© 2017 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 031/17 Tarifdispositives Arbeitsrecht in der juristischen Diskussion Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 031/17 Seite 2 Tarifdispositives Arbeitsrecht in der juristischen Diskussion Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 031/17 Abschluss der Arbeit: 15. Juni 2017 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 031/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Allgemeine Beiträge 4 3. Teilzeit- und Befristungsrecht 6 4. Arbeitnehmerüberlassung 6 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 031/17 Seite 4 1. Einleitung Eine Reihe von arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften enthalten Öffnungsklauseln, die den Tarifvertragsparteien die Möglichkeit abweichender Regelungen zugunsten oder zulasten der Arbeitnehmer eröffnen. Sie sind teilweise mit einer Erstreckungsklausel verbunden, die eine Anwendung der tarifvertraglichen Abweichungen auch in Betrieben ohne Tarifbindung ermöglichen.1 Derartige Klauseln unterliegen naturgemäß vielfach der Kritik, weil sie die Möglichkeit eröffnen, gesetzlich festgelegte Arbeitnehmerschutzstandards zulasten der Arbeitnehmer zu unterlaufen. 2. Allgemeine Beiträge Eine Reihe von Beiträgen in der juristischen Fachliteratur befasst sich abstrakt mit tarifdispositiven arbeitsrechtlichen Regelungen. Sie sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden: Eine kritische Darstellung der Entwicklungslinien der Tarifautonomie unter Einschluss tarifdispositiven Gesetzesrechts bietet Waltermann, Raimund (2014): Entwicklungslinien der Tarifautonomie. In: AuR 2014, S. 86-93. Anlage 1 Schlachter/ Klauk von der Universität Trier stellen fest, dass es insbesondere bei der praktischen Nutzung tarifdispositiver Schutzvorschriften mit Erstreckungsklauseln im Arbeitsrecht in jüngerer Zeit Fehlentwicklungen im Sinne einer systematischen Unterschreitung von Schutzstandards gebe, die im Wege einer teleologischen Reduktion der Erstreckungsklauseln durch die Rechtsprechung korrigiert werden sollten. Schlachter, Monika; Klauk, Melanie (2010): Tarifdispositivität - eine zeitgemäße Regelung ?. In: AuR 2010, S. 354-362 Anlage 2 Richardi setzt sich ebenfalls kritisch mit der vom Gesetzgeber verliehenen Dispositionsbefugnis an die Tarifvertragsparteien auseinander. Er bemängelt insbesondere die zunehmende Nutzung von Erstreckungsklauseln, die auch den nichttarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern 1 Vgl. dazu beispielhaft: Deutscher Bundestag - Wissenschaftliche Dienste (2017): Tarifdispositives Arbeitsrecht. Ausgewählte Beispiele. Sachstand WD 6 - 3000-138/16 vom 5. Januar 2017. Abrufbar im Internetportal des Deutschen Bundestages: http://www.bundestag.de/blob/495532/afb9650158fc29cd3b8cb42a01b4cdd8/wd-6- 138-16-pdf-data.pdf (letzter Abruf: 29. Mai 2017). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 031/17 Seite 5 gestattet, die tarifvertragliche an die Stelle der gesetzlichen Regelung zu setzen (S. 799). Die Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie dürfe nicht den Charakter einer Ersatzgesetzgebung erhalten. Richardi, Reinhard (2006): Von der Tarifautonomie zur tariflichen Ersatzgesetzgebung , in: Festschrift für Horst Konzen zum siebzigsten Geburtstag, S. 791-808 Anlage 3 Bock behandelt in ihrer Dissertation die rechtlichen Fragestellungen im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Tarifautonomie und tarifdispositivem Arbeitnehmerschutzrecht. Sie setzt sich mit dem Spannungsverhältnis zwischen der verfassungsrechtlich garantierten Koalitionsfreiheit und den mit tarifdispositivem Recht verbundenen Nachteilen für die Arbeitnehmer auseinander. Die Autorin prüft, inwieweit sich aus dieser Garantie der tarifvertraglichen Normsetzungsbefugnis eine Verpflichtung des Gesetzgebers zu tarifdispositiver Regelung in den einzelnen Bereichen des Arbeitsschutzrechts ergibt. Bock, Sandra (2005): Tarifdispositives Arbeitnehmerschutzrecht und Tarifautonomie. Berlin: Duncker & Humblot. Inhaltsverzeichnis. Anlage 4 Buschmann vom Institut für Wirtschaftsrecht der Universität Kassel hebt hervor, dass beidseitig tarifdispositives Arbeitsrecht kollektive autonome Selbstregulierung im Rahmen der Tarifautonomie beinhalte, zeigt aber auch die EU-rechtlichen und verfassungsrechtlichen Grenzen abweichender Regelung auf. Buschmann, Rudolf (2007): Abbau des gesetzlichen Arbeitnehmerschutzes durch kollektives Arbeitsrecht?. In: Annuß/ Pickler/ Wissmann (Hrsg.): Festschrift für Reinhard Richardi zum 70. Geburtstag. München: C.H. Beck, S. 93-116. Anlage 5 Bepler, ehemaliger Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht (BAG), sieht im Tarifrecht schwerwiegende Transparenzdefizite, die durch Normsetzung aufgefangen werden sollten. Seiner Meinung nach sollte die Wirkungsintensität von Tarifverträgen dringend gestärkt