© 2019 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 047/19 Von der Rentenüberleitung betroffene besondere Personen- und Berufsgruppen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 047/19 Seite 2 Von der Rentenüberleitung betroffene besondere Personen- und Berufsgruppen Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 047/19 Abschluss der Arbeit: 22. März 2019 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 047/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Ausgangslage der Überleitung der Alterssicherungssysteme der DDR in die gesetzliche Rentenversicherung 4 1.1. Vorgaben der Staatsverträge im Vorfeld der Wiedervereinigung 4 1.2. Berücksichtigung des versicherten Verdienstes in der Sozialpflichtversicherung und der FZR bzw. des tatsächlichen Verdienstes in Zusatz- und Sonderversorgungsystemen 4 1.3. Bestätigung der Rentenüberleitung durch die Systementscheidung des Bundesverfassungsgerichtes 5 2. Problemgruppen der Rentenüberleitung 6 2.1. Beschäftigte des Gesundheits- und Sozialwesens der DDR 7 2.2. Vor 1992 in der DDR geschiedene Eheleute 7 2.3. Beschäftigte der Braunkohleveredelung 9 2.4. Beschäftigte der Deutschen Reichsbahn 9 2.5. Nachträgliche Einbeziehung in die Altersversorgung der technischen Intelligenz 10 2.6. Weitere Personen- und Berufsgruppen 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 047/19 Seite 4 1. Ausgangslage der Überleitung der Alterssicherungssysteme der DDR in die gesetzliche Rentenversicherung Zwischen den Rentensystemen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland bestanden vor der Rentenüberleitung grundsätzliche Unterschiede. Im Gegensatz zur früher nur in der Bundesrepublik geltenden bruttolohnbezogenen dynamischen Rentenversicherung war die Sozialpflichtversicherung der DDR vorwiegend auf eine statische Mindestsicherung orientiert, die durch die Zahlung von Beiträgen zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) aufgestockt werden konnte.1 Ferner existierte eine Reihe von Zusatz- und Sonderversorgungssytemen, wie z. B. die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVI) aus dem Jahre 1950.2 1.1. Vorgaben der Staatsverträge im Vorfeld der Wiedervereinigung Grundsätze und Maßgaben für die Rentenüberleitung sind bereits mit den zwischen beiden deutschen Staaten geschlossenen Staatsverträgen vorgegeben worden. Bereits Artikel 20 des Staatsvertrags über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18. Mai 1990 sah die Angleichung der in der DDR geltenden Regelungen zur Alterssicherung an das in der Bundesrepublik bestehende Rentenrecht und die Überführung der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme in die gesetzliche Rentenversicherung vor. Artikel 30 Abs. 5 des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 enthält die Aufforderung an den gesamtdeutschen Gesetzgeber, die erforderlichen Vorschriften für die Überleitung des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) auf die neuen Länder zu schaffen. Diese Vorgabe wurde mit dem Renten-Überleitungsgesetz (RÜG), in dem auch in Artikel 3 das Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) enthalten ist, umgesetzt.3 Mit dem Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz (RÜ-ErgG) vom 24. Juni 1993 erfolgte ferner die Aufnahme der Versorgungssysteme der DDR-Blockparteien und Anwartschaften der Carl-Zeiss- Stiftung Jena in das Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG). Damit sind sämtliche staatliche Alterssicherungssysteme der DDR in die gesetzliche Rentenversicherung überführt worden. 