Qualifikation und Herkunft von Zuwanderern aus den 1990er- Jahren, deutlich unterscheide, hat das IW Köln mehrere Gründe für eine gezielte Zuwanderung nach Deutschland aufgelistet. Unter anderem stärke Zuwanderung die Wirtschaft, weil sie das Potenzial an Fachkräften vergrößere , internationale Aktivitäten von Unternehmen erleichtere und die Innovationskraft und das Wachstum steigere. Zuwanderung stärke zudem die öffentlichen Haushalte, denn die Zugewanderten zahlten in die Sozialsysteme ein und vergrößerten damit die Einnahmen der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung und entlasteten die öffentlichen Haushalte insgesamt.“28 Zuwanderung reduziere zudem Fachkräfteengpässe, so das IW Köln. Insbesondere im MINT- Bereich und in den Gesundheits- und Sozialberufen sei Deutschland aufgrund der demografischen Entwicklung und der damit einhergehenden „Verknappung des Arbeitsangebots“ auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen. Ohne verstärkte Zuwanderung sei schon im Jahr 2020 mit einer Lücke von insgesamt 1,4 Millionen beruflich qualifizierten MINT-Fachkräften und 100.000 MINT-Akademikern zu rechnen.29 Zuwanderer stellen nach Ansicht der Experten des IW Köln bereits heute ein bedeutendes Arbeitskräftepotenzial dar und könnten einen Beitrag zur Sicherung der akademischen Fachkräftebedarfs leisten. Sie seien im Schnitt jünger als die Gesamtbevölkerung, hätten häufiger einen Hochschulabschluss und seien inzwischen häufiger in Fach- und Führungspositionen tätig. Bislang seien aber nur wenige Fachkräfte mit Engpassqualifikationen im beruflichen Bereich zugewandert , was wohl darauf zurückzuführen sei, dass für beruflich Qualifizierte erst seit 2013 weitere Zugangswege eröffnet wurden. Das IW Köln empfiehlt mehrere Schritte, um die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte nach Deutschland zu forcieren. Unter anderem müsse das Zuwanderungsrecht weiterentwickelt und die Arbeitssuche für beruflich Qualifizierte erleichtert werden. Zudem sei die Anerkennung ausländischer Berufe häufig mit substanziellen Kosten für die Zuwanderer verbunden und bei einer Teilanerkennung stehe nicht in jedem Fall eine passgenaue Weiterbildung zur Verfügung. 4.3. Bertelsmann-Stiftung Eine Bertelsmann Studie über die Auswirkungen von Zuwanderung auf den deutschen Arbeitsmarkt und Sozialstaat weist ebenfalls auf grundlegende Veränderungen in der Qualifikationsstruktur von Zuwanderern hin. Demnach haben so genannte Neuzuwanderer, die in den vergangenen zehn Jahren nach Deutschland gekommen sind, eine deutlich verbesserte Qualifikationsstruktur im Vergleich zu Zuwanderern , die in früheren Jahren nach Deutschland kamen. 28 Geis, Wido; Kemeny, Felicitas (2014), S. 2. 29 Geis, Wido; Kemeny, Felicitas (2014), S. 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 054/14 Seite 12 In der Zeit von 2000 bis 2009 sei unter den Erwerbsfähigen im Alter von 15 bis 65 Jahren der Anteil an Personen mit tertiären Bildungsabschlüssen (Promotion, Universitäts- und Fachschulabschluss , Meister- und Technikerabschluss, Abschluss einer dreijährigen Ausbildung im Gesundheitswesen ) von 23 auf 43 Prozent gestiegen. Im gleichen Zeitraum habe sich der Anteil von Personen ohne einen beruflichen Bildungsabschluss in dieser Gruppe von 41 auf 25 Prozent reduziert . Auch der Anteil der Studenten an den Neuzuwanderern in Deutschland sei deutlich gestiegen . Besuchten im Jahr 2000 noch 14 Prozent eine Universität oder Fachhochschule in Deutschland , so sei der Anteil bis zum Jahr 2009 auf 21 Prozent gestiegen.30 Die Veränderung der Bildungsstruktur bei den Neuzuwanderern habe zwar bislang wenig Einfluss auf die Zusammensetzung der Bevölkerung mit Migrationshintergrund und das Bildungsgefälle zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund sei in Deutschland nach wie vor hoch. Doch die Steigerung des Qualifikationsniveaus der neu zugewanderten Personen zeige einen signifikanten Trend zu einer höher qualifizierten Zuwanderung. Dies sei, so die Studie, auf