© 2021 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 038/21 Corona-Impfung und Corona-Tests Arbeitsrechtliche Einzelfragen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 038/21 Seite 2 Corona-Impfung und Corona-Tests Arbeitsrechtliche Einzelfragen Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 038/21 Abschluss der Arbeit: 6. Mai 2021 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 038/21 Seite 3 1. Fragestellung Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages wurden um Auskunft gebeten, ob Arbeitnehmer für die Wahrnehmung der Schutzimpfung gegen das Corona-Virus gegenüber dem Arbeitgeber einen Anspruch auf Freistellung unter Fortzahlung der Vergütung haben. Ferner wurde gefragt, ob Arbeitgeber Arbeitnehmer zur Durchführung von Corona-Tests verpflichten können und ob solche Tests während der Arbeitszeit durchzuführen sind. 2. Schutzimpfung während der Arbeitszeit Gemäß § 616 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wird der zur Dienstleistung Verpflichtete des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird. Die Vorschrift normiert eine Ausnahme vom Grundsatz „kein Lohn ohne Arbeit“ (§§ 275, 326 Abs. 1 BGB) bei einer vorübergehenden Verhinderung des Arbeitnehmers zur Dienstleistung.1 Voraussetzung für die Fortzahlung der Vergütung ist unter anderem, dass die Gründe für die Verhinderung zur Dienstleistung gerade in der Person des Betroffenen, das heißt in seiner persönlichen Sphäre, bestehen. Es muss sich um subjektive beziehungsweise persönliche Leistungshindernisse handeln. Bei objektiven Leistungshindernissen, die zur selben Zeit für mehrere Arbeitnehmer bestehen, zum Beispiel Hindernisse auf dem Weg zur Arbeit, kommt § 616 BGB hingegen nicht zur Anwendung.2 Als ein solcher persönlicher Hinderungsgrund kann auch ein Arztbesuch anzusehen sein.3 Hier sind jedoch verschiedene Konstellationen zu unterscheiden. Bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers greift das Gesetz über die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen und im Krankheitsfall (Entgeltfortzahlungsgesetz) als spezialgesetzliche Regelung; § 616 BGB findet in diesen Fällen auf Arztbesuche von Arbeitnehmern keine Anwendung.4 Ein Arztbesuch ist jedoch nicht zwingend an eine Arbeitsunfähigkeit gebunden.5 Sind Arbeitnehmer nicht krank, liegt ein persönlicher Hinderungsgrund im Sinne des § 616 BGB grundsätzlich nur vor, wenn er medizinisch notwendig zum jeweiligen Zeitpunkt ist. Dies ist stets der Fall, 1 Baumgärtner in: Hau/Poseck, BeckOK BGB, 57. Edition, Stand: 1. Februar 2021, § 616, Rn. 1. 2 Preis in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 21. Auflage 2021, BGB § 616, Rn. 3 f. 3 Joussen in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, 59. Edition, Stand: 1. März 2021, Rn. 28. 4 Preis in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 21. Auflage 2021, BGB § 616, Rn. 7. 5 Vgl. Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 29. Februar 1984 - 5 AZR 455/81, BeckRS 9998, 180283; Joussen in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, 59. Edition, Stand: 1. März 2021, Rn. 28. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 038/21 Seite 4 wenn akute und konkrete Beschwerden eine unmittelbare ärztliche Versorgung und Untersuchung notwendig werden lassen, auch wenn keine Arbeitsunfähigkeit besteht.6 Ist keine unmittelbare ärztliche Versorgung angezeigt, sind Arbeitnehmer grundsätzlich gehalten, allgemeine Untersuchungs- und Behandlungstermine außerhalb der Arbeitszeit wahrzunehmen. Der Arbeitnehmer muss versuchen, das Arbeitsversäumnis zu vermeiden.7 Anderes gilt, wenn der Arztgang innerhalb der Arbeitszeit notwendig ist, wie zum Beispiel beim Röntgen oder der Blutabnahme auf nüchternen Magen.8 Notwendig aus der Sicht des Arbeitnehmers ist ein Arztbesuch auch dann, wenn der Arzt ihn zu einem bestimmten Termin einbestellt und den terminlichen Wünschen des Arbeitnehmers auf Verlegung der Untersuchung oder Behandlung nicht nachkommen kann oder will. Dabei darf jeder Arbeitnehmer den Arzt seines Vertrauens aufsuchen. Er kann nicht darauf verwiesen werden, dass ein anderer Arzt zur Untersuchung oder zu Behandlungen außerhalb der Arbeitszeit bereit wäre. Die Wahl des Arztes hat Vorrang vor der im Übrigen gebotenen Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers.9 Für die Schutzimpfung gegen das Corona-Virus dürfte demnach eine Freistellung bei Fortzahlung der Vergütung dann in Betracht kommen, wenn der Arbeitnehmer auf den Impftermin keinen Einfluss nehmen kann, etwa weil ein Termin im Impfzentrum fest zugewiesen wurde oder die Impfung beim Arzt beispielsweise nur zu festgeschriebenen Zeiten stattfindet.10 Andernfalls ist der Arbeitnehmer jedoch verpflichtet, sich um einen Termin außerhalb der Arbeitszeit zu bemühen , wobei aber ein Wechsel des Arztes nicht erforderlich ist. Bei Arbeitnehmern in Gleitzeit ist zu beachten, dass ein Arztbesuch außerhalb der Kernzeit nicht unter § 616 Satz 1 BGB fällt.11 § 616 BGB ist keine zwingende arbeitsrechtliche Vorschrift, sondern vertraglich abdingbar, wie sich aus dem Umkehrschluss aus § 619 BGB ergibt. Die Vorschrift kann folglich durch individuellen Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag abbedungen oder verändert werden. Die Änderung kann sowohl zu Gunsten als auch zu Ungunsten des Arbeitsnehmers erfolgen und eine vollständige Aufhebung, Beschränkung, Erweiterung oder Neuregelung darstellen.12 6 Preis in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 21. Auflage 2021, BGB § 616, Rn. 7. 7 LAG Niedersachsen, NZA-RR 2018, S. 295, 296; Brill, NZA 1984, S. 281, 285; Preis in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 21. Auflage 2021, BGB § 616, Rn. 7. 8 Preis in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 21. Auflage 2021, BGB § 616, Rn. 7. 9 BAG, Urteil vom 29. Februar 1984 - 5 AZR 92/82, BeckRS 9998, 180284; BAG, Urteil vom 27. Juni 1990 - 5 AZR 365/89, NZA 1990, S. 894; LAG Niedersachsen, NZA-RR 2018, S. 295, 296; Brill, NZA 1984, 281, 283. 10 Im Ergebnis ebenso Sponer/Steinherr in: Sponer/Steinherr, TVöD Entgeltordnung Bund, 15. Update März 2021, Nr. 28. 11 Haufe Online Redaktion, Können sich Arbeitnehmer für eine Coronaimpfung freistellen lassen?, 8. März 2021, abrufbar unter https://www.haufe.de/personal/arbeitsrecht/arztbesuch-oder-impfung-waehrend-der-arbeitszeit _76_538258.html (zuletzt abgerufen am 4. Mai 2021). 12 Joussen in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, 59. Edition, Stand: 1. März 2021, Rn. 6. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 038/21 Seite 5 Maßgeblich für die Frage, ob ein Arbeitnehmer für die Impfung vom Arbeitgeber unter Fortzahlung der Vergütung freizustellen ist, sind daher letztlich die einschlägigen Tarif- oder arbeitsvertraglichen Regelungen und die konkreten Umstände im Einzelfall. 