1.2. Berücksichtigung des versicherten Verdienstes in der Sozialpflichtversicherung und der FZR bzw. des tatsächlichen Verdienstes in Zusatz- und Sonderversorgungsystemen Die zur Sozialpflichtversicherung der DDR gezahlten Beiträge werden in der Art berücksichtigt, dass der ihnen zugrunde liegende Verdienst in die Rentenberechnung nach dem SGB VI einfließt. Aus der niedrigen monatlichen Beitragsbemessungsgrenze von nur gleichbleibend 600 Mark folgen nur relativ geringe Rentenbeträge. Für die nach dem AAÜG in die gesetzliche Rentenversicherung überführten Zusatz- und Sonderversorgungsysteme konnte dagegen nicht generell auf die tatsächlich gezahlten Beiträge zurückgegriffen werden, da hier in den einzelnen Versorgungsordnungen 1 Hierzu näher: Ritter, Gerhard A. (2010): Die Rentenversicherung im Prozess der deutschen Wiedervereinigung. In: Eichenhofer-Rische-Schmähl (Hrsg.). Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung SGB VI (Kapitel 3). Köln: Luchterhand. 2 Vgl. Anlage 1 Nr. 20 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG). 3 Kerschbaumer, Judith (2011): Das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung und die Deutsche Einheit, S. 94 ff., Wiesbaden: VS-Verl. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 047/19 Seite 5 eine Vielzahl unterschiedlicher Regelungen zur Beteiligung der Beschäftigten an ihrer Alterssicherung vorgesehen war und insoweit keine einheitliche Beitragszahlung erfolgt ist.4 Deshalb ist für in Zusatz- und Sonderversorgungsystemen zurückgelegte Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht der versicherte Verdienst bis 600 Mark, für den Beiträge gezahlt wurden, sondern der tatsächlich erzielte Verdienst zu berücksichtigen. Die in den Anlagen 1 und 2 zum AAÜG abschließend aufgezählten Zusatz- und Sonderversorgungssysteme sind insoweit vollständig in die gesetzliche Rentenversicherung überführt worden, als der tatsächlich erzielte Verdienst für die Rentenberechnung herangezogen wird. Dieser fließt nach Hochwertung auf einen fiktiven Westverdienst bis zur für das jeweilige Jahr in Westdeutschland geltenden Beitragsbemessungsgrenze in die Rentenhöhe ein. Weitere Leistungen sind aus den überführten Zusatz- und Sonderversorgungssystemen der DDR nicht zu erbringen. Bis zur Angleichung der Löhne und Gehälter gelten für die auf in Ostdeutschland zurückgelegten Zeiten beruhenden Renten besondere Berechnungswerte. Durch das mit der Rentenüberleitung eingeführte Verfahren ist gewährleistet, dass Durchschnittsverdiener in Ost und West nach erfolgter Angleichung der noch unterschiedlichen Berechnungswerte gleich hohe Rentenbeträge zu erwarten haben. Das Gesetz über den Abschluss der Rentenüberleitung (Rentenüberleitungs-Abschlussgesetz ) vom 17. Juli 2017 sieht eine schrittweise Angleichung der in Ost und West dem Lohnniveau entsprechenden unterschiedlichen Berechnungswerte der gesetzlichen Rentenversicherung bis zum Jahr 2025 vor.5 1.3. Bestätigung der Rentenüberleitung durch die Systementscheidung des Bundesverfassungsgerichtes Dem Einigungsvertrag lag das Einverständnis zugrunde, die Alterssicherung für alle in der DDR zurückgelegten Zeiten einheitlich in der gesetzlichen Rentenversicherung vorzunehmen und nicht den jeweils entsprechenden Systemen der alten Bundesländer zuzuordnen. Die in der DDR erworbenen Ansprüche und Anwartschaften aus der Sozialversicherung genießen den Schutz des