vielfältige Ursachen zurückzuführen, wie zum Beispiel einem generellen Anstieg des Bildungsniveaus in den Herkunftsländern, eine Verschiebung in der Struktur der Herkunftsländer der Migration zu Gunsten der mittel- und osteuropäischen Länder, die ein besonders hohes Bildungsniveau aufweisen und ein allgemeiner Trend zu einer höheren Mobilität unter den Hochqualifizierten.31 Die Studie untersucht die Wirkungen der Migration auf den Arbeitsmarkt und die Gesamtwirtschaft . In der Debatte um Zuwanderung stehe immer wieder auch die Befürchtung im Mittelpunkt , dass von einer Zuwanderung die Gefahr sinkender Löhne und steigender Arbeitslosenquoten ausgehe. Doch dies sei nicht zwingend der Fall, so die Studie. Denn Kapital-, Güter- und Arbeitsmärkte sowie Produktionsstrukturen passten sich einem veränderten Arbeitsangebot an. Dies könne die Lohn- und Beschäftigungseffekte der Migration in offenen Volkswirtschaften neutralisieren.32 „Die Struktur der Zuwanderung ist (…) zentral, um die Auswirkungen der Migration auf die Verteilung von Arbeitseinkommen und Beschäftigungschancen einschätzen zu können. Sie kann auch auf gesamtwirtschaftlicher Ebene einen Einfluss auf die Arbeitslosenquote haben: Stellen wir uns einen zweigeteilten Arbeitsmarkt vor. Das eine Segment dieses Arbeitsmarktes zeichnet sich durch hohe Arbeitslosigkeit und geringe Lohnflexibilität aus, das andere durch niedrige Arbeitslosigkeit und hohe Lohnflexibilität. Wenn die Migration das Arbeitsangebot in dem flexiblen Segment erhöht, steigt die Arbeitsnachfrage und die Beschäftigung in dem inflexiblen Segment, so dass gesamtwirtschaftlich die Arbeitslosenquote sinkt. Im umgekehrten Fall steigt die Arbeitslosenquote. Hier liegt der rationale Kern einer Steuerung der Zuwanderung nach Qualifikation oder Berufen. (…) Die Zuwanderung führt zu einer größeren Diversität oder Vielfalt des Arbeitsangebotes, die nach dem Gesetz des komparativen Vorteils zu einem Anstieg der Produktivität und des technologischen Fort- 30 Brücker, Herbert (2013), S. 13. 31 Brücker, Herbert (2013), S. 14 32 Brücker, Herbert (2013), S. 18. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 054/14 Seite 13 schritts führen kann. So können qualifizierte und hochqualifizierte Migranten den Pool des verfügbaren Wissens erweitern und durch ihren kulturellen Hintergrund neue Ideen in den Innovations- und Produktionsprozess einbringen, die die Rate des technischen Fortschritts erhöhen. Es sind jedoch nicht allein die qualifizierten und hochqualifizierten Migranten, die zu einer Beschleunigung des technologischen Wandels beitragen können. So kann die Zuwanderung von geringer Qualifizierten dazu führen, dass einheimische Arbeitskräfte stärker in Bildung und Ausbildung investieren, so dass Ressourcen für humankapitalintensive Aktivitäten freigesetzt werden, die wiederum die Rate des technischen Fortschritts erhöhen.“33 Die Bertelsmann-Studie gelangt zu dem Schluss, dass sich durch die verbesserte Qualifikationsstruktur der Neuzuwanderer die Wirkungen für den Sozialstaat verändern. Langfristig ergäben sich neutrale oder sogar positive Effekte für den Arbeitsmarkt und die Sozialversicherungssysteme . Ziel deutscher Zuwanderungspolitik müsse es daher sein, insbesondere qualifizierte Arbeitskräfte für den deutschen Arbeitsmarkt zu gewinnen. 4.4. Sachverständigenrat für Integration und Migration Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) beleuchtet in seinem Jahresgutachten 2013 die Folgen und Herausforderungen der EU-Freizügigkeit für Deutschland. In diesem Zusammenhang weist der Sachverständigenrat in sieben so genannten „Kernbotschaften“ auch auf kritische Entwicklungen hin: „Der EU-Beitritt von Staaten mit weit unterdurchschnittlicher Wirtschaftsleistung und die Staatsschuldenkrise in einigen südeuropäischen Mitgliedsländern, die sich möglicherweise noch viele Jahre hinziehen wird, verschärfen das soziale und wirtschaftliche Gefälle innerhalb Europas. Dadurch verstärken sich Asymmetrien im europäischen Wanderungsgeschehen, die zu einer „Sozialtransfermigration“ führen könnten. Die soziale Solidarität mit zugewanderten und auf staatliche Transfers angewiesenen EU-Bürgern ist gerade im Vergleich zu föderalen Bundesstaaten (wie etwa den USA und auch der Schweiz) im Staatenverbund der EU sehr weit entwickelt – nicht zuletzt aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Sie hat bislang auch eine breite Akzeptanz gefunden.