© 2020 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 053/20 Verfassungsrechtliche Aspekte eines Verbots von Werkverträgen und Leiharbeit in der Fleischwirtschaft Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 053/20 Seite 2 Verfassungsrechtliche Aspekte eines Verbots von Werkverträgen und Leiharbeit in der Fleischwirtschaft Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 053/20 Abschluss der Arbeit: 17. Juni 2020 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 053/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Eckpunkte für ein „Arbeitsschutzprogramm der Fleischwirtschaft“ 4 2. Der Einsatz von Werkverträgen in der Fleischwirtschaft 5 3. Erste Reaktionen auf die Verbotsankündigung 6 4. Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung als Flexibilisierungsinstrumente 7 5. Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe 8 5.1. Entstehungsgeschichte 8 5.2. Verfassungsrechtliche Diskussion 10 5.2.1. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 12a AFG 10 5.2.2. Wandel der rechtlichen Rahmenbedingungen 11 6. Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in der Fleischwirtschaft 12 6.1. Berufsfreiheit 13 6.2. Bereits ergriffene Maßnahmen zur Verbesserung der Situation 13 6.2.1. Arbeitsbedingungen bei Arbeitnehmerentsendung 13 6.2.1.1. Arbeitnehmerentsendegesetz 13 6.2.1.2. Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft 14 6.2.2. Scheinselbständigkeit 14 6.2.2.1. Sozialversicherungsrecht 15 6.2.2.2. Arbeitsrecht 15 6.2.3. Selbstverpflichtung von Unternehmen der Fleischwirtschaft 16 6.2.4. Leitlinie der Nationalen Arbeitsschutzkonferenz 17 6.3. Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers 18 6.4. Gleichheitssatz 19 6.5. Infektionsschutz im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie 20 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 053/20 Seite 4 1. Eckpunkte für ein „Arbeitsschutzprogramm der Fleischwirtschaft“ Die Fleischwirtschaft steht seit Jahren immer wieder in der Kritik wegen der verbreiteten Praxis der Nutzung von Werkverträgen mit Subunternehmern, die vielfach in Mittel- und Osteuropa ansässig sind. Meist werden dabei niedrige Entlohnung und schlechte Arbeitsbedingungen der entsandten Arbeitskräfte, aber auch deren unzureichende Unterbringung beanstandet. Auch im Bundestag war das Thema in der laufenden Wahlperiode bereits Gegenstand mehrerer Kleiner Anfragen .1 Zuletzt wurden schließlich Fälle von Häufungen von COVID-19-Infektionen in Betrieben der Fleischindustrie auf die Arbeits- und Unterbringungsbedingungen entsandter Arbeitnehmer zurückgeführt.2 Das Bundeskabinett hat das Problem im Rahmen der Covid-19-Eindämmungsmaßnahmen aufgegriffen und am 20. Mai 2020 Eckpunkte für ein „Arbeitsschutzprogramm der Fleischwirtschaft“ verabschiedet,3 in denen neben verstärkten Maßnahmen zur Kontrolle der Einhaltung der Bestimmungen zum Arbeits-, Infektions- und Gesundheitsschutz unter anderem die Verpflichtung der Unternehmen zu zusätzlichen Aufzeichnungs- und Informationspflichten im Zusammenhang mit Arbeitsschutz und Unterbringung sowie eine Reihe weiterer gesetzgeberischer Maßnahmen zur Verbesserung der Effektivität der Kontrollen angekündigt werden. Als zentrales Element zur Bekämpfung struktureller Probleme in der Fleischwirtschaft sieht das Eckpunktepapier außerdem vor, dass ab dem 1. Januar 2021 das Schlachten und die Fleischverarbeitung in Betrieben der Fleischwirtschaft im Sinne des § 6 Abs. 10 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG)4 nur noch von Beschäftigten des eigenen Betriebes zulässig sein soll. Damit würden Werkverträge sowie Arbeitnehmerüberlassung in diesen Betrieben gesetzlich verboten. Um sicherzustellen, dass die Regelung nur Unternehmen trifft, deren Kerngeschäft Schlachten 1 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Friedrich Ostendorff, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 19/5834 - Arbeits- und Entlohnungsbedingungen in der Fleischwirtschaft, Bundestagsdrucksache 19/6323 vom 4. Dezember 2018; Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jutta Krellmann, Susanne Ferschl, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. - Drucksache 19/10537 - Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie, Bundestagsdrucksache 19/11284 vom 1. Juli 2019; Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jutta Krellmann, Susanne Ferschl, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. - Drucksache 19/17280 - Werkverträge in der Fleischindustrie, Bundestagsdrucksache 19/17679 vom 6. März 2020. 2 Vgl. z.B. Jansen, Jonas / Löhr, Julia / Preuß, Susanne: Corona-Alarm im Schlachthof, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. Mai 2020, S. 24; Hecking, Claus / Klawitter, Nils: Corona-Infektionen in Schlachthöfen - Eine verseuchte Branche, in: Spiegel.de vom 11. Mai 2020. 3 Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS): Eckpunkte „Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft “ vom 20. Mai 2020. Abrufbar im Internetauftritt des BMAS: https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads /DE/PDF-Pressemitteilungen/2020/eckpunkte-arbeitsschutzprogramm-fleischwirtschaft.pdf?__blob=publication File&v=3 (letzter Abruf: 8. Juni 2020). 4 Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen (Arbeitnehmer-Entsendegesetz - AEntG) vom 20. April 2009, (BGBl. I 2009 S. 799), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. November 2019 (BGBl. I 2019 S. 1756) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 053/20 Seite 5 und Fleischverarbeitung ist, soll bei der Ausgestaltung der Bestimmung auf eine rechtssichere Branchenabgrenzung geachtet werden. Für Betriebe des Fleischerhandwerks soll eine gesonderte Betrachtung möglich sein. Dieser Arbeit liegt die abstrakte Frage zugrunde, ob ein solches Verbot mit dem Grundgesetz vereinbar wäre. Ein konkreter Gesetzentwurf oder eine entsprechende Formulierungshilfe der Bundesregierung liegen - soweit ersichtlich - derzeit noch nicht vor. Auch detailliertere Angaben zur vorgesehenen Ausgestaltung eines solchen sektoralen Verbots von Werkverträgen und Arbeitnehmerüberlassung in der Fleischwirtschaft fehlen derzeit ebenso wie eine gesetzgeberische Begründung . Eine abschließende verfassungsrechtliche Beurteilung des angekündigten Verbots ist auf dieser Grundlage nicht möglich. 