Deutscher Bundestag Pflegepersonalbemessung in Krankenhäusern als Regelungsgegenstand von Tarifverträgen Sachstand Wissenschaftliche Dienste © 2013 Deutscher Bundestag WD 6 – 3000-043/13 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 – 3000-043/13 Seite 2 Pflegepersonalbemessung in Krankenhäusern als Regelungsgegenstand von Tarifverträgen Aktenzeichen: WD 6 – 3000-043/13 Abschluss der Arbeit: 23. April 2013 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 – 3000-043/13 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Der Tarifvertrag 5 2.1. Begriff und Inhalt 5 2.2. Regelungskompetenz der Tarifvertragsparteien 6 2.3. Betriebsnormen 7 3. Pflegepersonalbemessung als Betriebsnorm 7 3.1. Betriebswirtschaftliche und gesundheitspolitische Bedeutung der Pflegepersonalbemessung 7 3.2. Bedeutung der Personalbemessung als Arbeitsschutznorm 8 3.3. Rechtsprechung 8 4. Fazit 9 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 – 3000-043/13 Seite 4 1. Einleitung Personalbemessung ist ein betriebswirtschaftliches Instrument der Personalbedarfsplanung. Sie dient der Bestimmung des konkreten Bedarfs an personellen Kapazitäten in einem Betrieb oder Unternehmen oder für einen definierten Prozess.1 Im Zusammenhang mit dem Pflegedienst in Krankenhäusern geht es um die Feststellung der Zahl von Pflegekräften bestimmter Qualifikationen , die erforderlich ist, um eine angemessene und bedarfsgerechte Pflege der Patienten zu gewährleisten . Im Rahmen des Gesundheits-Strukturgesetzes hatte der Bundesgesetzgeber auf der Grundlage des Krankenhausfinanzierungsgesetzes mit Wirkung vom 1. Januar 1993 eine Regelung über Maßstäbe und Grundsätze für den Personalbedarf in der stationären Krankenpflege (Pflege- Personalregelung - PPR) geschaffen, nachdem Verhandlungen zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und der Deutschen Krankenhausgesellschaft über eine einheitliche Personalbemessung gescheitert waren. Die Regelung sollte eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit Krankenhausleistungen gewährleisten. 1997 wurde die PPR im Rahmen des Zweiten GKV-Neuordnungsgesetzes wieder aufgehoben. Der Gesetzesbegründung zufolge war sie mit den verstärkt eingeführten wettbewerblichen Elementen im Vergütungssystem im stationären Bereich nicht mehr kompatibel; außerdem hätten sich Zweifel verstärkt, dass die Festschreibung einheitlicher Kriterien zur Personalbemessung die Situation des einzelnen Krankenhauses sachgerecht abbilden könne.2 Krankenhäuser sehen sich heute vielfach einem steigenden Konkurrenz- und Kostendruck ausgesetzt , dem sie mit Einsparungen beim Pflegepersonal zu begegnen versuchen. Seit der Aufhebung der PPR unterliegt der Pflegedienst der Krankenhäuser daher einem stetigen Personalabbau, der zu einer höheren Belastung der verbleibenden Beschäftigten durch Mehrarbeit führt und die Gefahr einer tendenziellen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen bis hin zu Verletzungen der gesetzlichen Arbeitszeitvorgaben birgt.3 Nach Erhebungen der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di fehlen in deutschen Krankenhäusern bundesweit derzeit insgesamt 162.000 Vollzeitstellen , um eine gute Versorgung der Patienten und gute Arbeitsbedingungen der Beschäftigten sicherzustellen, davon ca. 70.000 Stellen in der Pflege. In einer Resolution der Landeskrankenhauskonferenz vom 25. März 2013 in Stuttgart wird daher u.a. der Bund aufgefordert, die Krankenhausfinanzierung zu verbessern und wieder „eine gesetzliche Regelung für eine Personalbemessung [zu schaffen], die die Patientensicherheit gewährleistet“4. 1 Die Formulierung folgt der Definition der Firma Ibo, einem Hersteller für Personalmanagement-Software. Abrufbar im Internetauftritt „Personalbemessung“ Ibo: http://www.personalbemessung.de (Abruf: 18. April 2013). 2 BT-Drs. 13/6087 vom 12. November 1996, S. 36. 