“34 Das SVR-Migrationsbarometer habe gezeigt, dass über 70 Prozent der Befragten mit und ohne Migrationshintergrund neu zugewanderten Unionsbürgern, die in Deutschland arbeitslos werden, Sozialleistungen zugestehen. Diese Solidarität kenne aber auch Grenzen, so die Autoren des Jahresberichts . Die Situation werde vor allem dann schwierig, wenn sich das Wohlstandsgefälle innerhalb der EU zunächst weiter verstärke, eine damit gekoppelte Migration steige und infolge dessen Ansprüche an das deutsche Sozialsystem entstünden, die nicht von einer früheren Erwerbstätigkeit in Deutschland abhingen. Das würde den Wohlfahrtssaat in einer Weise belasten, die die Akzeptanz in der Bevölkerung gefährden könnte. Eine weitere Öffnung sozialer Sicherungssysteme sei daher mit Bedacht und Vorsicht vorzunehmen , um nicht am Ende die Zustimmung zum „Europaprojekt“ insgesamt zu riskieren. Zugleich 33 Brücker, Herbert (2013b, S. 19. 34 Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (2013), S. 18, S. 119ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 054/14 Seite 14 sei alles zu tun, um Wohlstandsunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten und die damit verbundenen Asymmetrien im EU-Wanderungsraum zu verringern und damit das Wohlstandsversprechen , das mit dem EU-Beitritt gegeben wurde, auch tatsächlich einzulösen.35 Der SVR macht ebenfalls auf den hohen Anteil von Hochqualifizierten unter zugewanderten Unionsbürgern aufmerksam, die seit 2004 nach Deutschland gekommen seien. Durch die qualifizierte und durchschnittlich zehn Jahre jüngere Zuwanderung aus anderen EU-Staaten erziele Deutschland derzeit eine „Freizügigkeitsdividende“: „Diese messbare Freizügigkeitsdividende steht im Gegensatz zu der Befürchtung, dass die EU- Erweiterung einen „Sozialtourismus“ fördert. Dieser ist derzeit eher gefühlt als real: Belastbare Zusammenhänge zwischen der Höhe von Sozialtransfers und der Zuwanderung von Personen mit einem erhöhten Arbeitsmarkt- bzw. Transferbezugsrisiko gibt es entgegen der öffentlichen Meinung für den Wanderungsraum EU nicht. Im Vergleich zu Drittstaatsangehörigen weisen Unionsbürger eine positivere Arbeitsmarktbilanz auf.“36 5. Standpunkte verschiedener Akteure Im Folgenden werden exemplarisch Internetportale, Berichte und Positionspapiere verschiedener Organe und Organisationen dargestellt. 5.1. Bundesregierung Die Bundesregierung hat eine so genannte „Demografiestrategie“ entwickelt, die auch Maßnahmen zur Fachkräftesicherung erarbeitet. Die Bundesregierung informiert auf ihrer Homepage über die Möglichkeiten der Zuwanderung von Fachkräften und Hochqualifizierten nach Deutschland: http://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Themen/Demografiestrategie/WachstumWohlsta nd/Zuwanderung-Fachkraefte/_node.html (letzter Abruf am 13. März 2014). Die Homepage deutet bereits in der Überschrift „Wachstum und Wohlstand sichern. Zuwanderung von Fachkräften fördern“ darauf hin, dass die Bundesregierung im Rahmen der Fachkräftesicherung auch auf das Instrument der Arbeitsmigration setzt.37 Im Rahmen des so genannten Fachkräftekonzeptes der Bundesregierung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) 2012 seinen ersten Fortschrittsbericht veröffentlicht. 35 Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Migration und Integration (2013), S. 17ff. 36 Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Migration und Integration (2013), S. 18. 37 Weitere Informationen zur Demografiestrategie sind auch auf der Homepage des Demografie-Portals des Bundes und der Länder zu finden. http://www.demografieportal .de/DE/Home/home_node.html;jsessionid=1460CB78E9EF5F0AB12968B786C360D1.1_cid353 (letzter Abruf am 13. März 2014). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 054/14 Seite 15 Das BMAS beschreibt zur Gewinnung von Fachkräften fünf sogenannte „Sicherungspfade“, mit denen das Potenzial an qualifizierten Arbeitskräften für den deutschen Arbeitsmarkt mobilisiert werden soll. Es handelt sich im Einzelnen um: – Aktivierung und Beschäftigungssicherung – Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf – Bildungschancen für alle von Anfang an – Qualifizierung: Aus- und Weiterbildung – Integration und qualifizierte Zuwanderung Das BMAS macht in dem Fortschrittsbericht darauf aufmerksam, dass bei Personen mit Migrationshintergrund noch Defizite hinsichtlich ihrer Integration in den Arbeitsmarkt bestehen. Die Arbeitslosenquote von Ausländerinnen und Ausländern sei im Vergleich zur einheimischen Bevölkerung hoch und die Potenziale von Erwerbspersonen mit Migrationshintergrund würden folglich nur unzureichend ausgeschöpft. Allerdings sei die Erwerbstätigenquote von 2006 bis 2011 von Personen mit Migrationshintergrund angestiegen.38 In dem Bericht heißt es zum Sicherungspfad Integration und qualifizierte Zuwanderung: „Es besteht ein breiter Konsens darüber, dass die Arbeitsmarktintegration deutlich verbessert werden muss, auch um angesichts der demografischen Entwicklung die vorhandenen Erwerbspotenziale besser auszuschöpfen und Dequalifizierungstendenzen zu stoppen. Daher verfolgt die Bundesregierung das Ziel, mit dem am 1. April 2012 in Kraft getretenen Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen des Bundes die qualifikationsadäquate Integration von Personen mit ausländischen Berufsabschlüssen in das Erwerbsleben zu fördern.“39 Daneben habe aber auch die qualifizierte Zuwanderung eine hohe Bedeutung für die Fachkräftesicherung . Für die Zuwanderung von Fachkräften aus Drittstaaten beispielsweise wurde die Blaue Karte EU geschaffen, die Änderungen im Aufenthalts- und Ausländerbeschäftigungsrecht zur Folge hatte. Diese sollen insbesondere ausländischen Studierenden und Studienabsolventen deutscher Hochschulen, Ausländern, die in Deutschland eine qualifizierte Berufsausbildung absolviert haben sowie Selbständigen und Unternehmensgründern zugutekommen.40 Im Rahmen der sogenannten Fachkräfte-Offensive der Bundesregierung wurde das mehrsprachige Willkommensportal für internationale Fachkräfte www.make-it-in-germany.com gestartet. 5.2. Fraktionen im Deutschen Bundestag Der Deutsche Bundestag hat sich in der vergangenen Legislaturperiode insbesondere im Zuge der Einführung der Blauen Karte EU für Hochqualifizierte mit dem Thema Zuwanderung beschäftigt. 38 BMAS (2013), S. 47. 39 BMAS (2013), S. 48. 40 BMAS (2013), S. 52. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 054/14 Seite 16 Die Blaue Karte EU erhalten seit dem 1. August 2012 Drittstaatsangehörige, die über einen akademischen Abschluss sowie ein konkretes Arbeitsplatzangebot verfügen.41 Eine Zusammenfassung der Debatte vom 27. April 2012 mit Hinweisen zu Anträgen einzelner Fraktionen zur Einführung der Blauen Karte EU ist unter folgenden Links zu finden: https://bundestag.de/dokumente/textarchiv/2012/38766290_kw17_de_zuwanderung/index.html https://bundestag.de/dokumente/textarchiv/2012/38648164_kw17_sp_zuwanderung/index.html. Zudem hat der Europa-Ausschuss des Bundestags am 29. Januar 2014 eine Debatte über Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU geführt. Eine Zusammenfassung findet sich unter: http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2014/48967390_kw05_pa_europa/index.html 5.3. Sozialpartner Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) haben am 21. Januar 2014 eine gemeinsame Erklärung zur Freizügigkeit in Europa abgegeben. Darin heißt es: „BDA und DGB setzen sich gemeinsam dafür ein, Menschen mit geringen Qualifikationen eine nachhaltige Teilhabe auf dem Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Hierin liegt in den kommen Jahren eine