2. Der Einsatz von Werkverträgen in der Fleischwirtschaft Als Folge zunehmenden Wohlstands und steigender Fleischnachfrage entstanden neben dem Fleischerhandwerk bereits seit den 60er-Jahren immer mehr spezialisierte Schlachthöfe, Zerlegungs - und Fleischverarbeitungsbetriebe.5 Sie beschäftigen inzwischen (2017) trotz des mit fast zwei Dritteln weiterhin hohen Anteils von handwerklichen Kleinbetrieben mit weniger als zehn Beschäftigten mehr als 85 Prozent der Arbeitnehmer in der Fleischwirtschaft.6 Der vor allem seit der Jahrtausendwende beschleunigte Strukturwandel in der europäischen Fleischwirtschaft und zunehmender Preis- und Kostendruck hat auch in Deutschland zu einer starken Konzentration in der Branche geführt.7 Damit gingen ein „drastischer Verfall“8 und ein Rückgang der Zahl eigener Beschäftigter zugunsten eines zunehmenden Einsatzes von auf der Grundlage von Werkverträgen von ausländischen Subunternehmern entsandten Arbeitnehmern einher.9 Eine valide Erfassung der quantitativen Bedeutung von Werkverträgen ist nach Darstellung der Bundesregierung mit den derzeit verfügbaren Daten nicht möglich.10 Einer Umfrage der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) zufolge arbeiteten 2013 zwei Drittel der in der Branche 5 Bosch, Gerhard; Hüttenhoff, Frederic; Weinkopf, Claudia: Kontrolle von Mindestlöhnen, Wiesbaden 2019, Auszug : Abschnitt 7: Fleischwirtschaft, S. 191-236 (193 ff.). 6 Bosch/Hüttenhoff/Weinkopf (Fn. 5), S. 195 f. 7 Beile, Judith / Klein, Stefan / Maack, Klaus: Zukunft der Fleischwirtschaft, Edition der Hans Böckler Stiftung 186, Düsseldorf 2007, S. 54 ff., abrufbar im Internetauftritt der Hans Böckler Stiftung: https://www.boeckler .de/pdf/p_edition_hbs_186.pdf (letzter Abruf: 9. Juni 2020). 8 Bosch/Hüttenhoff/Weinkopf (Fn. 5), S. 192. 9 Bosch/Hüttenhoff/Weinkopf (Fn. 5), S. 196, 198. 10 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jutta Krellmann, Susanne Ferschl, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. - Drucksache 19/10537 - Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie, Bundestagsdrucksache 19/11284 vom 1. Juli 2019, S. 6 unter Bezugnahme auf eine vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Auftrag gegebene Studie. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 053/20 Seite 6 Beschäftigten auf der Basis eines Werkvertrags.11 Bei den Unternehmen, die 2015 einer freiwilligen Selbstverpflichtung zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Beschäftigten der Subunternehmen 12 beigetreten sind, ist der Anteil dieser Beschäftigten bis 2017 auf 42,1 Prozent gesunken . Der Anteil eigener Beschäftigter lag 2017 bei lediglich 49,1 Prozent.13 Der Arbeitnehmerüberlassung dürfte gegenüber werkvertraglichen Gestaltungen in der Fleischwirtschaft eine untergeordnete Bedeutung zukommen. Bei den Unternehmen mit Selbstverpflichtung lag ihr Anteil 2017 bei 8,7 Prozent.14 „In der Fleischwirtschaft sind so genannte ‚Onsite‘-Werkverträge […] weit verbreitet. Subunternehmen aus Mittel- und Osteuropa übernehmen mit ihren entsandten Arbeitskräften in den deutschen Unternehmen der Fleischwirtschaft mehr oder weniger große Teile der Schlachtung, Produktion und Verpackung. Die Beschäftigten behalten arbeitsrechtlich ihren Arbeitsplatz und die soziale Sicherung im Heimatland.“15 Daneben werden in der Fleischwirtschaft nicht selten Werkverträge mit Einzelpersonen geschlossen, die als einzelne Solo-Selbständige auftreten.16 Auch kommt es Medien zufolge zu Kettenwerkverträgen mit mehreren Subunternehmern, an deren Ende zum Teil ebenfalls Solo-Selbstständige stehen.17 3. Erste Reaktionen auf die Verbotsankündigung Während die Gewerkschaft NGG das mit den Eckpunkten angekündigte Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in der Fleischindustrie ab 2021 begrüßte und mit der „Beseitigung eines 11 Maiweg, Bernd: Beispiel aus der Praxis - Schlachtindustrie: Zwei Drittel arbeiten mit Werkvertrag, 2. Dezember 2015. Abrufbar im Internetauftritt des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB): https://www.dgb.de/themen /++co++7a053b0e-98f8-11e5-a772-52540023ef1a (letzter Abruf: 10. Juni 2020). 12 Siehe dazu unten Punkt 6.2.3, S. 16. 13 Bosch/Hüttenhoff/Weinkopf (Fn. 5), S. 220. 14 Bosch/Hüttenhoff/Weinkopf (Fn. 5), S. 220. 15 Weinkopf, Claudia / Hüttenhoff, Frederic: Der Mindestlohn in der Fleischwirtschaft, WSI-Mitteilungen 7/2017, S. 533-539 (534). Abrufbar im Internetauftritt des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung: https://www.wsi.de/data/wsimit_2017_07_weinkopf.pdf (letzter Abruf: 9. Juni 2020). 16 Vgl. dazu das Praxisbeispiel bei Diepenbrock, Thorsten: Selbständigkeit und Arbeitnehmereigenschaft im Sozialrecht , NZS 2016, S. 127 (131). 17 NDR 1 - Niedersachsen: Das "Schweine-System" mit dem billigen Fleisch vom 22. Mai 2020. Abrufbar im Internetportal des NDR: https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Das-Schweine-System-mit-dem-billigen- Fleisch,fleischindustrie162.html (letzter Abruf: 10. Juni 2020). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 053/20 Seite 7 Krebsgeschwürs“ verglich,18 unterstützt der Verband der Fleischwirtschaft (VDF) zwar die vorgesehenen Ergänzungen zum Arbeitsschutz, erkennt jedoch in einem Verbot von Werkverträgen zur Erledigung bestimmter Tätigkeiten in Fleischbetrieben, die eine bestimmte Größenordnung überschreiten , eine willkürliche Diskriminierung. Die Abschaffung von Werkvertragsbeschäftigung für die Fleischwirtschaft sei im Übrigen vollkommen unangemessen, um die in der Kritik stehenden Sachverhalte zu regeln.19 4. Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung als Flexibilisierungsinstrumente Der Werkvertrag ist in § 631 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geregelt. Der Werkvertragsnehmer verpflichtet sich dabei gegen ein vereinbartes Entgelt zu einem bestimmten - vorliegend durch Arbeitsleistung zu erbringenden - Erfolg. Die Arbeitsleistung organisiert er selbständig und führt sie eigenverantwortlich durch. Dazu bedient sich der Werkvertragsnehmer in der Regel eigener Arbeitnehmer, er kann die Arbeitsleistung aber als sogenannter Solo-Selbständiger auch selbst erbringen. Wird die Arbeitsleistung durch grenzüberschreitenden Einsatz eigener Arbeitnehmer erbracht, handelt es sich um Arbeitnehmerentsendung im Sinne des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes . Demgegenüber stellt bei der Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG)20 ein Verleihunternehmen dem Entleiher bei ihm selbst eingestellte Arbeitskräfte zur Verfügung, die ihre Arbeitsleistung nach Weisung des Entleihers zur Verfügung stellen. Ein bestimmter Erfolg der Arbeitsleistung ist dabei anders als beim Werkvertrag nicht geschuldet. Während der Werkunternehmer für seine Arbeitnehmer verantwortlich bleibt und für Mängel bei der Arbeitsleistung haftet, erfolgt der Einsatz von Leiharbeitnehmern unter der alleinigen Verantwortung des Entleihers. Trotz der angedeuteten rechtlichen Unterschiede gehören Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung gleichermaßen zu den Instrumenten externer betrieblicher Flexibilität, deren Einsatz im Allgemeinen darauf abzielt, Unsicherheiten über die künftige Arbeitskräftenachfrage zu begegnen .21 Die Flexibilität des Personaleinsatzes ist ein wichtiger betriebswirtschaftlicher Stellhebel für die Wirtschaftlichkeit eines gewinnorientierten Betriebes und zur Sicherung der Wettbe- 18 Gewerkschaft NGG: Adjan: „Aus dem Kabinettsbeschluss muss ein Gesetz werden“, Pressemitteilung vom 20. Mai 2020; Abrufbar im Internetauftritt der Gewerkschaft NGG: https://www.ngg.net/pressemitteilungen /2020/adjan-aus-dem-kabinettsbeschluss-muss-ein-gesetz-werden/ (letzter Abruf: 10. Juni 2020). 