© 2020 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 043/20 Die Verfassungstreuepflicht der im öffentlichen Dienst Beschäftigten Kündigung und Abmahnung im Zusammenhang mit extremistischen Aktivitäten in den sozialen Medien Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Kündigungsgrund 6 3.1.2.1. Verhaltensbedingte Kündigung 6 3.1.2.1.1. Pflichtverletzung 6 3.1.2.1.2. Abmahnung 9 3.1.2.1.3. Interessenabwägung 11 3.1.2.2. Personenbedingte Kündigung 11 3.2. Außerordentliche Kündigung 12 4. Exemplarische Einzelfälle der aktuellen Rechtsprechung 13 4.1. Außerordentliche Kündigung eines Mitarbeiters des Landeskriminalamts 13 4.2. Außerordentliche Kündigung eines Straßenbahnfahrers 14 5. Fazit 15 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 043/20 Seite 4 1. Allgemeines Immer mehr Menschen sind in den sozialen Medien angemeldet und nutzen diese als Plattform, um eigene Meinungsbekundungen abzugeben, an Diskussionen teilzunehmen, und die Meinungsbekundungen anderer Personen zu teilen. Äußerungen in den sozialen Medien können einen großen Empfängerkreis erreichen und sich schnell verbreiten und rücken dadurch auch in den Fokus der Arbeitgeber. Da Arbeitnehmer in den meisten Fällen in ihrer Freizeit in den sozialen Medien tätig werden, stellt sich die Frage, inwieweit ein solches außerdienstliches Verhalten das Arbeitsverhältnis berühren kann und welche Besonderheiten im öffentlichen Tarifrecht bestehen. 2. Die Verfassungstreuepflicht der im öffentlichen Dienst Beschäftigten Die Pflichten der im öffentlichen Dienst Beschäftigten ergeben sich aus unterschiedlichen Rechtsquellen, unter anderem den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes, Dienstvereinbarungen sowie dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Die Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers ist gemäß § 611a BGB die Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit. Zudem treffen den Arbeitnehmer zahlreiche Nebenpflichten, von denen einige, wie zum Beispiel die Verschwiegenheitspflicht, in § 3 Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD)/Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) unter der Überschrift „Allgemeine Arbeitsbedingungen“ geregelt sind. Im Zusammenhang mit Äußerungen in den sozialen Medien kann insbesondere die Verfassungstreuepflicht von Bedeutung sein. Gemäß § 41 Satz 2 TVöD müssen Beschäftigte des Bundes und anderer Arbeitgeber, in deren Aufgabenbereich auch hoheitliche Tätigkeiten wahrgenommen werden, sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen. Die Verfassungstreuepflicht gilt gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L auch für Beschäftigte der Länder, wobei hier nicht nach der Wahrnehmung hoheitlicher Tätigkeiten unterschieden wird. Auch Beschäftigte, die nicht in den Geltungsbereich von § 41 Satz 2 TVöD oder § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L fallen, sind ihrem Arbeitgeber zur Treue verpflichtet. Alle Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes sind wie die Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Arbeitgebers verpflichtet.1 Dies bedeutet, dass der Arbeitnehmer seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen und die Interessen des Arbeitgebers so zu wahren hat, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb nach Treu und Glauben erwartet werden kann.2 Diese allgemeine Treuepflicht wird in § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L, sowie in § 41 Satz 2 TVöD konkretisiert.3 1 Wichmann/Langer, Öffentliches Dienstrecht, 8. Auflage 2017, Rn. 564. 2 BAG Urteil vom 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 – juris Rn. 19. 3 Zu § 3 TV-L: BAG Urteil vom 6. September 2012 – 2 AZR 372/11 – juris Rn. 16. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 043/20 Seite 5 Nicht alle Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes unterliegen jedoch einer beamtenähnlichen Verfassungstreuepflicht.4 Die in Art. 33 Abs. 5 Grundgesetz (GG) verortete Verfassungstreuepflicht verlangt von Beamten, dass sie sich zu den Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen, diese Grundordnung als schützenswert anerkennen und aktiv für sie eintreten.5 Nach der vom Bundesarbeitsgericht entwickelten sogenannten Funktionstheorie richtet sich das Maß der Treuepflicht der im öffentlichen Dienst Beschäftigten nach der Stellung und dem Aufgabenkreis, der dem Beschäftigten laut Arbeitsvertrag übertragen ist.6 Die Beschäftigten schulden lediglich das Maß an politischer Loyalität, welches für die funktionsgerechte Verrichtung ihrer Tätigkeit unverzichtbar ist.7 Im jeweiligen Einzelfall muss unter Berücksichtigung der konkreten Aufgaben, die dem Beschäftigten übertragen sind und der staatlichen Aufgabenstellung des öffentliche Arbeitgebers entschieden werden, in welchem Maße der Beschäftigte der politischen Treuepflicht unterliegt.8 Unter anderem von angestellten Lehrern ist nach diesen Grundsätzen ein höheres Maß an Loyalität zu fordern als beispielsweise von bei der zum damaligen Zeitpunkt staatseigenen Deutschen Bundespost beschäftigten Fernmeldehandwerkern .9 Sofern der Beschäftigte nur einer einfachen politischen Treuepflicht unterliegt, ist er verpflichtet, den Staat, die Verfassung und deren Organe nicht zu beseitigen, zu beschimpfen oder verächtlich zu machen.10 Es wird von ihm insofern lediglich verlangt, nicht selbst verfassungsfeindliche Ziele zu verfolgen oder aktiv zu unterstützen.11 Für einen Verstoß gegen die Verfassungstreuepflicht kommt es nicht darauf an, ob das relevante Verhalten strafbar ist, schließlich können sich auch nicht strafbare Aktivitäten gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten.12 Ein Verstoß gegen die Verfassungstreuepflicht kann einerseits eine Pflichtverletzung und somit Grundlage für eine verhaltensbedingte Kündigung darstellen und andererseits die fehlende Eignung des Beschäftigten begründen und damit eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen .13 4 BAG Urteil vom 6. September 2012 – 2 AZR 372/11 – juris Rn. 17. 5 BVerfG Urteil vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 – juris Leitsatz 2. 6 Diese Grundsätze wurden vom Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 31. März – 5 AZR 104/74 – juris Rn. 41 ff. entwickelt und später als Funktionstheorie bezeichnet: unter anderem in: BAG Urteil vom 6. September 2012 – 2 AZR 372/11 – juris Rn. 17. 7 BAG Urteil vom 6. September 2012 – 2 AZR 372/11 – juris Rn. 17. 8 BAG Urteil vom 28. September 1989 – 2 AZR 317/86 – juris Rn. 18. 9 Zu Lehrern: BAG Urteil vom 16. Dezember 1982 – 2 AZR 144/81 – juris Rn. 28, BAG Urteil vom 5. November 1992 – 2 AZR 287/92 – juris Rn. 36 ff.; zu Fernmeldehandwerkern: BAG Urteil vom 12. März 1986 – 7 AZR 468/81 – juris Rn. 43. 10 BAG Urteil vom 6. September 2012 –2 AZR 372/11 – juris Rn. 17. 11 BAG Urteil vom 6. September 2012 – 2 AZR 372/11 – juris Rn. 21. 12 BAG Urteil vom 6. September 2012 –2 AZR 372/11 – juris Rn. 31. 13 BAG Urteil vom 6. September 2012 – 2 AZR 372/11 – juris Rn. 19. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 043/20 Seite 6 3. Wirksamkeit der Kündigung Die Wirksamkeit einer Kündigung der im öffentlichen Dienst Beschäftigten richtet sich insbesondere nach den Kündigungsvorschriften des BGB, den Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG), sowie den tarifvertraglichen Regelungen des TVöD/TV-L. Zudem können Regelungen des besonderen Kündigungsschutzes, unter anderem des Mutterschutzgesetzes (MuSchG) oder des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG), anwendbar sein. 3.1. Ordentliche Kündigung 3.1.1. Allgemeine Voraussetzungen Zur Wirksamkeit bedarf die Kündigung gemäß § 623 BGB der Schriftform, und die Kündigungserklärung muss dem Kündigungsempfänger zugehen. Der Personalrat wirkt bei ordentlichen Kündigungen gemäß §§ 79 Abs. 2 und 3, 72 Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) mit. Die ordentliche Kündigung zeichnet sich dadurch aus, dass sie an eine Frist gebunden ist. Die Kündigungsfrist richtet sich für Beschäftigte im Öffentlichen Dienst nach § 34 TVöD/TV-L, wonach die Dauer der Beschäftigungszeit für die Kündigungsfrist ausschlaggebend ist. 3.1.2. Kündigungsgrund Im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ist eine Kündigung gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist. § 1 Abs. 2 KSchG sieht betriebs-, verhaltens- und personenbedingte Gründe als Kündigungsgründe vor. Im Zusammenhang mit Verstößen gegen die Verfassungstreuepflicht kommt sowohl die verhaltens- als auch die personenbedingte Kündigung in Betracht. 