© 2016 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 – 039/16 Mindestlohnprivilegierung studienbegleitender Praktika im Masterstudium Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 039/16 Seite 2 Mindestlohnprivilegierung studienbegleitender Praktika im Masterstudium Aktenzeichen: WD 6 - 3000 – 039/16 Abschluss der Arbeit: 18. April 2016 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 039/16 Seite 3 1. Einleitung Nach § 1 in Verbindung mit § 2 des Gesetzes zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohnes (Mindestlohngesetz - MiLoG) hat jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns von derzeit 8,50 Euro brutto pro Stunde. § 22 Abs. 1 Satz 1 MiLoG stellt noch einmal die Geltung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer klar. Nach § 22 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 MiLoG gelten Personen, die ein Praktikum im Sinne des § 26 des Berufsbildungsgesetzes absolvieren, grundsätzlich als Arbeitnehmer im Sinne des MiLoG. § 22 Abs. 1 Satz 3 MiLoG enthält dazu ergänzend eine Definition des Praktikantenbegriffs. Ausnahmen von der Mindestlohnpflicht für Praktika statuiert § 22 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 Nr. 1 bis 41 MiLoG. Neben Pflichtpraktika im Rahmen von Ausbildungsgängen (Nr. 1) und praktischen Abschnitten im Rahmen der Arbeitsförderung (Nr. 4) sind davon Orientierungspraktika (Nr. 2 ) und freiwillige berufsausbildungs- oder studienbegleitende Praktika (Nr. 3) ausgenommen, die jeweils nicht länger als drei Monate dauern dürfen. Fraglich ist in diesem Zusammenhang nun, ob auch Absolventen eines Bachelorstudiengangs im Rahmen eines Masterstudiums ein mindestlohnprivilegiertes studienbegleitendes Praktikum nach § 22 Abs. 1 Nr. 3 MiLoG ableisten können. 2. Allgemeine Voraussetzungen des § 22 Abs. 1 Nr. 3 MiLoG Gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 3 MiLoG sind Praktika von bis zu drei Monaten vom Mindestlohn ausgenommen , wenn das Praktikum begleitend zu einer Berufs- oder Hochschulausbildung geleistet wird und nicht zuvor ein solches Praktikumsverhältnis mit demselben Ausbildenden bestanden hat. Unter den Begriff des freiwilligen studienbegleitenden Praktikums fallen alle im Rahmen einer Hochschulausbildung geleisteten Praktika, die nicht Pflichtpraktika im Sinne des § 22 Abs. 1 Nr. 1 MiLoG oder Orientierungspraktika nach § 22 Abs. 1 Nr. 2 MiLoG darstellen. Die Ausnahme setzt voraus, dass der Praktikant sich während des Praktikumsverhältnisses bereits im Studium 1 Zur Vereinfachung im Folgenden zitiert als § 22 Abs. 1 Nr. 1 bis 4. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 039/16 Seite 4 befindet.2 Wichtig ist dabei aber auch, dass das Praktikum einen inhaltlichen Bezug zum jeweiligen Studium aufweisen muss.3 An den Ausbildungsbezug dürften allerdings keine allzu hohen Anforderungen zu stellen sein.4 Ferner darf „ein solches“ Praktikumsverhältnis nicht bereits zuvor bei demselben Ausbilder bestanden haben (sog. Vorpraktikum). Die Vorschrift soll dem missbräuchlichen Einsatz von Praktikanten als billige Arbeitskräfte vorbeugen. Allerdings begründet § 22 Abs. 1 Nr. 3 MiLoG damit kein allgemeines Verbot von Vorpraktika. „Nach dem Wortlaut der Norm sperren nur bereits zuvor geleistete ausbildungsbegleitende freiwillige Praktika die Inanspruchnahme der Privilegierung nach § 22 Abs. 1 Nr. 3 MiLoG.