© 2021 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 042/21 Saisonarbeit als geringfügige Beschäftigung im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB IV Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 042/21 Seite 2 Saisonarbeit als geringfügige Beschäftigung im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB IV Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 042/21 Abschluss der Arbeit: 31. Mai 2021 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 042/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Geringfügige Beschäftigung 4 1.1. „Regelmäßige“ Beschäftigung 4 1.2. „Gelegentliche“ Beschäftigung 5 2. Geringfügige Beschäftigung von Saisonarbeitskräften 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 042/21 Seite 4 1. Geringfügige Beschäftigung Grundsätzlich sind die im Sinne des § 7 Abs. 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften zur Sozialversicherung - (SGB IV) beschäftigten Personen sozialversicherungspflichtig nach den §§ 2 und 3 SGB IV. Eine Beschäftigung in diesem Sinne liegt vor, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei der Arbeit in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt.1 Eine Ausnahme von der Sozialversicherungspflicht besteht jedoch, wenn eine geringfügige Beschäftigung gemäß § 8 Abs. 1 SGB IV vorliegt. Diese ist in zwei Formen möglich. Nach § 8 Abs. 1 SGB IV liegt eine geringfügige Beschäftigung vor, wenn entweder das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung regelmäßig im Monat 450 Euro nicht übersteigt (Nr. 1 - sogenannte „Entgeltgeringfügigkeit“) oder die Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens drei Monate oder 70 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus vertraglich begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und ihr Entgelt 450 Euro im Monat übersteigt (Nr. 2 - sogenannte „Zeitgeringfügigkeit“). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) „ist es geboten, eine strikte Zuordnung zu einer der beiden Fallgruppen des § 8 SGB IV vorzunehmen.“2 Danach liegt ein Fall der entgeltgeringfügigen Beschäftigung im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV vor, wenn die Beschäftigung regelmäßig ausgeübt wird. Ein Fall der zeitgeringfügigen Beschäftigung im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV liegt dagegen vor, wenn die Beschäftigung nur gelegentlich ausgeübt wird.3 1.1. „Regelmäßige“ Beschäftigung Eine „regelmäßige“ Beschäftigung im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV ist nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gegeben, wenn diese bei vorausschauender Betrachtung von vornherein auf ständige Wiederholung gerichtet ist. Nicht erforderlich ist, dass die Beschäftigung über mehrere Jahre hinweg ausgeübt werden soll, wie die ältere Rechtsprechung 1 Vgl. Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen Urteil vom 14. September 2016 - L 2 R 5/16 - juris Rn. 38. 2 BSG Urteil vom 7. Mai 2014 - B 12 R 5/12 R - juris Rn. 19 mit weiteren Nachweisen. 3 Vgl. BSG Urteil vom 11. Mai 1993 - 12 RK 23/91 - juris Rn. 12; BSG Urteil vom 23. Mai 1995 - 12 RK 60/93 - juris Rn. 16; BSG Urteil vom 7. Mai 2014 - B 12 R 5/12 R - juris Rn. 19; BSG Urteil vom 5. Dezember 2017 - B 12 KR 16/15 - juris Rn. 11. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 042/21 Seite 5 noch annahm.4 Denn „eine Beschäftigung, die auf ständige Wiederholung gerichtet ist und über mehrere Jahre ausgeübt werden soll, ist regelmäßig. Daraus kann und darf aber nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass eine Beschäftigung, bei der nicht von vornherein feststeht, dass sie über mehrere Jahre hinweg ausgeübt werden soll, nicht regelmäßig ist. Vielmehr kann auch eine auf nicht mehr als ein Jahr befristete Beschäftigung bereits regelmäßig im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV sein.