© 2021 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 049/21 Aufsicht über besondere Wohnformen der Eingliederungshilfe Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 049/21 Seite 2 Aufsicht über besondere Wohnformen der Eingliederungshilfe Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 049/21 Abschluss der Arbeit: 7. Juni 2021 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 049/21 Seite 3 1. Besondere Wohnformen im Rahmen der Eingliederungshilfe Die gegenüber anderen Sozialleistungen nachrangig zu gewährende Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen war bis Ende 2019 eine Leistung der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Als mit den Rehabilitations- und Teilhabeleistungen der Rehabilitationsträger vergleichbare Sozialleistung ist die Eingliederungshilfe zum 1. Januar 2020 nach dem Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG) vom 23. Dezember 2016 in den neuen Teil 2 des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IX) überführt worden. Die in den §§ 90 ff. SGB IX geregelten Leistungen der Eingliederungshilfe werden seitdem losgelöst von einer bestimmten Wohnform und damit unabhängig von existenzsichernden Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt und Grundsicherung erbracht.1 Soweit es sich nicht um eine baulich abgetrennte Wohnung mit eigener Kochgelegenheit und eigenem Sanitärbereich handelt, liegt zur Feststellung des für Menschen mit Behinderung gegebenenfalls höheren Sozialhilfebedarfs für Unterkunft und Heizung gemäß § 42a Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und S. 3 SGB XII eine als solche bezeichnete besondere Wohnform vor, wenn ein allein oder zu zweit bewohnter persönlicher Wohnraum zur Erbringung von Eingliederungsleistungen und zusätzliche Räumlichkeiten - wie Sanitärräume und Mensen - zur gemeinschaftlichen Nutzung vorhanden sind. Insoweit hat ein Wandel von der früheren Heimunterbringung von Menschen mit Behinderung zu möglichst selbstbestimmten Wohnformen stattgefunden. Für behinderungsbedingt über die Hilfe zum Lebensunterhalt hinausgehende Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, kommt die Eingliederungshilfe als Leistung zur Sozialen Teilhabe in Betracht. § 113 Abs. 5 S. 1 SGB IX verweist zu diesem Zweck auf die in § 42a Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und S. 3 SGB XII geregelten besonderen Wohnformen. So können Aufwendungen für Wohnraum oberhalb der von den Kommunen festgelegten Angemessenheitsgrenze nach § 42a Abs. 6 des SGB XII übernommen werden, sofern dies wegen der besonderen Bedürfnisse des Menschen mit Behinderungen erforderlich ist. Damit sind die durch eine Behinderung bedingten weiteren Kosten für die Unterkunft den Leistungen der Eingliederungshilfe zuzuordnen. Die Trennung der Leistungen und das Herauslösen der Eingliederungshilfe aus dem SGB XII hat dazu geführt, dass viele ehemals stationäre Einrichtungen seit dem 1. Januar 2020 rechtlich gesehen zu besonderen Wohnformen im Sinne der genannten Vorschrift geworden sind.2 Zahlreiche Bestimmungen des BTHG werden durch Landesgesetze und Landesrahmenverträge konkretisiert. So waren beispielsweise die Träger der Eingliederungshilfe zu bestimmen. Einen Überblick enthält die vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge bereitgestellte Internetseite: https://umsetzungsbegleitung-bthg.de/gesetz/umsetzung-laender/. 1 Becker, Henning: Das Bundesteilhabegesetz und die Auswirkungen auf die Organisation der Träger der Eingliederungshilfe (KommJur 2019, 441). 2 Bundestagsdrucksache 19/29578. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 049/21 Seite 4 2. Ordnungsrechtliche Bezüge Seit der Föderalismusreform zum 1. August 2006 ist die Gesetzgebungskompetenz für Fragen der Genehmigung des Betriebs von Heimen oder anderen Wohnformen für ältere, pflegebedürftige und behinderte Menschen, die personelle oder bauliche Ausstattung der Einrichtung oder Sanktionen bei Nichteinhaltung der gesetzlichen Vorschriften vom Bund auf die Länder übergegangen. Angesichts dessen gehört zur Gesetzgebungskompetenz der Länder nach Art. 70 Abs. 1 GG für das in Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG so bezeichnete Heimrecht auch die Aufsicht über den Betrieb von Heimen oder anderen Wohnformen.3 Seit 2014 haben alle Länder entsprechende Gesetze über Einrichtungen und Wohnformen erlassen , aus denen die Ordnungsbehörden - früher Heimaufsichtsbehörden – hervorgehen:4 – Baden-Württemberg: Gesetz für unterstützende Wohnformen, Teilhabe und Pflege (Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz - WTPG) vom 20. Mai 2014, – Bayern: Gesetz zur Regelung der Pflege, Betreuungs- und Wohnqualität im Alter und bei Behinderung (Pflege und Wohnqualitätsgesetz – PfleWoqG) vom 8. Juli 2008, – Berlin: Gesetz über Selbstbestimmung und Teilhabe in betreuten gemeinschaftlichen Wohnformen (Wohnteilhabegesetz – WTG Bln) vom 3. Juni 2010, – Brandenburg: Gesetz über das Wohnen mit Pflege und Betreuung (Brandenburgisches Pflege- und Betreuungswohngesetz - BbgPBWoG) vom 8. Juni 2009, – Bremen: Gesetz zur Sicherstellung der Rechte von Menschen mit Unterstützungs-, Pflege- und Betreuungsbedarf in unterstützenden Wohnformen (Bremisches Wohn- und Betreuungsgesetz - BremWoBeG) vom 5. Oktober 2010, – Hamburg: Hamburgisches Gesetz zur Förderung der Wohn- und Betreuungsqualität älterer, behinderter und auf Betreuung angewiesener Menschen (Hamburgisches Wohn- und Betreuungsqualitätsgesetz – HmbWBG) vom 15. Dezember 2009, – Hessen: Hessisches Gesetz über Betreuungs- und Pflegeleistungen - HGBP) vom 7. März 2012, 3 Uhle, Arnd. Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 93. EL Oktober 2020, Art. 74 GG, Rn. 169-200. 4 Weber, Sebastian. Die neue Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen, Verlag C.H. Beck, München, 2020, Rn. 182. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 049/21 Seite 5 – Mecklenburg-Vorpommern: Gesetz zur Förderung der Qualität in Einrichtungen für Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderung sowie zur Stärkung ihrer Selbstbestimmung und Teilhabe (Einrichtungsqualitätsgesetz – EQG M-V) vom 07. Mai 2010, – Niedersachsen: Niedersächsisches Gesetz über unterstützende Wohnformen (NuWG) vom 29. Juni 2011, – Nordrhein-Westfalen: Wohn- und Teilhabegesetz (WTG NRW) vom 2. Oktober 2014, – Rheinland-Pfalz: Landesgesetz über Wohnformen und Teilhabe (LWTG) vom 22. Dezember 2009, – Saarland: Saarländisches Gesetz zur Sicherung der Wohnbetreuungs- und Pflegequalität volljähriger Menschen mit Pflege und Unterstützungsbedarf und volljähriger Menschen mit Behinderung (Saarländisches Wohn-, Betreuungs- und Pflegegesetz – SaarlWBPfQuG) vom 6. Mai 2009, – Sachsen: Gesetz zur Regelung der Betreuungs- und Wohnqualität im Alter bei Behinderung und Pflegebedürftigkeit im Freistaat Sachsen (Sächsisches Betreuungs- und Wohnqualitätsgesetz - SächsBeWog) vom 12. Juli 2012, – Sachsen-Anhalt: Gesetz über Wohnformen und Teilhabe des Landes Sachsen-Anhalt (Wohn- und Teilhabegesetz - WTG LSA) vom 17. Februar 2011, – Schleswig-Holstein: Gesetz zur Stärkung von Selbstbestimmung und Schutz von Menschen mit Pflegebedarf und Behinderung (Selbstbestimmungsstärkungsgesetz - SbStG) vom 17. Juli 2009, – Thüringen: Thüringer Gesetz über betreute Wohnformen und Teilhabe (Thüringer Wohn- und Teilhabegesetz - ThürWTG) vom 10. Juni 2014. Von der Gesetzgebungskompetenz der Länder nicht erfasst sind zivilrechtliche Aspekte für die Vertragsgestaltung zur Überlassung von Wohnraum und zur Erbringung von Pflege- oder Betreuungsleistungen , welche das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) vom 29. Juli 2009 regelt. Werden die vertraglichen Leistungen ganz oder teilweise nicht erbracht oder weisen sie nicht unerhebliche Mängel auf, kommt gemäß § 10 WBVG eine Kürzung des vereinbarten Entgelts in Betracht. Kürzungsbeträge stehen gegebenenfalls dem Eingliederungsträger zu. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 049/21 Seite 6 Der Preis für den Wohnraum ist nicht Gegenstand einer Vereinbarung mit einem Sozialleistungsträger , er wird vielmehr durch Anbieter und Bewohner nach zivilrechtlichen Regeln festgelegt. Diese entziehen sich einer Überprüfung durch den Sozialleistungsträger.5 Wirtschaftlichkeits- oder Qualitätsprüfungen und mögliche Sanktionen sind in den §§ 128 – 130 SGB IX geregelt: Soweit tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein Leistungserbringer seine vertraglichen oder gesetzlichen Pflichten nicht erfüllt, prüft der Träger der Eingliederungshilfe oder ein von diesem beauftragter Dritter die Wirtschaftlichkeit und Qualität einschließlich der Wirksamkeit der vereinbarten Leistungen des Leistungserbringers. Hält ein Leistungserbringer seine gesetzlichen oder vertraglichen Verpflichtungen ganz oder teilweise nicht ein, ist die vereinbarte Vergütung für die Dauer der Pflichtverletzung entsprechend zu kürzen. Der Träger der Eingliederungshilfe kann die Vereinbarungen mit einem Leistungserbringer fristlos kündigen, wenn ihm ein Festhalten an den Vereinbarungen auf Grund einer groben Verletzung einer gesetzlichen oder vertraglichen Verpflichtung durch den Leistungserbringer nicht mehr zumutbar ist.6 *** 5 Weber, Sebastian. Die neue Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen, Verlag C.H. Beck, München, 2020, Rn. 21. 6 Zu eingliederungshilferechtlichen Verträgen vgl. Herbst, Sebastian und Wehrhahn, Lutz. Existenzsicherung durch Grundsicherung für Arbeitssuchende und Sozialhilfe mit Eingliederungshilfe. Boorberg Verlag, Stuttgart, 2020, S. 324.