3 Vgl. zur Gesetzgebungsgeschichte der PPR, zur aktuellen Situation sowie zur jüngeren Diskussion über die Pflegepersonalbemessung in Krankenhäusern OSTERMANN, Martin: Mindestanforderungen als Ansatz zur nachhaltigen Sicherung einer ausreichenden Personalbesetzung im Pflegedienst der Krankenhäuser. Dokumentation vom 17. Januar 2013. WD 9 - 3000-146/13. Berlin: Deutscher Bundestag - Wissenschaftliche Dienste (unveröffentlicht ). 4 ver.di: Resolution der Landeskrankenhauskonferenz vom 25. März 2013 in Stuttgart. Abrufbar im ver.di- Internetauftritt „Der Druck muss raus“: http://www.der-druck-mussraus .de/sites/default/files/resolution_zur_landeskrankenhauskonferenz-bwwue.pdf (Abruf: 17. April 2013). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 – 3000-043/13 Seite 5 Die Frage einer gesetzlichen Mindestpersonalbemessung in der Krankenhauspflege ist auch Gegenstand eines im Januar 2013 eingebrachten Antrages der der Fraktion DIE LINKE.5 sowie einer Kleinen Anfrage vom 14. März 20136 Unabhängig von der Forderung nach einer gesetzlichen Regelung der Pflegepersonalbemessung setzt sich ver.di aber im Einzelfall auch für die Regelung einer Mindestpersonalbemessung auf der Grundlage eines Tarifvertrages ein.7 Die Frage, ob eine Mindestpersonalbemessung für den Pflegebereich in Krankenhäusern auch durch Tarifvertrag geregelt werden könnte, soll im Folgenden untersucht werden. 2. Der Tarifvertrag 2.1. Begriff und Inhalt Nach einer klassischen Formulierung von NIPPERDEY ist ein „Tarifvertrag der schriftliche Vertrag zwischen einem oder mehreren Arbeitgebern oder Arbeitgeberverbänden und einer oder mehreren Gewerkschaften zur Regelung von arbeitsrechtlichen Rechten und Pflichten der Tarifvertragsparteien (schuldrechtlicher oder obligatorischer Teil) und zur Festsetzung von Rechtsnormen über Inhalt, Abschluss, Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen und gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien (normativer Teil)“8 (vgl. § 1 des Tarifvertragsgesetzes - TVG). Im schuldrechtlichen Teil sind neben der wichtigen Friedenspflicht regelmäßig vor allem Einwirkungspflichten (Innehaltungs- und Durchführungspflichten) sowie Mitwirkungspflichten geregelt . Den Tarifvertragsparteien erwachsen daraus gegenseitige Leistungsansprüche auf Erfüllung dieser Pflichten, aber auch Unterlassungsansprüche. 9 Zum normativen Teil eines Tarifvertrages gehören alle Bestimmungen, „die eine unmittelbare und zwingende Wirkung für die tarifbeteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer schaffen. Das Gesetz ermächtigt die Tarifparteien, Rechtsnormen zu schaffen, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung des Arbeitsverhältnisses sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche 5 BT-Drs. 17/12095. 6 BT-Drs. 17/12787 (Fragen 15 bis 22). 7 Vgl. die auf die Charité in Berlin bezogene Forderung, abrufbar im Internetauftritt von ver.di: http://berlin.verdi.de/berufe_und_branchen/fb_03_- _gesundheit_soziale_dienste_wohlfahrt_und_kirchen/charit/#die-neue-subcutan-zeitung-fuer-die-charit (Abruf: 18. April 2013). 8 Zit. nach SCHAUB, Günter in: Schaub/Koch/Linck: Arbeitsrechtshandbuch. 10. Aufl. 2002 München: C.H. Beck, § 198 Rn. 10. 9 Vgl. dazu SCHAUB (Fn. 8), § 201. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 – 3000-043/13 Seite 6 Fragen betreffen. […] Halten die Tarifparteien den ihnen gewährten Rahmen nicht ein, so sind die Tarifverträge nichtig.“10 2.2. Regelungskompetenz der Tarifvertragsparteien Die Tarifautonomie wird durch die in Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Zielsetzung der Koalitionen umschrieben und begrenzt. Gegenstände, die unter diesen Begriff der "Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" nicht zu subsumieren sind, entziehen sich einer tarifvertraglichen Regelung.11 „Das Begriffspaar der ‚Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen‘ meint die Bedingungen, unter denen der Arbeitnehmer abhängige Arbeit leistet und der Arbeitgeber Arbeitnehmer beschäftigen darf; es erstreckt sich nicht auf die unternehmerischen Zielsetzungen und Betätigungen des privaten Unternehmens und nicht auf die öffentlichen Aufgaben, die der Arbeitgeber der öffentlichen Hand wahrzunehmen hat.