“5 Entscheidendes Kriterium ist nach dieser Rechtsprechung mithin nur noch, dass die Tätigkeit auf ständige Wiederholung gerichtet ist. Hierfür ist es nicht erforderlich, dass die Arbeitseinsätze von vornherein im Rahmen eines Dauerarbeitsverhältnisses feststehen. Es genügt vielmehr, wenn der Beschäftigte zu den sich wiederholenden Arbeitseinsätzen bereitsteht, auch ohne verpflichtet zu sein, jeder Aufforderung zur Arbeitsleistung Folge zu leisten.6 1.2. „Gelegentliche“ Beschäftigung Eine „gelegentliche“ Beschäftigung im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV wird von der Rechtsprechung angenommen, wenn die Arbeitseinsätze unregelmäßig, also nicht vorhersehbar sind und keinem bestimmten Muster oder Rhythmus folgen sollen.7 Dies ist beispielsweise der Fall, wenn nach jedem Arbeitseinsatz offen ist, ob es zu einem weiteren Einsatz kommen wird. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gilt das selbst dann, wenn „beim ersten Kontakt im jeweiligen Kalenderjahr eine (mündliche) Rahmenvereinbarung über die grundsätzliche Bereitschaft zu Arbeitsleistungen getroffen“ wurde.8 Eine gelegentliche Beschäftigung liegt allerdings nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht vor, wenn der Betrieb des Arbeitgebers systematisch und strukturell darauf angelegt ist, auf Arbeitskräfte im Sinne eines „Arbeitskraftpools “ zurückzugreifen.9 Dann kann lediglich ein Fall des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV vorliegen. Voraussetzung ist außerdem die Einhaltung der zeitlichen Grenze von drei Monaten beziehungsweise 70 Arbeitstagen pro Kalenderjahr. Als Reaktion auf die die wegen der Corona-Pandemie bestehenden Probleme bei der Saisonbeschäftigung hat der Deutsche Bundestag am 22. April 2021 eine Anhebung dieser zeitlichen Grenze für die gelegentliche Beschäftigung für die Zeit 4 BSG Urteil vom 5. Dezember 2017 - B 12 KR 16/15 R - juris Rn. 14; zu der bisherigen Rechtsprechung BSG Urteil vom 7. Mai 2014 - B 12 R 5/12 R - juris Rn. 21. 5 BSG Urteil vom 5. Dezember 2017 - B 12 KR 16/15 R - juris Rn. 15. 6 BSG Urteil vom 5. Dezember 2017 - B 12 KR 16/15 R - juris Rn. 13. 7 BSG Urteil vom 11. Mai 1993 - 12 RK 23/91 - juris Rn. 14; BSG Urteil vom 7. Mai 2014 - B 12 R 5/12 R - juris Rn. 22. 8 BSG Urteil vom 7. Mai 2014 - B 12 R 5/12 R - juris Rn. 22. 9 BSG Urteil vom 7. Mail 2014 - B 12 R 5/12 R - juris Rn. 22; LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 14. September 2016 - L 2 R 5/16 - juris Rn. 63. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 042/21 Seite 6 vom 1. März bis 31. Oktober 2021 auf vier Monate beziehungsweise 102 Arbeitstage pro Kalenderjahr beschlossen.10 Eine geringfügige Beschäftigung im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV kommt nach dem Wortlaut der Bestimmung jedoch nicht in Betracht, wenn die Tätigkeit „berufsmäßig“ ausgeübt wird und 450 Euro übersteigt. Eine „berufsmäßige“ Ausübung setzt voraus, dass die Beschäftigung für die Person nicht nur von untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung ist, sondern überwiegend ihren Lebensunterhalt sichert .11 Doch „selbst bei wiederholten Beschäftigungen braucht keine Berufsmäßigkeit vorzuliegen , wenn sie in größeren Abständen aufgenommen werden oder wenn die betreffende Aushilfskraft hauptsächlich anderweitig in Anspruch genommen ist (etwa durch einen Hauptberuf, durch eine Ausbildung oder durch Haushaltstätigkeit). Außerdem hat die Rechtsprechung darauf abgestellt , ob der unregelmäßige Arbeitseinsatz nach dem allgemeinen Berufsbild der ausgeübten Tätigkeit als typisch angesehen werden konnte.“ 12 Die Berufsmäßigkeit wird von der sozialgerichtlichen Rechtsprechung aber in Fällen angenommen , in denen der gelegentlichen Beschäftigung eine versicherungspflichtige Beschäftigung vorangegangen ist oder folgt. In diesem Fall sei der Beschäftigte nämlich generell dem „Kreis der abhängig Erwerbstätigen“ zuzuordnen.13 Daher kann auch die Arbeitslosmeldung des Beschäftigten ein Indiz für die Berufsmäßigkeit der ausgeübten Tätigkeit sein, wobei jedoch die Gesamtumstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind.14 2. Geringfügige Beschäftigung von Saisonarbeitskräften Nach Angaben des Deutschen Bauernverbandes helfen in den deutschen Landwirtschaftsbetrieben jedes Jahr im Durchschnitt rund 300.000 Saisonarbeitskräfte vor allem aus Osteuropa. Viele 10 Artikel 2 des Vierten Gesetzes zur Änderung des Seefischereigesetzes, der die Einfü gung eines § 132 SGB IV vorsieht; Plenarprotokoll 19/224, S. 28553(A); der Bundesrat hat am 7. Mai 2021 beschlossen, von seinem Einspruchsrecht keinen Gebrauch zu machen; die Ausfertigung des Gesetzes steht zum Zeitpunkt des Bearbeitungsschlusses noch aus. Vgl. dazu Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksache 19/26840 - Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Seefischereigesetzes, Bundestagsdrucksache 19/28840 vom 21. April 2021. 