“ 5 Eine Kombination mit Pflichtpraktika und Orientierungspraktika nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 bzw. 2 MiLoG erscheint dagegen als unproblematisch.6 3. Studienbegleitende Praktika im Masterstudium Auch bei einem Masterstudium handelt es sich um eine Hochschulausbildung, sodass grundsätzlich auch während eines Masterstudiums neben Pflichtpraktika im Sinne des § 22 Abs. 1 Nr. 1 MiLoG freiwillige studienbegleitende Praktika im Sinne des § 22 Abs. 1 Nr. 3 MiLoG in Betracht kommen können. Anders als andere Studierende haben aber Studierende in einem Masterstudiengang notwendigerweise bereits einen Bachelorstudiengang abgeschlossen und verfügen damit über einen berufsqualifizierenden Abschluss. Bei Erfüllung der unter Punkt 2 erörterten Tatbestandsmerkmale des § 22 Abs. 1 Nr. 3 MiLoG ist daher zu prüfen, ob dieser Umstand eine Mindestlohnprivilegierung ausschließen kann. Der Gesetzeswortlaut macht ein freiwilliges studienbegleitendes Praktikum nicht davon abhängig , dass der Praktikant noch nicht über einen berufsqualifizierenden Ausbildungsabschluss verfügt . Die grundsätzliche Erfassung von Praktika durch das Mindestlohngesetz hat allerdings der Gesetzesbegründung zufolge „zum Ziel, den Missbrauch des sinnvollen Instruments des Praktikums einzuschränken“.7 Im Hinblick auf diesen Normzweck ist auch bei der Auslegung der 2 Ramming in Düwell/Schubert, Mindestlohngesetz, 1. Auflage 2015, § 22 Rn. 46. 3 Greiner in Beck'scher Online-Kommentar Arbeitsrecht, 38. Ed. Stand: 1. September 2015, § 22 MiLoG Rn. 40; Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz ), Bundestagsdrucksache 18/1558, S. 42. 4 Vgl. Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, 1. Auflage 2015, § 22 Rn. 69. 5 Riechert/Nimmerjahn (Fn. 4), § 22 Rn. 71. 6 Greiner In Beck’scher Online-Kommentar Arbeitsrecht (Fn. 3), § 22 Rn. 39; Franzen in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 16. Auflage 2016, § 22 MiLoG Rn. 11; nicht eindeutig Ramming in Düwell/Schubert (Fn. 2), § 22 Rn. 46, der auch auf missbrauchsanfällige Gestaltungen hinweist. 7 Bundestagsdrucksache 18/1558 (Fn. 3), S. 42. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 039/16 Seite 5 durch § 22 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 MiLoG statuierten Ausnahmen stets die Missbrauchsanfälligkeit bestimmter Konstellationen zu berücksichtigen. Als Ausgangspunkt kommt die Auslegung bei den Orientierungspraktika nach § 22 Abs. 1 Nr. 2 MiLoG in Betracht. Nach einer in der Kommentarliteratur vertretenen Ansicht sind Orientierungspraktika nach Abschluss einer Berufsausbildung oder eines Hochschulstudiums, also auch nach Abschluss eines Bachelor-Studiums „ausgeschlossen“.8 Andere Kommentatoren halten es demgegenüber für möglich, auch „nach Erlangung eines Bachelorabschlusses ein Orientierungspraktikum zuzulassen, das der spezifischen Orientierung des Praktikanten im Hinblick auf die beabsichtigte Aufnahme eines darauf aufbauenden Masterstudiums dient.“9 Auch Riechert/Nimmerjahn heben den Orientierungszweck hervor.10 Absolventen eines berufsqualifizierenden Studiums , wie z.B. eines Bachelorstudiengangs, seien jedoch „mit Blick auf den Missbrauch von Praktikumsverhältnissen besonders schutzbedürftig. Gerade bei dieser Personengruppe besteht die Gefahr, Zeiten der praktischen Einarbeitung als Berufseinsteiger als Praktikum auszugestalten . Denn abstrakt gesehen kommt jeder Absolvent eines Bachelorstudiengangs für einen sich anschließenden Masterstudiengang in Betracht.“11 Nur im Falle einer beruflichen Umorientierung sei eine Missbrauchsgefahr nicht gegeben.12 Diese Auffassung teilt auch das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) mit der Begründung: „Nach einem berufsqualifizierenden Berufs- oder Studienabschluss ist in der Regel davon auszugehen, dass die fachliche Orientierungsphase bereits abgeschlossen ist.