© 2015 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 – 035/15 Abgrenzungsmerkmale zwischen Werkvertrag und Leiharbeit mit Exkurs zum früheren gesetzlichen Abgrenzungskatalog zwischen selbständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 035/15 Seite 2 Abgrenzungsmerkmale zwischen Werkvertrag und Leiharbeit mit Exkurs zum früheren gesetzlichen Abgrenzungskatalog zwischen selbständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung Aktenzeichen: WD 6 - 3000 – 035/15 Abschluss der Arbeit: 16. März 2015 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 035/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts 4 3. Gesetzentwurf der Fraktion der SPD 7 4. Exkurs: Frühere gesetzliche Regelung zur Abgrenzung zwischen selbständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung 8 4.1. Gesetzgeberische Entwicklung 8 4.2. Praktische Bedeutung 10 5. Aktuelle Vorschläge aus der Wissenschaft 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 035/15 Seite 4 1. Einleitung Der innerbetriebliche Einsatz von Fremdpersonal ist für viele Unternehmen eine attraktive Alternative zur Arbeitnehmerüberlassung. Nicht selten wird jedoch mit Scheinwerkverträgen und Scheindienstverträgen versucht, die Schutzmechanismen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG)1 zu umgehen. Im Koalitionsvertrag für die 18. Wahlperiode haben sich die Koalitionsfraktionen deshalb auf Maßnahmen zu Verhinderung rechtswidriger Vertragskonstruktionen bei Werkverträgen zulasten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verständigt. Zur Erleichterung der Prüftätigkeit von Behörden sollen „die wesentlichen durch die Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien zwischen ordnungsgemäßem und missbräuchlichem Fremdpersonaleinsatz“ gesetzlich niedergelegt werden.2 2. Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Zur Feinabgrenzung der Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des AÜG von selbständigen Dienstverträgen im Sinne der §§ 611 ff. BGB bzw. Werkverträgen nach §§ 631 ff. BGB wird seit einiger Zeit eine intensive juristische Diskussion geführt.3 Auch die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung hat sich in der Vergangenheit nicht selten in unterschiedlichen Zusammenhängen mit dem Problem der rechtlichen Abgrenzung der beiden Vertragstypen befassen müssen. Zum wesentlichen Unterscheidungsmerkmal hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) bereits 1978 als Orientierungssatz formuliert: „1. Dienst- oder Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassungsverträge im Sinne von § 1 Abs. 1 AÜG unterscheiden sich wie folgt: Im ersten Fall organisiert der Unternehmer die zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolges notwendigen Handlungen selbst, wobei er sich eines Erfüllungsgehilfen bedienen kann; er bleibt für die Erfüllung der im Vertrag vorgesehenen Dienste oder die Herstellung des geschuldeten Werks verantwortlich. Bei der Arbeitnehmerüberlassung überlässt er dem Vertragspartner geeignete Arbeitskräfte, die dieser nach eigenen betrieblichen Erfordernissen in seinem Betrieb einsetzt. 2. Arbeitnehmer, die Arbeitsleistungen in einem fremden Betrieb erbringen, sind Erfüllungsgehilfen des Dienstverpflichteten oder Werkunternehmers, wenn sie nach dessen Weisungen 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz vom 7. August 1972 in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Februar 1995 (BGBl. I S. 158), zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes vom 11. August 2014 (BGBl. I S. 1348). 2 Deutschlands Zukunft gestalten. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 18. Legislaturperiode vom 27. November 2013, S. 69. Abrufbar z.B. im Internetauftritt der CDU: https://www.cdu.de/sites/default/files /media/dokumente/koalitionsvertrag.pdf (letzter Abruf: 7. Januar 2014). 