19 VDF: Kabinettsbeschluss zu Werkvertragsregelung in der Fleischwirtschaft höchst fragwürdig. Abrufbar im Internetauftritt des VDF: https://www.v-d-f.de/news/pm-20200520-0138 (letzter Abruf: 10. Juni 2020). 20 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz in der Fassung vom 3. Februar 1995 (BGBl. 1995 I S. 258), das zuletzt durch Artikel 48 des Gesetzes vom 15. August 2019 (BGBl. I 2019 S. 1307) geändert worden ist. 21 Schäfer, Holger: Betrieblicher Einsatz flexibler Erwerbsformen, IW-Trends 1/2020, S. 3, 5. Abrufbar im Internettauftritt des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln): https://www.iwkoeln.de/studien/iw-trends/beitrag /holger-schaefer-betrieblicher-einsatz-flexibler-erwerbsformen-456852.html (letzter Abruf: 9. Juni 2020). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 053/20 Seite 8 werbsfähigkeit eines Betriebes. Durch ein Verbot des Einsatzes eines oder mehrerer Flexibilisierungsinstrumente in einem Wirtschaftszweig können Unternehmer dieser Branche in ihrer Erwerbstätigkeit beeinträchtigt sein. Ein branchenbezogenes gesetzliches Verbot der Arbeitnehmerüberlassung kennt unsere Rechtsordnung bislang ausschließlich für das Baugewerbe nach § 1b Satz 1 AÜG. Hinsichtlich eines Verbots der Leiharbeit in der Fleischwirtschaft kommt es insoweit unmittelbar als Modelltatbestand und Begründungsmaßstab in Betracht. Aus der damit verbundenen verfassungsrechtlichen Diskussion können daher grundlegende Anhaltspunkte abgeleitet werden. Dies gilt gleichermaßen für ein Verbot von Werkverträgen, da werkvertragliche Gestaltungen des Personaleinsatzes und Arbeitnehmerüberlassung gleichwertige Instrumente der Personalflexibilisierung sind. Beide Instrumente werden daher nachfolgend im Rahmen der verfassungsrechtlichen Betrachtung nicht mehr unterschieden. 5. Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe22 § 1b Satz 1 AÜG legt den Grundsatz fest, dass die Arbeitnehmerüberlassung in Betriebe des Baugewerbes für Arbeiten, die üblicherweise von Arbeitern verrichtet werden, unzulässig ist. Davon ausgenommen sind gemäß § 1b Satz 2 Buchstaben a) und b) AÜG Arbeitnehmerüberlassungen zwischen Betrieben, die ein für allgemeinverbindlich erklärter Tarifvertrag bestimmt, oder wenn der verleihende Betrieb seit über drei Jahren von denselben Rahmen- und Sozialkassentarifverträgen oder von deren Allgemeinverbindlichkeit erfasst ist. Eine weitere Ausnahme statuiert § 1b Satz 3 AÜG unter bestimmten Voraussetzungen für Betriebe des Baugewerbes mit Geschäftssitz in einem anderen Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraumes. 5.1. Entstehungsgeschichte Nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein generelles Verbot der Arbeitnehmerüberlassung mit Urteil vom 4. April 196723 für unvereinbar mit dem Grundrecht der freien Berufswahl aus Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) erklärt hatte, war Leiharbeit in allen Wirtschaftszweigen , auch im Baugewerbe, zulässig und wurde durch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz vom 7. August 1972 geregelt. 22 Dieser Abschnitt beruht im Wesentlichen auf einer früheren Arbeit dieses Fachbereichs (WD 6 - 3000-134/19). 23 BVerfG, Urteil vom 4. April 1967 – 1 BvR 84/65 – BVerfGE 21, 261, 267 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 053/20 Seite 9 Im weiteren Verlauf stellte die Bundesregierung fest, dass sich im Bereich der Bauwirtschaft „unter den besonderen Bedingungen der Tätigkeit häufig wechselnder Arbeitnehmer auf wechselnden Baustellen unter dem Deckmantel der zugelassenen Arbeitnehmerüberlassung der illegale Arbeitskräfteverleih ausgedehnt hat.“ 24 Darin erkannte der Gesetzgeber eine Gefährdung der Ordnung des Arbeitsmarktes in der Bauwirtschaft . Artikel 1 § 1 des Gesetzes zur Konsolidierung der Arbeitsförderung vom 22. Dezember 1981 normierte daher in § 12a des damaligen Arbeitsförderungsgesetzes mit Wirkung vom 1. Januar 1982 ein generelles Verbot der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung im Baugewerbe. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Die relativ hohe Zahl der legal und illegal tätigen Leiharbeitnehmer führt vornehmlich im Baugewerbe zu besonders nachteiligen Auswirkungen. Auf Leiharbeitnehmer finden die Tarifverträge des Wirtschaftszweiges, in dem sie eingesetzt werden, keine Anwendung. Daher bleibt ein bedeutender Teil der im Baugewerbe tatsächlich tätigen Arbeitnehmer vom sozialen Schutz der auf ihre Tätigkeit zugeschnittenen tariflichen Regelungen ausgeschlossen. Diese Arbeitnehmer erhalten insbesondere keine Leistungen von den Sozialkassen der Bauwirtschaft , der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse und der Zusatzversorgungskasse (Einrichtung und Tätigkeit der Kassen beruhen auf Tarifverträgen, die für allgemeinverbindlich erklärt worden sind). Unternehmen, die Leiharbeitnehmer verleihen, haben einen erheblichen Wettbewerbsvorsprung gegenüber Bauunternehmen, die nur Stammarbeitnehmer beschäftigen, weil Verleiher für ihre im Baugewerbe tätigen Arbeitnehmer insbesondere auch keine Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes entrichten […]. Auch die Verleiher, die in die Bauwirtschaft verleihen , haben Wettbewerbsvorteile gegenüber Bauunternehmen, die ähnliche Leistungen im Rahmen von Werkverträgen erbringen.“25 Das branchenbezogene Verbot der Arbeitnehmerüberlassung verfolgte damit drei Ziele: Sie sollte der Zunahme illegaler Beschäftigung von betriebsfremden Arbeitern auf Baustellen entgegenwirken , die Sozialkassen des Baugewerbes stärken und Wettbewerbsvorteile für Bauunternehmen ausschließen, die verstärkt mit Leiharbeitnehmern wirtschafteten. Zusammen mit den im gleichzeitig in Kraft getretenen Gesetz zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung vom 15. Dezember 1981 vorgesehenen Maßnahmen gegen illegale Leiharbeit und Schwarzarbeit, die jedoch allein zur Wiederherstellung der Teilarbeitsmarktordnung nicht ausreichten, sollte die Regelung zur Umwandlung illegaler in legale Arbeitsverhältnisse führen.26 24 Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Konsolidierung der Arbeitsförderung vom 28. September 1981, Bundestagsdrucksache 9/846, S. 33. 