Grundrechts auf Eigentum wie die im bisherigen Geltungsbereich des Grundgesetzes erworbenen Rentenansprüche und Rentenanwartschaften. Das Bundesverfassungsgericht hat die Unterstellung von Renten oder rentenähnlichen Ansprüchen und Anwartschaften auf der Grundlage der früher in der DDR geltenden Regelungen unter den Eigentumsschutz des Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG) jedoch davon abhängig gemacht, dass sie im Einigungsvertrag als Rechtspositionen der gesamtdeutschen Rechtsordnung anerkannt wurden. Mit seiner so genannten Systementscheidung hat das Bundesverfassungsgericht in seinen Urteilen vom 28. April 19996 die Vereinbarung des Einigungsvertrages , die Alterssicherung für alle Personengruppen einheitlich in der Rentenversicherung vorzunehmen, bestätigt und dabei unter anderem die Vereinbarkeit der Rentenüberleitung mit dem Gleichheitsgebot aus Art. 3 GG und dem Eigentumsschutz aus Art. 14 GG festgestellt. 4 Kerschbaumer, Fn. 3, S. 130. 5 Entwurf eines Gesetzes über den Abschluss der Rentenüberleitung (Rentenüberleitungs-Abschlussgesetz), Bundestagsdrucksache 18/11923. 6 Bundesverfassungsgericht, Urteile vom 28. April 1999, Az. 1 BvR 32/95, 1BvR 2105/95, 1 BvR 1926/96 und 1 BvR 485/97. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 047/19 Seite 6 2. Problemgruppen der Rentenüberleitung Zielsetzung der Überführung der Alterssicherungssysteme der DDR in die gesetzliche Rentenversicherung war die Schaffung eines einheitlichen Rechts. Dabei waren und sind Versicherungsbiographien aufzuarbeiten und in ein einheitliches Rentensystem einzubinden, die sich unter kaum vergleichbaren Rahmenbedingungen aufgebaut haben. Das Rentenrecht der DDR setzte sich aus einem Festbetrag und Steigerungsbeträgen zusammen, die sich an den gezahlten Beiträgen orientierten . Lag die so errechnete Rente unter einem Mindestbetrag, wurde dieser gezahlt. Daneben gab es für bestimmte Personenkreise Mindestrenten. Demgegenüber beruht die gesetzliche Rentenversicherung in Westdeutschland seit 1957 ohne Gewährung von Mindestrenten auf dem Verhältnis des während des Erwerbslebens versicherten Entgelts zum Durchschnittsentgelt aller Versicherten .7 Während die Rentenhöhe in der DDR vorrangig von der Anzahl der Beitragsjahre abhing, beruhen die Renten nach dem SGB VI auf dem versicherten Verdienst. Der größte Teil der Rentenberechtigten dürfte wohl zu den Gewinnern der deutschen Einheit gehören .8 Nach der Wende erhöhten sich die ostdeutschen Renten aufgrund der Dynamisierung rasch in kurzen Abständen erheblich. Die der Rentenberechnung in Ostdeutschland zugrunde liegenden Werte erreichten zehn Jahre nach der Wiedervereinigung 87 Prozent der für Westdeutschland geltenden Werte.9 In der danach folgenden Zeit hat sich der Angleichungsprozess entsprechend dem immer noch geringeren Lohnniveau in Ostdeutschland verlangsamt; er wird nunmehr nach dem Rentenüberleitungs-Abschlussgesetz schrittweise vorgezogen. Auch wenn die Rentenüberleitung im Wesentlichen den verfassungsrechtlichen Vorgaben und Gewährleistungen in ausreichendem Maße Rechnung getragen hat und für die große Mehrheit der Rentenversicherten in Ostdeutschland von Vorteil ist, gibt es Personengruppen, für sich meist aus systematischen Gründen nur geringere Rentenbeträge ergeben und die heute von Altersarmut bedroht sind. Bisherige Klagen und Petitionen sind in der Vergangenheit meist abschlägig beschieden worden. Die Regierungsfraktionen haben nunmehr im aktuellen Koalitionsvertrag vorgesehen, für Härtefälle in der Grundsicherung im Zusammenhang mit dem Rentenüberleitungsprozess einen Ausgleich durch eine Fondslösung zu schaffen.10 7 Entwurf eines Gesetzes zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung (Renten-Überleitungsgesetz — RÜG), Bundestagsdrucksache 12/405, S. 108. 