zentrale Herausforderung. (…) Zugleich sehen DGB und BDA in der Förderung einer Willkommenskultur für qualifizierte Fachkräfte aus aller Welt einen entscheidenden Faktor für mehr wirtschaftliche Dynamik und Beschäftigungsmöglichkeiten für alle Menschen in Deutschland. Ein solcher Kulturwandel muss in verbesserten Rahmenbedingungen für die Zuwanderung und die ökonomische und gesellschaftliche Partizipation der Zugewanderten zum Ausdruck kommen. Hier sind Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen gefragt. Dazu gehört, jungen Menschen, die in Deutschland arbeiten, studieren oder eine Ausbildung beginnen wollen, gute Ausbildungs- und Studienbedingungen zu bieten, die Anerkennung von Berufsabschlüssen zu vereinfachen und bürokratische Hindernisse für Zuwanderung abzubauen. BDA und DGB setzen sich gemeinsam für gleiche Teilhabechancen und für die Gleichbehandlung bei den Arbeits- und Lebensbedingungen unabhängig von der Staatszugehörigkeit ein. Dazu gehört auch der Einsatz gegen den Missbrauch der Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit . (…) Weil die Zuwanderer insbesondere aus den mittel- und osteuropäischen Ländern sich zunächst in einigen Ballungsräumen und Großstädten niederlassen, werden die Ressourcen dieser Städte und Regionen besonders beansprucht. Viele Kommunen können die notwendigen Integrations- 41 Bünte; Knödler (2012), S. 1256ff Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 054/14 Seite 17 aufgaben nicht allein bewältigen. DGB und BDA fordern Bund und Länder auf, diese Kommunen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben gezielt und konsequent zu unterstützen. Mit übertriebenen Befürchtungen über massenhafte Zuwanderung in die Sozialsysteme verpassen wir jedoch die Chance, gut qualifizierten Fachkräften das notwendige Signal zu senden, dass sie in Deutschland willkommen sind und dringend benötigt werden.“ Die vollständige Erklärung ist unter http://www.dgb.de/presse/++co++961ab4fa-8288-11e3-9597- 52540023ef1a abrufbar (letzter Abruf am 13. März 2014). 5.4. Deutscher Städtetag Der Deutsche Städtetag hat im Januar 2013 ein Positionspapier zu den Fragen der Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien veröffentlicht. Darin heißt es unter anderem: „Bei den derzeitigen Wanderungsbewegungen von Menschen aus Rumänien und Bulgarien handelt es sich um ein Problem, für dessen Bewältigung ein koordiniertes Zusammenwirken von Bund, Ländern, europäischer Ebene und anderen relevanten Akteuren erforderlich ist. Hierzu rufen wir mit diesem Positionspapier auf und fordern zu einem Dialog auf. Dabei geht es uns nicht um eine Abschottung Deutschlands vor Zuwanderung, vielmehr geht es um Gelingensbedingungen von Integration.“ Mit Blick auf die Zuwanderung von Bulgaren und Rumänen, „die in den neuen Beitrittsstaaten teilweise unter prekärsten Bedingungen leben und als EU-Bürgerinnen und Bürger aus nachvollziehbaren Gründen die Chance zu einer Verbesserung der eigenen Lebenssituation im übrigen Europa suchen“, weist der Deutsche Städtetag auf die stark steigende Zahl von Zuwanderern aus diesen beiden Ländern hin, was viele deutsche Kommunen zu überfordern drohe. In dem Papier heißt es weiter: „Als problematisch anzusehen sind oft eine schlechte Bildungs- und Ausbildungssituation sowie fehlende oder mangelhafte Sprachkenntnisse. Auch die sozialisationsbedingten Erfahrungshorizonte erschweren eine Integration erheblich. Dadurch fällt es den betroffenen Menschen häufig sehr schwer, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, in vielen Fällen gelingt dies gar nicht. Wir stellen dabei auch fest, dass die soziale Notlage der Menschen vielfach missbraucht wird, indem organisiert durch Schlepper gegen ein hohes Entgelt die Vorbereitung der Kindergeldanträge sowie die Vorbereitung des Gewerbezulassungsverfahrens oder die Vermittlung von Wohnraum zu Wuchermieten vorgenommen wird. Dies verstärkt zusätzlich den Druck auf die Zuwanderinnen und Zuwanderer, sich illegal Einkommen zu verschaffen, zu Dumpinglöhnen zu arbeiten oder der Prostitution sowie der Bettelei nachzugehen. (…)“ Der Deutsche Städtetag formuliert Handlungsbedarf in vielen Bereichen und schildert die Probleme aus kommunaler Sicht: „Den Kommunen entstehen durch diese Armutsmigration erhebliche Kosten z.B. für die Schaffung von Notunterkünften, medizinische Grundversorgung oder sozial flankierenden Leistungen und der Bereitstellung von Beratungsangeboten. Dies bedeutet für sie eine erneute zusätzliche finanzielle Belastung.