3.1.2.1. Verhaltensbedingte Kündigung Eine verhaltensbedingte Kündigung knüpft an das Verhalten des Arbeitnehmers an. Wirksamkeitsvoraussetzungen sind eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers, in der Regel eine Abmahnung , sowie eine umfassende Interessenabwägung.14 3.1.2.1.1. Pflichtverletzung Die verhaltensbedingte Kündigung setzt voraus, dass ein dem Arbeitnehmer vorwerfbares und steuerbares Verhalten zu einer schuldhaften Verletzung einer Haupt- oder Nebenpflicht führt.15 Grundsätzlich verlangt die Rechtsprechung, dass der Arbeitnehmer die Pflichtverletzung schuldhaft begangen hat.16 In Ausnahmefällen, wie zum Beispiel bei einer erheblichen Beeinträchtigung des Betriebsfriedens, kann jedoch auch eine unverschuldete Pflichtverletzung des Arbeitnehmers 14 Wichmann/Langer, Öffentliches Dienstrecht, 8. Auflage 2017, Rn. 667. 15 Oetker in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Auflage 2020, § 1 KSchG, Rn. 188 f. 16 BAG Urteil vom 11. Dezember 2003 – 2 AZR 667/02 – juris Rn. 88. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 043/20 Seite 7 eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen.17 Es gilt das Prognoseprinzip: Die Kündigung ist keine Sanktion für vergangene Pflichtverletzungen, sondern dient der Vermeidung des Risikos weiterer Verletzungen.18 Besonderheiten sind bezüglich des außerdienstlichen Verhaltens zu beachten. Tätigkeiten von Arbeitnehmern in den sozialen Medien erfolgen im Regelfall außerdienstlich. Auch das außerdienstliche Verhalten von Arbeitnehmern kann eine Pflichtverletzung darstellen und eine Kündigung rechtfertigen. Bis zur Verabschiedung von TVöD und TV-L galten für Beschäftigte im öffentlichen Dienst unter anderem die Regelungen des Bundesangestelltentarifvertrags (BAT). Nach § 8 Satz 1 BAT hatte der Angestellte sich so zu verhalten, wie es von Angehörigen des öffentlichen Dienstes erwartet wird. Auch ihr außerdienstliches Verhalten hatten Angestellte des öffentlichen Dienstes danach so auszurichten, dass das Ansehen des Arbeitgebers nicht beeinträchtigt wurde.19 Da eine derartige Regelung nicht in die Bestimmungen des TVöD und TV-L aufgenommen wurde, geht das Bundesarbeitsgericht davon aus, dass nicht hoheitlich tätige Beschäftigte grundsätzlich den gleichen aus § 241 Abs. 2 BGB abzuleitenden Nebenpflichten unterliegen, wie Beschäftigte der Privatwirtschaft.20 Der Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft ist in seinem außerdienstlichen Verhalten grundsätzlich frei und außerhalb der Einflusssphäre des Arbeitgebers.21 Etwas anderes gilt dann, wenn das außerdienstliche Verhalten des Arbeitnehmers Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigt.22 Dies ist der Fall, sofern das Verhalten einen Bezug zum Arbeitsverhältnis aufweist oder sich negativ auf den Betrieb auswirkt.23 Liegt das außerdienstliche Verhalten in einer Straftat, kann ein dienstlicher Bezug auch dadurch hergestellt werden, dass der Arbeitgeber in der Öffentlichkeit mit der Straftat in Verbindung gebracht wird.24 Im Zusammenhang mit Tätigkeiten in den sozialen Medien sahen die Gerichte einen dienstlichen Bezug unter anderem darin, dass der Arbeitnehmer auf seiner Facebook-Seite den Arbeitgeber angab25 oder auf veröffentlichten Fotos Dienstkleidung trug.26 17 BAG Urteil vom 21. Januar 1999 – 2 AZR 665/98 – juris Rn. 20. 18 BAG Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – juris Rn. 28. 19 BAG Urteil vom 10. September 2009 – 2 AZR 257/08 – juris Rn. 17. 20 BAG Urteil vom 10. September 2009 – 2 AZR 257/08 – juris Rn. 17 f. 21 Preis in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Auflage 2020, § 611a BGB, Rn. 730; LAG Niedersachsen Urteil vom 21. März 2019 – 13 Sa 371/18 – juris Rn. 53. 22 Preis in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Auflage 2020, § 611a BGB, Rn. 730. 23 Preis in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Auflage 2020, § 611a BGB, Rn. 730. 24 BAG Urteil vom 28. Oktober 2010 – 2 AZR 665/98 – juris Rn. 19. 25 LAG Rheinland-Pfalz Urteil vom 19. Dezember 2016 – 3 Sa 387/16 – juris Rn. 87. 26 Sächsisches LAG Urteil vom 27. Februar 2018 – 1 Sa 515/17 – juris Rn. 37. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 043/20 Seite 8 Auch extremistische Tätigkeiten von Arbeitnehmern können eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen. So ist zum Beispiel die Verbreitung ausländerfeindlicher Pamphlete an sich geeignet einen außerordentlichen Kündigungsgrund darzustellen.27 In Bezug auf Aktivitäten von Arbeitnehmern, die als Meinungsäußerungen zu qualifizieren sind, ist stets das Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG zu beachten. Der Grundrechtsschutz nach Art. 5 Abs. 1 GG besteht für Werturteile, unabhängig von der Art des vom Arbeitnehmer genutzten Mediums und davon, ob die Meinungsäußerung rational oder emotional, begründet oder unbegründet ist.28 Art. 5 Abs. 1 GG findet seine Schranken gemäß Art. 5 Abs. 2 GG in dem Recht der persönlichen Ehre und in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Zu den allgemeinen Gesetzen zählt auch § 241 Abs. 2 BGB, also die Pflicht des Arbeitnehmers zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers.29 Im Rahmen einer umfassenden Abwägung sind die Interessen in ein ausgeglichenes Verhältnis zu bringen, wobei die zwischen der Meinungsfreiheit und den sie beschränkenden Gesetzen bestehende Wechselwirkung zu beachten ist.30 Äußerungen, die als Schmähung, Formalbeleidigung oder unwahre Tatsachenbehauptung zu qualifizieren sind, fallen nicht in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG.31 Etwas anderes kann dann gelten, wenn ehrverletzende Äußerungen in einem vertraulichen Gespräch unter Arbeitskollegen fallen. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gebietet den Schutz der Privatsphäre, was dazu führt, dass der Arbeitnehmer unter gewissen Umständen darauf vertrauen darf, eine vertrauliche Äußerung werde nicht nach außen getragen und der Betriebsfrieden werde nicht gestört.32 Die dargestellten Grundsätze wenden die Gerichte bei Äußerungen, unabhängig von der Art des gewählten Mediums an, sodass auch Äußerungen in den sozialen Medien als Kündigungsgrund geeignet sein können.33 Auch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur vertraulichen Kommunikation kann auf Äußerungen in den sozialen Medien übertragen werden.34 So muss im Einzelfall nach den Umständen der Äußerung differenziert werden. Diese kann unter anderem in privaten Nachrichten zwischen zwei Personen, in Chats mit mehreren Personen, in öffentlichen oder geschlossenen Gruppen oder auf einer öffentlich oder nicht öffentlich zugänglichen Profilseite erfolgen. Sofern ein Arbeitnehmer auf seinem öffentlichen Facebook-Profil eine Beleidigung ausspricht, soll diese jedenfalls nicht als vertraulich qualifiziert werden können.35 Nach Ansicht 27 BAG Urteil vom 14. Februar 1996 – 2 AZR 274/95 – juris Rn. 24. 28 BAG Urteil vom 31. Juli 2014 – 2 AZR 505/13 – juris Rn. 42. 29 BAG Urteil vom 31. Juli 2014 – 2 AZR 505/13 – juris Rn. 43. 30 BAG Urteil vom 31. Juli 2014 – 2 AZR 505/13 – juris Rn. 43. 31 BAG Urteil vom 10. Dezember 2009 – 2 AZR 534/08 – juris Rn. 17. 32 BAG Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 AZR 418/01 – juris Rn. 26. 33 So unter anderem in: LAG Hamm, Urteil vom 10. Oktober 2012 – 3 Sa 644/12. 34 Notzon, Arbeitsrecht meets Facebook, öAT 2013, S. 180, 182; ArbG Mainz Urteil vom 15. November 2017 – 4 Ca 1240/17 – juris Rn. 25. 35 LAG Hamm, Urteil vom 10. Oktober 2012 – 3 Sa 644/12 – juris Rn. 103. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 043/20 Seite 9 des Arbeitsgerichts Mainz können rechtsextremistische Äußerungen in einer engen privaten WhatsApp-Gruppe mit sechs Mitgliedern, die alle beim betroffenen Arbeitgeber beschäftigt waren, hingegen als vertrauliche Kommunikation gewertet werden.36 Wird jedoch der Empfänger einer WhatsApp-Nachricht selbst beleidigt, soll der Absender der Nachricht sich nicht auf die Vertraulichkeit berufen können, da in diesem Fall ein Austausch in beiderseitigem Einverständnis nicht stattgefunden habe.37 3.1.2.1.2. Abmahnung Grundsätzlich bedarf es einer vorherigen Abmahnung bei einer verhaltensbedingten Kündigung. Die Abmahnung wird in verschiedenen Gesetzen, unter anderem in den §§ 314 Abs. 2, 323 Abs. 3 BGB oder § 12 Abs. 3 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), erwähnt, jedoch nicht näher geregelt. Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Rechtsprechung die Grundsätze zur Abmahnung, ausgehend vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, entwickelt.38 Eine Abmahnung liegt vor, wenn der Arbeitgeber in einer für den Arbeitnehmer hinreichend deutlich erkennbaren Art und Weise Leistungsmängel beanstandet und damit den Hinweis verbindet, dass im Wiederholungsfalle der Inhalt oder der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet sei.39 Die Abmahnung stellt ein eigenes Rechtsinstitut dar, welches der Arbeitgeber nutzen kann, um auf eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers zu reagieren. Arbeitnehmer können gegen eine Abmahnung – unabhängig von einer eventuellen späteren Kündigung – gerichtlich vorgehen. Sie haben einen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus ihrer Personalakte, wenn die Abmahnung inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt.40 Auch im Rahmen eines späteren Kündigungsschutzprozesses können die Gerichte überprüfen, ob eine erfolgte Abmahnung wirksam ausgesprochen wurde. Die Abmahnung hat sowohl eine Rüge- als auch eine Warnfunktion.41 Dem Arbeitnehmer soll einerseits verdeutlicht werden, dass er eine Pflichtverletzung begangen hat und andererseits zu erkennen gegeben werden, dass eine erneute Pflichtverletzung zu individualrechtlichen Konsequenzen führen kann.42 Da eine Kündigung für den Arbeitnehmer schwerwiegende Folgen hat, ist sie als „ultima ratio“ nur wirksam, wenn nicht eine Abmahnung als milderes, gleich geeignetes Mittel als Reaktion auf die Pflichtverletzung ausgereicht hätte.43 Vor einer verhaltensbedingten 36 ArbG Mainz Urteil vom 15. November 2017 – 4 Ca 1240/17 – juris Rn. 25 f. 37 LAG Baden-Württemberg Urteil vom 5. Dezember 2019 – 17 Sa 3/19 – juris Rn. 82. 38 Niemann in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Auflage 2020, § 626 BGB, Rn.29. 39 BAG Urteil vom 10. Januar 1980 – 7 AZR 75/78 – juris 1. Leitsatz. 40 BAG Urteil vom 19. Juli 2012 – 2 AZR 782/11 – juris Rn. 13. 41 BAG, Urteil vom 19. Juli 2012 – 2 AZR 782/11 – juris Rn. 20. 42 BAG, Urteil vom 19. Juli 2012 – 2 AZR 782/11 – juris Rn. 20. 43 BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – juris Rn. 35. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 043/20 Seite 10 Kündigung ist stets zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose gerechtfertigt ist, der Arbeitnehmer werde sich nach einer Abmahnung künftig wieder vertragsgetreu verhalten.44 Sofern eine wirksame Abmahnung erfolgt ist und der Arbeitnehmer daraufhin erneut eine Pflichtverletzung begeht, kann davon ausgegangen werden, dass es auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen werde.45 Die Gründe einer vor einer verhaltensbedingten Kündigung erfolgten Abmahnung müssen mit denen der späteren Kündigung in einem inneren Zusammenhang stehen, die Pflichtwidrigkeiten also aus demselben Bereich stammen.46 Eine Abmahnung ist lediglich dann entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung auch nach Abmahnung nicht zu erwarten ist, oder es sich um eine derart schwere Pflichtverletzung handelt, dass die Rechtswidrigkeit für den Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar ist und eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist.47 Der Arbeitgeber ist nicht an eine Frist gebunden, innerhalb derer er den Arbeitnehmer nach einer erfolgten Pflichtverletzung abmahnen muss.48 Allerdings kann der Arbeitgeber sein Abmahnungsrecht verwirken.49 Ein Recht ist dann verwirkt, wenn es innerhalb eines gewissen Zeitraums nicht geltend gemacht wird und der Schuldner aufgrund der im Verhalten des Gläubigers liegenden Umstände davon ausgehen konnte, dass der Schuldner sein Recht auch zukünftig nicht ausüben werde.50 Eine einmal erfolgte Abmahnung wird nicht nach einer festen zeitlichen Grenze wirkungslos.51 Vielmehr muss nach den Umständen des Einzelfalles beurteilt werden, ob aufgrund der vergangenen Zeit oder neu hinzugetretener Umstände, der Arbeitnehmer wieder im Ungewissen sein könnte, wie der Arbeitgeber auf eine Pflichtverletzung reagieren werde.52 44 BAG Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – juris Rn. 38. 45 BAG Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – juris Rn. 36. 46 BAG Urteil vom 13. Dezember 2007 – 2 AZR 818/06 – juris Rn. 41. 47 BAG Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – juris Rn. 37. 48 BAG Urteil vom 14. Dezember 1994 – 5 AZR 137/94 – juris Rn. 25. 49 BAG Urteil vom 14. Dezember 1994 – 5 AZR 137/94 – juris Rn. 26. 50 BGH Urteil vom 14. November 2002 – VII ZR 23/02– juris Rn. 8. 51 BAG Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 AZR 418/01 – juris Rn. 29. 