8 Ritter, Fn. 1, Rn. 60. 9 Vgl. Deutscher Bundestag (2018), Wissenschaftliche Dienste: Stand der Rentenangleichung nach der Rentenanpassung zum 1. Juli 2016, abrufbar im Internet unter https://www.bundestag.de/resource /blob/429234/3a5f339570bf4a56f5b156a045507229/WD-6-075-16-pdf-data.pdf, zuletzt abgerufen am 19. März 2019. 10 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, S. 93, abrufbar im Internet unter https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975226/847984/5b8bc23590d4cb2892b31c987ad672b7/2018- 03-14-koalitionsvertrag-data.pdf?download=1, zuletzt abgerufen am 19. März 2019. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 047/19 Seite 7 In der parlamentarischen Beratung befindet sich derzeit ein Antrag, der auf einige von der Rentenüberleitung vermeintlich benachteiligte Personengruppen verweist.11 Ein ähnlicher Antrag ist in der 18. Wahlperiode abgelehnt worden.12 Im Folgenden werden die wichtigsten Problemgruppen unabhängig von der Gefahr, von Altersarmut betroffen zu sein, dargestellt: 2.1. Beschäftigte des Gesundheits- und Sozialwesens der DDR Renten aus der Sozialpflichtversicherung berechneten sich in der DDR nach einem Festbetrag in Höhe von 210 Mark zuzüglich eines Steigerungsbetrags von einem Prozent des in den letzten 20 Jahren erzielten Durchschnittsverdienstes für jedes Beitragsjahr. Für Beschäftigte des Gesundheitsund Sozialwesens der DDR galt in der Rentenberechnung seit 1976 ein besonderer Steigerungsbetrag von 1,5 Prozent des in den letzten 20 Jahren erzielten Durchschnittsverdienstes für jedes Beitragsjahr . Damit erhielten sie nach relativ geringem Verdienst eine gegenüber anderen Beschäftigten höhere Rente. Vergleichbare Regelungen, die Rücksicht auf die in der DDR für Beschäftigte des Gesundheits- und Sozialwesens geltenden Regelungen nimmt, sind im SGB VI nicht vorgesehen. Hiervon sind häufig Frauen betroffen, die nun entgegen ihnen ausgesprochenen Versorgungszusagen mit kleinen Renten auskommen müssen. Im Rahmen der Rentenüberleitung wurde - abgesehen von bis Ende 1996 geltenden Übergangsregelungen , die dem Vertrauensschutz von Personen rentennaher Jahrgänge dienten - aus grundsätzlichen Erwägungen zum lohn- und beitragsbezogenen Rentenrecht von der Übernahme des besonderen Steigerungsbetrags für Beschäftigte des Gesundheits- und Sozialwesens der DDR abgesehen. In nachfolgenden parlamentarischen Verfahren hat der Deutsche Bundestag mehrfach gegen eine Änderung der gesetzlichen Regelungen gestimmt. Zuletzt fand ein entsprechender Antrag in der 18. Wahlperiode keine Mehrheit.13 2.2. Vor 1992 in der DDR geschiedene Eheleute Für Ehescheidungen ist grundsätzlich ein Versorgungsausgleich durchzuführen, nach dem ausgehend vom Leitbild einer gleichberechtigten Partnerschaft in der Ehe entsprechend dem Grundgedanken des Zugewinnausgleichs eine gleichmäßige Aufteilung der in der Ehezeit erworbenen Versorgungsanrechte auf beide Eheleute erfolgt. Dabei werden die Werte der in der Ehezeit von den Eheleuten erworbenen Versorgungsanwartschaften einander gegenübergestellt. Die Hälfte des Unterschiedsbetrags wird bei Rentenversicherten vom Rentenversicherungskonto mit den höheren Versorgungsanrechten auf das mit den niedrigeren Versorgungsanrechten übertragen, so dass nach Durchführung des Versorgungsausgleichs beide geschiedene Eheleute über gleich hohe in der Ehezeit erworbene Versorgungsanrechte verfügen. In Westdeutschland ist der Versorgungsausgleich zum 1. Juli 1977 eingeführt worden. Soweit ein Unterhaltsanspruch bestanden hat, 11 Antrag „DDR-Renten bewilligen – Ostdeutsche Lebensleistungen anerkennen“, Bundestagsdrucksache 19/7981. 