3. Testpflicht für Arbeitnehmer 3.1. Anordnungsbefugnis des Arbeitgebers Gemäß § 5 Abs. 1 SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung (Corona-ArbSchV) hat der Arbeitgeber Beschäftigten zur Minderung des betrieblichen SARS-CoV-2-Infektionsrisikos, soweit diese nicht ausschließlich in ihrer Wohnung arbeiten, mindestens zweimal pro Kalenderwoche einen Test in Bezug auf einen direkten Erregernachweis des Coronavirus SARS-CoV-2 anzubieten. Es handelt sich dabei um eine Angebotspflicht des Arbeitgebers. Die Beschäftigten sind jedoch grundsätzlich nicht verpflichtet, diese Tests durchzuführen. 3.1.1. Testpflicht aufgrund Verordnung In einzelnen Bundesländern gibt es Verordnungen, gemäß denen in bestimmten Bereichen verpflichtend Tests durchzuführen sind.13 Der Senat des Landes Bremen hat zudem am 27. April 2021 beschlossen, dass alle Beschäftigten, die nicht im Home-Office sind, ab dem 10. Mai 2021 verpflichtet sind, die Tests durchzuführen.14 Der Senat hat die entsprechende Anpassung der Corona-Verordnung des Landes Bremen am 4. Mai 2021 beschlossen; für das Inkrafttreten ist die Befassung der Bremischen Bürgerschaft erforderlich.15 Die Rechtmäßigkeit dieser Verordnungen vorausgesetzt, stellen diese für Arbeitgeber eine Rechtsgrundlage dar, um von den Beschäftigten die Durchführung eines Corona-Tests beziehungsweise die Vorlage eines Negativattestes zu verlangen.16 13 Zum Beispiel § 3a Abs. 2 Satz 1 Sächsische Corona-Schutz-Verordnung – SächsCoronaSchVO: Alle Beschäftigten und Selbstständigen mit direktem Kundenkontakt sind verpflichtet, sich zweimal wöchentlich auf das Vorliegen einer Infektion mit SARS-CoV-2 zu testen oder testen zu lassen; § 6a Abs. 2 und 3 Zweite SARS-CoV-2- Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (2. InfSchMV) des Landes Berlin: Mitarbeiter und Selbständige, die in der Regel im Rahmen ihrer Tätigkeit körperlichen Kontakt zu Kunden oder sonstigen Dritten haben, sind verpflichtet , zweimal pro Woche eine Testung in Bezug auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 unter Aufsicht durchzuführen oder mittels eines Point-of-Care (PoC)-Antigen-Tests vornehmen zu lassen. 14 Freie Hansestadt Bremen - Pressestelle des Senats, Bremen führt echte Corona-Testpflicht am Präsenz-Arbeitsplatz ein, Pressemitteilung vom 27. April 2021, abrufbar unter https://www.senatspressestelle.bremen .de/sixcms/detail.php?asl=bremen02.c.730.de&gsid=bremen146.c.357170.de (zuletzt abgerufen am 4. Mai 2021). 15 Freie Hansestadt Bremen - Pressestelle des Senats, Senat beschließt Änderungen der aktuellen Corona-Verordnung , Pressemitteilung vom 4. Mai 2021, abrufbar unter https://www.senatspressestelle.bremen.de/detail .php?gsid=bremen146.c.357780.de&asl=bremen02.c.730.de (zuletzt abgerufen am 4. Mai 2021). 16 Müller/Becker, ArbRAktuell 2021, S. 201, 201. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 038/21 Seite 6 3.1.2. Allgemeine Anordnungsbefugnis des Arbeitgebers Zu der Frage, ob der Arbeitgeber ohne eine entsprechende Rechtsgrundlage in einem Gesetz oder einer Verordnung Beschäftigte verpflichten kann, einen Corona-Test durchzuführen, gibt es unterschiedliche Diskussionsansätze und Auffassungen. So könne sich nach Auffassung von Müller und Becker eine Anordnungsbefugnis aus § 3 Abs. 4 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) oder vergleichbaren, auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifnormen ergeben. Danach ist der Arbeitgeber bei begründeter Veranlassung berechtigt, den Beschäftigten zu verpflichten, durch ärztliche Bescheinigung nachzuweisen , dass er zur Leistung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage ist. Die Anordnung einer solchen Untersuchung bedarf nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eines sachlichen Grundes, wobei dieser sowohl in der Fürsorgepflicht für den Beschäftigten selbst und für die mit ihm arbeitenden Mitarbeiter, als auch im sonstigen Pflichtenkreis des Betriebes oder der Verwaltung liegen kann.17 Auf dieser Grundlage erscheine es vertretbar, so Müller/Becker, den Infektionsschutz gegenüber den Mitarbeitern und Dritten als sachlichen Grund anzusehen und eine arbeitgeberseitige Anordnungsbefugnis aus diesen Normen - soweit diese auf das Arbeitsverhältnis anwendbar seien - abzuleiten. Das Arbeitsgericht Offenbach vertrat in einem Eilrechtsverfahren die Auffassung, dass der Arbeitgeber grundsätzlich im Rahmen einer Betriebsvereinbarung die Arbeitnehmer verpflichten könne, vor Aufnahme ihrer Tätigkeit einen Corona-Test durchzuführen.18 Gemäß § 618 Abs. 1 BGB hat der Arbeitgeber sicherzustellen, dass der Arbeitnehmer gegen Gefahren für Leben und Gesundheit soweit geschützt ist, als die Natur der Dienstleistung es gestattet . Die entsprechende öffentlich-rechtliche Pflicht des Arbeitgebers findet sich in § 3 Abs. 1 S. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). Nach dieser Vorschrift muss der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Umstände, die die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen , die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes treffen. Die vom Arbeitgeber angeordnete Testpflicht vor Betreten des Werksgeländes diene dem Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer; es solle vermieden werden, dass sich Mitarbeiter mit dem SARS-CoV-2 Virus im Betrieb infizierten, so das Arbeitsgericht Offenbach. Nach der in dem entschiedenen Fall geschlossenen Betriebsvereinbarung konnte der Arbeitgeber bei Vorliegen eines begründeten Verdachts, dass sich Mitarbeiter mit dem Sars CoV 2-Virus in dem Betrieb angesteckt hatten, oder bei deutlich erhöhtem Risiko, dass sich Mitarbeiter im Betrieb anstecken könnten, verlangen, dass sich alle oder einzelne Mitarbeiter vor Arbeitsbeginn einem Corona- Schnelltest unterziehen. Diese unter Wahrung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) beschlossene Regelung sei nicht offensichtlich unverhältnismäßig, so das Arbeitsgericht Offenbach. Die Durchführung der Schnelltests sei geeignet zum Nachweis des Virus und nicht offensichtlich unangemessen. Das Übermaßverbot sei gewahrt, wenn die Regelung bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs 17 BAG, Urteil vom 23. Februar 1967 - 2 AZR 124/66 -, Rn. 10 (juris). 18 Arbeitsgericht Offenbach, Urteil vom 3. Februar 2021 - 4 Ga 1/21, BeckRS 2021, 5523. Das Arbeitsgericht hatte zwar den gegen die Testpflicht gerichteten Eilantrag des Arbeitnehmers bereits wegen mangelnder Eilbedürftigkeit als unzulässig zurückgewiesen, machte in der Entscheidung jedoch auch Ausführungen in der Sache. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 038/21 Seite 7 und dem Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe für den Betroffenen noch zumutbar sei. Erforderlich sei dabei eine umfassende Abwägung der betroffenen Belange. Das Ergebnis hänge letztlich von den Gegebenheiten des Betriebes und seiner Belegschaft ab. Diese zu beurteilen und zu gestalten, sei in erster Linie Sache von Arbeitgeber und Betriebsrat. Die Mitwirkung des Betriebsrats sichere die gleichberechtigte Teilhabe der von ihm repräsentierten Arbeitnehmer an einer Entscheidung und damit grundsätzlich auch eine angemessene Vertretung ihrer Interessen. Den Betriebspartnern stehe bei der Bewertung und beim Ausgleich der zu berücksichtigenden betrieblichen Belange und der einander widerstreitenden Interessen ein breiter Gestaltungsspielraum zu. Die für die Testung angeführten Gründe des Gesundheitsschutzes angesichts der pandemischen Lage seien beachtlich. Demgegenüber seien die Beeinträchtigung des Getesteten von kurzer Dauer und niedrigschwelliger Intensität.19 Die Ausführungen stießen in der Literatur zum Teil auf Kritik.20 Da § 5 Corona-ArbSchV keine Testpflicht normiere, auch nicht in Fällen eines erhöhten Risikos, könne diese weder durch den Rückgriff auf § 3 ArbSchG noch auf § 87 BetrVG eingeführt werden.21 Nach anderer Auffassung könnte sich die Pflicht zur Mitwirkung an einem Corona-Test unter Umständen aus der in § 241 Abs. 2 BGB verankerten allgemeinen gegenseitigen Rücksichtnahmepflicht ableiten, die der Arbeitgeber im Rahmen seines Direktionsrechts (§ 106 Gewerbeordnung - GewO) durchsetzen könne. Dabei müsse zwischen dem berechtigten Interesse des Arbeitgebers am Gesundheitsschutz seiner Mitarbeiter, Kunden und Geschäftspartner und den Rechten des Arbeitnehmers auf Achtung seines Persönlichkeitsrechts, seiner personenbezogenen Daten beziehungsweise informationellen Selbstbestimmung und seiner körperlichen Unversehrtheit bei Vornahme eines Abstrichs abgewogen werden.22 Zum Teil wird vertreten, dass angesichts der gewichtigen Güter des Arbeitnehmers eine anlasslose , jeden Arbeitnehmer treffende zwingende Testanordnung unwirksam sei. Anders könne die Sachlage jedoch zu beurteilen sein, wenn ein konkretes Gefährdungspotenzial bestehe, etwa bei Rückkehr aus einem Risikogebiet oder bei Symptomen.23 Müller/Becker geben demgegenüber zu bedenken, dass der Corona-Test ein geeignetes Mittel sei, um prüfen zu können, ob eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus vorliegt. Es handele sich um eine Infektionsschutzmaßnahme die unmittelbar dem Gesundheitsschutz und der Vermeidung schwerwiegender Gesundheitsschäden diene. Bei Abwägung der wechselseitigen (Grund-) 19 Arbeitsgericht Offenbach, Urteil vom 3. Februar 2021 - 4 Ga 1/21 -, BeckRS 2021, 5523. 20 Kohte, jurisPR-ArbR 17/2021 Anmerkung 7; Schwede, ArbRAktuell 2021, S. 237, 236. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund hält eine Testpflicht aufgrund einer Betriebsvereinbarung für unzulässig: Deutscher Gewerkschaftsbund , Impfen und Testen: Was Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jetzt wissen müssen, 27. April 2021, abrufbar unter https://www.dgb.de/themen/++co++986b431a-8c8e-11eb-980b-001a4a160123 (zuletzt abgerufen am 4. Mai 2021). 21 Kohte, jurisPR-ArbR 17/2021 Anmerkung 7. 22 Müller/Becker, ArbRAktuell 2021, S. 201, 202; Bayer, ArbRAktuell 2021, S. 233, 236. 