AUSARBEITUNG Thema: Nötigung von Verfassungsorganen durch den angekündigten Streik der Bahngewerkschaften Fachbereich VI Arbeit und Soziales Abschluss der Arbeit: 16. Februar 2006 Reg.-Nr.: WF VI – 3000/044/06 Ausarbeitungen von Angehörigen der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung des einzelnen Verfassers und der Fachbereichsleitung. Die Ausarbeitungen sind dazu bestimmt, das Mitglied des Deutschen Bundestages, das sie in Auftrag gegeben hat, bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 2 - 1. Einleitung Die Nötigung von Verfassungsorganen (§ 105 StGB) ist im 4. Abschnitt des StGB geregelt, dieser erfasst Straftaten gegen Verfassungsorgane. Schutzzweck der Norm ist es, die Handlungs- und Entschlussfreiheit bestimmter Verfassungsorgane (zum Beispiel Bundes- und Landesregierung sowie Bundes- und Landesparlament) zu gewährleisten (Wohlers in: Kindhäuser, Neumann, Paeffgen, Nomos Kommentar, StGB, Band 1, § 105 Randnummer 1). Ziel der Nötigungshandlung muss die Beeinflussung von Verfassungsorganen im Hinblick auf deren Handlungs- und Entscheidungsfreiheit sein. Vorliegend müsste der Deutsche Bundestag aufgrund des Streikes von der Aufspaltung der Deutschen Bahn AG Abstand nehmen. Vollendet ist die Tat aber erst mit dem Vollzug des abgenötigten Verhaltens. In Betracht kommen könnte daher lediglich ein Versuch der Straftat, weil davon auszugehen ist, dass sich die Regierung und das Parlament durch die Streikandrohung nicht nötigen lassen. Dieser ist gemäß §§ 12 Absatz 1, 23 Absatz 1 StGB strafbar. Die bekanntesten Verurteilungen wegen Nötigung von Verfassungsorganen erfolgten während der Betätigungen der Roten Armee Fraktion in den 80er Jahren (Verurteilung von Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt vor dem Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart am 02.04.1985). 2. Streik als Nötigung 2.1. Nötigungsmittel Im Gegensatz zum Tatbestand der (einfachen) Nötigung (§ 240 StGB), der bereits durch Drohung mit einem „empfindlichen Übel“ erfüllt werden kann, Bedarf es im Rahmen des § 105 StGB als Nötigungsmittel der Gewalt oder der Drohung mit Gewalt. Drohung und Gewalt werden dahingehend voneinander abgegrenzt, dass bei der Drohung ein künftiges Übel in Aussicht gestellt wird, Gewalt hingegen ist die Zufügung eines gegenwärtigen Übels (Paeffgen in: Kindhäuser, Neumann, Paeffgen, Nomos Kommentar, StGB, Band 1, § 81 Randnummer 24). Der Gewaltbegriff ist dabei ebenso auszulegen wie in § 81 StGB, der den Tatbestand des Hochverrat gegen den Bund regelt (Sax, Parlamentsnötigung durch Streik, NJW 53, 368, 369 ff; BGHSt 32, 265, 170 ff). Gewalt i.S.d. § 105 StGB setzt danach eine körperliche Zwangswirkung voraus (BGHSt 32, 165, 169). Wie der Straftatbestand des § 81 StGB bedarf auch die Nötigung von Verfassungsorganen einer qualifizierten Nötigung. (Sax, Parlamentsnötigung durch Streik, NJW 53, 368), wobei der Gewaltbegriff restriktiver als jener der Nötigung in § 240 StGB auszulegen ist (BGHSt 32, 165). Für diese - 3 - enge Auslegung spricht die Strafandrohung der Vorschrift, es handelt sich um ein Verbrechen gemäß § 12 I StGB und nicht um ein Vergehen wie § 240 StGB. Fraglich ist, ob in der Ankündigung eines Streiks (als unmittelbarer oder mittelbare Unterdrucksetzung der Bundesregierung und des Bundestages) eine Drohung mit Gewalt liegt. 2.2. Verfassungswidrige Streiks als Gewalt Gegen die Qualifizierung eines Streiks als Gewalt im Sinne von § 105 StGB spricht, dass es widersprüchlich erscheint, den verfassungsrechtlich geschützten Streik unter § 105 StGB zu subsumieren. Artikel 9 Absatz 3 GG stellt den legitimen verfassungsrechtlich zulässigen Arbeitskampf zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen , d.h. den Arbeitskampf zur Erreichung tariflich regelbarer Ziele, unter seinen verfassungsrechtlichen Schutz. Verfassungswidrig sind hingegen politische Arbeitskämpfe, die das außerhalb des Koalitionszweckes liegende Ziel der Beeinflussung staatlicher Organe verfolgt. Ein gegen die geplante Aufspaltung der Deutschen Bahn AG gerichteter Streik wäre fraglos verfassungswidrig (vgl. Sachstand „Streikrecht der Gewerkschaften Transnet und GDBA wegen der geplanten Abspaltung des Schienennetzes der Deutschen Bahn AG“, Reg.