25 Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Konsolidierung der Arbeitsförderung vom 28. September 1981, Bundestagsdrucksache 9/846, S. 35. 26 Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Konsolidierung der Arbeitsförderung vom 28. September 1981, Bundestagsdrucksache 9/846, S. 33, 36. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 053/20 Seite 10 Später wurde das Verbot durch dem heutigen § 1b Satz 2 AÜG entsprechende Ausnahmen ergänzt . Die Regelung des § 12a AFG wurde durch Artikel 63 des Gesetzes zur Reform der Arbeitsförderung vom 24. März 1997 mit Wirkung vom 1. Januar 1998 als § 1b in das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz überführt. Durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 22. Dezember 2003 wurde die weitere Ausnahme des § 1b Satz 3 AÜG angefügt, die der Auffassung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Europäischer Gerichtshof - EuGH) Rechnung trug, dass § 1b AÜG gegen die Dienstleistungsfreiheit verstoße.27 5.2. Verfassungsrechtliche Diskussion 5.2.1. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 12a AFG Das Bundesverfassungsgericht, das sich bereits unmittelbar nach Einführung des § 12a AFG im Rahmen mehrerer Verfassungsbeschwerden mit dessen Verfassungsmäßigkeit zu befassen hatte, stellte mit Beschluss vom 6. Oktober 1987 die Vereinbarkeit des (damals noch ausnahmslos geltenden ) sektoralen Leiharbeitsverbots mit dem Grundgesetz fest.28 Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts war dabei allein Art. 12 Abs. 1 GG, der die Berufsfreiheit garantiert und in die das sektorale Arbeitnehmerüberlassungsverbot eingreife. Das Arbeitnehmerüberlassungsverbot berührt nach Überzeugung des Bundesverfassungsgerichts zwar nicht die Berufswahlfreiheit der Verleiher im Baugewerbe, da die verbotene Verleihtätigkeit keinen eigenständigen Beruf darstelle. Jedoch werde die Berufstätigkeit solcher Verleiher, die vorrangig in das Baugewerbe verliehen hatten, spürbar eingeschränkt, sodass das Verbot wegen seiner Auswirkungen einem Eingriff in die Freiheit der Berufswahl nahekomme. Deshalb könne es nicht mit jeder vernünftigen Erwägung des Gemeinwohls gerechtfertigt werden, sondern nur durch besonders schwerwiegende Allgemeininteressen.29 Das Bundesverfassungsgericht hat aber in diesem Zusammenhang den weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers auf dem Gebiet der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftsordnung und dessen Einschätzungsund Prognoseprärogative hervorgehoben: „Es ist vornehmlich Sache des Gesetzgebers, auf der Grundlage seiner wirtschafts-, arbeitsmarkt - und sozialpolitischen Vorstellungen und Ziele und unter Beachtung der Sachgesetzlichkeiten des betreffenden Gebiets zu entscheiden, welche Maßnahmen er im Interesse des Gemeinwohls ergreifen will. Auch bei der Prognose und Einschätzung gewisser der Allgemeinheit drohender Gefahren, zu deren Verhütung der Gesetzgeber glaubt tätig werden zu müssen, billigt ihm die Verfassung einen Beurteilungsspielraum zu […].“30 27 EuGH, Urteil vom 25. Oktober 2001 - Rs. C 493/99. 28 BVerfG, Beschluss vom 6. Oktober 1987 - 1 BvR 1086/82, 1 BvR 1468/82, 1BvR 1623/82. 29 BVerfG, Beschluss vom 6. Oktober 1987 - 1 BvR 1086/82, 1 BvR 1468/82, 1BvR 1623/82, Rn. 73 f., zitiert nach juris. 30 BVerfG, Beschluss vom 6. Oktober 1987 - 1 BvR 1086/82, 1 BvR 1468/82, 1BvR 1623/82, Rn. 75, zitiert nach juris . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 053/20 Seite 11 Die Wiederherstellung der gestörten Ordnung auf dem Teilarbeitsmarkt des Baugewerbes mit dem Ziel der Sicherung eines geordneten Arbeitsmarktes und einer stabilen arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Situation abhängig Beschäftigter und die Sicherung der finanziellen Stabilität der Träger der Sozialversicherung, denen durch verschiedene Formen illegaler Leiharbeit Beitragsverluste in erheblicher Höhe entstünden, seien gleichermaßen bedeutende Gemeinwohlbelange . Die insoweit in der zitierten Gesetzesbegründung (siehe oben 5.1, S. 9) dargelegte Annahme des Gesetzgebers lasse sich nicht als unvertretbar oder nachweislich unrichtig entkräften .31 Der Schutz des Eigentums aus Art. 14 GG ist demgegenüber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durch das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in das Baugewerbe nicht verletzt. Das streitige Verbot treffe die Verleihunternehmen und die Betriebe des Baugewerbes nicht in der Ausübung von Eigentümerbefugnissen oder im Ergebnis ihrer beruflichen Betätigung , sondern beziehe sich auf die Art der Berufsausübung. Etwas anderes ergebe sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes. Auch die den Betrieben des Baugewerbes entzogene Möglichkeit, ihre Personalbedarfsplanung durch Leiharbeitnehmereinsatz flexibler und rentabler zu gestalten, werde von der Gewährleistung des Eigentums ebenfalls nicht erfasst. Namentlich folge aus Art. 14 Abs. 1 GG kein übergreifender Schutz ökonomisch sinnvoller und rentabler Eigentumsnutzung und hierfür bedeutsamer unternehmerischer Dispositionsbefugnisse.32 Verneint wird vom Bundesverfassungsgericht in der genannten Entscheidung auch ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Soweit eine gleichheitswidrige Benachteiligung im Vergleich zu den Unternehmen anderer Wirtschaftszweige und eine ungerechtfertigte Bevorzugung der vom Verbot nicht erfassten Unternehmen geltend gemacht wurde, mit denen sie bei der Erbringung von Bauleistungen in Konkurrenz stehen, hebt das Gericht die der Beschränkung des Verbotes auf den Verleih in Betriebe des Baugewerbes zugrunde liegende sachlich vertretbare Einschätzung des Gesetzgebers hervor, dass dort die durch legale und illegale Leiharbeit bewirkten Störungen, Gefahren und Missstände besonders ausgeprägt gewesen seien.33 5.2.2. Wandel der rechtlichen Rahmenbedingungen Trotz der verfassungsgerichtlichen Bestätigung des sektoralen Arbeitnehmerüberlassungsverbots stand die Regelung des § 1b AÜG in der Folge immer wieder in der Kritik. So hielt Hanau es in seinem Gutachten für den 63. Deutschen Juristentag 2000 für eine „Absurdität“, dass die Rege- 31 BVerfG, Beschluss vom 6. Oktober 1987 - 1 BvR 1086/82, 1 BvR 1468/82, 1BvR 1623/82, Rn. 77 ff., zitiert nach juris. 