© 2020 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 045/20 Einzelfragen zum Wegfall der Vorrangprüfung nach dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 045/20 Seite 2 Einzelfragen zum Wegfall der Vorrangprüfung nach dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 045/20 Abschluss der Arbeit: 22. Juli 2020 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 045/20 Seite 3 1. Einleitung Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz vom 15. August 20191 ist am 1. März 2020 in Kraft getreten. Es ist Teil des von der Bundesregierung initiierten sogenannten Migrationspakets und enthält in Artikel 1 umfangreiche Änderungen des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) in Bezug auf den Zugang Drittstaatsangehöriger zum Arbeitsmarkt. Ziel des Gesetzes ist es, die Bedürfnisse des Wirtschaftsstandortes Deutschland und die Fachkräftesicherung durch eine gezielte und gesteuerte Zuwanderung von Fachkräften aus Drittstaaten zu flankieren und so einen Beitrag zu einem nachhaltigen gesellschaftlichen Wohlstand zu leisten.2 Durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz kehrte der Gesetzgeber zunächst das bisher geltende Verbot mit Erlaubnisvorbehalt um führte in § 4a Abs. 1 AufenthG den Grundsatz des Zugangs zu Erwerbstätigkeit ein. Um dem Fachkräftemangel gezielt entgegenzuwirken und unter Berücksichtigung der guten konjunkturellen Lage in Deutschland, wurde außerdem für die Beschäftigung von Fachkräften mit Berufsausbildung oder akademischer Ausbildung die Voraussetzung der sogenannten Vorrangprüfung aufgehoben. 2. Regelungen im Einzelnen 2.1. Wegfall der Vorrangprüfung § 39 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 Buchstabe b AufenthG in der Fassung vom 12. Mai 2017 sah vor, dass die Bundesagentur für Arbeit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung nur zustimmen kann, wenn für die Beschäftigung deutsche Arbeitnehmer sowie diesen gleichgestellte Ausländer nicht zur Verfügung standen. Durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz wurde die Regelung dieser Vorrangprüfung für Fachkräfte aus Drittstaaten dahingehend geändert , dass gemäß § 39 Abs. 2 Satz 2 AufenthG die Zustimmung zur Ausübung einer Beschäftigung für Fachkräfte mit Berufsausbildung (§ 18a AufenthG) oder akademischer Ausbildung (§ 18b AufenthG) ohne Vorrangprüfung erteilt werden kann. Für alle anderen Fälle außer bei Aufnahme einer Berufsausbildung verbleibt es gemäß § 39 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG bei einer Vorrangprüfung . 2.2. Möglichkeit zur Wiedereinführung der Vorrangprüfung Um auf konjunkturelle Entwicklungen und Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt kurzfristig reagieren zu können, eröffnet jedoch der Gesetzgeber in § 39 Abs. 2 Satz 2 AufenthG in Verbindung mit § 42 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Möglichkeit, durch die Beschäftigungsverordnung die Vorrangprüfung auch für Fachkräfte wieder einzuführen , So kann auf dieser Grundlage die Vorrangprüfung beispielsweise in Arbeitsmarktregionen oder in Berufen mit überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit wieder eingeführt werden.3 Die Wie- 1 BGBl. I 2019, S. 1307. 2 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eine Fachkräfteeinwanderungsgesetztes, Bundestagsdrucksache 19/8285 vom 13. März 2019, S. 1. 3 Bundestagsdrucksache 19/8285 (Fn. 2), S. 110. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 045/20 Seite 4 dereinführung der Vorrangprüfung ist dabei an keine konkreten rechtlichen oder praktischen Voraussetzungen geknüpft. Die Entscheidung darüber obliegt dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, dem hierfür ein entsprechender Beurteilungs- und Prognosespielraum zukommt. Von der Verordnungsermächtigung wird derzeit jedoch kein Gebrauch gemacht. 3. Erwartungen hinsichtlich der Wirkungen Durch den Wegfall der Vorrangprüfung soll die gezielte und gesteuerte Steigerung der Zuwanderung von qualifizierten Fachkräften vereinfacht werden. Die Bundesregierung geht davon aus, dass aufgrund der Neuregelungen durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz jährlich bis zu 25.000 zusätzliche Fachkräfte und Auszubildende aus Drittstaaten nach Deutschland kommen werden.4 Für die Bundesagentur für Arbeit wird durch den Wegfall der Vorrangprüfung der Gesetzesbegründung zufolge mit einer jährlichen Kostenentlastung in Höhe circa 85.000 Euro gerechnet .5 Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sieht im Wegfall der Vorrangprüfung für Fachkräfte eine wichtige Regelung, um die Zuwanderung von Fachkräften zu erleichtern . Dadurch werde das Zuwanderungsverfahren entbürokratisiert und die Planungssicherheit der Arbeitgeber erhöht.6 Kritisch wird hingegen die Möglichkeit der Wiedereinführung der Vorrangprüfung für bestimmte Regionen gesehen. Dies berge die Gefahr eines Flickenteppichs, sei intransparent und insbesondere für Unternehmen mit mehreren Standorten nicht praktikabel.7 Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) begrüßt den Wegfall der Vorrangprüfung , da er die administrativen Hürden für Unternehmen senke und im Hinblick auf die aktuelle Fachkräftesituation sinnvoll sei. Allerdings sieht auch der DIHK die Gefahr, dass durch die Möglichkeit der Wiedereinführung der Vorrangprüfung unterschiedliches Vorgehen in den Regionen drohe, und fordert deshalb zumindest eine Bindung an klare, strenge Regeln.8 Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge (Deutscher Verein) sieht in der Abschaffung der Vorrangprüfung ebenfalls eine sachgerechte Vereinfachung. Die Vorrangprüfung 4 Bundestagsdrucksache 19/8285 (Fn. 2), S. 132. 