“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 054/14 Seite 18 Daher stellt der Deutsche Städtetag Forderungen an die Bundesländer, den Bund und die Europäische Union. Darunter fallen unter anderem ein besseres Zusammenwirken der Integrationspolitik von Bund, Ländern und Kommunen, eine bessere Einbeziehung der kommunalen Ebene in die Europapolitik des Bundes, die Förderung der sozialen, gesundheitlichen und beruflichen Integration von Migranten durch Mittel des Europäischen Sozialfonds und anderer Programme als fiskalische Absicherung schneller Nothilfe und langfristiger Lösungsansätze und die Erarbeitung spezifischer Konzepte für Integrationsmaßnahmen gemeinsamt mit Bund und Kommunen wie zum Beispiel die Absicherung des Krankenversicherungsschutzes und des Erwerbs der Sprache . Das vollständige Positionspapier des Deutschen Städtetages ist unter http://www.staedtetag.de/presse/mitteilungen/064517/index.html abrufbar. Die Bundesregierung hat im Januar 2014 einen ressortübergreifenden Staatssekretärsausschuss eingerichtet, der sich mit Rechtsfragen und Herausforderungen bei der Inanspruchnahme der sozialen Sicherungssysteme durch Zuwanderer aus EU-Mitgliedstaaten beschäftigt. Am 20. Februar berichteten unter anderem Vertreter des Deutschen Städtetages, des Deutschen Landkreistages etc. vor dem Ausschuss. Im Fokus des Austauschs sollten nach Auskunft der Bundesregierung vor allem Möglichkeiten der Unterstützung der Kommunen stehen. Der Ausschuss arbeitet unter der gemeinsamen Federführung des Bundesinnenministeriums (BMI) und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). Bis Ende März soll ein Zwischenbericht vorliegen, der Abschlussbericht soll im Juni fertiggestellt werden.42 5.5. Katholischer Altenhilfeverband Der Verband katholischer Altenhilfe in Deutschland e.V. hat im Jahr 2011 ein Positionspapier zum Thema Zuwanderung und Personalmangel in der Pflege veröffentlicht. Darin heißt es unter anderem: „Für die Altenhilfe zählt, ob Menschen neben der erforderlichen Fachkompetenz auch Sprachund Kulturkompetenz einbringen können. Gerade angesichts der zu erwartenden steigenden Zahl von Demenzkranken wird von Pflegenden erwartet, dass sie sich in die Biografie und die Umgebung von Demenzkranken hineindenken und –fühlen können, denn bei der Pflege dieser Personen sind gerade die Ansprache in der Muttersprache, besser noch im Dialekt des Herkunftsortes, die Kenntnis ihres persönlichen Umfeldes und ihres Milieus entscheidende Faktoren, um Verwirrtheit und Desorientierung zu mindern. Demenzkranken mit Migrationshintergrund können Pflegepersonen, die ihre Sprache beherrschen und Kultur kennen, eine besondere Hilfe bieten. Dieser Bedarf ist absehbar über Pflegekräfte , die aus der bereits in Deutschland lebenden zweiten oder dritten Generation der Migranten stammen, abzudecken. Die Pflegebranche beschäftigt heute schon eine hohe Zahl von Arbeits- 42 Vgl. Information auf der Homepage des BMI und BMAS vom 20. Februar 2014. Abrufbar unter: http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2014/02/stausschuss-armutszuwanderung.html und http://www.bmas.de/DE/Themen/Soziales-Europa-und- Internationales/Meldungen/2014_02_20_staatssekretaerausschuss.html (letzter Abruf am 18. März 2014). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 054/14 Seite 19 kräften mit diesen Qualifikationen. Bedacht werden muss aber auch, dass Menschen, die die deutsche Sprache noch nicht ausreichend beherrschen bzw. die Kultur nicht genügend kennen, bei deutschen Pflegebedürftigen, vor allem solchen mit Demenz, nur begrenzt eingesetzt werden können.