© 2017 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 040/17 Einzelfragen zur Abgrenzung von Arbeitnehmern und Selbständigen und zum Mindestlohn für Bereitschaftszeiten Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 040/17 Seite 2 Einzelfragen zur Abgrenzung von Arbeitnehmern und Selbständigen und zum Mindestlohn für Bereitschaftszeiten Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 040/17 Abschluss der Arbeit: 27. Juni 2017 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 040/17 Seite 3 1. Abgrenzung zwischen selbständiger und unselbständiger Tätigkeit Die mit Wirkung zum 1. April 2017 neu eingeführte Bestimmung des § 611a Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) definiert das Arbeitsverhältnis in Abgrenzung zur selbständigen Tätigkeit unter Einbeziehung der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hierzu wie folgt: „Durch den Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener , fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses , dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an.“ Maßgebliche Anknüpfungspunkte für die Unterscheidung zwischen selbständiger und unselbständiger Tätigkeit sind somit die Weisungsgebundenheit und die persönliche Abhängigkeit, die das Arbeitsverhältnis auszeichnen. Die Rechtsprechung hat dabei auch dem Grad der Eingliederung in die betrieblichen Arbeitsabläufe eine Indizwirkung zuerkannt. Entscheidend für die Feststellung , ob ein Arbeitsverhältnis oder eine selbständige Tätigkeit vorliegt, ist stets eine Gesamtbetrachtung aller Umstände. Weitere Differenzierungen innerhalb des Arbeitnehmerstatus, wie dies beispielswiese in Großbritannien mit der Unterscheidung zwischen workers und employees der Fall zu sein scheint, kennt das deutsche Recht nicht. 2. Mindestlohn für Bereitschaftszeiten Von der Rechtsprechung werden drei verschiedene Bereitschaftsformen unterschieden: Arbeitsbereitschaft , Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft. – Die Arbeitsbereitschaft wird definiert als Zeit der wachen Aufmerksamkeit im Zustand der Entspannung, in der der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz anwesend sein muss, um sofort und ohne gesonderte Anweisung in Vollarbeit zu wechseln.1 – Als Bereitschaftsdienst wird die Zeitspanne bezeichnet, während der sich der Arbeitnehmer , ohne dass er unmittelbar am Arbeitsplatz anwesend sein müsste, außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort, innerhalb oder außerhalb 1 Vgl. BAG, Urteil vom 11. Juli 2006 – 9 ARZ 519/05, Rn. 41. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 040/17 Seite 4 des Betriebs aufzuhalten hat, um im Bedarfsfall seine Arbeitstätigkeit zeitnah aufnehmen zu können.2 – Rufbereitschaft liegt vor, wenn sich der Arbeitnehmer auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer dem Arbeitgeber anzuzeigenden Stelle aufzuhalten hat, um auf Abruf die Arbeit alsbald aufzunehmen.3 Die Bereitschaftsformen stellen gegenüber der Vollarbeit ein Minus dar und können nach der Rechtsprechung daher auch geringer vergütet werden.4 Untergrenze ist dabei grundsätzlich der gesetzliche Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz bzw. der jeweilige Branchenmindestlohn im Sinne des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes. Diese Untergrenze kann aber nach der Rechtsprechung des BAG im Falle der Rufbereitschaft unterschritten werden.5 Maßgeblich für die Einordnung als Rufbereitschaft ist die Frage der Bestimmung des Aufenthaltsorts des Arbeitnehmers während der Bereitschaftszeit. Die Rufbereitschaft unterscheidet sich von den anderen Bereitschaftsformen dadurch, dass der Aufenthaltsort nicht vom Arbeitgeber bestimmt wird6, vielmehr kann der Arbeitnehmer seinen Aufenthaltsort grundsätzlich frei wählen. Wird der Aufenthaltsort dagegen weisungsgebunden vom Arbeitgeber vorgegeben, liegt Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst vor. Nach der Rechtsprechung kann auch eine Bereitschaft im eigenen Zuhause zum Bereitschaftsdienst zählen, wenn dies vom Arbeitgeber bestimmt wurde.7 Eine arbeitsrechtliche Differenzierung danach, wie der Arbeitnehmer die jeweilige Bereitschaftszeit verbringen darf und ob es ihm dabei zum Beispiel erlaubt ist zu schlafen, gibt es in Deutschland nicht. *** 2 Vgl. BAG, Urteil vom 24. September 2008 – 10 AZR 669/07, Rn. 28. 3 Vgl. BAG, Urteil vom 19. Dezember 1991 – 6 AZR 592/89. 4 Vgl. BAG, Urteil vom 12. März 2008 – 4 AZR 616/06, Rn. 35. 5 Vgl. BAG, Urteil vom 19. November 2014 – 5 AZR 1101/12, Rn. 16. 6 Vgl. BAG, Urteil vom 29. Juni 2016 – 5 AZR 716/15, Rn. 28; BAG, Urteil vom 31. Januar 2002 – 6 AZR 214/00, Rn. 22. 7 Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19. Januar 1988 – 1 C 11/85, Rn. 14.