3 Vgl. dazu das weiter unten (vor allem Punkt 5) zitierte Schrifttum. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 035/15 Seite 5 handeln. Leisten sie Arbeit nur nach Weisungen des Dritten, sind sie regelmäßig zur Arbeitsleistung überlassene Arbeitnehmer.“4 Die Fremdvergabe von Dienstleistungen als Dienst- oder Werkverträge ist mithin nur dann eine zulässige Form unternehmerischer Entscheidung, wenn der Arbeitgeber die bisherigen Arbeiten einem Dritten zur selbständigen Erledigung überträgt. Diese Hauptmerkmale hat das BAG im Laufe der Zeit mit einer Reihe von Indizmerkmalen unterlegt , die für oder gegen die Annahme der einen oder anderen Vertragsart sprechen. In einer aktuellen Entscheidung zur Abgrenzung der Arbeitnehmerüberlassung von Werk- und Dienstverträgen fasst das BAG seine nunmehr in ständiger Rechtsprechung vertretene Rechtsauffassung wie folgt zusammen: „1. Ein Werkunternehmer ist selbständig. Er organisiert die für die Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolgs notwendigen Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen und ist für die Herstellung des geschuldeten Werks gegenüber dem Besteller verantwortlich. 2. Gegenstand eines Werkvertrags kann sowohl die Herstellung oder Veränderung einer Sache als auch ein anderer durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführender Erfolg sein (§ 631 Abs. 2 BGB). Demgegenüber wird beim Dienstvertrag die Arbeitsleistung als solche geschuldet (§ 611 Abs. 2 BGB). 3. Fehlt es an einem vertraglich festgelegten abgrenzbaren, dem Auftragnehmer als eigene Leistung zurechenbaren und abnahmefähigen Werk, kommt ein Werkvertrag kaum in Betracht ; denn der „Auftraggeber“ muss dann den Gegenstand der vom „Auftragnehmer“ zu erbringenden Leistung durch weitere Weisungen erst noch bestimmen und damit Arbeit und Einsatz bindend organisieren. 4. Richten sich die vom Auftragnehmer zu erbringenden Leistungen nach dem jeweiligen Bedarf des Auftraggebers, kann darin ein Indiz gegen eine werk- und für eine arbeitsvertragliche Beziehung liegen, etwa wenn mit der Bestimmung von Leistungen auch über Inhalt, Durchführung , Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit entschieden wird. Wesentlich ist, inwiefern Weisungsrechte ausgeübt werden und in welchem Maß der Auftragnehmer in einen bestellerseitig organisierten Produktionsprozess eingegliedert ist. 5. Widersprechen sich schriftliche Vereinbarung und einvernehmliche Vertragsdurchführung, ist Letztere maßgebend.“5 4 BAG, Urteil vom 8. November 1978 - 5 AZR 261/77, Orientierungssätze 1 und 2. 5 BAG, Urteil vom 25. September 2013 – 10 AZR 282/12, NZA 2013, S. 1348, Orientierungssätze 1-5; ähnlich bereits BAG, Urteil vom 18. Januar 2012 - 7 AZR 723/10 – jeweils mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des BAG. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 035/15 Seite 6 Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung lassen sich die beiden Vertragstypen einem Fachbeitrag folgend, der die entsprechende Beratung von Unternehmen zu Ziel hat, vereinfachend nach folgenden Merkmalen unterscheiden: „Kennzeichnend für das Vorliegen von Leiharbeit sind: – die Eingliederung der Arbeitnehmer in den Betrieb des Entleihers, – die Weisungsbefugnis des Entleihers sowie – die Förderung der Interessen des Entleihers. Maßgebliche Kriterien für das Vorliegen eines Werkvertrags sind: – die eigene betriebliche Organisation des Unternehmers, – die wirtschaftliche Verantwortung des Unternehmers für den Leistungserfolg – sowie dessen Weisungsbefugnis.