© 2021 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 048/21 Einzelfragen zur Tarifbindung und zu tariflichen und außertariflichen Gestaltungsmöglichkeiten bei Unternehmen mit Bundesbeteiligung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 048/21 Seite 2 Einzelfragen zur Tarifbindung und zu tariflichen und außertariflichen Gestaltungsmöglichkeiten bei Unternehmen mit Bundesbeteiligung Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 048/21 Abschluss der Arbeit: 3. Juni 2021 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 048/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Privatrechtliche Unternehmen unter Bundesbeteiligung 4 2. Normative Tarifbindung 5 2.1. Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst 5 2.2. Möglichkeiten anderweitiger Tarifbindung 6 3. Arbeitsvertragliche Einbeziehung von Tarifvertragsnormen 6 4. Tarifvertragliche Sperrwirkung 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 048/21 Seite 4 1. Privatrechtliche Unternehmen unter Bundesbeteiligung Unter den Voraussetzungen des § 65 der Bundeshaushaltsordnung (BHO) kann der Bund seine Aufgaben durch eine Beteiligung an einem privatrechtlich organisierten Unternehmen erfüllen. Der Bund hält Beteiligungen an zahlreichen Unternehmen. Detaillierte Informationen dazu bietet der vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) jährlich veröffentlichte Beteiligungsbericht des Bundes.1 Diese privatrechtlich organisierten Unternehmen sind anders als die Eigenbetriebe der öffentlichen Verwaltung juristische Personen mit eigener Rechtspersönlichkeit. Zwar unterliegen von der öffentlichen Hand beherrschte Unternehmen nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) trotz ihrer privatrechtlichen Organisation einer unmittelbaren Grundrechtsbindung . „Praktische Bedeutung erlangt die Grundrechtsbindung vor allem als Verpflichtung zu rechtsstaatlicher Neutralität bei der Gestaltung ihrer Vertragsbeziehungen.“2 Für die tarifrechtliche Regelung der Arbeitsverhältnisse solcher Unternehmen dürfte diese Einschränkung vor dem Hintergrund der für alle Arbeitgeber geltenden Besonderheiten des Arbeitsrechts jedoch keine Bedeutung haben. Für die Beteiligung am Rechts- und Wirtschaftsleben gilt für privatrechtlich organisierte Unternehmen des Bundes im Übrigen derselbe rechtliche Rahmen wie für privatwirtschaftliche Unternehmen. Allerdings haben die Unternehmen unter mehrheitlicher Beteiligung des Bundes nach Darstellung des BMF auch eine Vorbildfunktion. „Sie sollen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gute Arbeitsbedingungen bieten, sie sollen Beispiele sein für eine gleichstellungsfördernde und diverse Unternehmenskultur, Mitbestimmung und eine nachhaltige Unternehmensführung.“3 Um eine verantwortungsvolle Unternehmens- und Beteiligungsführung zu gewährleisten, hat die Bundesregierung im Jahr 2009 die „Grundsätze guter Unternehmens- und Beteiligungsführung“ und einen „Public Corporate Governance Kodex“ erlassen, die im September 2020 neugefasst wurden.4 1 BMF: Beteiligungsbericht des Bundes 2020, Berlin, 8. April 2021; der Bericht bildet den Stand zum 31. Dezember 2019 ab; abrufbar im Internetauftritt des BMF: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content /DE/Downloads/Broschueren_Bestellservice/2021-04-08-beteiligungsbericht-des-bundes-2020.html (letzter Abruf: 2. Juni 2021). 2 BVerfG, Urteil vom 2. Februar 2011 - 1 BvR 699/06, Fn. 58 (zitiert nach juris). 3 BMF: Beteiligungsbericht des Bundes 2020 (Fn. 1), S. 1 f. 4 Vgl. dazu BMF: Beteiligungsbericht des Bundes 2020 (Fn. 1), S. 16 ff; vgl. zu den Möglichkeiten der gesellschaftsrechtlichen Einflussnahme Deutscher Bundestag - Wissenschaftliche Dienste: Möglichkeiten des Bundes, Ziele in bundeseigenen Unternehmen durchzusetzen, Sachstand WD 7 - 3000-022/19 vom 19. Februar 2019. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 048/21 Seite 5 2. Normative Tarifbindung 2.1. Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst Vor dem dargestellten Hintergrund stellt sich die Frage, ob insbesondere auf die Arbeitsverhältnisse privatrechtlicher Unternehmen unter ausschließlicher Beteiligung des Bundes der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst des Bundes (TVöD) und die an ihn anknüpfenden Tarifverträge (z.B. der Tarifvertrag für die Kraftfahrer und Kraftfahrerinnen des Bundes - KraftfahrerTV Bund) Anwendung finden. Die auf das Einzelarbeitsverhältnis bezogenen Rechtsnormen eines Tarifvertrages gelten nach § 4 Abs. 1 Satz 1 des Tarifvertragsgesetzes (TVG) unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallen. Tarifgebunden sind nach § 3 Abs. 1 TVG die Mitglieder der Tarifvertragsparteien sowie der Arbeitgeber, der selbst Partei des (Firmen)Tarifvertrages ist. Der TVöD wurde zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) einerseits und den vertragschließenden Gewerkschaften andererseits 5, der KraftfahrerTV Bund zwischen der Bundesrepublik Deutschland einerseits und den vertragschließenden Gewerkschaften andererseits6 abgeschlossen. Der Geltungsbereich des TVöD erfasst nach dessen § 1 Abs. 1 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer , die in einem Arbeitsverhältnis zum Bund oder zu einem Arbeitgeber stehen, der Mitglied eines Mitgliedverbandes der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) ist. Der KraftfahrerTV Bund knüpft in seinem § 1 an den Geltungsbereich des TVöD an. Da bundeseigenen privatrechtlichen Unternehmen eine eigene Rechtspersönlichkeit zukommt, sind sie nicht der Bundesrepublik Deutschland als Körperschaft des öffentlichen Rechts zuzuordnen . Auch sind sie nicht Mitglied des Tarifvertragspartners VKA oder eines seiner Mitgliederverbände , da sie keinen kommunalen Bezug haben.7 Die Beschäftigten dieser Unternehmen stehen nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Bund, sondern zu den Unternehmen selbst und fallen deshalb auch nicht unter den im TVöD festgelegten Geltungsbereich. 5 Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) vom 13. September 2005, zuletzt geändert durch Änderungstarifvertrag Nr. 17 vom 30. August 2019, abrufbar im Internetauftritt des Bundesministeriums des Innern (BMI): https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/themen/oeffentlicher-dienst/tarifvertraege /tvoed.pdf;jsessionid=4FA9E9C02D4FF5EF9C36739BA1931CF7.1_cid287?__blob=publicationFile&v=7 (letzter Abruf: 2. Juni 2021). 6 Tarifvertrag für die Kraftfahrer und Kraftfahrerinnen des Bundes (KraftfahrerTV Bund) vom 13. September 2005, zuletzt geändert durch Änderungstarifvertrag Nr. 6 vom 18. April 2018, abrufbar im Internetauftritt des BMI: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/themen/oeffentlicher-dienst/tarifvertraege /kraftfahrer-tv-bund.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (letzter Abruf: 2. Juni 2021). 7 Vgl. § 3 Abs. 1 der Satzung der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) vom 21. November 2008, abrufbar im Internetauftritt der VKA: https://www.vka.de/assets/media/docs/0/VKA%20Satzungen/Satzung_2009_Stand_28052019.pdf (letzter Abruf: 2. Juni 2021). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 048/21 Seite 6 Privatrechtliche Unternehmen unter mehrheitlicher oder ausschließlicher Beteiligung des Bundes sind mithin nach den Bestimmungen des Tarifvertragsgesetzes nicht an den TVöD und die an ihn anknüpfenden Tarifverträge gebunden. 2.2. Möglichkeiten anderweitiger Tarifbindung Da auch der Arbeitgeber selbst nach § 2 Abs. 1 TVG tariffähig ist, kann er einen eigenen unternehmensbezogenen Firmen- oder Haustarifvertrag mit der zuständigen Gewerkschaft abschließen . Dabei steht es den Tarifvertragsparteien grundsätzlich frei, sich im normativen Teil des Tarifvertrages an den Normen eines anderen Tarifvertrages, z.B. des TVöD oder eines daran anknüpfenden Tarifvertrags, zu orientieren oder diese zu übernehmen. In diesem Zusammenhang ist eine statische Verweisung auf eine konkrete Fassung eines anderen bestehenden Tarifvertrages möglich , unter bestimmten Voraussetzungen lässt die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aber auch eine dynamische Verweisung auf die jeweils gültige Fassung zu.8 Selbst bei der Verweisung auf den gesamten Normenbestand eines bestehenden Flächen- oder Branchentarifvertrages findet aber keine Unterwerfung unter diesen Tarifvertrag statt. Vielmehr gelten dessen normative Bestimmungen als Inhalt des Haustarifvertrages. „Der verweisende und der in Bezug genommene Tarifvertrag bilden eine Einheit, d.h. die Normen des Bezugstarifvertrags sind Teil des Verweisungstarifvertrags.