“ Der vollständige Text ist unter http://www.vkad.de/positionen/positionspapiere/zuwanderungundpersonalmangelinderpflege abrufbar (letzter Abruf am 14. März 2014). 5.6. Umfragen zum Thema Zuwanderung Zu der Frage, wie die Bevölkerung in Deutschland über das Thema Fachkräftemangel und Zuwanderung denkt, gibt es zahlreiche Umfragen verschiedener Institute. Im Folgenden werden beispielhaft einige Umfrageergebnisse vorgestellt. Das Umfrageinstitut TNS Emnid hat im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung im Jahr 2012 ein recht differenziertes Ergebnis ermittelt. Demnach ist die Bevölkerung in der Frage, ob Zuwanderung Deutschland nutzt oder schadet, „hin- und hergerissen“. 43 Auf der einen Seite befördert Zuwanderung für sieben von zehn Befragten die Ansiedlung internationaler Firmen und macht das Leben in Deutschland interessanter. 62 Prozent der Bürger sahen Vorteile darin, dass Zuwanderung die Überalterung der Gesellschaft mindere. Jeder Zweite erachtete Zuwanderung als wirksames Mittel gegen Fachkräftemangel. Aber gleichzeitig waren zwei Drittel der befragten Bürger der Auffassung, dass Zuwanderung zu zusätzlichen Belastungen in den sozialen Sicherungssystemen, zu Konflikten mit Einheimischen und Problemen in den Schulen führe. Knapp die Hälfte der Befragten (47 Prozent) äußerte Bedenken , dass Zuwanderung in den Ballungsräumen zu Wohnungsnot führt.44 45 Prozent der Befragten insgesamt bejahten aber die Einschätzung, dass Zuwanderung zu Mehreinnahmen in der Rentenversicherung führt.45 Jüngere im Alter zwischen 14 und 29 Jahren standen der Zuwanderung und der Entwicklung einer Willkommens- und Anerkennungskultur mit gesetzlicher Absicherung offener gegenüber als die Gesamtbevölkerung.46 Zugleich waren 56 Prozent der Befragten der Auffassung, dass Deutschland das attraktivste Land für hochqualifizierte Zuwanderer darstellt, gefolgt von den USA (44 Prozent) und Frankreich (15 43 Bertelsmann-Stiftung, Pressemeldung vom 17. Dezember 2012. Abrufbar unter: http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/SID-366ADBF6- AC628465/bst/hs.xsl/nachrichten_114652.htm?drucken=true& (letzter Abruf am 18. März 2014). 44 Kober, Ulrich (2012), S. 5. 45 Kober, Ulrich (2012), S. 6. 46 Kober, Ulrich (2012), S. 3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 054/14 Seite 20 Prozent). Migranten sahen Deutschland als ebenso attraktiv an wie Befragte ohne Migrationshintergrund , während die USA von Migranten deutlich schlechter beurteilt wurden.47 Das Institut infratest dimap hat im Auftrag des ARD-DeutschlandTrend vom 9. Januar 2014 ermittelt , dass 68 Prozent der befragten Bundesbürger die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte befürworteten. 76 Prozent äußerten aber zugleich die Auffassung, dass sich die politischen Parteien nicht genug „um die Probleme, die durch Zuwanderung entstehen“, kümmerten.48 Die Deutsche Welle hat im Zuge der Volksentscheidung in der Schweiz zur Begrenzung der Zuwanderung von Ausländern ebenfalls das Meinungsforschungsinstitut infratest-dimap mit einer Befragung beauftragt. Demnach waren 48 Prozent der 1.001 befragten erwachsenen Deutschen für eine Begrenzung der Zuwanderung, 46 Prozent sprachen sich dagegen aus.49 6. Fazit Die demografische Entwicklung mit den Tendenzen der Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung im Erwerbsalter hat erhebliche Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt und die deutsche Wirtschaft. Denn mit einem Rückgang des Arbeitsangebots verbindet sich die Frage, ob und in welchem Umfang dies auch einen Arbeitskräftemangel mit sich bringen wird. Neben der Mobilisierung so genannter inländischer Potenziale, wie beispielsweise eine Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren und einer besseren Arbeitsmarktintegration von Langzeitarbeitslosen und gering Qualifizierten, wird von allen beteiligten Akteuren am Arbeitsmarkt auch die gesteuerte Zuwanderung