© 2020 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 032/20 Trägerübergreifende Servicestellen für Sozialleistungen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 032/20 Seite 2 Trägerübergreifende Servicestellen für Sozialleistungen Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 032/20 Abschluss der Arbeit: 23. April 2020 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 032/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Vorschlag zur Einrichtung trägerübergreifender Servicestellen für Sozialleistungen 4 2. Sozialleistungen und -träger in Deutschland 4 3. Verwaltungsorganisation der Sozialleistungsträger 6 3.1. Sozialversicherungsträger als selbstverwaltete rechtsfähige Körperschaften 6 3.2. Übrige Sozialverwaltung 7 4. Bestehende institutionalisierte Zusammenarbeit der Sozialleistungsträger 7 4.1. Auskunftspflichten der Leistungsträger 7 4.2. Entgegennahme und Weiterleitung von Leistungsanträgen unzuständiger Leistungsträger 9 4.3. Jobcenter als gemeinsame Einrichtungen der Bundesagentur für Arbeit und kommunaler Träger 9 4.3.1. Geteilte Trägerschaft im SGB II und Entstehung der gemeinsamen Einrichtungen 10 4.3.2. Organisation der gemeinsamen Einrichtung 11 4.4. Versicherungsämter für Angelegenheiten der Sozialversicherung 12 4.5. Zusammenwirken der Rehabilitationsträger 13 5. Fazit 15 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 032/20 Seite 4 1. Vorschlag zur Einrichtung trägerübergreifender Servicestellen für Sozialleistungen Das System der sozialen Sicherheit ist in Deutschland gekennzeichnet von einer organisatorischen Vielfalt, die Ausdruck der starken funktionalen Ausdifferenzierung des Sozialstaats in verschiedene Teilbereiche und Handlungsfelder ist. Aufgrund des föderativen Aufbaus spielen auch die Länder in der Sozialpolitik eine Rolle, denn sie verfügen über ergänzende Gestaltungsmöglichkeiten in der Sozialleistungen umfassenden Familien-, Gesundheits-, Bildungs- und Wohnungspolitik sowie in der Umsetzung von Bundesgesetzen.1 An welche Stelle sich Bürgerinnen und Bürger im Leistungsfall zu wenden haben, ist infolge der Vielzahl der Sozialleistungen und Leistungsträger kaum zu überblicken. Durch Unkenntnis oder Fristversäumnisse entgangene Sozialleistungen könnten sich möglicherweise durch die Einrichtung trägerübergreifender Servicestellen vermeiden lassen. Mit solchen sogenannten One-Stop- Shops könnten sämtliche für den Anspruch auf eine Sozialleistung erforderlichen Anträge und Unterlagen bei einer einzigen Stelle eingereicht und so durch verkürzte bürokratische Abläufe Verwaltungsverfahren schneller abgeschlossen werden. Für die nähere Beschäftigung mit der Einrichtung trägerübergreifender Servicestellen für Sozialleistungen ist zunächst überblicksweise eine Bestandsaufnahme der Sozialleistungen und -träger, sowie über die Verwaltungsorganisation der Sozialleistungsträger und der bereits bestehenden institutionalisierten Zusammenarbeit der Sozialleistungsträger erforderlich. 2. Sozialleistungen und -träger in Deutschland In Deutschland hat sich seit dem 19. Jahrhundert eine funktional und organisatorisch stark ausdifferenzierte , auf gesetzliche Grundlagen beruhende, soziale Sicherung entwickelt, die heute die Staatszielbestimmung des in Art. 20 Abs. 1 GG festgelegten Sozialstaatsprinzips konkretisiert. Hierfür steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu, um die widerstreitenden Interessen auszugleichen und erträgliche Lebensbedingungen herzustellen. Als soziale Sicherungssysteme haben sich die Sozialversicherung, die Sozialversorgung und die Sozialfürsorge etabliert. Die Sozialversicherung schützt vor allem abhängig Beschäftigte gegen die finanziellen Folgen sozialer Lebensrisiken wie Krankheit, Unfall, Erwerbsminderung, Alter, Arbeitslosigkeit und Pflegebedürftigkeit sowie im Todesfall Unterhaltspflichtiger die Hinterbliebenen . Die Finanzierung der Leistungen erfolgt in erster Linie über die von der Höhe des Einkommens abhängigen Beitragszahlungen der Beschäftigten und ihrer Arbeitgeber zur Sozialversicherung , aber auch aus dem Steueraufkommen. Rein steuerfinanziert sind dagegen Versorgungsleistungen , wie etwa die Opferentschädigung oder Leistungen an Familien wie das Kindergeld und die Beamtenversorgung. Die ebenfalls steuerfinanzierte Sozialfürsorge umfasst staatliche Hilfe für Bedürftige, wie beispielsweise das Wohngeld, Arbeitslosengeld II oder auch Sozialhilfe. 1 Josef Schmid, Der Sozialstaat in der Bundesrepublik: Recht und Organisation. Abrufbar auf der Internetseite der Bundeszentrale für politische Bildung unter https://www.bpb.de/politik/grundfragen/deutsche-verhaeltnisseeine -sozialkunde/138799/der-sozialstaat-in-der-bundesrepublik-recht-und-organisation, zuletzt abgerufen am 15. April 2020. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 032/20 Seite 5 Fürsorgeleistungen sind nach dem Prinzip der Subsidiarität gegenüber anderen Sozialleistungen nachrangig zu erbringen. Eine belastbare abschließende Aufzählung oder Systematisierung der in Deutschland gewährten Sozialleistungen ist nicht bekannt. Hierzu wäre zunächst eine begriffliche Abgrenzung erforderlich , da beispielsweise unklar ist, welche ehe- und familienbezogenen Leistungen, die häufig als Nachteilsausgleich gegenüber kinderlosen Personen gewährt werden, auch unter den Begriff der sozialen Sicherung einzuordnen sind. Bei weiter Auslegung dürften etwa auch das steuerliche Ehegattensplitting, die Familienversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung und der Familienzuschlag für Beamte als Sozialleistung anzusehen sein. Auch im Steuerrecht gibt es neben den familienbedingten Nachteilsausgleichen eine Vielzahl von Ermäßigungen und Leistungen , die aus sozialen Erwägungen gewährt werden. Zu denken wäre hier beispielsweise an Steuerermäßigungen für behinderte Menschen oder die Zulage zur zusätzlichen Altersvorsorge.2 Das Sozialrecht ist weitgehend, aber nicht ausschließlich, im Sozialgesetzbuch kodifiziert. In den Einweisungsvorschriften des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB I) sind die einzelnen Sozialleistungen und die Leistungsträger aufgeführt. Dabei sind die Versorgung der Beamten, die berufsständischen Versorgungsysteme und weitere der sozialen Sicherung im weiteren Sinne zuzuordnende Leistungen, zum Beispiel die Prozesskostenhilfe und Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz , nicht erfasst. Im Leistungskatalog der §§ 18 ff. SGB I sind folgende Sozialleistungen und Leistungsträger aufgeführt: Sozialleistung: Leistungsträger: Ausbildungsförderung Studenten-/Studierendenwerke (in Rheinland-Pfalz die Hochschule) Arbeitsförderung Agenturen für Arbeit Grundsicherung für Arbeitsuchende Jobcenter / Optionskommunen Gesetzliche Krankenversicherung Gesetzliche Krankenkassen Soziale Pflegeversicherung Bei den Krankenkassen errichteten Pflegekassen Leistungen bei Schwangerschaftsabbrüchen Gesetzliche Krankenkassen Gesetzliche Unfallversicherung Berufsgenossenschaften, Gemeindeunfallversicherungsverbände , Unfallkassen und Unfallversicherung Bund und Bahn Gesetzliche Rentenversicherung einschließlich der Alterssicherung der Landwirte 1. Deutsche Rentenversicherung, 2. Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau 2 Vgl. Sachstand Probleme der Indexierung und Bestimmung von Sozialleistungen in Deutschland, abrufbar im Internet unter https://www.bundestag.de/resource/blob/648350/ca75e25ae63dee5a388fc0efc0dec01c/WD-6-032- 19-pdf-data.pdf, zuletzt abgerufen am 27. März 2020. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 032/20 Seite 6 Versorgungsleistungen bei Gesundheitsschäden (ab 2022: Soziale Entschädigung) Versorgungsämter Kindergeld, Kinderzuschlag, Leistungen für Bildung und Teilhabe, Elterngeld und Betreuungsgeld Familienkassen Wohngeld Kommunale Wohngeldbehörden Kinder- und Jugendhilfe Kommunale Jugendämter, Landesjugendämter und freie Träger (Jugend- und Wohlfahrtsverbände ) Sozialhilfe Kommunale Sozialämter Eingliederungshilfe Kommunale Eingliederungsämter Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen Sozialleistungsträger (außer Familienkassen und Wohngeldbehörden) und Integrationsämter 3. Verwaltungsorganisation der Sozialleistungsträger Die Verwaltungsorganisation ist im föderalen Deutschland historisch vielfältig gewachsen. In der Sozialleistungsverwaltung treten die sonst hierarchischen Grundstrukturen der unmittelbaren Staatsverwaltung gegenüber selbstverwalteten Behörden nach dem Prinzip der Betroffenenpartizipation zurück. Dies hat unter anderem Auswirkung auf die Weisungen und die Staatsaufsicht. In der Sozialversicherung sind die Leistungsträger bundes- oder landesunmittelbare öffentlichrechtliche Körperschaften, die ihre Aufgaben als eigene Rechtsperson, also in mittelbarer Staatsverwaltung , erfüllen. Außerhalb der Sozialversicherung gehören zur mittelbaren Staatsverwaltung Sozialleistungen gewährende Städte und Kreise, denen Art. 28 Abs. 2 GG als kommunale Gebietskörperschaften und die jeweiligen Landesverfassungen das Recht auf Selbstverwaltung garantieren. 