32 BVerfG, Beschluss vom 6. Oktober 1987 - 1 BvR 1086/82, 1 BvR 1468/82, 1BvR 1623/82, Rn. 105 ff., zitiert nach juris. 33 BVerfG, Beschluss vom 6. Oktober 1987 - 1 BvR 1086/82, 1 BvR 1468/82, 1BvR 1623/82, Rn. 111 ff., zitiert nach juris. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 053/20 Seite 12 lung, um illegale Leiharbeit zu unterbinden, legale Arbeitnehmerüberlassung verbiete, und empfahl daher im Zusammenhang mit Vorschlägen zur Flexibilisierung des Arbeitsmarkts deren Abschaffung .34 Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts haben sich die rechtlichen Rahmenbedingungen der Arbeitnehmerüberlassung erheblich verändert, sodass im rechtswissenschaftlichen Schrifttum vielfach angenommen wird, dass das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in das Baugewerbe verfassungsrechtlichen Bedenken begegne, weil sich die Gefahrenprognose des Gesetzgebers unter den heutigen Bedingungen nicht mehr aufrechterhalten lasse. So seien bereits durch die Einführung des Sozialversicherungsausweises zum 13. Oktober 198935 sowie die Verbesserung der Möglichkeiten zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und der illegalen Beschäftigung die Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten erheblich verbessert worden, Wettbewerbsverzerrungen und Beeinträchtigungen der Sozialkassen des Baugewerbes seien inzwischen durch § 8 Abs. 3 des AEntG ausgeschlossen. Hingewiesen wird in diesem Zusammenhang auch auf die Begrenzung einer Ausnahme der Leiharbeitnehmer von tariflichen Sozialleistungen des Baugewerbes durch das Gleichstellungsgebot nach § 8 AÜG und das Zugangsrecht nach § 13b AÜG.36 6. Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in der Fleischwirtschaft Ein branchenbezogenes Verbot von Arbeitnehmerüberlassung und Werkvertragsgestaltungen in der Fleischwirtschaft würde nach der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weder das Grundrecht auf Eigentum aus Art. 14 Abs. 1 GG noch unter dem Gesichtspunkt der Ungleichbehandlung gegenüber Unternehmen anderer Wirtschaftszweige den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzen.37 Die Begründung kann insoweit auf den hier in Rede stehenden Sachverhalt übertragen werden. 34 Hanau, Peter: Welche arbeits- und ergänzenden sozialrechtlichen Regelungen empfehlen sich zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit?, Gutachten C für den 63. Deutschen Juristentag, S. 72 f.; vgl. auch Buchner, Herbert: Welche arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen empfehlen sich für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, NZA 2000, S. 905, 912. 35 Gesetz zur Einführung eines Sozialversicherungsausweises und zur Änderung anderer Sozialgesetze vom 6. Oktober 1989 (BGBl. I 1989 S. 1822). 36 Vgl. z.B. Boemke. Burkhard, Die EG-Leiharbeitsrichtlinie und ihre Einflüsse auf das deutsche Recht, in: RIW 2009, S. 178, 182; Ulrici, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Handkommentar, 1. Auflage 2017, § 1b AÜG, Rn. 3 f.; Hamann, in Schüren/Hamann Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, 5. Auflage 2018, § 1b AÜG, Rn. 18; Kock, in Beck‘scher Online-Kommentar Arbeitsrecht (BeckOK ArbR), 53. Edition, Stand: 1. September 2019, jeweils mit weiteren Nachweisen. 37 Zu der vom VDF behaupteten Ungleichbehandlung der Fleischindustrie gegenüber Betrieben des Fleischereihandwerks siehe unten Punkt 6.4, S.19. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 053/20 Seite 13 6.1. Berufsfreiheit Eine solche Regelung wäre jedoch als Eingriff in den Schutzbereich der Berufsausübungsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG zu werten. Obwohl es sich dabei nur um Berufsausübungsregelungen handeln würde, könnte ein solches sektorales Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit wegen der Intensität des Grundrechtseingriffs nur durch besonders schwerwiegende Allgemeininteressen verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden. Dies wäre der Fall, wenn die Ordnung in dem betroffenen Teilarbeitsmarkt erheblich gestört und eine Wiederherstellung der Ordnung im Interesse der arbeits- und sozialrechtlichen Situation der Arbeitnehmer in diesem Teilarbeitsmarkt oder zur wirkungsvollen Eindämmung der COVID-19-Pandemie erforderlich wäre. Ob und in welchem Maße infolge der von der Bundesregierung in dem Eckpunktepapier konstatierten Missstände wie „Überbelegung, Wuchermieten, Verstöße gegen Hygiene- Abstands- und Arbeitsschutzbestimmungen (insbesondere fehlende Schutzausrüstung, zu geringer Sicherheitsabstand , keine arbeitsmedizinische Versorgung) sowie Verstöße gegen das Mindestlohn- und Arbeitszeitgesetz “38 im Teilarbeitsmarkt der Fleischwirtschaft aktuell gegeben sind oder befürchtet werden muss, dass es aufgrund dieser Missstände weiterhin verstärkt zu COVID-19-Ausbrüchen im Umfeld von Betrieben der Fleischwirtschaft kommt, lässt sich aus Sicht des Fachbereichs nicht beurteilen. Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Diskussion zum Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in das Baugewerbe sind die Voraussetzungen kritisch zu prüfen. 6.2. Bereits ergriffene Maßnahmen zur Verbesserung der Situation Die Diskussion zum Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe zeigt, dass es bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung eines Verbots von Werkverträgen und Zeitarbeit in der Fleischwirtschaft von Bedeutung sein kann, ob in der Vergangenheit bereits gesetzgeberische und sonstige Maßnahmen ergriffen wurden, die zu einer solchen Verbesserung der kritisierten Situation führen konnten oder absehbar führen können, sodass ein mit dem gesetzlichen Verbot verbundener Grundrechtseingriff nicht mehr als verhältnismäßig anzusehen sein könnte. 6.2.1. Arbeitsbedingungen bei Arbeitnehmerentsendung 6.2.1.1. Arbeitnehmerentsendegesetz Die Lohnsituation der entsandten Arbeitnehmer in der Fleischwirtschaft konnte durch die Aufnahme der Fleischindustrie in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) und den Abschluss eines entsprechenden Mindestlohntarifvertrages verbessert werden. Artikel 1 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes vom 24. Mai 201439 ergänzte insoweit mit § 4 Abs. 1 Nr. 9 AEntG die Aufzählung der vom Arbeitnehmer-Entsendegesetz erfassten Branchen. Die Legaldefinition der Branche enthält § 6 Abs. 10 AEntG: 38 BMAS: Eckpunkte „Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft“ vom 20. Mai 2020 (Fn. 3), S. 1. 39 BGBl. I 2014, S. 538. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 053/20 Seite 14 „Im Falle eines Tarifvertrages nach § 4 Absatz 1 Nummer 9 findet dieser Abschnitt Anwendung in Betrieben und selbständigen Betriebsabteilungen, in denen überwiegend geschlachtet oder Fleisch verarbeitet wird (Betriebe der Fleischwirtschaft) sowie in Betrieben und selbständigen Betriebsabteilungen, die ihre Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen überwiegend in Betrieben der Fleischwirtschaft einsetzen. Das Schlachten umfasst dabei alle Tätigkeiten des Schlachtens und Zerlegens von Tieren mit Ausnahme von Fischen . Die Verarbeitung umfasst alle Tätigkeiten der Weiterverarbeitung von beim Schlachten gewonnenen Fleischprodukten zur Herstellung von Nahrungsmitteln sowie deren Portionierung und Verpackung. Nicht erfasst ist die Verarbeitung, wenn die Behandlung , die Portionierung oder die Verpackung beim Schlachten gewonnener Fleischprodukte direkt auf Anforderung des Endverbrauchers erfolgt.“ 6.2.1.2. Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft Ein weiterer Schritt zur Verbesserung des Arbeitnehmerschutzes bei werkvertraglichen Gestaltungen in der Fleischindustrie erfolgte durch das als Artikel 30 des Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften vom 17. Juli 201740 eingeführte Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch), das am 25. Juli 2017 in Kraft getreten ist. § 3 GSA Fleisch erstreckt die bis dahin lediglich für das Baugewerbe geltende Nachunternehmerhaftung für Sozialversicherungsbeiträge nach § 28e Abs. 3a, Abs. 3b Satz 1, Abs. 3c Satz 1, Abs. 3e, Abs. 3f Satz 1 und 2, Abs. 4 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) auf Unternehmer der Fleischwirtschaft , die andere Unternehmer mit Tätigkeiten des Schlachtens oder der Fleischverarbeitung im Sinne des § 6 Abs. 10 Satz 2 bis 4 AEntG beauftragen. Nach Angaben der Bundesregierung liegen „erste Hinweise von der zuständigen Berufsgenossenschaft vor, dass sich in der gesetzlichen Unfallversicherung die Zahlungsmoral der fleischwirtschaftlichen Dienstleistungsunternehmen in den Jahren 2017 und 2018 gegenüber dem Zeitraum der Jahre 2014 bis 2016 signifikant verbessert hat.“ Dies lasse erkennen, dass die Regelung die beabsichtigte generalpräventive Wirkung erfülle.41 Daneben ordnet das GSA Fleisch die Verpflichtung des Arbeitgebers zur unentgeltlichen Gestellung von Arbeitskleidung und persönlicher Schutzausrüstung (§ 4 GSA Fleisch), ein Aufrechnungsverbot gegenüber dem unpfändbaren Teil des Arbeitsentgelts (§ 5 Abs. 2 GSA Fleisch) sowie eine Dokumentation der täglichen Arbeitszeit jeweils am selben Tag (§ 6 GSA Fleisch) an. 6.2.2. Scheinselbständigkeit Wie nicht selten im Niedriglohnsektor werden auch in der Fleischindustrie zuweilen sogenannte Solo-Selbständige auf der Grundlage von Einzelwerkverträgen eingesetzt. Dabei handelt es sich jedoch in vielen Fällen um scheinselbständige Tätigkeiten, die als selbständige Rechtsverhältnisse bezeichnet und behandelt werden, obwohl sie aufgrund der tatsächlichen Ausgestaltung 40 BGBl. I 2017, S. 2541. 41 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jutta Krellmann, Susanne Ferschl, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/17280 – Werkverträge in der Fleischindustrie, Bundestagsdrucksache 19/17679 vom 6. März 2020, S. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 053/20 Seite 15 und Durchführung des Vertragsverhältnisses als abhängige Beschäftigung angesehen werden müssen. Wenn die Vertragsverhältnisse in ihrer tatsächlichen Ausgestaltung und Durchführung als abhängige Beschäftigung angesehen werden müssen, finden auf sie auch die arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen Anwendung. Die Sozial- und Arbeitsgerichte stellen für die Frage, ob solche Rechtsverhältnisse in Wirklichkeit abhängige Beschäftigungsverhältnisse sind, wesentlich auf die tatsächliche Ausgestaltung und Durchführung ab und haben eine Reihe von Kriterien erarbeitet, die für oder gegen die Annahme eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses sprechen. 6.2.2.1. Sozialversicherungsrecht Für den Bereich des Sozialversicherungsrechts ist die Abgrenzung von abhängig Beschäftigten und Scheinselbständigen in den §§ 7 ff. SGB IV geregelt. Gemäß § 7 Abs. 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Um zu erreichen, dass die Gruppe der Scheinselbständigen wieder in die Sozialversicherungspflicht genommen wird, wurden durch das Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19. Dezember 199842 unter anderem in § 7 Abs. 4 SGB IV ein Kriterienkatalog aufgenommen. Bei Vorliegen einer bestimmten Zahl der dort aufgeführten Kriterien wurde eine abhängige Beschäftigung gesetzlich vermutet. Die Regelung wurde in der Folgezeit wiederholt ergänzt und angepasst bevor sie mit Wirkung vom 1. Juli 2009 ersatzlos gestrichen wurde. In den Jahren 2015/2016 unternommene Bestrebungen, die vom Bundessozialgericht erarbeiteten Kriterien für die Annahme einer Scheinselbständigkeit in Gesetzesform zu gießen und erneut insgesamt acht Kriterien dafür in § 7 Abs. 4 SGB IV aufzunehmen, wurden allerdings nicht realisiert . 6.2.2.2. Arbeitsrecht Die sozialversicherungsrechtliche Einordnung eines Vertragsverhältnisses hat aber keine unmittelbaren rechtlichen Auswirkungen auf die Einordnung unter den Begriff des Arbeitnehmers im Arbeitsrecht, der bisher allein durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts geprägt war. Eine Legaldefinition des Arbeitnehmerbegriffs wurde erstmals durch Artikel 2 des Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze vom 21. Februar 201743 mit § 611a Abs. 1 BGB eingeführt: „Durch den Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. 42 BGBl. 1998 I, S. 3843 ff. 43 BGBl. 2017 I, S. 258. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 053/20 Seite 16 Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an.