- Nr. WF VI 3000-019/06). Die Verfassungswidrigkeit des politischen und des Demonstrations- und Proteststreiks macht die Subsumtion dieser Streiks unter den Gewaltbegriff des Straftatbestandes der Nötigung von Verfassungsorganen nach herrschender Meinung grundsätzlich vorstellbar und möglich (Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, § 81 Randnummer 4, § 105 Anmerkung 3; Dreher/Tröndle, Strafgesetzbuch, § 105 Randnummer 3; vgl. dazu auch BGHSt 8, 102 ff.). 2.3. Einschränkungen in Rechtsprechung und Literatur Das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals Gewalt bei Streiks wird jedoch in der rechtswissenschaftlichen Literatur teilweise verneint. Die Begründung dafür ist unterschiedlich . Zum einen wird vorgetragen, Arbeitsniederlegungen seien ungeeignet auf die Regierung und Abgeordnete einen gegen die demokratischen Grundprinzipien verstoßenden Druck oder gar Zwang auszuüben (Arbeitsgericht Berlin, Az.: 17/52 vom 22.10.1952). Nach anderer Ansicht erfordere die Subsumtion unter den Gewaltbegriff nicht nur eine mittelbare Zwangswirkung auf ein Verfassungsorgan sondern eine unmittelbare zielgerichtete Androhung der Gewalt (Sax, Parlamentsnötigung durch Streik, NJW 53, 368). Eine weitere Meinung verneint Gewalt durch Streiks, weil durch kollektive Arbeitsverweigerung der Arbeitnehmerschaft ein bloß passives (Unterlassen des - 4 - Arbeitseinsatzes) und damit kein aktives gewalttätiges Verhalten verbunden sei (Heinemann und Posser, Kritische Bemerkungen zum politischen Strafrecht in der BRD, NJW 59, 122). 2.4. Erhöhte Anforderungen an das Merkmal Gewalt bei Staatschutzdelikten Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung wird Gewalt nicht mehr ausschließlich durch aktive körperliche Kraftentfaltung definiert, maßgeblich ist vielmehr das Vorliegen von Zwangswirkungen beim Opfer, also den Mitgliedern des zu nötigenden Verfassungsorgans , indem diese die nachteiligen Folgen des Nötigungsmittels Streik körperlich als auf sie persönlich ausgeübten Zwang empfinden. Unter diesen Voraussetzungen kann ein Streik in strafrechtlicher Sicht durchaus Gewalt darstellen, jedoch ist bei Staatsschutzdelikten die Schwelle der Annahme von Gewalt höher als bei Angriffen gegen Individualrechtsgüter zu legen (Arzt, JZ 84, 428). Da man von einem genötigten Verfassungsorgan aufgrund seiner besonderen Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit erwarten muss, dass es auch im Rahmen starker politischer Auseinandersetzungen Drucksituationen standhält, ist das Erfordernis der körperlich empfundenen Zwangswirkung bei einem Streik und damit Gewalt nur dann als erfüllt anzusehen, wenn die Auswirkungen des Streiks der Anwendung physischer Gewalt gleichkommen. Dies ist nur dann der Fall, wenn etwa die gesamte Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmittel, Energie oder Wasser unterbrochen wird und das physische Leben der Bevölkerung gefährdet ist und der von dieser Situation auf das zu nötigende Verfassungsorgan ausgehende Druck dieses zur Kapitulation zwingt um schwerwiegende Schäden für das Gemeinwesen abzuwenden (BGHSt 32, 165, 174; Paeffgen in: Kindhäuser, Neumann, Paeffgen, Nomos Kommentar, StGB, Band 1, § 81 Randnummer 20). Wie der BGH jedoch im Zusammenhang mit dem Flughafenausbau in Frankfurt am Main (Startbahn – West) feststellte, fehlt diese Voraussetzung bereits dann, wenn trotz des Streiks eine Notversorgung gewährleistet ist. Der von der Gewerkschaft angedrohte Streik mit der Folge erheblicher Einschränkungen des Zugverkehrs fiele, selbst wenn man ihn als grundsätzlich verbotenen politischen Streik betrachtete, nicht unter den Gewaltbegriff des § 105 StGB, da er keine lebensbedrohlichen Situationen im obigen Sinn verursachen würde. 3. Gesetzeskonkurrenz Im Wege der Gesetzeskonkurrenz (lex specialis) verdrängt der Straftatbestand des § 105 StGB als die speziellere Norm den Straftatbestand der Nötigung gemäß § 240 StGB. Als abschließende Sonderregelung verdrängt § 105 StGB den allgemeinen Nötigungs- - 5 - tatbestand auch für den Fall, dass die eingesetzten Nötigungsmittel hinter den strengen Anforderungen des § 105 zurückbleiben (BGH 32, 176; Arzt, JZ 84, 429, Leipziger Kommentar, Strafgesetzbuch, § 105 Randnummer 27). Die Streikandrohung kann somit auch nicht unter § 240 StGB subsumiert werden. 4. Hochverrat durch Streik Auch der Tatbestand des Hochverrats nach § 81 StGB, der im Übrigen lex specialis gegenüber § 105 StGB wäre, kann durch den angekündigten Streik nicht erfüllt sein, da in diesem Zusammenhang dieselben Anforderungen an den Gewaltbegriff zu stellen wären (s.o. 2.1.).