“12 Zur Förderung der Arbeitsbedingungen gehört auch die tarifvertragliche Gestaltung von Arbeitsbedingungen . Dabei bezieht sich der Begriff der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nicht nur auf Inhalt, Begründung und Beendigung des einzelnen Arbeitsverhältnisses, sondern betrifft die Gesamtheit der Bedingungen, unter denen abhängige Arbeit geleistet wird. Die Regelungskompetenz der Tarifpartner erstreckt sich daher nach § 1 Abs. 1 TVG ausdrücklich auch auf betriebliche Fragen. Inhalt eines Tarifvertrages können mithin auch so genannte Betriebsnormen sein. Hervorzuheben ist jedoch auch die Prärogative des Gesetzgebers, aus der folgt, dass es „eine allumfassende Regelungszuständigkeit und eine unbegrenzte Regelungsmöglichkeit im Rahmen der Tarifautonomie nicht gibt […]. Wie sonstige dem staatlichen Gesetzgeber nachgeordnete Rechtssetzungsberechtigte unterliegen vielmehr auch die Tarifvertragsparteien bei ihrer im Rahmen der verfassungsrechtlich garantierten Tarifautonomie möglichen Rechtsetzung dem Vorbehalt des Gesetzes, soweit dieses zwingenden Charakter hat. Da somit der Tarifvertrag schon nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen im Verhältnis zum Gesetzesrecht als die schwächere Rechtsquelle anzusehen ist, sind jedenfalls tarifliche Normen insoweit unwirksam, als sie gegen zwingendes staatliches Recht verstoßen, einerlei ob es sich dabei um Verfassungsrecht des Bundes oder der Länder, zwingende bundes- oder landesgesetzliche Bestimmungen oder auch Rechtsverordnungen von Bund und Ländern handelt.“13 Soweit also der Gesetzgeber bereits abschließende Regelungen getroffen hätte, wäre diese Rechtsmaterie der Regelungskompetenz der Sozialpartner entzogen. Dies ist jedoch jedenfalls seit der Aufhebung der PPR nicht (mehr) der Fall. 10 SCHAUB (Fn. 8), § 201 Rn. 1. 11 FUCHS, Maximlian / REICHOLD, Hermann: Tarifvertragsrecht. 2. Aufl. Baden-Baden 2006: Nomos, Rn. 160. 12 SÖLLNER, Alfred: Grenzen des Tarifvertrags. In: NZA 1996, S. 897-906 (898). 13 BAG Urteil von 25. April 1979 - 4 AZR 791/77. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 – 3000-043/13 Seite 7 2.3. Betriebsnormen „Mit den Betriebsnormen regelt der Tarifvertrag Arbeitsbedingungen, die aus dem Betrieb als organisatorischer Einheit resultieren, in welcher der Arbeitgeber gemeinsam mit seinen Arbeitnehmern einen oder mehrere arbeitstechnische Zwecke verfolgt.“14 Betriebsnormen gehen stets über den Inhalt des einzelnen individuellen Arbeitsverhältnisses hinaus und regeln das betriebliche Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Belegschaft als Kollektiv (vgl. § 3 Abs. 2 TVG).15 In Betracht kommen vor allem Regelungen, „die den Arbeitnehmer von Gefahren, Belästigungen und Störungen schützen oder die den Arbeitsablauf oder die Gestaltung des Arbeitsplatzes betreffen.“16 „Zutreffenderweise kann man davon ausgehen, dass Betriebsnormen das zwischen Arbeitgeber und Belegschaft bestehende betriebliche Rechtsverhältnis unmittelbar und zwingend gestalten und die Organisationsgewalt des Arbeitgebers einschränken.“17 Umstritten ist allerdings, in welchem Umfang durch Tarifvertrag in die Betriebs- und Unternehmenspolitik eingegriffen werden kann.18 3. Pflegepersonalbemessung als Betriebsnorm Zur Beantwortung der Frage, ob Regelungen zur Personalbemessung als Betriebsnormen zu den tarifvertraglich gestaltbaren Regelungen der Arbeitsbedingungen zählen, ist zunächst deren Inhalt und Zwecksetzung zu untersuchen. 3.1. Betriebswirtschaftliche und gesundheitspolitische Bedeutung der Pflegepersonalbemessung Eine Personalbemessungsregelung stellt - bezogen auf das einzelne Krankenhaus - in erster Linie ein betriebswirtschaftliches Instrument zur Kontrolle der für die erbrachten Serviceleistungen aufgewendeten Ressourcen dar, betrifft also den von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Kernbereich unternehmerischer Betätigung. 