12 Antrag „Spezifische Altersarmut Ost durch Korrektur der Rentenüberleitung beheben“, Bundestagsdrucksache 18/1644. 13 Antrag „Keine Altersarmut von Ost-Krankenschwestern – Gerechte Renten für Beschäftigte im DDR-Gesundheits - und Sozialwesen“, Bundestagsdrucksache 18/8612. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 047/19 Seite 8 kommt für vor dem 1. Juli 1977 geschiedene Eheleute im Falle des Todes des Unterhaltsverpflichteten ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente in Betracht. Im Rahmen der Rentenüberleitung wurde die Durchführung des Versorgungsausgleichs für Ehescheidungen in Ostdeutschland erst ab 1992 eingeführt. Für vor 1992 geschiedene Eheleute war weder ein Versorgungsausgleich durchzuführen, noch ist im Todesfall ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente gegeben. Für vor dem 1. Juli 1977 in Ostdeutschland Geschiedene war in den seltenen Fällen, in denen ein Unterhaltsanspruch bestanden hat, bei Erfüllung der Voraussetzungen Erziehungsrente aus eigener Versicherung zu leisten, wenn der Unterhaltsverpflichtete verstorben war. In der DDR gestaltete sich das Scheidungsfolgenrecht völlig anders. So hatte der nacheheliche Unterhalt keine annähernd mit der in der Bundesrepublik vergleichbare Bedeutung. Vielmehr galt in der DDR der Grundgedanke der wirtschaftlichen Eigenverantwortlichkeit der Ehepartner nach einer Scheidung. Nach vorherrschender Auffassung löste auch die Erziehung von Kindern keinen nachehelichen Unterhaltsanspruch aus, weil die Betreuung durch Kinderkrippen und - horte weitgehend sichergestellt war. Deshalb lag auch kein Erfordernis für die Einführung eines Versorgungsausgleichs vor. Die wirtschaftliche Selbständigkeit der Frauen durch ihre eigene Berufstätigkeit führte in der Regel zu einer ausreichenden eigenen Alterssicherung, so dass ein Ausgleich der in der Ehe erworbenen Rentenanwartschaften nicht als notwendig erachtet wurde. Allerdings waren Pflege- und Erziehung in der Sozialversicherung der DDR besser abgesichert und mit verhältnismäßig geringen freiwilligen Beiträgen konnte ein höherer Anspruch auf Altersrente erworben werden, als nach den heute geltenden Regelungen des SGB VI. Dies wirkt sich entsprechend ungünstig auf die Rentenhöhe aus, so dass es nach Medienberichten etwa 150.000 vor 1992 in der DDR geschiedene Frauen gibt, die häufig von Altersarmut bedroht sind.14 Die nachträgliche Einführung eines Versorgungsausgleichs für vor 1992 in den neuen Bundesländern geschiedene Eheleute ist wegen des verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbots nicht möglich, da sich der von einer Belastung Betroffene auf Vertrauensschutz berufen und damit einem Eingriff in seine Rechte entgegentreten kann. Eine Belastung des Betroffenen wäre aber nicht zu vermeiden gewesen, weil im Versorgungsausgleich der Erhöhung der Versorgung des Ausgleichsberechtigten immer eine entsprechende Kürzung der Versorgung des Ausgleichspflichtigen gegenübersteht. Da die betroffenen