3.1. Sozialversicherungsträger als selbstverwaltete rechtsfähige Körperschaften Die soziale Sicherung erfolgt in Deutschland zum weitaus größten Teil durch die einzelnen Zweige der Sozialversicherung. So entfallen auf die Arbeitslosen-, Kranken-, Renten-, Unfall- und Pflegeversicherung über 60 Prozent aller gezahlten Sozialleistungen des Sozialbudgets, zu dem auch die Entgeltfortzahlung und die betriebliche Altersversorgung als Arbeitgeberleistungen, die Beamtenversorgung sowie die private Krankenversicherung gehören.3 Im vierten Abschnitt des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IV) ist unter anderem die Verfassung der Sozialversicherungsträger, die Zusammensetzung der Selbstverwaltungsorgane und die 3 Sozialbudget 2018, Broschüre des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, S. 6, abrufbar im Internet unter https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/a230-18-sozialbudget-2018.pdf;jsessionid =FCBD7E23E4BB086FE16000D72EEA1614?__blob=publicationFile&v=2, zuletzt abgerufen am 9. April 2020. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 032/20 Seite 7 Aufsicht durch die unmittelbare Staatsverwaltung geregelt. Gemäß § 29 SGB IV erfüllen die Sozialversicherungsträger als selbstverwaltete rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts im Rahmen des Gesetzes und des sonstigen für sie maßgebenden Rechts ihre Aufgaben in eigener Verantwortung. Die Selbstverwaltung wird regelmäßig durch die Versicherten und die Arbeitgeber ausgeübt. Für die Bundesagentur für Arbeit finden sich entsprechende Regelungen in §§ 367 ff. des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB III). Hier sind neben den Versicherten und Arbeitgebern auch die Gebietskörperschaften in den Selbstverwaltungsorganen vertreten. Die Aufsicht über die Sozialversicherung erstreckt sich im Wesentlichen auf die Einhaltung von Recht und Gesetz. Mit der Rechtsaufsicht wird lediglich die Rechtmäßigkeit der Tätigkeit der Versicherungsträger überprüft. Die Prüfung der Zweckmäßigkeit des Handelns ist hiervon nicht erfasst und unterliegt der Eigenverantwortung.4 3.2. Übrige Sozialverwaltung Der Vollzug der über Sozialversicherung hinausgehenden Sozialleistungsgesetze erfolgt aufgrund des Exekutivföderalismus im Wesentlichen über die Kommunen, hinsichtlich der Jobcenter gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit5. Dabei ist der Verwaltungsaufbau landesrechtlichen Regelungen vorbehalten, so dass es in Deutschland keine einheitlichen zuständigen Institutionen gibt.6 Mit der Frage, ob Kommunen und Sozialversicherungsträger über eine bundesgesetzliche Regelung gemeinsame Bürgerservicestellen einrichten können, hat sich der Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste, Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung „Bürgerservicestellen im Bereich der Sozialversicherung – Verfassungsrechtliche Anforderungen“ näher auseinandergesetzt .7 4. Bestehende institutionalisierte Zusammenarbeit der Sozialleistungsträger 4.1. Auskunftspflichten der Leistungsträger Die Einweisungsvorschriften des SGB I enthalten auch Regelungen zu Aufklärungs-, Beratungs-, und Auskunftspflichten der Leistungsträger. Während die Leistungsträger für Aufklärung und Beratung nur für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich verpflichtet sind, geht die Auskunftspflicht darüber hinaus und erstreckt sich auf alle Sozialleistungsbereiche. 4 Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), Übersicht über das Sozialrecht, 16. Auflage 2019, Kapitel 13, Fn 45 ff. 5 Vgl. Ziff. 4.3. 6 Färber, Gisela. Die Sozialpolitik im Spannungsverhältnis mit der Sozialverwaltung, in: Sozialer Fortschritt 5/2012, S. 92. 7 In Kürze abrufbar im Internet unter https://www.bundestag.de/analysen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 032/20 Seite 8 Gemäß § 15 SGB I sind die nach Landesrecht zuständigen Stellen sowie die Kranken- und Pflegekassen zur Auskunftserteilung verpflichtet. Diese umfasst einerseits die Benennung der für die Sozialleistungen zuständigen Leistungsträger und andererseits alle sonstigen Sach- und Rechtsfragen , die für die Auskunftsuchenden von Bedeutung sind und zu deren Beantwortung die Auskunftsstelle in der Lage ist. Zumindest ist im Rahmen der Auskunft der zuständige Leistungsträger zu benennen. Die Auskunftsstelle ist also nicht verpflichtet, ihrerseits Ermittlungen anzustellen , sondern übt in erster Linie mit dem vorgesehenen Verweis auf den zuständigen Leistungsträger eine Wegweiserfunktion aus.8 Ferner besteht eine Verpflichtung der Auskunftsstellen, untereinander und mit anderen Leistungsträgern zusammenzuarbeiten, um eine möglichst umfassende Auskunft sicherzustellen. Mit Ausnahme Bremens haben die Länder folgende Stellen zur Auskunft verpflichtet:9 Baden-Württemberg Gemeinden und Landkreise Bayern Landkreise und kreisfreie Gemeinden Berlin Bezirksämter Brandenburg Kreise und kreisfreie Städte Hamburg Bezirksämter Hessen Landkreise und kreisfreie Städte Mecklenburg-Vorpommern Landräte und (Ober-)Bürgermeister der kreisfreien Städte Niedersachsen Kreisfreie Städte und Landkreise Nordrhein-Westfalen Gemeinden Rheinland-Pfalz Kreisfreie Städte und Landkreise, auch Verbandsgemeinden und verbandsfreie Gemeinden Saarland Landkreise, Stadtverband Saarbrücken, Landeshauptstadt Saarbrücken und Mittelstädte; weitere Städte auf Antrag durch Rechtsverordnung Sachsen Landkreise und kreisfreie Städte Sachsen-Anhalt Landkreise, kreisfreie Städte und Gemeinden Schleswig-Holstein Landräte, Bürgermeister der amtsfreien Gemeinden und Amtsvorsteher Thüringen Landkreise und kreisfreie Städte 8 Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Übersicht über das Sozialrecht, 16. Auflage 2019, Kapitel 1, Rn. 14. 