11 Vgl. LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 26. April 2007 - L 1 KR 36/05 - juris Rn. 2. 12 BSG Urteil vom 11. Mai 1993 - 12 RK 23/91 - juris Rn. 20. 13 BSG Urteil vom 11. Mai 1993 - 12 RK 23/91 - juris Rn. 21; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 26. April 2007 - L 1 KR 36/05 - juris Rn. 29; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 25. Juni 2007 - L 2 RI 340/04 - juris Rn. 32. 14 Vgl. BSG Urteil vom 11. Mai 1993 - 12 RK 23/91 - juris Rn. 20; LSG Hessen Urteil vom 6. Februar 2014 - L 1 KR 31/12 - juris Rn. 37. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 042/21 Seite 7 dieser Mitarbeiter kämen seit Jahren immer auf die gleichen Höfe und seien wichtig für die Betriebe .15 Es stellt sich daher die Frage, ob es sich bei der Beschäftigung von Saisonarbeitskräften in der Landwirtschaft nicht um eine auf ständige Wiederholung ausgerichtete Tätigkeit im Sinne einer regelmäßigen Beschäftigung gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV handelt. Die sozialgerichtliche Rechtsprechung ordnet die Saisonarbeitskräfte jedoch im Allgemeinen als zeitgeringfügig und damit als gelegentlich Beschäftigte im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV ein.16 Eine regelmäßige Beschäftigung würde nämlich voraussetzen, dass die einzelnen Arbeitseinsätze hinsichtlich Dauer und Zeitpunkt hinreichend vorhersehbar sind.17 Der Einsatz von Saisonarbeitskräften in der Landwirtschaft erfolgt aber saisonabhängig und dient vor allem dem Ausgleich von Arbeitskräftebedarfsspitzen. Daher gibt es keine bestimmten wiederkehrenden Termine , die zeitlich genau vorhersehbar sind. Der Einsatz erfolgt vielmehr in wechselnder Dauer und richtet sich nach den saisonal unterschiedlichen Anforderungen der Betriebe.18 Die landwirtschaftlichen Betriebe sind nach der Rechtsprechung auch nicht systematisch und strukturell darauf angelegt, auf Saisonarbeitskräfte im Sinne eines bereitstehenden Arbeitskräftepools zurückzugreifen. Denn sie sind lediglich saisonabhängig, etwa während der Erntesaison, auf den Einsatz der Saisonarbeitskräfte angewiesen, während sie den Rest des Jahres die Arbeit mit ihrem Stammpersonal bewältigen.19 Der Annahme einer gelegentlichen Beschäftigung im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV dürfte schließlich auch der Gesichtspunkt der berufsmäßigen Ausübung im Regelfall nicht entgegenstehen , da die in der Landwirtschaft beschäftigten Saisonarbeitskräfte in ihrem Heimatland zumeist hauptsächlich anderweitig, etwa durch eine Tätigkeit in einem Hauptberuf, in Anspruch genommen werden (siehe oben 1.2, S. 6). Dasselbe gilt auch für inländische Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft. *** 15 dpa: Landwirtschaft wartet wieder auf Saisonkräfte, vgl. statt vieler ZEIT online, 3. März 2021: https://www.zeit.de/news/2021-03/03/landwirtschaft-wartet-wieder-auf-saisonkraefte?utm_referrer =https%3A%2F%2Fwww.bing.com%2F (letzter Abruf am 31. Mai 2021). 16 BSG Beschluss vom 20. September 2016 - B 12 KR 21/16 B - juris Rn. 1; LSG Hessen Urteil vom 6. Februar 2014 - L 1 KR 31/12 - juris Rn. 33 ff.; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 25. Juni 2007 - L 2 RI 340/04 - juris Rn. 26 ff.; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 26. April 2007 - L 1 KR 36/05 - juris Rn. 26 ff. 17 LSG Hessen Urteil vom 6. Februar 2014 - L 1 KR 31/12 - juris Rn. 34. 18 LSG Hessen Urteil vom 6. Februar 2014 - L 1 KR 31/12 - juris Rn. 34; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 26. April 2007 - L 1 KR 36/05 - juris Rn. 26; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 25. Juni 2007 - L 2 KR 340/04 - juris Rn. 26. 19 LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 14. September 2016 - L 2 R 5/16 - juris Rn. 63.