Sachverhalte inzwischen bereits viele Jahre zurückliegen, kommt dem Vertrauensschutz heute eine noch größere Bedeutung zu. Auch bei Einführung des Versorgungsausgleichs in den alten Bundesländern im Jahr 1977 wurde bei Ehen, die vor Inkrafttreten geschieden worden sind, aus diesen Gründen der Versorgungsausgleich nicht rückwirkend durchgeführt. Insofern werden die vor Einführung des Versorgungsausgleichs Geschiedenen in den neuen und den alten Ländern gleichbehandelt. Aufgrund von Initiativen des Vereins der in der DDR geschiedenen Frauen e. V. hat der Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau der Vereinten Nationen bei seiner 14 Mitteldeutscher Rundfunk: Weil sie geschieden sind - Rente unter der Armutsgrenze (zuletzt aktualisiert: 14. Juni 2018), abrufbar im Internet unter https://www.mdr.de/sachsen-anhalt/magdeburg/jerichow/armut-inddr -geschiedene-frauen-100.html, zuletzt abgerufen am 19. März 2019. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 047/19 Seite 9 66. Sitzung am 20. und 21. Februar 2017 in Genf zur Überprüfung der deutschen Gleichstellungspolitik die Problematik öffentlich thematisiert und sich besorgt über das Fehlen einer staatlichen Ausgleichsregelung gezeigt. Der hierzu im Deutschen Bundestag eingereichte Antrag befindet sich noch in der parlamentarischen Beratung.15 2.3. Beschäftigte der Braunkohleveredelung Mit der Zugehörigkeit zur knappschaftlichen Rentenversicherung gehen rentenversicherungsrechtliche Privilegien für Bergleute einher. Neben den Dienst-, Sach- und Geldleistungen, die auch für die Versicherten der allgemeinen Rentenversicherung vorgesehen sind, gibt es weitere Rentenarten, die den besonderen Gefahren und Anforderungen der bergmännischen Beschäftigung Rechnung tragen.16 In der Sozialpflichtversicherung der DDR wurde die in der Braunkohleveredelung ausgeübte Beschäftigung hinsichtlich der Altersversorgung mit einer bergmännischen Tätigkeit unter Tage gleichgestellt.17 Eine entsprechende Regelung wurde mit der Rentenüberleitung nicht in das SGB VI aufgenommen, da die Privilegierung der ehemaligen Beschäftigten der Braunkohleveredelung dem Ziel der Rentenüberleitung, ein einheitliches Rentenrecht zu schaffen, entgegenstünde und gegenüber anderen Versicherten mit ähnlichen gesundheitlichen Belastungen nicht zu rechtfertigen wäre. Die betroffenen ehemaligen Beschäftigten der Braunkohleveredelung haben mehrfach gefordert, für die Rente weiterhin mit unter Tage tätigen Bergleuten gleichgestellt zu werden , insbesondere zur Bewilligung einer vorzeitigen abschlagfreien Altersrente. Diese Forderungen waren wiederholt Gegenstand parlamentarischer Verfahren ohne dass dem Anliegen Rechnung getragen werden konnte. So wurde im Deutschen Bundestag zuletzt ein entsprechender Antrag mehrheitlich abgelehnt.18 2.4. Beschäftigte der Deutschen Reichsbahn Ursprünglich stellte die Altersvorsorge für Beschäftigte der Deutschen Reichsbahn einen von der Sozialpflichtversicherung der DDR unabhängigen Rentenanspruch gegen die Deutsche Reichsbahn dar und ist am ehesten mit einem Sonderversorgungssystem zu vergleichen. Die seit 1956 eigenständige Versorgungseinrichtung wurde jedoch ab 1974 vollumfänglich in die Sozialpflichtversicherung der DDR eingegliedert. Für Beschäftigte mit einer ununterbrochenen Dienstzeit bei der Deutschen Reichsbahn von zehn und mehr Jahren war in der Rentenberechnung ein besonde- 15 Antrag „Forderung der Vereinten Nationen zu den in der DDR geschiedenen Frauen sofort umsetzen“, Bundestagsdrucksache 19/220. 