ausländischer Fachkräfte empfohlen. Eine an den Bedürfnissen des deutschen Arbeitsmarktes orientierte Zuwanderung eröffnet die Chance, drohende Ungleichgewichte zwischen Arbeitsnachfrage und Arbeitsangebot zu mildern und Engpässe zu vermeiden. Dabei ist jedoch nach Ansicht vieler Experten darauf zu achten, dass vor allem qualifizierte Arbeitskräfte nach Deutschland kommen. Jüngste Statistiken und Studien zeigen, dass sich das Qualifikationsniveau der in den vergangenen zehn Jahren zugewanderten Personen deutlich verbessert hat. Daneben muss die Arbeitsmarktintegration der ausländischen Bevölkerung bzw. der Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland weiter verstärkt werden. Hier sind nach Ansicht vieler Fachleute die Potenziale noch nicht voll ausgeschöpft. Zuwanderung kann aber auch Risiken bergen. Insbesondere steht vielfach die Befürchtung im Raum, dass durch Zuwanderung die Arbeitslosigkeit steigen und die Löhne sinken könnten. Die Bertelsmann-Studie kommt zu dem Schluss, dass dies nicht zwingend der Fall sein müsse. Ar- 47 Kober, Ulrich (2012), S. 19. 48 Information auf der Homepage der ARD-Tagesschau. Abrufbar unter:. https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend2140.html (letzter Abruf am 18. März 2014). 49 Information auf der Homepage der Deutschen Welle. Abrufbar unter: http://www.dw.de/dw-umfrage-auchdeutsche -w%C3%BCrden-zuwanderung-begrenzen/a-17428845 (letzter Abruf am 18. März 2014). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 054/14 Seite 21 beits-, Kapital- und Gütermärkte sowie Produktionsprozesse passten sich einem veränderten Arbeitsangebot an, was Lohn- und Beschäftigungseffekte der Migration ausgleichen könne. Zudem machen Experten darauf aufmerksam, dass das soziale und wirtschaftliche Gefälle in der EU zu einer „Sozialtransfermigration“ führen und somit auch zu einer Überlastung des deutschen Sozialsystems führen könne. Der Sachverständigenrat für Integration und Migration schätzt die Situation vor allem dann als schwierig ein, wenn sich das Wohlstandsgefälle innerhalb der EU weiter verstärke, eine damit gekoppelte Migration steige und Ansprüche an das deutsche Sozialsystem entstünden, die sich nicht aus einer Erwerbstätigkeit in Deutschland ableiten lassen. 7. Literaturliste Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Fortschrittsbericht 2012 zum Fachkräftekonzept der Bundesregierung, Stand: Dezember 2012. http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF- Pressemitteilungen/2013/fortschrittsbericht-fachkraefte-2013-01.pdf?__blob=publicationFile (letzter Abruf am 11. März 2014). Brücker, Herbert (2013b). Auswirkungen der Einwanderung auf Arbeitsmarkt und Sozialstaat: Neue Erkenntnisse und Schlussfolgerungen für die Einwanderungspolitik. Bielefeld: Bertelsmann . http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-2A5C2FD7- 9825CE24/bst/xcms_bst_dms_37927__2.pdf (letzter Abruf am 11. März 2014). Brücker, Herbert; Klinger, Sabine; Möller, Joachim; Walwei, Ulrich (Hrsg.) (2012). Handbuch Arbeitsmarkt 2013. Analysen, Daten, Fakten. (IAB-Bibliothek, 334), Bielefeld: Bertelsmann, 307 S. Das Handbuch ist im Präsenzbestand der Bibliothek des Deutschen Bundestags (Sign: SOZ 7.1 1). Bünte, Rudolf; Knödler, Christoph (2012). Die „Blaue karte EU“ – Neues zur Integration ausländischer Arbeitnehmer in den deutschen Arbeitsmarkt. In: Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), 22 (2012), S. 1255-1260. www.beck-online.de. (letzter Abruf am 13. März 2014). Kober, Ulrich (2012). Willkommenskultur in Deutschland. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage in Deutschland. TNS Emnid im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung, Gütersloh. http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/SID-366ADBF6- AC628465/bst/hs.xsl/nachrichten_114652.htm?drucken=true& (letzter Abruf am 18. März 2014). Kolodziej, Daniela (2012). Fachkräftemangel in Deutschland. Statistiken, Studien, Strategien. 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