52 BAG Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 AZR 418/01 – juris Rn. 29. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 043/20 Seite 11 3.1.2.1.3. Interessenabwägung Im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung ist schließlich unter Heranziehung aller Umstände des Einzelfalles und Abwägung der gegenseitigen Interessen zu ermitteln, ob eine Kündigung als Reaktion auf das Verhalten des Arbeitnehmers billig und angemessen war.53 In diese Abwägung fließen alle Umstände des Einzelfalles ein und die Interessen der beiden Vertragspartner, namentlich das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sowie das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand, werden gegeneinander abgewogen.54 Die einzubeziehenden Umstände des Einzelfalls sind vielfältig und nicht abschließend geregelt. Regelmäßig werden insbesondere das Gewicht und das Ausmaß der Vertragspflichtverletzung, die Möglichkeit einer Wiederholungsgefahr, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, sowie Dauer und störungsfreier Verlauf des Arbeitsverhältnisses berücksichtigt.55 In die Interessenabwägung wird ebenfalls miteinbezogen, ob bereits eine oder mehrere Abmahnungen erfolgten und wie lange der abgemahnte Pflichtenverstoß zurückliegt. Ein durch eine Abmahnung geltend gemachter Pflichtenverstoß, der hinreichend lange zurückliegt, nicht schwerwiegt und durch beanstandungsfreies Verhalten faktisch überholt ist, ist unter Umständen für eine später erforderliche Interessenabwägung unbedeutend.56 Allerdings kann eine nicht unerhebliche Pflichtverletzung im Vertrauensbereich für eine erhebliche Zeit von Bedeutung sein.57 3.1.2.2. Personenbedingte Kündigung Eine personenbedingte Kündigung kommt in Betracht, wenn der Arbeitnehmer aufgrund persönlicher Fähigkeiten und Eigenschaften nicht mehr in der Lage ist, künftig eine vertragsgerechte Leistung zu erbringen.58 Unter anderem Krankheit, altersbedingte Minderleistung und mangelnde körperliche oder geistige Eignung können Grundlage einer personenbedingen Kündigung sein.59 Im Gegensatz zu einer verhaltensbedingten Kündigung beruht die personenbedingte Kündigung nicht auf einem steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers.60 Insofern kommt es auch auf ein Verschulden des Arbeitnehmers nicht an und es ist anders als bei der verhaltensbedingten Kündigung keine Abmahnung erforderlich.61 Wie bei der verhaltensbedingten Kündigung muss eine 53 BAG Urteil vom 11. Dezember 2003 – 2 AZR 667/02 – juris Rn. 88. 54 BAG Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – juris Rn. 34. 55 BAG Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – juris Rn. 34. 56 BAG Urteil vom 19. Juli 2012 – 2 AZR 782/11 – juris Rn. 32. 57 BAG Urteil vom 19. Juli 2012 – 2 AZR 782/11 – juris Rn. 32. 58 BAG Urteil vom 23. Mai 2013 – 1 AZR 120/12 – juris Rn. 21. 59 Unter anderem in BAG Urteil vom 13. Dezember 1990 – 2 AZR 431/98. 60 Oetker in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Auflage 2020, § 1 KSchG, Rn. 99. 61 Reidel in: Personalbuch Arbeits- und Tarifrecht öffentlicher Dienst, 6. Auflage 2020, Rn. 2107. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 043/20 Seite 12 umfassende Interessenabwägung ergeben, dass das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Interesse des Arbeitnehmers an der Weiterbeschäftigung überwiegt. Die personenbedingte Kündigung eines im öffentlichen Dienst Beschäftigten, kann sich aufgrund von begründeten Zweifeln an der Verfassungstreue ergeben.62 Es kommt zunächst darauf an, in welchem Maße ein Beschäftigter nach den oben dargestellten Grundsätzen zur „Funktionstheorie “ zur Verfassungstreue verpflichtet ist. Begründete Zweifel an der Verfassungstreue ergeben sich nicht bereits daraus, dass der Arbeitnehmer Anhänger einer verfassungsfeindlichen Partei oder Organisation ist und deren Ziele bloß für richtig hält.63 Allerdings können sich aus Mitgliedschaft und Eintreten für eine solche Partei Indizien für eine mangelnde Verfassungstreue und somit eine fehlende Eignung ergeben.64 Selbst bei Beschäftigten, die einer gesteigerten Treuepflicht unterliegen, führen derartige Indizien aber nicht ohne Weiteres zur Wirksamkeit einer Kündigung.65 Bei Beschäftigten, die keiner gesteigerten Treuepflicht unterliegen, begründet