16 Pott, Ulrich (2012). Die Besonderheiten der knappschaftlichen Rentenversicherung. In: Eichenhofer-Rische- Schmähl (Hrsg.). Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung SGB VI (Kapitel 16). Köln: Luchterhand, 2. Auflage 2012, Kapitel 16, Rn. 53. 17 § 41 Abs. 1 Bst. i) der Ersten Durchführungsbestimmung zur Rentenverordnung vom 23. November 1979 (DDR- GBl. I S. 413). 18 Antrag „Keine Kumpel zweiter Klasse – Rentenansprüche der Bergleute aus der DDR-Braunkohleveredlung wahren“, Bundestagsdrucksache 18/7903. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 047/19 Seite 10 rer Steigerungsbetrag von 1,5 Prozent des in den letzten 20 Jahren erzielten Durchschnittsverdienstes für jedes Beitragsjahr – vergleichbar mit den Beschäftigten des Gesundheits- und Sozialwesens – zu berücksichtigen. Die sonst für Arbeiter und Angestellte ohne Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem vorgesehene FZR war daher entbehrlich. Mit der Rentenüberleitung sind die von Beschäftigten der Reichsbahn erworbenen Anwartschaften und Ansprüche schließlich in die gesetzliche Rentenversicherung überführt worden. Die besondere Situation von Beschäftigten der Deutschen Reichsbahn ist durch die mit dem 2. AAÜG- Änderungsgesetz vom 27. Juli 2001 nachträglich rückwirkend eingeführte fiktive Berücksichtigung der FZR abschließend geregelt.19 Frühere Beschäftigte der Deutschen Reichsbahn machen dagegen geltend, es habe über das Jahr 1974 hinaus neben der Sozialpflichtversicherung eine weitere Altersversorgung gegeben, so dass neben der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung weitere Ansprüche bestehen. Die Bundesgerichte gehen in ihrer ständigen Rechtsprechung übereinstimmend davon aus, dass die Sonderversorgung der Beschäftigten der Deutschen Reichsbahn bereits zu Zeiten der DDR vollumfänglich in die Sozialpflichtversicherung überführt wurde. Nach einheitlicher Ansicht besteht daher kein Anspruch auf zusätzliche Berücksichtigung aller in der DDR erworbenen Ansprüche neben der sich aus dem SGB VI ergebenden Rente. Eine Verletzung von Grundrechten oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich verneint. 2.5. Nachträgliche Einbeziehung in die Altersversorgung der technischen Intelligenz Neben der Sozialversicherung und FZR erfolgte die Alterssicherung einer großen Zahl von privilegierten Berufs- und Beschäftigtengruppen der DDR in Zusatz- und Sonderversorgungseinrichtungen . Das Leistungsniveau in diesen Systemen ging regelmäßig über das der Sozialpflichtversicherung hinaus. Ziel war es, den Zusatz- und Sonderversorgten höhere Versorgungen zu verschaffen und sie enger an das politische System der DDR zu binden.20 Die Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVI-tech) geht bereits auf das Jahr 1950 zurück. Die mit der Rentenüberleitung in die gesetzliche Rentenversicherung überführten Zusatzversorgungssysteme der DDR sind noch vor der Wiedervereinigung zum 30. Juni 1990 geschlossen worden .21 Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist das AAÜG nur für Ansprüche und Anwartschaften anwendbar, die auf Grund der Zugehörigkeit zu einem Zusatz- und Sonderversorgungssystem erworben worden sind.22 Die Voraussetzungen der Einbeziehung in die AVI-tech regelte die Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten 19 Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (2. AAÜG-ÄndG), Bundestagsdrucksache 14/5640, S. 13 und 16. 20 Kerschbaumer, Fn. 3, S. 70. 