“ Mit dieser gesetzlichen Definition sollen missbräuchliche Gestaltungen des Fremdpersonaleinsatzes durch vermeintlich selbständige Tätigkeiten verhindert und die Rechtssicherheit erhöht werden . Dafür hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aufgegriffen. Auch Satz 4 dieser Regelung spiegelt die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung wider, wonach die Abgrenzung des Arbeitsverhältnisses von anderen Vertragsverhältnissen im Wege einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist. Durch eine solche wertende Betrachtung kann - so die Gesetzesbegründung - den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung getragen werden.44 Für den Fall, dass sich der Vertrag und seine Durchführung widersprechen, stellt § 611a Abs. 1 Satz 5 BGB klar, dass für die rechtliche Einordnung als Arbeitsverhältnis die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses maßgebend ist. 6.2.3. Selbstverpflichtung von Unternehmen der Fleischwirtschaft Im Zuge der vorbereitenden Maßnahmen zur Einführung des Mindestlohns in der Fleischwirtschaft wurde im Sommer 2014 von vier großen Unternehmen der Fleischwirtschaft ein freiwilliger Verhaltenskodex für die Fleischwirtschaft beschlossen, in dem sich die Unternehmen unter anderem verpflichten, sich für eine angemessene Unterbringung der Beschäftigten bei ihren Werkvertragspartnern einzusetzen. Bis Oktober 2015 hatten 66 Unternehmen, die mit Werkvertragsunternehmen zusammenarbeiten, den Verhaltenskodex unterzeichnet. Die Gewerkschaft NGG beklagt jedoch nach wie vor Verstöße in diesem Bereich.45 „Als Folge des zunehmenden Drucks zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen wurde am 21. September 2015 die ‚Standortoffensive deutscher Unternehmen der Fleischwirtschaft - Selbstverpflichtung der Unternehmen für attraktivere Arbeitsbedingungen‘ im Bundeswirtschaftsministerium unterzeichnet. Neben Minister Gabriel waren daran sechs große Fleischproduzenten in Deutschland (Danish Crown, Heidemark Geflügel Spezialitäten, Lohmann & Co.AG/PHW- Gruppe, Tönnies, Vion, Westfleisch) und die Gewerkschaft NGG beteiligt. In der Vereinbarung verpflichteten sich die Unternehmen, die Arbeits- und Lebensbedingungen von Beschäftigten in der Fleischwirtschaft zu verbessern und ihre Strukturen bis Juli 2016 so umzustellen, dass sich sämtliche in ihren Betrieben eingesetzten Beschäftigten in einem in Deutschland gemeldeten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis befinden. Die Steigerung der Zahl der nach deutschem Sozialversicherungs- und Arbeitsrecht beschäftigten Arbeitskräfte sollte auch 44 Gesetzentwurf der Bundesregierung - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze, Bundestagsdrucksache 294/16 vom 2. Juni 2016, S. 28. 45 Weinkopf/Hüttenhoff (Fn. 15), S. 536. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 053/20 Seite 17 einen Beitrag zu mehr Transparenz in der Branche leisten. Darüber hinaus wollte der Minister in den Verhandlungen auch erreichen, dass sich die Unternehmen verpflichten, den Anteil ihrer Stammbelegschaft zu erhöhen.“46 Nach Angaben der Gewerkschaft NGG erfolgte die vereinbarte Umstellung in der Regel so, „dass die bisherigen mittel- und osteuropäischen Werkvertragsunternehmen - teils mit Unterstützung der deutschen Fleischunternehmen - in deutsche GmbHs umgewandelt wurden. Die Beschäftigten blieben dieselben, und den osteuropäischen Geschäftsführungen wurden deutsche Geschäftsführer zur Seite gestellt.“47 Festzustellen ist, dass die Beschäftigten danach nun jedenfalls uneingeschränkt dem deutschen Arbeits- und Sozialversicherungsrecht unterliegen. Der dritte Fortschrittsbericht des Sozialpolitischen Ausschusses der deutschen Fleischwirtschaft zur Umsetzung der Initiative48 tritt „Behauptungen [entgegen], dass der Mindestlohn und die anderen gesetzlichen Arbeitsbedingungen systematisch unterlaufen werden. Bereits im letzten Bericht ist auf die Zahlen der Überprüfungen des Zolls hingewiesen worden, nachdem es kaum festgestellte Verstöße gegen den Mindestlohn gibt.“49 Aus den Zahlen über die Entgeltentwicklung ergebe sich vielmehr, „dass die Arbeitnehmer einschließlich der meist osteuropäischen Arbeitnehmer deutlich oberhalb des Mindestlohns vergütet werden.“50 6.2.4. Leitlinie der Nationalen Arbeitsschutzkonferenz Erwähnung verdient schließlich die am 16. Juli 2019 im Rahmen der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) von der Nationalen Arbeitsschutzkonferenz verabschiedete Leitlinie Arbeitsschutz bei der Kooperation mehrerer Arbeitgeber im Rahmen von Werkverträgen51. Die 46 Weinkopf/Hüttenhoff (Fn. 15), S. 536; der Text der Vereinbarung ist abrufbar im Internetauftritt des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi): https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/S-T/standortoffensive -fleischwirtschaft-selbstverpflichtung-attraktive-arbeitsbedingungen.pdf?__blob=publicationFile&v=1 (letzter Abruf: 15. Juni 2020). 47 Weinkopf/Hüttenhoff (Fn. 15), S. 536. 48 Standortoffensive deutscher Unternehmen der Fleischwirtschaft - Selbstverpflichtung der Unternehmen für attraktivere Arbeitsbedingungen, 3. Bericht gegenüber dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales vom 24. September 2018, abrufbar im Internetauftritt des Verbandes der Ernährungswirtschaft (VDEW): https://www.vdew-online.de/wp-content/uploads/2014/08/Bericht- 2018.pdf (letzter Abruf: 15. Juni 2020). 49 Standortoffensive deutscher Unternehmen der Fleischwirtschaft - Selbstverpflichtung der Unternehmen für attraktivere Arbeitsbedingungen, 3. Bericht gegenüber dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales vom 24. September 2018 (Fn. 48), S. 5. 50 Standortoffensive deutscher Unternehmen der Fleischwirtschaft - Selbstverpflichtung der Unternehmen für attraktivere Arbeitsbedingungen, 3. Bericht gegenüber dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales vom 24. September 2018 (Fn. 48), S. 5. 51 Abrufbar im Internetauftritt der GDA: https://www.gda-portal.de/DE/Downloads/pdf/Leitlinie-Werkvertraege .pdf?__blob=publicationFile&v=4 (letzter Abruf: 15. Juni 2020). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 053/20 Seite 18 Leitlinie dient nach Aussage der Bundesregierung dem Ziel ein gleichwertiges Arbeitsschutzniveau für alle Beschäftigten auch im Rahmen von Werkverträgen im betrieblichen Alltag umzusetzen .52 Sie soll den Arbeitsschutzbehörden Handlungssicherheit für die Überwachung bieten und ist zugleich Orientierungshilfe für die Arbeitgeber.53 6.3. Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers Vor dem Hintergrund der oben dargestellten Diskussion darüber, ob das Leiharbeitsverbots im Baugewerbe unter veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen weiterhin verfassungsmäßig gerechtfertigt werden kann, ist gewissenhaft zu prüfen, ob durch die dargestellten weniger eingreifenden Maßnahmen zur Verbesserung des Arbeitsschutzes bei Werkverträgen in der Fleischwirtschaft die festgestellten Missstände bereits behoben wurden oder absehbar behoben werden können . In einer solchen Situation könnte das in Rede stehende Verbot von Arbeitnehmerüberlassung und Werkverträgen in diesem Wirtschaftszweig als unverhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG zu werten sein, der mithin nicht mehr verfassungsrechtlich gerechtfertigt wäre. Zu beobachten ist, wie eingangs erwähnt, dass die Arbeits- und Unterkunftsbedingungen in der Fleischwirtschaft immer wieder mediales Aufsehen erregten und erregen. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil spricht im Zusammenhang mit Subunternehmerkonstruktionen gar von „organisierte[r] Verantwortungslosigkeit“.54 Einige der früher ergriffenen Maßnahmen werden im Eckpunktepapier zum Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft von der Bundesregierung hervorgehoben, aber als bisher wirkungslos erachtet. Die aktuell festgestellten Missstände zeigten vielmehr, dass weiterer Handlungsbedarf bestehe.55 Sowohl die Beurteilung der Eignung als auch der Erforderlichkeit des eingesetzten Mittels, also die Frage, ob ein alternatives Mittel, etwa eine Kontingentierung der Werkverträge oder eine Beschränkung der Zahl von Arbeitnehmern pro Werkvertragsnehmer gleich geeignet und milder wäre, unterliegt der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers. In die gesetzgeberische Einschätzung ist in diesem Zusammenhang schließlich auch die prognostizierte Wirkung der im Eckpunktepapier der Bundesregierung skizzierten weiteren Maßnahmen 52 Die Komplexität der Arbeitsschutzkontrollen insbesondere in Subunternehmerketten wird auch in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jutta Krellmann, Susanne Ferschl, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/6041 – Arbeitsschutzkontrollen in Deutschland, Bundestagsdrucksache 19/7218 vom 22. Januar 2019, S. 4, hervorgehoben. 53 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jutta Krellmann, Susanne Ferschl, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. - Drucksache 19/17280 - Werkverträge in der Fleischindustrie, Bundestagsdrucksache 19/17679 vom 6. März 2020, S. 5. 54 BMAS: Mehr Arbeitsschutz und Hygiene in der Fleischwirtschaft, Pressemitteilung vom 20. Mai 2020, abrufbar im Internetauftritt des BMAS: https://www.bmas.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/mehr-arbeitsschutzund -hygiene-in-der-fleischwirtschaft.html (letzter Abruf: 15. Juni 2020). 55 BMAS: Eckpunkte „Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft“(Fn. 3), S. 1 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 053/20 Seite 19 einzubeziehen, die ebenfalls auf die Verbesserung der Arbeits- und Unterkunftsbedingungen sowie auf verbesserten Infektionsschutz zielen. Für die Beurteilung der Frage, ob die damit verbundenen Erwartungen in der Praxis bestätigt werden und zu einer Verbesserung der Gesamtsituation in der Fleischwirtschaft führen oder ob auch sie letztlich nicht ausreichen, wird dem Gesetzgeber die Einschätzungsprärogative eingeräumt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es dem Gesetzgeber nicht grundsätzlich verwehrt ist, dasselbe Ziel gleichzeitig auf unterschiedlichen gesetzlichen Wegen anzustreben, zumal vorliegend die vorgesehenen weiteren Schutzmaßnahmen zeitnah greifen können und sollen, während das beabsichtige Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit erst zum Jahreswechsel in Kraft treten soll. 6.4. Gleichheitssatz Vom VDF wird in der Stellungnahme zum Kabinettsbeschluss (siehe oben Punkt 3, S. 6) geltend gemacht, dass ein Verbot von Werkverträgen zur Erledigung bestimmter Tätigkeiten in Fleischbetrieben , die eine bestimmte Größenordnung überschreiten, eine willkürliche Diskriminierung darstelle. Damit greifen die Vertreter der der Fleischindustrie offenbar die im Eckpunktepapier angedeutete Absicht der Bundesregierung auf, Betriebe des Fleischereihandwerks von der Regelung auszunehmen. In Rede steht damit der Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, der es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem Gesetzgeber verwehrt, wesentlich Gleiches ungleich zu behandeln . Das bedeutet nicht, dass der Gesetzgeber überhaupt keine Differenzierungen vornehmen dürfte. Er verletzt das Grundrecht vielmehr nur, wenn zwischen den Vergleichsgruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen oder nicht Gründe von solcher Art und solchem Gewicht gegeben sind, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können. Es bedarf mithin eines sachlichen Unterscheidungsgrundes. Die Prüfung der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung wird im Übrigen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bestimmt.56 Ziel der Maßnahmen ist es wie gesehen, in der Fleischwirtschaft die besonderen Gefährdungen im Hinblick auf den Arbeits- und Infektionsschutz zu beenden, die vor allem mit dem Transport und der Unterbringung sowie dem Arbeitsschutz großer dem Ausland einreisender Arbeitnehmergruppen einhergehen. Dies gilt, wie Bundesminister Heil betonte, insbesondere im Rahmen rechtlich unübersichtlicher Subunternehmerkonstruktionen. Derartige Gestaltungen dürften im Fleischereihandwerk, dessen Betriebe weit überwiegend unter zehn Arbeitnehmer beschäftigen,57 im Allgemeinen nicht zu erwarten und nur im Ausnahmefall erforderlich sein. Daher erscheint es durchaus als sachlicher Unterscheidungsgrund, das Fleischereihandwerk, obwohl es wie die industriellen Großbetriebe ebenfalls zur Fleischwirtschaft zählt, von einem die Verbot von Leiharbeit und Werkverträgen auszunehmen, um dort im Einzelfall notwendige Flexibilität zu ermöglichen . 56 Vgl. dazu Britz, Gabriele: Der allgemeine Gleichheitssatz in der Rechtsprechung des BVerfG, NJW 2014, 346. 57 Siehe oben Punkt 2, S. 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 053/20 Seite 20 Hervorzuheben ist, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt weder ein Regelungsentwurf noch eine Begründung vorliegt, der eine endgültige Bewertung zuließe. In diesem Zusammenhang ist auf den vom Bundesverfassungsgericht immer wieder hervorgehobenen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers hinzuweisen. 6.5. Infektionsschutz im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie Soweit - wie im Eckpunktepapier der Bundesregierung nahegelegt - ein Verbot von Leiharbeit und Werkverträgen in der Fleischwirtschaft allein mit der Eindämmung des aktuellen Pandemiegeschehens begründet werden sollte, sind allerdings Bedenken im Hinblick auf die Geeignetheit dieser Maßnahme nicht von der Hand zu weisen. Denn das Verbot soll erst zum 1. Januar 2021 in Kraft treten und wird laufende und unter Umständen auch bereits abgeschlossene Verträge aus Vertrauensschutzgründen ausnehmen müssen, sodass eine flächendeckende Wirkung zu spät einsetzen könnte, um vor dem erhofften Zeitpunkt der Verfügbarkeit eines Impfstoffes nennenswerte Wirkung entfalten zu können. Letztlich kann aber auch insoweit der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers und der tatsächlichen Gestaltung und Begründung einer gesetzlichen Regelung nicht vorgegriffen werden. ***