“6 Zu der phänomenologisch geprägten Abgrenzung des BAG merkt Stefan GREINER von der Universität Bonn kritisch an, dass sich die Abgrenzung der Vertragstypen zwar phänomenologisch beschreiben lasse, die Lebenswirklichkeit aber selten von phänomenologischer Klarheit gekennzeichnet sei. Es überwögen daher zweideutige Konstellationen, so dass letztlich eine teleologische Abgrenzung unausweichlich sei, bei der im Einzelfall wertend entschieden werden müsse, ob die Schutzzwecke des Arbeitnehmerüberlassungsrechts einschlägig seien.7 Hervorzuheben ist abschließend auch die Feststellung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg in einem aktuellen Urteil, dass nicht in jedem Fall, in dem die Kriterien eines Werkvertrags nicht erfüllt sind, von Anfang an ein missbräuchlicher Fremdpersonaleinsatz im Sinne des Koalitionsvertrags vorliegen muss: „Nicht immer sind sich die Vertragsschließenden bereits bei Vertragsschluss einig, dass der „Werkvertrag“ in Wirklichkeit ein Arbeitnehmerüberlassungsvertrag sein soll, sondern es kann auch ein zunächst nicht nur zum Schein geschlossener Werkvertrag entweder vom Beginn der Durchführung an oder in deren Verlauf in eine Arbeitnehmerüberlassung umschlagen, z. B. weil dem Werkunternehmer die fachliche Kompetenz fehlt, die Werkleistung wirtschaftlich effizient zu steuern.“8 6 MÜLLER, Knut; BRUGGER, Jennifer; (2013): Werkverträge als Alternative zur Leiharbeit? In: ArbRAktuell 2013, S. 538 (540). 7 GREINER, Stefan (2013): Werkvertrag und Arbeitnehmerüberlassung – Abgrenzungsfragen und aktuelle Rechtspolitik . In: NZA 2013, S. 697 (699) unter ausführlicher Auseinandersetzung mit der phänomenologischen Betrachtung . 8 Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 18. Dezember 2014 - 3 Sa 33/14, Rn. 39 mit Nachweisen aus der Kommentarliteratur. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 035/15 Seite 7 3. Gesetzentwurf der Fraktion der SPD In der 17. Wahlperiode hat die Fraktion der SPD eine Gesetzesinitiative zur Ergänzung des § 1 AÜG eingebracht.9 Darin wurde die Einfügung eines § 1 Abs. 1a AÜG vorgeschlagen, der in Satz 1 einen an den von der Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien orientierten Katalog von Merkmalen enthielt, die für die Annahme der Arbeitnehmerüberlassung sprechen. Eine widerlegliche gesetzliche Vermutung für das Vorliegen von Arbeitnehmerüberlassung sollte danach gelten, wenn drei der folgenden sieben Merkmale zutrafen: „1. Die Tätigkeit entspricht dem äußeren Erscheinungsbild nach der Tätigkeit eines im Einsatzbetrieb angestellten oder eines dort innerhalb der letzten zwei Jahre angestellten Arbeitnehmers ; 2. der Arbeitnehmer verwendet Material oder Werkzeug des Einsatzbetriebes; 3. es soll kein Ergebnis erstellt werden, das dem Arbeitgeber zugerechnet werden kann; 4. eine Gewährleistung des Arbeitgebers ist vertraglich ausgeschlossen; 5. der Arbeitgeber haftet für Auswahl und fristgerechte Zurverfügungstellung der Arbeitnehmer ; 6. es erfolgen von einem konkreten Ergebnis unabhängige Abschlagszahlungen an den Arbeitgeber ; 7. die Tätigkeit des Arbeitnehmers ist im Vertrag mit seinem Arbeitgeber detailliert beschrieben .“ 10 Im Streitfall sollte nach § 1 Abs. 1a Satz 2 AÜG beim Beweis von Indizien, die das Vorliegen von drei Merkmalen vermuten ließen, eine Beweislastumkehr eintreten, wonach die Gegenpartei die Beweislast dafür tragen sollte, dass keine Arbeitnehmerüberlassung vorliegt. Im Übrigen sollte allein die tatsächliche Durchführung des Vertrags über seinen Rechtscharakter entscheiden. In der Begründung des Antrags wird hervorgehoben, dass die allgemeine Regel gelte, dass derjenige , der ein Recht geltend macht, die Tatsachen, die dieses begründen sollen, beweisen muss. Eine gesetzliche Festlegung von Kriterien, die eine Rechtsvermutung für Leiharbeit auslösten und damit die Beweislast vom Arbeitnehmer auf die beteiligten Unternehmen verschöben, erleichterten die Rechtsdurchsetzung erheblich. Die an § 22 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes 9 Antrag der Abgeordneten Anette Kramme, Gabriele Hiller-Ohm, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Missbrauch von Werkverträgen bekämpfen (Bundestagsdrucksache 17/12378 vom 19. Februar 2013). 