21 Rentenangleichungsgesetz vom 28. Juni 1990 (DDR-GBl. I Nr. 38 S. 495). 22 Bundessozialgericht, Urteile vom 9. und 10. April 2002, Az.: B 4 RA 31/01 R und Az.: B 4 RA 34/01 R. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 047/19 Seite 11 Betrieben vom 17. August 1950 in Verbindung mit der Zweiten Durchführungsbestimmung vom 24. Mai 1951. Wurde eine Versorgungszusage nicht erteilt, kann eine nachträgliche Einbeziehung in ein Zusatzversorgungssystem nur dann erfolgen, wenn zum Zeitpunkt der Schließung der Zusatzversorgungssysteme eine Einbeziehung hätte erfolgen müssen. Eine nachträgliche Einbeziehung setzt insoweit voraus, dass am 30. Juni 1990 nach der Art der ausgeübten Beschäftigung, der hierfür vorgesehenen beruflichen Qualifikation sowie der Beschäftigungsstelle eine Zusage auf Versorgung möglich gewesen wäre. Zum Stichtag 30. Juni 1990 sind demnach die persönliche, die sachliche und die betriebliche Voraussetzung für eine gegebenenfalls unterlassene Einbeziehung in die AVI-tech zu prüfen.23 In der Vergangenheit gab es eine Reihe von Betroffenen, insbesondere Ingenieure, die die Voraussetzungen für die nachträgliche Einbeziehung zum 30. Juni 1990 nicht erfüllt haben, zum Beispiel , weil sie am Stichtag nicht mehr bei einem entsprechenden volkseigenen oder gleichgestelltem Betrieb beschäftigt waren. Insgesamt kommen vielfältige persönliche, sachliche oder betriebliche Gründe in Betracht, wegen derer eine nachträgliche Einbeziehung in die AVI-tech ausscheidet . 2.6. Weitere Personen- und Berufsgruppen Angehörige weiterer Personen- und Berufsgruppen machen für sich geltend, von der Rentenüberleitung benachteiligt worden zu sein. Insbesondere folgende Forderungen wurden vielfach vorgetragen 24 Berücksichtigung von Zeiten der Pflege von Angehörigen, Berücksichtigung von Zeiten ohne Beitragszahlung für Land- und Forstwirte, Handwerker und andere Selbständige sowie für deren mithelfende Familienangehörige, Berücksichtigung von zweiten Bildungswegen und Aspiranturen, Berücksichtigung von Zeiten mitreisender Ehegatten, zum Beispiel von Diplomaten ins Ausland, Berücksichtigung auch geringer freiwilliger Beiträge, Einführung eines mit der berufsständischen Versorgung vergleichbaren Alterssicherungssystems für Angehörige bestimmter akademischer Berufe, nachträgliche Einbeziehung bestimmter Berufsgruppen, vor allem Diplomchemiker, Diplomphysiker und Piloten der Interflug in den Geltungsbereich des AAÜG, Einführung einer besonderen Versorgung für Balletttänzerinnen und -tänzer. Zudem fordern Übersiedler und Flüchtlinge, die aus der DDR in die Bundesrepublik geflohen oder ausgereist sind, anhaltend hinsichtlich der für die Rentenberechnung zu berücksichtigenden 23 Bundessozialgericht, Urteile vom 8. Juni 2004, Az.: B 4 RA 56/03 R, vom 29. Juli 2004, Az.: B 4 RA 4/04 R und B 4 RA 12/04 R und vom 10. Februar 2005, Az.: B 4 RA 48/04 R. 24 Vgl. u.a. Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage „Zwanzig Jahre Rentenüberleitung – Perspektiven für die Schaffung eines einheitlichen Rentenrechts in Deutschland“, Bundestagsdrucksache 17/7393. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 047/19 Seite 12 Werte die Weitergeltung der vor der Wiedervereinigung geltenden Tabellenentgelt nach dem Fremdrentenrecht.25 *** 25 U.a. Antrag „DDR-Altübersiedlerinnen und -Altübersiedler sowie DDR-Flüchtlinge vor Rentenminderungen schützen – Gesetzliche Regelung im SGB VI verankern“, Bundestagsdrucksache 18/7699.