9 Deutsche Rentenversicherung Bund, SGB I – Texte und Erläuterungen, 15. Aufl. 1/2019, S. 59, 60. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 032/20 Seite 9 Welche Stelle konkret zur Auskunft verpflichtet ist, wird von den Kommunen bestimmt. 4.2. Entgegennahme und Weiterleitung von Leistungsanträgen unzuständiger Leistungsträger10 Leistungen aus der Sozialversicherung werden mit Ausnahme der gesetzlichen Unfallversicherung gemäß § 19 SGB IV nicht von Amts wegen, sondern nur auf Antrag erbracht. Mitunter ist die rechtswirksame Antragstellung auch für den Beginn der Leistung ausschlaggebend, beispielsweise für den Beginn einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 99 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI). Für Leistungen außerhalb der Sozialversicherung ergibt sich das Antragserfordernis aus den entsprechenden Sozialgesetzbüchern. Anträge auf Sozialleistungen können gemäß § 16 SGB I nicht nur beim zuständigen Leistungsträger fristgemäß gestellt werden, sie sind auch von allen anderen Leistungsträgern sowie von allen Gemeinden und den amtlichen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland entgegenzunehmen . Die Verpflichtung zur Entgegennahme von Leistungsanträgen auch beim gegebenenfalls nicht zuständigen Leistungsträger beinhaltet, dort gestellte Anträge unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten. Die Klärung der Zuständigkeit gehört zu den Amtspflichten der entgegennehmenden unzuständigen Stelle. Durch die ausdrückliche Nennung der Gemeinden können Sozialleistungen auch bei allen der Gemeinde zuzuordnenden Behörden und Institutionen rechtswirksam gestellt werden. Hierzu sind beispielsweise auch kommunale Krankenhäuser zu zählen. Für die vorgeschriebene unverzügliche Weiterleitung an den zuständigen Leistungsträger muss der Leistungsantrag nicht vollständig sein. Nicht zu den Leistungsträgern gehören die berufsständischen Versorgungs- und Zusatzversorgungseinrichtungen sowie öffentlich-rechtliche Versorgungseinrichtungen der Beamten und öffentlich-rechtliche Zusatzversorgungen wie die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL). Sie sind nicht zur Entgegennahme von Sozialleistungsanträgen berechtigt. 4.3. Jobcenter als gemeinsame Einrichtungen der Bundesagentur für Arbeit und kommunaler Träger Mit dem Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003, in Kraft getreten am 1. Januar 2005, wurde für erwerbsfähige Personen die ursprünglich von der Bundesagentur für Arbeit erbrachte Arbeitslosenhilfe nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) mit der kommunalen Hilfe zum Lebensunterhalt (Sozialhilfe) nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zur Grundsicherung für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld II) im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zusammengeführt. Hintergrund dieser Reform war unter anderem , dass nach Einschätzung der Kommission ‚Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt‘ das zuvor bestehende Nebeneinander zweier staatlicher Fürsorgesysteme - Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für Erwerbsfähige - ineffizient, intransparent und wenig bürgerfreundlich gewesen sei. 10 Deutsche Rentenversicherung Bund, SGB I – Texte und Erläuterungen, 15. Aufl. 1/2019, S. 73 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 032/20 Seite 10 4.3.1. Geteilte Trägerschaft im SGB II und Entstehung der gemeinsamen Einrichtungen Nach dem ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen der SPD und Bündnis 90/DIE GRÜNEN sollte die Bundesagentur für Arbeit zukünftig alleinige Trägerin der Grundsicherung sein. Zwar sprachen sich auch die Oppositionsfraktionen im Bundestag und die Mehrheit im Bundesrat für eine Zusammenlegung der beiden Systeme aus; sie beharrten jedoch auf der kommunalen Zuständigkeit für die Arbeitsvermittlung und für die Leistungen an Arbeitslose. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren wurde auf Empfehlung des Vermittlungsausschusses die Leistungsträgerschaft schließlich zwischen der Bundesagentur und den Kreisen und kreisfreien Städten (kommunale Träger) aufgeteilt. Damit ist die Trägerschaft für Leistungen, das heißt, wer in verwaltungsorganisatorischer Hinsicht für die Durchführung des Gesetzes und die Gewährung der Leistungen sachlich zuständig ist, im SGB II nicht einheitlich bestimmt (geteilte Trägerschaft, vgl. § 6 SGB II). § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB II legt eine Regelzuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit fest; die kommunalen Träger sind lediglich in den abschließend geregelten Fällen des § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB II zuständig. Die Bundesagentur für Arbeit ist folglich grundsätzlich zuständig für die Lebensunterhaltsleistungen in Form der Regelbedarfe und teilweise der Mehrbedarfe sowie für Leistungen zur Eingliederung mit Ausnahme der kommunalen Eingliederungsleistungen. Zu den Leistungen in der Zuständigkeit der Kommunen gehören unter anderem die kommunalen Eingliederungsleistungen nach § 16a SGB II, Leistungen für Unterkunft und Heizung (§§ 22 ff. SGB II) sowie Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Bildung und Teilhabe nach § 28 SGB II. Damit die Leistungen trotz der geteilten Trägerschaft aufeinander abgestimmt und möglichst durch einen Ansprechpartner erbracht werden können (sog. „Leistungen aus einer Hand“), sollten die Bundesagentur für Arbeit und die kommunalen Träger gemeinsame Arbeitsgemeinschaften zur einheitlichen Wahrnehmung ihrer Aufgaben errichten (vgl. § 44b SGB II in der Fassung vom 24. Dezember 2003). Das Bundesverfassungsgericht entschied jedoch mit Urteil vom 20. Dezember 2007, dass diese Form der Leistungserbringung nicht mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar sei, weil es sich dabei um eine unzulässige Form der Mischverwaltung handele. Die Einrichtung von Arbeitsgemeinschaften in § 44b SGB II alte Fassung widerspreche dem Grundsatz eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung , der den zuständigen Verwaltungsträger verpflichtet, diese Aufgaben grundsätzlich durch eigene Verwaltungseinrichtungen, also mit eigenem Personal, eigenen Sachmitteln und eigener Organisation wahrzunehmen. Den Gemeinden und Gemeindeverbänden sei in Art. 28 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 83 GG die eigenverantwortliche Führung der Geschäfte garantiert, zu der auch die Festlegung der Abläufe und Entscheidungszuständigkeiten für die Wahrnehmung der Aufgaben gehöre. Die Arbeitsgemeinschaften seien als Gemeinschaftseinrichtung von Bundesagentur und kommunalen Trägern nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes nicht vorgesehen. Nach der Systematik des Grundgesetzes werde der Vollzug von Bundesgesetzen entweder von den Ländern oder vom Bund, nicht hingegen zugleich von Bund und Land oder einer von beiden geschaffenen dritten Institution wahrgenommen. Eine Ausnahme von den Kompetenz- und Organisationsnormen der Art. 83 ff. GG bedürfe eines besonderen sachlichen Grundes und könne nur hinsichtlich einer eng umgrenzten Verwaltungsmaterie in Betracht kommen. Das Anliegen, die Grundsicherung für Arbeitsuchende "aus einer Hand" zu gewähren, sei zwar ein sinnvolles Regelungsziel. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 032/20 Seite 11 Dieses könne aber auch erreicht werden, indem der Gesamtvollzug vollständig dem Bund (Art. 87 GG) oder den Ländern (Art. 83 GG) überlassen werde. Zudem handele es sich bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende um einen der größten Sozialverwaltungsbereiche, der einen beträchtlichen Teil der Sozialleistungen des Staates umfasse. Sowohl die Anzahl der von den Regelungen betroffenen Personen als auch das Finanzvolumen sprächen eindeutig gegen das Vorliegen einer eng umgrenzten Verwaltungsmaterie. Da der Gesetzgeber die bisherige Form der Leistungserbringung aus einer Hand beibehalten wollte, hat er das Grundgesetz um Art. 91e GG ergänzt, der nunmehr die verfassungsrechtliche Grundlage für die Zusammenarbeit der Träger bildet. Gemäß Art. 91e Abs. 1 GG wirken Bund und Länder oder die nach Landesrecht zuständigen Gemeinden und Gemeindeverbände bei der Ausführung von Bundesgesetzen auf dem Gebiet der Grundsicherung für Arbeitsuchende in der Regel in gemeinsamen Einrichtungen zusammen; das Nähere ist in einem zustimmungsbedürftigen Bundesgesetz zu regeln (Art. 91e Abs. 3 GG). Die entsprechenden einfachgesetzlichen Bestimmungen im SGB II wurden durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 3. August 2010 neugefasst. 