10 Bundestagsdrucksache 17/12378, S. 6. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 035/15 Seite 8 angelehnte Regelung, wonach Indizien für das Vorliegen von Arbeitnehmerüberlassung ausreichen , diene der weiteren Verringerung der Beweislast für den Arbeitnehmer.11 Der Antrag wurde am 27. Juni 2013 vom Plenum des Deutschen Bundestages abgelehnt.12 Ähnlich motivierte Anträge hatten zuvor bereits die Fraktion DIE LINKE.13 sowie die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN14 eingebracht, die am 28. Juni 2012 vom Plenum des Deutschen Bundestages ebenfalls abgelehnt wurden.15 4. Exkurs: Frühere gesetzliche Regelung zur Abgrenzung zwischen selbständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung 4.1. Gesetzgeberische Entwicklung Ein ähnlicher Katalog von Abgrenzungsmerkmalen fand 1999 bis 2002 im Bereich des Sozialversicherungsrechts Anwendung. Dort ist die Abgrenzung von abhängig Beschäftigten und Scheinselbstständigen in den §§ 7 ff. des Vierten Buches Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV)16 – geregelt. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit wurden durch das Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19. Dezember 199817 Maßnahmen getroffen, die den Sozialversicherungsträgern die Feststellung einer abhängigen Beschäftigung 11 Bundestagsdrucksache 17/12378, S. 8. 12 Bundestags-Plenarprotokoll 17/250 , S. 31987B - 32004B. 13 Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Sabine Zimmermann, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Missbrauch von Werkverträgen verhindern – Lohndumping eindämmen (Bundestagsdrucksache 17/7220 (neu) vom 29. September 2011). 14 Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Leiharbeit und Werkverträge abgrenzen – Kontrollen verstärken (Bundestagsdrucksache 17/7482 vom 26. Oktober 2011). 15 Bundestags-Plenarprotokoll 17/187 , S. 22329B - 22352D. 16 Viertes Buch Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung vom 23. Dezember 1976 – heute gültig in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. November 2009 (BGBl. I S. 3710, 3973; 2011 I S. 363), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 23. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2462). 17 BGBl. I S. 3843. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 035/15 Seite 9 erleichtern sollten18. Dazu wurde unter anderem mit Wirkung vom 1. Januar 1999 in § 7 Abs. 4 SGB IV ein Kriterienkatalog aufgenommen. Bei erwerbsmäßig tätigen Personen bestand die widerlegliche gesetzliche Vermutung, dass sie abhängig beschäftigt waren, wenn mindestens zwei der vier folgenden Kriterien zutrafen: „(…) Personen, die erwerbsmäßig tätig sind und 1. im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit mit Ausnahme von Familienangehörigen keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, 2. regelmäßig und im wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind, 3. für Beschäftigte typische Arbeitsleistungen erbringen, insbesondere Weisungen des Auftraggebers unterliegen und in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingegliedert sind, 4. nicht aufgrund unternehmerischer Tätigkeit am Markt auftreten, (…)“ Das Gesetz zur Förderung der Selbstständigkeit vom 20. Dezember 199919 präzisierte den Katalog des § 7 Abs. 4 SGB IV und ergänzte ihn mit Wirkung vom 1. Januar 2000 um ein weiteres Kriterium . Nunmehr wurde nur noch im Falle fehlender Mitwirkung der erwerbsmäßigen Person vermutet , dass eine abhängige Beschäftigung bestand, wenn drei der folgenden fünf Kriterien erfüllt waren: „1. Die Person beschäftigt im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer, dessen Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis regelmäßig im Monat 630 Deutsche Mark übersteigt; 2. sie ist auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig; 3. ihr Auftraggeber oder ein vergleichbarer Auftraggeber lässt entsprechende Tätigkeiten regelmäßig durch von ihm beschäftigte Arbeitnehmer verrichten; 4. ihre Tätigkeit lässt typische Merkmale unternehmerischen Handelns nicht erkennen; 5. ihre Tätigkeit entspricht dem äußeren Erscheinungsbild nach der Tätigkeit, die sie für denselben Auftraggeber zuvor auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt hatte.