14 LÖWISCH, Manfred / RIEBLE, Volker: Tarifvertragsgesetz. 3. Aufl. München 2012: C.H. Beck, § 1 Rn. 352. 15 REIM, Uwe in: Däubler (Hrsg.): Tarifvertragsgesetz mit Arbeitnehmer-Entsendegesetz. 2. Aufl. Baden-Baden 2006: Nomos, § 1 Rn. 316b; TREBER, Jürgen in: Schaub Arbeitsrechts-Handbuch. 14. Auflage München 2011: C.H. Beck, § 202 Rn. 50. 16 BUNDESMINISTERIUM FÜR ARBEIT UND SOZIALES : Übersicht über das Arbeitsrecht/Arbeitsschutzrecht. Ausgabe 2012/2013. Nürnberg 2012: Verlag Bildung und Wissen, Kap. 3 Rn. 87; HENSCHE, Detlef / HEUSCHMID, Johannes in: Däubler (Hrsg.): Tarifvertragsgesetz. 4. Aufl. 2012, § 1 Rn. 893. 17 TREBER (Fn. 15), Rn. 53. 18 Vgl. SCHAUB SCHAUB (Fn. 8), § 200 Rn. 3 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 – 3000-043/13 Seite 8 Pflegepersonalbemessung in Krankenhäusern wird darüber hinaus vor allem in gesundheitspolitischem Zusammenhang diskutiert. Die von 1993 bis 1997 gültige PPR erfolgte im Rahmen des Gesundheits-Strukturgesetzes und sollte dessen Reformansätze unterstützen. Auch die Aufhebung erfolgte im Rahmen der Weiterentwicklung der Gesundheitsreformen. Im Mittelpunkt von Regelungen der Pflegepersonalbemessung im stationären Bereich steht in Deutschland wie in anderen Ländern stets die Frage nach einer angemessenen und bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheitsleistungen.19 3.2. Bedeutung der Personalbemessung als Arbeitsschutznorm Andererseits hängen „die Arbeitsbedingungen – Zeitnot und Stress auf der einen, Gesundheitsschutz , Arbeitszufriedenheit und Entfaltungschancen auf der anderen Seite – […] aufs Engste mit der Stärke des vorhandenen Personals zusammen. Anders gewendet: Zeitvorgaben und Personalressourcen bestimmen von zwei unterschiedlichen Seiten her Ablauf und Bedingungen der Arbeit . […] Im Zusammenhang mit der Arbeitszeitverkürzung der 80er-Jahre wurde auf gewerkschaftlicher Seite oftmals die Forderung erhoben, über die Stellenpläne mitzubestimmen, da die Arbeitszeitverkürzung andernfalls beschäftigungspolitisch leerzulaufen drohe und sich als Stressfaktor erweisen könne. In vereinzelten Tarifverträgen finden sich Hinweise auf diesen Zusammenhang .“20 3.3. Rechtsprechung Der in der Literatur nicht unbestrittenen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zufolge gehören tarifvertragliche Regelungen, die über Zeitzuschläge oder ähnliche Wege der Personalbemessung 21 die Stellenpläne beeinflussen, ebenso zu den Betriebsnormen wie Besetzungsregeln 22: So hat das BAG in einem Urteil aus dem Jahr 1990 die gewerkschaftliche Forderung nach Zeitzuschlägen innerhalb eines Personalbemessungssystems als Forderung zur Regelung von Arbeitsbedingungen im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG anerkannt. Auf dem Weg über Zeitzuschläge bei der Personalbemessung sollte der vom Arbeitgeber in Personalbemessungsregelungen vorgesehene Personalbedarf erhöht werden, um die Arbeitsbelastung für den einzelnen Arbeitnehmer zu vermindern . 19 Vgl. dazu die Anlagen zu OSTERMANN (Fn. 3). 20 HENSCHE, Detlef / HEUSCHMID, Johannes in: Däubler (Hrsg.): Tarifvertragsgesetz. 3. Auflage 2012, § 1 Rn. 843 mit weiteren Nachweisen. 21 BAG Urteil vom 3. April 1990 - 1 AZR 123/89. 22 BAG Urteil 26. April 1990 – 1 ABR 84/87; BAG Beschluss vom 17. Juni 1997 - 1 ABR 3/97; BAG Beschluss vom 18. März 2008 - 1 ABR 81/06. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 – 3000-043/13 Seite 9 „Aus Sicht der Arbeitgeber wurde durch den Tarifvertrag die Organisationsgewalt und damit die Ausübung der unternehmerischen Leitung beeinflusst. Nach dem Dafürhalten des BAG haben Arbeitgeber derartige Eingriffe in ihre Organisationsgewalt hinzunehmen. Im Spannungsfeld von Art. 9 Abs. 3 und Art. 12 GG Abs. 1 (als Arbeitgebergrundrecht) billigt das BAG der unternehmerischen Entscheidung grundsätzlich keinen vor tarifvertraglicher Einflussnahme abgeschirmten Raum zu. Die Berufsfreiheit des Arbeitgebers sei tarifvertraglich gesetzten Einschränkungen unterworfen , wann immer die Unternehmensführung die rechtlichen, sozialen oder wirtschaftlichen Belange der Arbeitnehmer in ihrer Eigenschaft als abhängig Beschäftigte berühre. Daher müsse der Arbeitgeber auch tarifvertragliche Vorgaben über die Personalbemessung akzeptieren, da Personalstärke und Arbeitsbedingungen nicht zu trennen seien.“23 Das BAG führte hierzu aus: „1. Die Unternehmensautonomie wäre nur unzureichend beachtet, wenn ihr die Tarifautonomie keinerlei tariffreien Betätigungsbereich lassen würde. Deshalb kann der Tarifautonomie nicht entnommen werden, dass sämtliche unternehmerische Entscheidungen tarifvertraglich geregelt werden können. Als kollektives Arbeitnehmerschutzrecht gegenüber der Unternehmensautonomie kann eine tarifliche Regelung nur dort eingreifen, wo eine unternehmerische Entscheidung diejenigen rechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Belange der Arbeitnehmer berührt , die sich gerade aus deren Eigenschaft als abhängig Beschäftigte ergeben. Dementsprechend entscheidet die Geschäftsleitung unternehmensautonom beispielsweise über Investitionen, Produktion und Vertrieb. Sie trifft grundsätzlich die Entscheidung darüber, welche Geld- und Sachmittel zu welchem Zweck eingesetzt werden und ob, was und wo hergestellt wird. 2. Diese tarifvertragsfreie Unternehmensautonomie geht aber nicht so weit, dass die Gewerkschaften darauf beschränkt sind, nur soziale Folgewirkungen unternehmerischer Entscheidungen zu regeln. Gerade bei der Einführung neuer Technologien werden Arbeitsbedingungen verändert. Aus der Sicht der betroffenen Arbeitnehmer ist es dann gleichgültig, ob die soziale Frage bereits Teil oder erst Folge der Unternehmensentscheidung ist. Zudem wird dies oft ein produktionstechnischer Zufall sein. Vor allem aber gibt es unternehmerische Maßnahmen, die sich für die Arbeitnehmer derart belastend auswirken können, dass sich die sozialen Folgen nicht oder nicht hinreichend ausgleichen oder mildern lassen. Deshalb bezieht sich der Regelungsauftrag des Art. 9 Abs. 3 GG immer dann, wenn sich die wirtschaftliche und soziale Seite einer unternehmerischen Maßnahme nicht trennen lassen, zwangsläufig mit auf die Steuerung der unternehmerischen Sachentscheidung. Gerade um eine solche unternehmerische Maßnahme handelt es sich im vorliegenden Falle. Die Kl. führt ein neues Personalbemessungssystem ein, das Auswirkungen auf die Arbeitsgeschwindigkeit der in den Linien- und Zeichenstellen beschäftigten Arbeitnehmer hat. In diesem Falle kann die Gewerkschaft auf die Arbeitsgeschwindigkeit unmittelbar nur einwirken, wenn sie das Personalbemessungssystem durch Zeitzuschläge verändert. Auf diese Weise kann sie erreichen, dass es zu unerwünschten Auswirkungen für die betroffenen Arbeitnehmer nicht kommt. Natürlich könnte sie sich auch damit begnügen, für die betroffenen Arbeitnehmer die sozialen Folgen des neuen Personalbemessungssystems, also die "Arbeitsverdichtung" indirekt zu mildern, etwa indem sie besondere Arbeitszeitverkürzungen fordert. Darauf kann sie aber nicht verwiesen werden.“ 24 4. Fazit Zusammenfassend ist unter Berücksichtigung der zitierten Rechtsprechung des BAG festzustellen , dass Fragen der Personalbemessung zu den tarifvertraglich regelbaren Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen im Sinne des § 9 Abs. 3 GG zählen, denn „Arbeitsablauf, ‑verteilung und 23 HENSCHE/HEUSCHMID (Fn. 20), Rn. 844. 24 BAG Urteil vom 3. April 1990 - 1 AZR 123/89. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 – 3000-043/13 Seite 10 ‑belastung werden unmittelbar durch die Personalbemessung bestimmt und gehören zum verfassungsrechtlich verbürgten Mandat tarifautonomer Gestaltung der Arbeitsverhältnisse.“25 25 HENSCHE/HEUSCHMID (Fn. 20), Rn. 844.