“13 Die dargestellten Überlegungen zum Orientierungspraktikum werden aber nach allgemeiner Ansicht in der Kommentarliteratur und der Auffassung des BMAS auf das freiwillige studienbegleitende Praktikum nach § 22 Abs. 1 Nr. 3 MiLoG nicht übertragen. Im Vordergrund steht hier allein die inhaltliche Verknüpfung zwischen dem Inhalt des Praktikums und dem jeweiligen Studium. Hinweise auf eine abweichende Behandlung bei vorangegangenem berufsqualifizierendem Abschluss fehlen in der Kommentarliteratur. Auch das BMAS geht gegenüber dem Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages davon aus, dass der bereits erworbene Bachelorabschluss der Anwendung der Mindestlohnausnahme für studienbegleitende Praktika insofern nicht entgegensteht: 8 So Ramming in Düwell/Schubert (Fn. 2), § 22 Rn. 35; so auch: Schubert, Jens M.; Jerchel, Kertin; Düwell, Franz Josef: Das neue Mindestlohngesetz, 1. Aufl. 2014, Rn. 169. 9 Greiner in Beck’scher Online-Kommentar Arbeitsrecht (Fn. 3), § 22 Rn. 29. 10 Riechert/Nimmerjahn (Fn. 4), § 22 Rn. 59. 11 Riechert/Nimmerjahn (Fn. 4), § 22 Rn. 60. 12 Riechert/Nimmerjahn (Fn. 4), § 22 Rn. 61. 13 Antwort des Staatssekretärs Thorben Albrecht (BMAS) vom 15. Juli 2014 auf eine schriftliche Frage der Abg. Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN), Bundestagsdrucksache 18/2145, S. 23; vgl. auch BMAS: Der Mindestlohn für Studierende. Fragen & Antworten, abrufbar im Internetauftritt des BMAS: http://www.bmas.de/Shared- Docs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/a765-mindestlohn-fuer-studierende.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (letzter Abruf: 15. April 2016), S. 14. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 039/16 Seite 6 Für den gebotenen Schutz vor Missbrauch der Praktikumsverhältnisse wird das Verbot von Vorpraktika bei demselben Ausbilder mithin für ausreichend erachtet. Der wesentliche Unterschied zur Situation im Orientierungspraktikum , das notwendig vor Aufnahme der entsprechenden Ausbildung zu leisten ist, dürfte darin liegen, dass im Falle des studienbegleitenden Praktikums das Masterstudium bereits aufgenommen wurde und damit die Gefahr eines Missbrauchs des Praktikums im Rahmen einer praktischen Einarbeitung in eine Beschäftigung nicht mehr gegeben ist. Einer in der Kommentarliteratur vertretenen Einzelmeinung zufolge müsse die Hochschulausbildung mit Bachelor- und Masterstudiengang als Einheit gesehen werden.15 Danach stünde auch ein freiwilliges studienbegleitendes Praktikum im Bachelorstudium einem freiwilligen studienbegleitenden Praktikum im anschließenden Masterstudiengang bei demselben Ausbilder entgegen . Da aber Masterstudiengänge nicht notwendigerweise auf einem Bachelorstudiengang aufbauen , dürfte dieser Ansicht nicht zu folgen sein. 4. Fazit Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Studierende im Masterstudiengang zwar in der Regel kein mindestlohnprivilegiertes Orientierungspraktikum nach § 22 Abs. 1 Nr. 2 MiLoG absolvieren können, weil sie bereits über einen berufsqualifizierenden Abschluss verfügen. Freiwillige studienbegleitende Praktika werden dagegen auch im Masterstudium von der Mindestlohnprivilegierung nach § 22 Abs. 1 Nr. 3 MiLoG erfasst, soweit die dort festgelegten Voraussetzungen erfüllt sind. Dies gilt insbesondere für das Verbot mehrerer solcher Praktika bei demselben Ausbilder . In der Gesetzesbegründung wird allerdings hervorgehoben, dass „diese freiwilligen Praktikantinnen und Praktikanten (…) einen Anspruch auf angemessene Vergütung nach den §§ 26, 17 des Berufsbildungsgesetzes“ haben.16 Ende der Bearbeitung 15 Franzen in: Erfurter Kommentar (Fn. 6), § 22 MiLoG Rn. 11. 16 Bundestagsdrucksache 18/1558 (Fn. 3), S. 42.