“20 Durch das Zweite Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 200221 wurde der Kriterienkatalog des § 7 Abs. 4 SGB IV mit Wirkung vom 1. Januar 2003 aufgehoben und die Vermutung auf Personen beschränkt, die einen Gründerzuschuss nach dem neuen 18 Vgl. die Gesetzesbegründung auf Bundestagsdrucksache 14/45, S. 19. 19 BGBl. I 2000 S. 2. 20 Kritisch zu der durch das Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit vorgenommenen Korrektur des Katalogs: BAUER, Jobst-Hubertus; DILLER, Martin; SCHUSTER, Doris-Maria (1999): Das Korrekturgesetz zur „Scheinselbständigkeit ” - Alles anders, nichts besser! In: NZA 1999, S. 1297. 21 BGBl. I S. 4621. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 035/15 Seite 10 § 421l Abs. 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung (SGB III)22 beantragt hatten . Die Aufhebung, die im Gesetzentwurf23 nicht vorgesehen war, wurde erst im Vermittlungsverfahren beschlossen, sodass eine Begründung dafür nicht verfügbar ist. Ein im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit abgelehnter Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU (Ausschuss- Drucksache 15(9)36) hatte die Aufhebung mit der Begründung gefordert, die Vermutungsregel habe zur Überbetonung einzelner Merkmale und zu einer unzumutbaren Beweislastumkehr geführt .24 4.2. Praktische Bedeutung Die gesetzliche Vermutung für das Vorliegen einer Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt sollte die Sozialversicherungsträger davon entbinden, im Einzelfall das Bestehen einer abhängigen Beschäftigung nachweisen zu müssen. In einem Gemeinsamen Rundschreiben der Spitzenorganisation der Sozialversicherung zum Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit vom 20. Dezember 1999 wurde jedoch hervorgehoben: „Ist zu der versicherungsrechtlichen Beurteilung der Erwerbstätigkeit ein Verwaltungsverfahren eingeleitet, gilt der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 20 SGB X25). Die Vermutungsregelung des § 7 Abs. 4 1 SGB IV hebt diesen Grundsatz in der Sozialversicherung nicht auf. Der Sozialversicherungsträger hat von sich aus die Tatsachen zu ermitteln, die zur Beurteilung der Rechtsfrage, ob eine selbständige Tätigkeit oder eine abhängige Beschäftigung vorliegt, erforderlich sind. Für die Abgrenzung sind weiterhin die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien maßgeblich. Entscheidend bleibt die Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls. Treffen Merkmale, die für die Beschäftigteneigenschaft sprechen, mit Merkmalen zusammen, die auf Selbständigkeit hindeuten , hat der Sozialversicherungsträger nach Aufklärung des Sachverhalts im Rahmen der Gesamtwürdigung zu prüfen, in welchem Bereich der Schwerpunkt der Tätigkeit liegt, und auf der Grundlage des § 7 Abs. 1 SGB IV zu entscheiden.“ 26 Wegen des im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes kam die Vermutungsregelung mithin nur in den Ausnahmefällen zur Anwendung, in denen dem Sozialversicherungsträger eine vollständige Sachverhaltsaufklärung aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen unmöglich war. Höchstrichterliche Entscheidungen, die sich auf den Katalog 22 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. März 1997, BGBl. I S. 594, 595), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 23. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2475). 