4.3.2. Organisation der gemeinsamen Einrichtung Zur einheitlichen Durchführung ihrer jeweiligen Aufgaben sieht § 44b SGB II vor, dass die Bundesagentur für Arbeit und der jeweilige kommunale Träger eine gemeinsame Einrichtung bilden, die gemäß § 6d SGB II die Bezeichnung Jobcenter führt. Nach Auffassung des Gesetzgebers ist die gemeinsame Einrichtung eine Mischbehörde aus Bundes- und Landesbehörde. Die gemeinsame Einrichtung (Jobcenter) nimmt die Aufgaben ihrer Träger nach dem SGB II im eigenen Namen wahr; sie ist befugt, im Außenverhältnis gegenüber den Leistungsberechtigten Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide zu erlassen, § 44b Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB II. Sie ist damit eine Behörde im Sinne des § 1 Abs. 2 SGB X. Dabei bleibt die Trägerschaft gemäß § 6 SGB II unberührt. Nach § 44b Abs. 3 Satz 1 SGB II obliegt den Trägern, also Bundesagentur für Arbeit und kommunalem Träger, die Verantwortung für die rechtmäßige und zweckmäßige Erbringung ihrer Leistungen. Sie sind in ihrem jeweiligen Aufgabenbereich weisungsbefugt, § 44b Abs. 3 Satz 2 SGB II. Vor Ausübung ihres Weisungsrechts in Angelegenheiten grundsätzlicher Bedeutung, haben die Träger den Kooperationsausschuss anzurufen. Der Kooperationsausschuss wird gemäß § 18b Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB II von der zuständigen obersten Landesbehörde und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales gebildet und koordiniert die Umsetzung der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf Landesebene. Der Kooperationsausschuss kann ebenfalls bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Trägern über Weisungszuständigkeiten angerufen werden, § 44e SGB II. Den Standort sowie die nähere Ausgestaltung und Organisation der gemeinsamen Einrichtung bestimmen die Träger durch Vereinbarung, § 44b Abs. 2 Satz 1 SGB II. Organe der gemeinsamen Einrichtung sind die Trägerversammlung und der Geschäftsführer. Jede gemeinsame Einrichtung hat eine Trägerversammlung, in der Vertreter der Agentur für Arbeit und des kommunalen Trägers je zur Hälfte vertreten sind, § 44c Abs. 1 SGB II. Die Trägerversammlung hat gemäß § 44c Abs. 2 Satz 1 SGB II über organisatorische, personalwirtschaftliche , personalrechtliche und personalvertretungsrechtliche Angelegenheiten der gemeinsamen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 032/20 Seite 12 Einrichtung zu entscheiden. Im Zuständigkeitsbereich der Trägerversammlung gilt das Weisungsrecht der Träger nicht, § 44b Abs. 3 Satz 2 SGB II. Der Geschäftsführer führt die Geschäfte der gemeinsamen Einrichtung und vertritt diese gerichtlich und außergerichtlich, § 44d Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB II. Er ist Beamter oder Arbeitnehmer einer der Träger und untersteht dessen Dienstaufsicht, § 44d Abs. 3 Satz 1 SGB II. Der Geschäftsführer hat die von der Trägerversammlung in deren Aufgabenbereich beschlossenen Maßnahmen auszuführen, § 44d Abs. 1 Satz 3 SGB II. Die gemeinsame Einrichtung selbst verfügt über kein eigenes Personal und ist auch nicht dienstherrn - oder arbeitgeberfähig. Die Aufgaben werden insbesondere von Beschäftigten der Träger wahrgenommen, denen Tätigkeiten bei der gemeinsamen Einrichtung zugewiesen sind, §§ 44b Abs. 1 Satz 4, 44g SGB II. Mit der Zuweisung werden der gemeinsamen Einrichtung von den Trägern auch die entsprechenden Planstellen und Stellen zur Bewirtschaftung übertragen, § 44k Abs. 1 SGB II. Die Trägerversammlung stellt für die gemeinsame Einrichtung einen Stellenplan auf und entscheidet über die Grundsätze der Personalwirtschaft und der Personalentwicklung (§ 44c Abs. 2, 4 und 5 SGB II). Mit der Zuweisung wird der Geschäftsführer Vorgesetzter der Beschäftigten und übt die Dienstherrn- und Arbeitgeberbefugnisse der Träger aus, § 44d Abs. 4 SGB II. Die Begründung und Beendigung von Dienst- und Arbeitsverhältnissen sind davon jedoch ausgenommen. In den gemeinsamen Einrichtungen werden Personal-, Schwerbehinderten- sowie Jugend- und Auszubildendenvertretungen gebildet, §§ 44h und 44i SGB II und eine Gleichstellungsbeauftragte bestellt, § 44j SGB II. Die Finanzierungszuständigkeit ist in § 46 SGB II geregelt. Danach finanziert der Bund die Aufgaben der Bundesagentur einschließlich der Verwaltungskosten und trägt 84,8 Prozent der Gesamtverwaltungskosten der gemeinsamen Einrichtungen, § 46 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 SGB II. Die Kommunen tragen die übrigen Verwaltungskosten sowie die Aufwendungen für die kommunalen Leistungen. Der Bund beteiligt sich aber gemäß § 46 Abs. 5 bis 8 SGB II zweckgebunden an den Aufwendungen der kommunalen Träger für die Leistungen für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 SGB II. 4.4. Versicherungsämter für Angelegenheiten der Sozialversicherung11 Neben der Rechtsaufsicht über die Sozialversicherung, die für die bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträger grundsätzlich durch das Bundesamt für Soziale Sicherung und für die landesunmittelbaren Sozialversicherungsträger durch die nach Landesrecht bestimmten obersten Verwaltungsbehörden wahrgenommen wird, sind für die Durchführung der Sozialversicherung gemäß § 92 SGB IV von den Ländern als untere Verwaltungsbehörden Versicherungsämter einzurichten . 