werden. Hierzu macht er konkrete Änderungsvorschläge, die vor allem Form- und Publiziätsvorschriften sowie die gerichtliche Geltendmachung kollektiv-rechtlicher Rechtspositionen betreffen. Die Öffnung zwingender gesetzlicher Bestimmungen für tarifvertragliche Abweichungen in wesentlichen Bereichen wie zum Beispiel die Unterschreitung von Mindestentgelten hält er für problematisch . Bepler, Klaus (2014): Stärkung der Tarifautonomie – Welche Maßnahmen empfehlen sich?. In NZA 2014, S. 891-894. Anlage 6 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 031/17 Seite 6 3. Teilzeit- und Befristungsrecht Francken, ehemaliger Präsident des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg, stellt am Beispiel der Tariföffnungsklausel des § 14 Abs. 2 S. 3 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) die Schranken der tariflichen Dispositionsbefugnis dar. Die den Tarifvertragsparteien eröffnete Möglichkeit , die Anzahl der Verlängerungen oder die Höchstdauer der Befristung oder beides abweichend von § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG festzulegen, unterliege nicht nur verfassungsrechtlichen, sondern auch unionsrechtlichen Grenzen. Der Autor weist diesbezüglich auch auf Systematik und Zweck des TzBfG hin. Francken, Johannes Peter (2013): Die Schranken der sachgrundlosen Befristung auf Grund Tarifvertrags nach § 14 Abs. 2 S. 3 TzBfG, in NZA 2013, S. 122-125. Anlage 7 Seinem Aufsatz legt der Autor folgendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zugrunde , das ebenfalls das Thema der sachgrundlosen Befristung behandelt: BAG, Urteil vom 15. August 2012 – 7 AZR 184/11 (Vorinstanz: LAG Hessen, Urteil vom 3. Dezember 2010 – 10 Sa 659/10). Anlage 8 Mit der Verlängerung sachgrundlos befristeter Verträge durch tarifliche Regelung befasst sich auch BAG, Urteil vom 18. März 2015 – 7 AZR 272/13 Anlage 9 und bestätigt mit dieser Entscheidung das zuvor genannte Urteil. 4. Arbeitnehmerüberlassung Das Recht der Arbeitnehmerüberlassung wurde durch das Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze vom 21. Februar 2017 mit Wirkung vom 1. April 2017 einer Reihe von Änderungen unterzogen. Dabei wurde unter anderem eine Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten festgelegt und der Grundsatz der Gleichstellung von Leiharbeitnehmern mit vergleichbaren Stammarbeitnehmern im Entleihbetrieb gestärkt. Beide Regelungen sind tarifdispositiv gestaltet. Zur AÜG-Novelle hat es im Vorfeld eine lebhafte Diskussion gegeben, die zum Teil auch die Abweichungsmöglichkeiten bei der Höchstüberlassungsdauer und dem Gleichstellungsgrundsatz betrafen. Die Rechtsanwälte Baeck/ Winzer/ Hies befürworten wie Henssler von der Universität Köln die in diesem Zusammenhang vorgesehene Abweichungsmöglichkeit durch Tarifverträge. Beide Beiträge halten allerdings die Begrenzung der Verlängerung der Überlassungshöchstdauer im Rahmen der Erstreckungsklausel des § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG durch Betriebs- oder Dienstvereinba- Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 6 - 3000 - 031/17 Seite 7 rung auf 24 Monate für unzureichend. Auch die neu eingeführte Beschränkung der tarifvertraglichen Abweichungsmöglichkeit vom Equal-Pay-Grundsatz auf die Dauer von neun bzw. längstens 15 Monate durch Tarifvertrag stelle einen Eingriff in das Grundrecht der Tarifautonomie dar. Baeck, Ulrich; Winzer, Thomas; Hies, Dominic (2016): Zweiter Referentenentwurf zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze, in NZG 2016, 415 (419). Anlage 10 Henssler, Martin (2016): Überregulierung statt Rechtssicherheit – der Referentenentwurf des BMAS zur Reglementierung von Leiharbeit und Werkverträgen, RdA 2016, 18 (23). Anlage 11 Willemsen/ Mehrens kritisieren die Beschränkung der Abweichung von der Überlassungshöchstdauer auf tarifgebundene Entleiher. Willemsen, Heinz Josef; Mehrens, Christian: Beabsichtigte Neuregelung des Fremdpersonaleinsatzes – Mehr Bürokratie wagen?, NZA 2015, S. 897-903. Anlage 12 Sie halten die Tariföffnungsklausel für die Überlassungshöchstdauer für zwingend erforderlich, um den Tarifpartnern die notwendige Flexibilität zur Berücksichtigung betrieblicher Gegebenheiten zu ermöglichen. Es sei aber widersprüchlich, dass Außenseiter auf abweichende Regelungen zum Gleichstellungsgebot gemäß § 8 Abs. 4 Satz 3 AÜG Bezug nehmen dürften, nicht aber auf solche bezüglich der Überlassungshöchstdauer. Franzen von der Ludwig-Maximilians-Universität München sieht darin gar einen „Systembruch“, der kein Vorbild im geltenden Recht habe. Die Regelung widerspreche im Übrigen der Wertung jüngerer gesetzlicher Regelungen auf dem Gebiet der kollektiven Arbeitsbeziehungen wie des Tarifautonomiestärkungsgesetzes und des Tarifeinheitsgesetzes. Franzen, Martin: Tarifdispositive Gestaltung einer Höchstüberlassungsdauer nach AÜG, ZfA 1/2016, S. 25-45. Anlage 13 ***