erst das aktive Fördern verfassungsfeindlicher Bestrebungen einen Eignungsmangel.66 Dies bejahte das Bundesarbeitsgericht unter anderem in einem Fall, in dem ein in der Oberfinanzdirektion Beschäftigter im Internet in einem „Newsletter“ zur Teilnahme an einer Demonstration aufrief, die im Zusammenhang nur als Aufruf zu einem gewaltsamen Umsturz verstanden werden konnte.67 Das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG ist auch im Rahmen von personenbedingten Kündigungen nach den zur verhaltensbedingten Kündigung dargestellten Grundsätzen zu beachten.68 Bei personenbedingten Kündigungen wegen Verstößen gegen die Verfassungstreuepflicht, erfolgt bei der gerichtlichen Prüfung regelmäßig eine Gesamtbetrachtung aller Indizien, die auf eine extremistische Einstellung schließen lassen. 3.2. Außerordentliche Kündigung Die außerordentliche Kündigung bedarf wie die ordentliche Kündigung gemäß § 623 BGB der Schriftform und muss dem Kündigungsempfänger zugehen. Gemäß § 626 Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen ab dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt, erfolgen. Eine Beteiligung des Personalrats findet nach Maßgabe des § 79 Abs. 3 BPersVG statt. 62 BAG Urteil vom 6. September 2012 – 2 AZR 2 372/11 – juris Rn. 20. 63 BAG Urteil vom 6. September 2012 – 2 AZR 2 372/11 – juris Rn. 20. 64 BAG Urteil vom 6. September 2012 – 2 AZR 2 372/11 – juris Rn. 20 f. 65 BAG Urteil vom 6. September 2012 – 2 AZR 2 372/11 – juris Rn. 20. 66 BAG Urteil vom 6. September 2012 – 2 AZR 372/11 – juris Rn. 21. 67 BAG Urteil vom 6. September 2012 – 2 AZR 372/11. 68 So: BAG Urteil vom 6. September 2012 – 2 AZR 372/11 – juris Rn. 33. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 043/20 Seite 13 Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine zweistufige Prüfung zur Feststellung der Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung erforderlich .69 Zunächst muss losgelöst von den besonderen Umständen des Einzelfalls ein typischerweise „an sich“ geeigneter wichtiger Grund vorliegen.70 „Absolute“ Kündigungsgründe sieht das Gesetz nicht vor.71 Auf der zweiten Stufe ist im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung zu prüfen, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist.72 Es fließen wie bei der ordentlichen Kündigung alle Umstände des Einzelfalles mit ein. Die außerordentliche Kündigung ist nicht verhältnismäßig, wenn bereits mildere Mittel, wie die Abmahnung oder die ordentliche Kündigung, geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck, nämlich die Vermeidung künftiger Störungen, zu erreichen.73 Primär kommen verhaltensbedingte Gründe für eine außerordentliche Kündigung in Betracht. Personenbedingte Gründe rechtfertigen dagegen nur in Ausnahmefällen eine außerordentliche Kündigung.74 4. Exemplarische Einzelfälle der aktuellen Rechtsprechung Anhand von zwei Entscheidungen der aktuellen Rechtsprechung, soll exemplarisch dargestellt werden, inwieweit die Gerichte einzelfallabhängig über die Wirksamkeit von Kündigungen im Zusammenhang mit Tätigkeiten von Arbeitnehmern in den sozialen Medien entscheiden. 4.1. Außerordentliche Kündigung eines Mitarbeiters des Landeskriminalamts In dieser Entscheidung vom 14. November 2018 beschäftigte sich das Thüringer Landesarbeitsgericht mit der Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung eines Mitarbeiters bei einem IT-Dauerdienst, der beim Landeskriminalamt angesiedelt war.75 Der Arbeitnehmer hatte in seiner Position Zugang zu sicherheitsrelevanten Informationen. Bei seiner Einstellung wurde er darüber belehrt, dass er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung zu bekennen habe. Er nahm an einer Diskussion im öffentlich einsehbaren Teil von Face- 69 BAG Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – juris Rn. 16. 70 BAG Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – juris Rn. 16. 71 BAG Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – juris Rn. 16. 72 BAG Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – juris Rn. 34. 73 BAG Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – juris Rn. 16. 74 BAG Urteil vom 31. Januar 1996 – 2 AZR 181/95 – juris Rn. 18. 75 Thüringer LAG Urteil vom 14. November 2018 – 6 Sa 204/18. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 043/20 Seite 14 book teil, wobei er, unter anderem, Muslime als „Pfeifen“ und „Abschaum“ bezeichnete. Ein Bezug zum Arbeitgeber ließ seine Facebook-Seite nicht erkennen. Das Gericht erklärte eine außerordentliche Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen für unverhältnismäßig, da es dem Arbeitgeber zumutbar gewesen wäre, zunächst mit einer Abmahnung die Vertragsstörung zu beheben.76 Das Gericht verneinte zwar die Eignung des Arbeitnehmers aufgrund von begründeten Zweifeln an der Verfassungstreue und führte dies neben seinen Äußerungen auf Facebook auch auf den von ihm in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck zurück.77 Allerdings sei es dem Arbeitgeber zumutbar gewesen, den Arbeitnehmer zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist in einem weniger sicherheitsempfindlichen Bereich einzusetzen, sodass die Interessenabwägung letztendlich zugunsten des Arbeitnehmers ausging und die außerordentliche Kündigung unwirksam war.78 Die Revision gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts wies das Bundesarbeitsgericht zurück.79 4.2. Außerordentliche Kündigung eines Straßenbahnfahrers In dieser Entscheidung vom 27. Februar 2018 hatte das Sächsische Landesarbeitsgericht über die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten außerordentlichen Kündigung eines Straßenbahnfahrers zu entscheiden.80 Die Straßenbahngesellschaft stand im Eigentum der Stadt. Der Arbeitnehmer hatte auf einer rechtsradikalen Facebook-Seite unter seinem Namen und in Straßenbahnuniform erkenntlich ein Foto mit einer meckernden Ziege mit der Sprechblase „Achmed, ich bin schwanger “ veröffentlicht. Das Gericht qualifizierte die Veröffentlichung als nicht von der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG gerechtfertigte Schmähkritik.81 Hierdurch habe der Arbeitnehmer gegen das in § 241 Abs. 2 BGB normierte Gebot der Rücksichtsname verstoßen.82 Aufgrund des Fotos in Uniform liege ein Bezug zum Arbeitsverhältnis vor, wobei die Interessen des Arbeitgebers dadurch beeinträchtigt worden seien, dass dieser in die Nähe der Ausländerfeindlichkeit gesetzt wurde, was die Berichterstattung in den Medien zeige.83 Die Straßenbahngesellschaft habe als Teil des öffentlichen Dienstes ein besonderes Interesse daran, die Grundwerte des Grundgesetzes zu achten.84 Aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung sei eine Abmahnung nicht 76 Thüringer LAG Urteil vom 14. November 2018 – 6 Sa 204/18 – juris Rn. 58 f. 77 Thüringer LAG Urteil vom 14. November 2018 – 6 Sa 204/18 – juris Rn. 64 ff. 78 Thüringer LAG Urteil vom 14. November 2018 – 6 Sa 204/18 – juris Rn. 81. 79 BAG Urteil vom 27. Juni 2019 – 2 AZR 28/19. 80 Sächsisches LAG Urteil vom 27. Februar 2018 – 1 Sa 515/17. 81 Sächsisches LAG Urteil vom 27. Februar 2018 – 1 Sa 515/17 – juris Rn. 33. 82 Sächsisches LAG Urteil vom 27. Februar 2018 – 1 Sa 515/17 – juris Rn. 36. 83 Sächsisches LAG Urteil vom 27. Februar 2018 – 1 Sa 515/17 – juris Rn. 37. 84 Sächsisches LAG Urteil vom 27. Februar 2018 – 1 Sa 515/17 – juris Rn. 37. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 043/20 Seite 15 erforderlich gewesen.85 Im Rahmen der Interessenabwägung führten auch die lange Betriebszugehörigkeit von vierundzwanzig Jahren und sein Lebensalter nicht dazu, dass die Interessen des Arbeitnehmers am Bestand des Arbeitsverhältnisses überwogen und die außerordentliche Kündigung war im Ergebnis wirksam.86 5. Fazit Die extremistische Betätigung von im öffentlichen Dienst Beschäftigten kann die Grundlage für eine Abmahnung oder eine Kündigung sein. Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze bezüglich der Wirksamkeit von Abmahnung und Kündigung sind auf extremistischen Äußerungen in den sozialen Medien übertragbar. Ob eine Abmahnung oder eine Kündigung wirksam ist, ist anhand der jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls zu entscheiden. Die in eine Interessenabwägung mit einzubeziehenden Umstände sind von Fall zu Fall verschieden. *** 85 Sächsisches LAG Urteil vom 27. Februar 2018 – 1 Sa 515/17 – juris Rn. 38. 86 Sächsisches LAG Urteil vom 27. Februar 2018 – 1 Sa 515/17 – juris Rn. 39. Die unter dem Aktenzeichen 1 Sa 515/17 eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat das Bundesarbeitsgericht in einem Beschluss vom 23. Mai 2018 verworfen, sodass die Entscheidung rechtskräftig ist.