11 Deutsche Rentenversicherung Bund, SGB IV – Texte und Erläuterungen, 23. Aufl. 1/2018, S. 1295 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 032/20 Seite 13 Die Versicherungsämter haben gemäß § 93 SGB IV unter anderem in allen Angelegenheiten der Sozialversicherung Auskunft zu erteilen und Anträge auf Leistungen aus der Sozialversicherung entgegenzunehmen. Auf Verlangen des Versicherungsträgers haben sie den Sachverhalt aufzuklären , Beweismittel beizufügen, sich, soweit erforderlich, zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern und Unterlagen unverzüglich an den Versicherungsträger weiterzuleiten. Dies geht über die Auskunftspflicht gemäß § 15 SGB I weit hinaus. Neben den Sozialversicherungsträgern ist den Landesregierungen zur Organisation und Durchführung der Sozialversicherung ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt worden. Sie können einzelne Aufgaben der Versicherungsämter den Gemeindebehörden durch Rechtsverordnung übertragen; die Landesregierungen können diese Ermächtigung auf die obersten Landesbehörden weiter übertragen. Auf freiwilliger Basis haben sich die Versicherungsämter zu Arbeitsgemeinschaften auf Landesund Bundesebene zusammengeschlossen12 und arbeiten insbesondere mit den Trägern der Rentenversicherung eng zusammen. 4.5. Zusammenwirken der Rehabilitationsträger Das gegliederte System der sozialen Sicherung in Deutschland kennzeichnet auch das Recht der Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Abhängig vom Grund und dem Ziel einer Leistung, der Behinderungsursache und den individuellen Versicherungsvoraussetzungen können unterschiedliche rechtliche Regelungen gelten und auch verschiedene Kostenträger (Rehabilitationsträger) zuständig sein. Das Neunte Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen - (SGB IX) enthält dabei eine bereichsübergreifende Zusammenfassung von Rechtsvorschriften zur Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohten Menschen. Ziel des SGB IX ist es, behinderungsbedingte Nachteile auszugleichen und die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohter Menschen sowie ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft durch besondere Sozialleistungen (Leistungen zur Teilhabe) zu fördern, vgl. § 1 Satz 1 SGB IX.13 Die Leistungen zur Teilhabe wiederum sind nicht einem eigenständigen Sozialleistungsbereich übertragen. Sie sind vielmehr eingebettet in den Aufgabenbereich einer Reihe von Leistungsträgern , die bei den Leistungen zur Teilhabe als Rehabilitationsträger bezeichnet werden.14 12 Vgl. Internetseite der Bundesarbeitsgemeinschaft der Versicherungsämter, abrufbar unter https://www.bavers.de/, zuletzt abgerufen am 21. April 2020. 13 Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Übersicht über das Sozialrecht, 16. Auflage 2019, Kapitel 9, Überblick . 14 Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Übersicht über das Sozialrecht, 16. Auflage 2019, Kapitel 9, Rn. 14. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 032/20 Seite 14 Die Rehabilitationsträger, also die Träger der Leistungen für Teilhabe, sind unter anderem die gesetzlichen Krankenkassen, die Bundesagentur für Arbeit, die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung , die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, die Träger der öffentlichen Jugendhilfe und die Träger der Eingliederungshilfe; letztere sind in der Regel die Kommunen, § 6 SGB IX. Für die Leistungserbringung selbst sind die jeweils für den zuständigen Rehabilitationsträger einschlägigen Leistungsgesetze maßgebend. Das heißt, welcher Rehabilitationsträger unter welchen Voraussetzungen welche Leistungen zur Teilhabe zu erbringen hat, richtet sich nach den für den einzelnen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen, § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IX. Dementsprechend gelten die bereichsübergreifenden Vorschriften des SGB IX auch nur, soweit in den einzelnen Leistungsgesetzen für den einzelnen Rehabilitationsträger keine abweichende Regelung getroffen wurde.15 Die Rehabilitationsträger wiederum sind zur Zusammenarbeit verpflichtet. So ist es beispielsweise bei der Beantragung von Leistungen zur Teilhabe grundsätzlich unerheblich, ob der Antrag bei der zuständigen Behörde eingereicht wurde. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX hat ein Rehabilitationsträger innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags bei ihm festzustellen, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist. Ist der Träger insgesamt nicht zuständig, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu und unterrichtet hierüber den Antragsteller, § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX. Muss für eine solche Feststellung die Ursache der Behinderung geklärt werden und ist diese Klärung in der Frist nach Satz 1 nicht möglich, soll der Antrag unverzüglich dem Rehabilitationsträger zugeleitet werden, der die Leistung ohne Rücksicht auf die Ursache der Behinderung erbringt, § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX. Das heißt, auch wenn ein Rehabilitationsträger unzuständig ist, muss er den Antrag entgegennehmen und eigenständig in Absprache mit den anderen Rehabilitationsträgern klären, welcher Träger den Antrag bearbeitet und bewilligt.16 Auch die Leistungsverantwortung bei mehreren zuständigen Rehabilitationsträgern ist im SGB IX geregelt. Stellt der leistende Rehabilitationsträger fest, dass der Antrag neben den nach seinem Leistungsgesetz zu erbringenden Leistungen weitere Leistungen zur Teilhabe umfasst, hat er den Antrag insoweit unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zuzuleiten , § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. Dieser hat dann über die weiteren Leistungen nach den für ihn geltenden Leistungsgesetzen in eigener Zuständigkeit zu entscheiden und den Antragsteller hierüber zu unterrichten, § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB IX. Darüber hinaus gibt es für die Sicherstellung der Zusammenarbeit der Träger ein besonderes Verfahren , das Teilhabeplanverfahren.17 Dieses kommt unter anderem zum Tragen, soweit Leistungen mehrerer Rehabilitationsträger erforderlich sind. In diesem Fall entsteht eine Koordinierungspflicht . Der leistende Rehabilitationsträger, das heißt, der Träger, der zuerst geleistet hat18, 15 Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Übersicht über das Sozialrecht, 16. Auflage 2019, Kapitel 9, Rn. 17. 16 Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Übersicht über das Sozialrecht, 16. Auflage 2019, Kapitel 9, Rn. 18. 17 Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Übersicht über das Sozialrecht, 16. Auflage 2019, Kapitel 9, Rn. 18. 18 Joussen, Jacob in: Dau/Düwell/Joussen, Sozialgesetzbuch IX, 5. Auflage 2019, § 19, Rn. 5. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 032/20 Seite 15 ist dafür verantwortlich, dass er und die beteiligten Rehabilitationsträger im Benehmen miteinander und in Abstimmung mit den Leistungsberechtigten die nach dem individuellen Bedarf voraussichtlich erforderlichen Leistungen hinsichtlich Ziel, Art und Umfang funktionsbezogen feststellen und schriftlich oder elektronisch so zusammenstellen, dass sie nahtlos ineinandergreifen , § 19 Abs. 1 SGB IX. Der Teilhabeplan ist sodann nach bestimmten Vorgaben zu erstellen und bei Bedarf anzupassen, § 19 Abs. 2 und 3 SGB IX. Dabei sichert der leistende Rehabilitationsträger durchgehend das Verfahren. Die Leistungen zur Teilhabe sollen so trotz der gegliederten Aufgabenverteilung zwischen den verschiedenen Trägern für den Leistungsberechtigten wie aus einer Hand erbracht werden.19 Gegenüber dem Antragsteller bleibt so nur diejenige Behörde zuständig, die den Antrag entgegengenommen hat. Eine Zurückweisung des Antrags wegen einer fehlenden Zuständigkeit ist den Behörden gesetzlich nicht mehr erlaubt. 5. Fazit Aufgrund des differenzierten und komplexen Systems der sozialen Sicherung innerhalb der föderativen Staatsordnung ist die bundesweite Einführung einheitlicher Servicestellen für die Durchsetzung von Sozialleistungsansprüchen nicht zwingend, da die bisherigen gesetzlichen Regelungen bereits bürgernahe Lösungen vorsehen. Im Bereich der Rehabilitation und den Jobcentern ist eine Zusammenarbeit der Träger bereits näher durch gesetzliche Regelungen bestimmt. Für die Sozialversicherung nehmen die örtlichen Versicherungsämter bereits heute die Funktion von trägerübergreifenden Servicestellen wahr. Wie auch in über die Sozialversicherung hinausgehenden Sozialleistungsbereichen ist die nähere Bestimmung den Ländern überlassen. Die gesetzlichen Regelungen sehen heute schon in den §§ 14 und 15 SGB I umfangreiche Rechte auf individuelle Beratung durch den zuständigen Leistungsträger und Auskunft durch die nach Landesrecht zuständigen Stellen sowie die Kranken- und Pflegekassen vor. Der Vielzahl der Sozialversicherungsträger und für die Leistungsberechtigten schwer zu überblickenden Zuständigkeitsregelungen ist bereits mit der Möglichkeit, rechtswirksame Anträge auf Sozialleistungen gemäß § 16 SGB I auch bei unzuständigen Leistungsträgern und Gemeinden rechtswirksam stellen zu können, begegnet worden. *** 19 Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Übersicht über das Sozialrecht, 16. Auflage 2019, Kapitel 9, Rn. 18.