23 Bayer, ArbRAktuell 2021, S. 233, 236. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 038/21 Seite 8 Rechtspositionen könne durchaus vertreten werden, dass sich der mit dem Corona-Test für die Testperson verbundene Eingriff als verhältnismäßig darstelle. Dementsprechend sprächen gute Argumente dafür, dass ein Corona-Test für die Arbeitnehmer als Maßnahme des Infektionsschutzes zumutbar sei. Gehe man von der Zumutbarkeit der Tests aus, wäre die Anordnung auch vom Weisungsrecht des Arbeitgebers nach § 106 GewO gedeckt.24 Nach hiesiger Auffassung bleibt im Ergebnis festzuhalten, dass jedenfalls eine pauschale allgemeine Anordnungsbefugnis des Arbeitgebers in Hinblick auf eine Testverpflichtung der Arbeitnehmer ohne eine in einem Gesetz oder einer Verordnung normierte Rechtsgrundlage problematisch ist. Letztlich dürften jedoch auch diesbezüglich die konkreten Umstände des Einzelfalles - insbesondere die konkrete Gefährdungslage und die Möglichkeit anderweitiger Schutzmaßnahmen - maßgeblich sein. 3.2. Testzeit als Arbeitszeit § 5 Corona-ArbSchV trifft keine Aussage darüber, ob die Zeit der Durchführung eines freiwilligen Tests zur Arbeitszeit zu zählen ist.25 Laut Begründung der Zweiten Verordnung zur Änderung der Corona-ArbSchV ist die Entscheidung, ob die freiwillige Testung der Beschäftigten innerhalb der Arbeitszeit der Beschäftigten erfolgt oder nicht, im Rahmen betrieblicher Vereinbarungen zu treffen . Daher würden eventuell entstehende Lohnkosten für den Arbeitgeber bei der Berechnung des Erfüllungsaufwandes für die Wirtschaft nicht berücksichtigt und eine Abdeckung über die bestehenden lohnbezogenen Ausgaben angenommen.26 Maßgebend sind mithin die jeweils einschlägigen kollektivrechtlichen Vereinbarungen (Betriebsvereinbarung beziehungsweise Dienstvereinbarung) oder individualrechtlichen Absprachen zwischen Arbeitgeber und Beschäftigtem . Ordnet der Arbeitgeber hingegen eine Testpflicht an, ist nach hiesiger Auffassung davon auszugehen , dass die Testzeit als Teil der Arbeitszeit zu vergüten ist.27 *** 24 Müller/Becker, ArbRAktuell 2021, S. 201, 202; so im Ergebnis auch Felisiak/ Sorber, Was Arbeitgeber bei Schnelltests beachten müssen, Legal Tribune Online, 23. März 2021, abrufbar unter https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/corona-schnelltests-in-betrieben-testpflicht-arbeitgeber-kosten-datenschutz -regelung/ (zuletzt abgerufen am 4. Mai 2021): Die Mitarbeiterinteressen treten hinter die Interessen des Arbeitgebers zurück, da die Arbeitgeberinteressen wie Gesundheitsschutz, Fürsorgepflicht und Aufrechterhaltung des Betriebs überwiegen. 25 Pelke, Der Betriebsberater (BB) 2021, S. 1011. 26 Verordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Zweite Verordnung zur Änderung der SARS-CoV-2 Arbeitsschutzverordnung, Bearbeitungsstand: 13. April 2021 9:16 Uhr, S. 8, abrufbar unter https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetze/Referentenentwuerfe/zweite-arbeitsschutzverordnung -sars.pdf;jsessionid=AE6055BBDAF81E71D9DBFDE93B8DE9DF.delivery1-replication?__blob=publication- File&v=7 (zuletzt abgerufen am 4. Mai 2021). 27 So auch Haufe Online Redaktion, Corona-Tests, 31. März 2021, abrufbar unter https://www.haufe.de/arbeitsschutz /sicherheit/das-sollten-arbeitgeber-und-arbeitnehmer-wissen-corona-tests_96_540168.html (zuletzt abgerufen am 4. Mai 2021).