“9 Für die Frage der Entfaltung einer Sperrwirkung in Bezug auf anderweitige tarifliche Bindung oder auf abweichende individualrechtliche Vereinbarungen kommt es daher nur auf diesen an. 3. Arbeitsvertragliche Einbeziehung von Tarifvertragsnormen Eine weitere Möglichkeit der Anwendung tariflicher Reglungen auf ein Arbeitsverhältnis ist die Aufnahme einer sogenannte Bezugnahmeklausel in den Arbeitsvertrag. Aufgrund der Vertragsautonomie steht es den Arbeitsvertragsparteien grundsätzlich frei, Tarifnormen durch eine Bezugnahmeklausel in den individualrechtlichen Arbeitsvertrag zu integrieren. „Die Arbeitsvertragsparteien können auf den einschlägigen Tarifvertrag verweisen, also denjenigen , in dessen Geltungsbereich das Arbeitsverhältnis fällt und der bei Tarifbindung der Parteien gelten würde. Sie können aber grundsätzlich auch Tarifverträge eines anderen betrieblichen, fachlichen, räumlichen oder zeitlichen Geltungsbereiches in Bezug nehmen, also zum Beispiel 8 Vgl. dazu im Einzelnen Däubler, Tarifvertragsgesetz, 4. Auflage 2016, § 1 Rn. 202 mit Nachweisen aus der BAG- Rechtsprechung; vgl. zuletzt auch BAG, Urteil vom 11. November 2020 - AZR 210/20, Rn. 38. 9 BAG, Urteil vom 11. November 2020 - AZR 210/20, Rn. 42 (zitiert nach juris) mit weiterem Nachweis aus der Rechtsprechung des BAG. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 048/21 Seite 7 abgelaufene […] oder branchenfremde […], sogar unwirksame […] Tarifverträge. Zulässig ist darüber hinaus grundsätzlich eine vollständige und auch eine teilweise Inbezugnahme eines Tarifvertrages […].“10 Einschränkungen gibt es im Bereich tarifdispositiven Arbeitsrechts (zum Beispiel § 7 Abs. 3 des Arbeitszeitgesetzes). Bei tarifdispositivem Gesetzesrecht können grundsätzlich nur Tarifverträge desselben fachlichen, betrieblichen und zeitlichen Geltungsbereiches in Bezug genommen werden .11 Der Arbeitgeber wird durch die Verweisung nicht Partei des Tarifvertrages; vielmehr wird der in Bezug genommene Tarifvertrag auf diesem Wege ganz oder teilweise Inhalt des individualrechtlichen Arbeitsvertrages.12 Vorteile hat die Bezugnahmeklausel auch für den tarifgebundenen Arbeitgeber, der auf diese Weise unabhängig von der Tarifbindung seiner Beschäftigten einheitliche Arbeitsbedingungen in seinem Unternehmen schaffen kann, da er schon aus Rechtsgründen keine Kenntnisse über Gewerkschaftsmitgliedschaften hat (§ 28 Abs. 4 des Bundesdatenschutzgesetzes).13 4. Tarifvertragliche Sperrwirkung Nach § 4 Abs. 1 TVG gelten die Rechtsnormen eines Tarifvertrages, die den Inhalt, den Abschluss oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallen. Abweichende Abmachungen sind nach § 4 Abs. 3 TVG nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung der Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers enthalten (sogenanntes Günstigkeitsprinzip). „Ob ein Arbeitsvertrag abweichende günstigere Regelungen gegenüber dem Tarifvertrag enthält, ergibt sich aus einem Vergleich zwischen der tarifvertraglichen und der arbeitsvertraglichen Regelung . Bei diesem sogenannten Günstigkeitsvergleich sind die durch Auslegung zu ermittelnden Teilkomplexe der unterschiedlichen Regelungen gegenüberzustellen, die in einem inneren Zusammenhang stehen (sog. Sachgruppenvergleich). Für dessen Durchführung sind die abstrakten Regelungen maßgebend, nicht das Ergebnis ihrer Anwendung im konkreten Einzelfall.“14 *** 10 Franzen in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 21. Auflage 2021, § 3 TVG, Rn. 34, jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BAG. 11 Franzen in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 21. Auflage 2021, § 3 TVG, Rn. 34. 12 Franzen in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 21. Auflage 2021, § 3 TVG, Rn. 32 mit Nachweis aus der Rechtsprechung des BAG. 13 Franzen in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 21. Auflage 2021, § 3 TVG, Rn. 29. 14 BAG, Urteil vom 12. Dezember 2018 - 4 AZR 123/18, Rn. 34 (zitiert nach juris).