5 Bundestagsdrucksache 19/8285 (Fn. 2), S. 78. 6 BDA, Erklärung des BDA-Hauptgeschäftsführers Steffen Kampeter vom 2. Oktober 2018 zu den Eckpunkten zur Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten, abrufbar im Internetauftritt der BDA: https://www.arbeitgeber .de/www/arbeitgeber.nsf/id/43EFB47080B490A7C125831A003EA491 (zuletzt abgerufen am 6. Juli 2020). 7 BDA, Fachkräfteeinwanderung voranbringen, bürokratische Hürden abbauen, Stellungnahme zum Entwurf eines Fachkräfteeinwanderungsgesetzes vom 29. Mai 2019, S. 3, abrufbar im Internetauftritt des Deutschen Bundestages : https://www.bundestag.de/resource/blob/645268/2b150019dad4b2b9faa0c89327b743fa/A-Drs-19-4- 297-data.pdf (zuletzt abgerufen am 22. Juli 2020). 8 DIHK, Gesetzentwurf der Bundesregierung - Entwurf eines Fachkräfteeinwanderungsgesetzes (BT-Drucksache 19/8285), Stellungnahme vom 29. Mai 2019, S. 5, abrufbar im Internetauftritt des Deutschen Bundestages: https://www.bundestag.de/resource/blob/645264/4c144beb47757e771ca8c026109efbca/A-Drs-19-4-285-Gdata .pdf (zuletzt abgerufen am 22. Juli 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 045/20 Seite 5 sei ein Verfahrenselement, das Zeit in Anspruch nehme, praktisch aber kaum einen Unterschied ausmache, da sie nur selten zur Ablehnung führe.9 Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) äußert zwar Verständnis für den grundsätzlichen Verzicht der Vorrangprüfung, sieht ihn aber im Gesamtzusammenhang als wenig zielführend an. Es sei vielmehr notwendig, die bisherigen Instrumente, die bei der Prüfung der Zulassung herangezogen werden, grundlegend zu überarbeiten.10 Nach Überzeugung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) ist der Verzicht auf die Vorrangprüfung sinnvoll, auch wenn sie sich in der Praxis nicht als sehr hohe Hürde erwiesen habe. Die Vorrangprüfung sei ein vergleichsweise ineffizientes Schutzinstrument, weil der Nachweis, dass die entsprechende Stelle auch mit einem deutschen Arbeitnehmer oder einem bevorrechtigten ausländischen Staatsangehörigen besetzt werden kann, regelmäßig schwierig zu führen sei. Das IAB hebt außerdem hervor, dass damit ein Paradigmenwechsel in der Einwanderungspolitik verbunden sei: Das Gesetz erkenne damit an, dass Einwanderung in der Regel nicht zu Verdrängungseffekten am Arbeitsmarkt führe, und stelle zu Recht die Frage der Arbeitsmarktintegration in den Vordergrund der Einwanderungssteuerung.11 Analysen oder Einschätzungen zu den tatsächlichen Auswirkungen des Wegfalls der Vorrangprüfung auf den Arbeitsmarkt liegen soweit ersichtlich noch nicht vor. Auch das um Stellungnahme gebetene IAB hat sich dazu noch nicht äußern können. Angesichts der wenigen Monate, die seit dem Inkrafttreten des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes verstrichen sind, erscheinen die Wirkungen noch nicht absehbar. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund der wegen der CO- VID-19-Pandemie veränderten konjunkturellen Lage und deren Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte in Deutschland und anderen Ländern. *** 9 Deutscher Verein, Stellungnahme des Deutschen Vereins zum Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz vom 19. Dezember 2018, Stellungnahme vom 20. März 2019, S. 8, abrufbar im Internetauftritt des Deutschen Vereins: https://www.deutscher-verein.de/de/uploads/empfehlungen-stellungnahmen /2019/dv-04-19_fachkraefteeinwanderungsgesetz.pdf (zuletzt abgerufen am 22. Juli 2020). 10 Jakob/Egenberger, Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Verbändeanhörung zum Entwurf für ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz eines Gesetzentwurfes der Fraktion die Grünen (Drucksache 19/6542, sowie Anträge der Fraktion die Linke Drucksache 19/9052 Drucksache 19/9855 am 3. Juni 2019, Stellungnahme vom 24. Mai 2019, S. 17, abrufbar im Internetauftritt des Deutschen Bundestages: https://www.bundestag.de/resource /blob/645252/4ce31f798eff3deeab2048edbda41b07/A-Drs-19-4-285-A-data.pdf (zuletzt abgerufen am 22. Juli 2020). 11 Brücker/Jaschke/Konle-Seidl, Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Fachkräfteeinwanderungsgesetzes sowie zu den Anträgen der Fraktionen der FDP, Bündnis 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE, Stellungnahme des IAB zur Anhörung im Ausschuss für Inneres und Heimat des Deutschen Bundestages am 3. Juni 2019, IAB Stellungnahme 6/2019, S. 13, abrufbar im Internetauftritt des IAB: http://doku.iab.de/stellungnahme /2019/sn0619.pdf , (zuletzt abgerufen am 17. Juli 2020).