23 Bundestagsdrucksache 15/26. 24 Vgl. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss) vom 13. November 2002, Bundestagsdrucksache 15/77, S. 31. 25 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – vom 18. August 1980 in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Januar 2001 (BGBl. I S. 130), zuletzt geändert durch Artikel 10 des Gesetzes vom 11. August 2014 (BGBl. I S. 1348). 26 NZA 2000, S. 190-198 (191). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 035/15 Seite 11 stützen, sind demzufolge nicht ersichtlich, was auch dem kurzen Geltungszeitraum geschuldet sein dürfte. 5. Aktuelle Vorschläge aus der Wissenschaft Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum wird hervorgehoben, dass im Rahmen gerichtlicher Auseinandersetzungen bei der Abgrenzung zwischen Arbeitnehmerüberlassung und Werk- und Dienstverträgen der Verteilung der Darlegungslast besondere Bedeutung zukommt. „Der primär darlegungspflichtige Arbeitnehmer (Kläger) kann aus eigener Anschauung zwar Tatsachen zur Eingliederung in den Betriebsablauf beim Beklagten und zu Weisungen des Beklagten vortragen. Im Übrigen befindet er sich aber in Darlegungs- und Beweisnot, da andere auf eine Arbeitnehmerüberlassung hindeutende Tatsachen außerhalb seines Wahrnehmungsbereichs liegen.“27 Im Hinblick auf die Umsetzung des Koalitionsvertrages haben Christiane BRORS von der Universität Oldenburg und Peter SCHÜREN von der Universität Münster in einem gemeinsamen Beitrag gesetzgeberische Vorschläge zur Vermeidung von Scheinwerk- bzw. -dienstverträgen unterbreitet. Als wichtigste Maßnahme schlagen sie auf der Grundlage der von der Rechtsprechung erarbeiteten Abgrenzungsmerkmale „eine Beweislastumkehr bei zweifelhaften Werk- und Dienstverträgen vor, mit deren Hilfe sich illegal überlassene Arbeitnehmer leichter einklagen können.“28 Die vorgeschlagene Beweislastregel zur Abgrenzung von Werk- und Dienstverträgen von der Arbeitnehmerüberlassung hält Johannes Peter FRANCKEN von der Universität Freiburg29 dagegen für zu pauschal. Im Spannungsfeld zwischen der Schutzfunktion des AÜG zugunsten des Arbeitnehmers und der grundgesetzlich geschützten unternehmerischen Kompetenz, sich für werkvertraglichen oder dienstvertraglichen Personaleinsatz zu entscheiden, müsse für die Darlegungs- und Beweislast in Verfahren nach §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG eine Austarierung vorgenommen werden, die dem Einzelfall Rechnung trage. Zu diesem Zweck schlägt er folgende Regelung vor: „Wenn im Streitfall eine Partei Indizien beweist, die das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassung vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass keine Arbeitnehmerüberlassung vorliegt.“30 27 FRANCKEN, Johannes Peter (2013): Die Darlegungs- und Beweislast der Abgrenzung der Arbeitnehmerüberlassung von Werk- und Dienstverträgen. In: NZA 2013, S. 985 (S. 987); ähnlich bereits GREINER, Stefan (2013) (Fn. 7), S. 702 f. 28 BRORS, Christiane; SCHÜREN, Peter (2014): Neue gesetzliche Rahmenbedingungen für den Fremdpersonaleinsatz. In: NZA 2014, S. 569 (573). 29 Ehemaliger Präsident des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg. 30 FRANCKEN, Johannes Peter (2014): Neuregelung der Darlegungs- und Beweislast in Verfahren nach §§ 9, 10 AÜG. In: NZA 2014, S. 1064 (1065), gestützt auf seinen früheren Vorschlag: FRANCKEN, Johannes Peter (2013) (Fn. 27). Zur Erwiderung auf diesen Beitrag: BRORS, Christiane (2014): Nochmals: Neuregelung der Darlegungs- und Beweislast zur Abgrenzung von Leiharbeit und Fremdpersonaleinsatz bei Werk- und Dienstverträgen. In: NZA 2014, S. 1377. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 – 035/15 Seite 12 Abgesehen von dem ausdrücklichen Kriterienkatalog kommt diese Formulierung dem Gesetzgebungsvorschlag der Fraktion der SPD aus der 17. Wahlperiode inhaltlich sehr nahe.