© 2017 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 030/17 Teilweise Freistellung der Betriebs- und Riesterrenten von der Anrechnung als Einkommen im Rahmen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Verfassungsrechtliche Gesichtspunkte Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 6 2.1.3.1. Legitimer Zweck 6 2.1.3.2. Geeignetheit und Erforderlichkeit 7 2.1.3.3. Angemessenheit 9 2.1.4. Fazit 9 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 030/17 Seite 4 1. Einleitung Die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist eine Leistung im Rahmen der Sozialhilfe nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII). Sozialhilfe erhält nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält (§ 2 SGB XII). Der Begriff des Einkommens wird in § 82 SGB XII definiert und durch die zugehörige Verordnung näher bestimmt. Danach gehören zum Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB XII, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen und der Renten oder Beihilfen nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz . Anrechnungsfrei sind somit bisher nur Einkünfte mit besonderen Zwecken außerhalb der Deckung des allgemeinen Bedarfs.1 Der Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung und zur Änderung anderer Gesetze (Betriebsrentenstärkungsgesetz) sieht unter anderem die Einführung neuer Einkommensfreibeträge im Rahmen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und damit eine teilweise Freistellung der Betriebs- und Riesterrenten von der Anrechnung als Einkommen vor (§ 82 Abs. 4 SGB XII-neu).2 Hinsichtlich der Regelaltersvorsorge sind keine Änderungen vorgesehen. Renteneinkünfte aller Art, wie Altersrente, Erwerbsunfähigkeitsrente, Witwen - und Waisenrente, auch Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung werden auch weiterhin vollständig auf die Grundsicherung im Alter angerechnet. 2. § 82 SGB XII-neu aus verfassungsrechtlicher Sicht Zu prüfen ist vorliegend, ob sich im Hinblick auf die vorgesehene Änderung der teilweisen Freistellung der Betriebs- und Riesterrenten von der Anrechnung als Einkommen verfassungsrechtliche Bedenken bezüglich des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Grundgesetz (GG) ergeben können. Dabei werden im Folgenden nur einzelne, im Gesetzgebungsverfahren von Sachverständigen aufgeworfene Argumentationsansätze hinterfragt.3 1 Vgl. auch zu den Renten oder Beihilfen nach dem Bundesentschädigungsgesetz BVerwG, Urteil vom 26. August 1964 -V C 99.63 -, BVerwGE 19, 198-204, Rn. 25; Adolph (Fn. 15), Rn. 24 und 36. 2 BT-Drucksache 18/11286, S. 12. 3 BT-Drucksache 18/11286 und Materialien zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen in Berlin am 27. März 2017 zum a) Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung und zur Änderung anderer Gesetze (Betriebsrentenstärkungsgesetz) - BT-Drucksache 18/11286, b) Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Kerstin Andreae, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für eine faire und nachhaltige betriebliche Altersversorgung und ein stabiles Drei-Säulen-System - BT-Drucksache 18/10384 -, Zusammenstellung der schriftlichen Stellungnahmen, Ausschussdrucksache 18(11)971. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 030/17 Seite 5 2.1. Allgemeiner Gleichheitssatz In Betracht kommt in erster Linie ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. 2.1.1. Grundsatz Der allgemeine Gleichheitssatz gibt dem Gesetzgeber vor, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln.4 Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen.5 Aus ihm ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmal unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen.6 Das bedeutet nicht, dass der Gesetzgeber überhaupt keine Differenzierungen vornehmen dürfte. Er verletzt das Grundrecht vielmehr nur, wenn zwischen den Vergleichsgruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen oder nicht Gründe von solcher Art und solchem Gewicht gegeben sind, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. 2.1.2. Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prüfung einer möglichen Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG ist daher zunächst zu klären, ob eine Freistellung der Betriebs- und Riesterrenten von der Anrechnung als Einkommen im Rahmen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung gegenüber den gesetzlichen Renteneinkünften , die nach wie vor auf die Grundsicherung anzurechnen wären, darstellt. Die vom Gesetzgeber vorgesehene Differenzierung knüpft an die Art der Alterssicherung an: Betriebs - und Riesterrenten sollen privilegiert werden, gesetzliche Renten nicht. Der Gesetzgeber beabsichtigt demnach, die Normadressaten, also die Bezieher der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, unterschiedlich zu behandeln. Privilegiert von der gesetzlichen Regelung wären damit nur diejenigen Bezieher von Grundsicherung, die neben der anzurechnenden gesetzlichen Rente zusätzlich ein freigestelltes Einkommen im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung bzw. der Riesterrente erhalten. Wohingegen die Gruppe der Bezieher von Grundsicherung , die ihr Einkommen einzig aus der gesetzlichen Altersvorsorge erhalten, nicht von Freibeträgen profitieren könnten. Die Einführung von Freibeträgen für Betriebs- und Riesterrenten im Rahmen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung würde mithin eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung bei den Leistungsbeziehern darstellen. 4 Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 15. Januar 2008 – 1 BvL 2/04 –, juris; stRspr. 5 BVerfG, Urteil vom 20. April 2004 – 1 BvR 905/00 –, BVerfGE 110, 274-304. 6 Vgl. BVerfG, Urteil vom 20. April 2004 – 1 BvR 905/00 –, BVerfGE 110, 274-304; BVerfG, Beschluss vom 07. November 2006 – 1 BvL 10/02 –; BVerfG, Beschluss vom 15. Januar 2008 – 1 BvL 2/04 –; stRspr. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 030/17 Seite 6 2.1.3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Liegt eine Ungleichbehandlung vor, muss sodann geprüft werden, ob diese Ungleichbehandlung aus übergeordneten Erwägungen verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann. Dies ist dann der Fall, wenn die Regelung ein legitimes Ziel verfolgt, zu dessen Erreichung sie geeignet und erforderlich ist, und wenn sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz „je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber , die stufenlos von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen reichen können.“7 „Es gilt ein am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierter, stufenloser Prüfungsmaßstab, der nicht abstrakt, sondern nur nach dem jeweils betroffenen Sach- und Regelungsbereich näher bestimmbar ist.“8 Im Fall der Ungleichbehandlung von Personengruppen besteht regelmäßig eine strenge Bindung des Gesetzgebers an die Erfordernisse des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes; dies gilt auch dann, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten (nur) mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt.9 Eine Norm verletzt danach den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, wenn durch sie eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten verschieden behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können.10 2.1.3.1. Legitimer Zweck Ausweislich des Gesetzentwurfs verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, mit der Differenzierung die betriebliche Altersversorgung unter Beschäftigten mit niedrigem Einkommen zu fördern und zu verbreiten. Es soll damit ein höheres Versorgungsniveau der Beschäftigten durch kapitalgedeckte Zusatzrenten erreicht werden.11 Es sollen Anreize dafür gesetzt werden, zusätzliche Altersvorsorge zu betreiben. Zudem soll ein gesamtgesellschaftliches Signal gesendet werden, dass sich freiwillige Altersvorsorge in jedem Fall lohne.12 Dies ist grundsätzlich ein legitimes Ziel, denn insbesondere unter den Beschäftigten mit niedrigem Einkommen ist die Verbreitung von Betriebs- oder Riesterrenten bisher im Verhältnis gering. In den Gesetzesmaterialien wird darauf Bezug genommen, dass knapp 47 Prozent der Beschäftigten mit weniger als 1.500 Euro Erwerbseinkommen im Monat weder über eine Betriebs- noch 7 BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2011 - 1 BvR 2035/07, Leitsatz 1. 8 BVerfG (Fn. 7), Orientierungssatz 1c. 9 BVerfG, Beschluss vom 7. Mai 2013 – 2 BvR 909/06 –, juris-Rn. 75. 10 BVerfG (Fn. 9), juris-Rn. 76. 11 BT-Drucksache 18/11286, S. 1 und 31. 12 BT-Drucksache 18/11286, S. 34 und 48. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 030/17 Seite 7 eine Riesterente verfügen. 13 Dies sei insbesondere deswegen problematisch und bedürfe einer Gegensteuerung , da mit den Rentenreformen 2001 und 2010 eine sogenannte Versorgungslücke dadurch drohe, dass das Rentenniveau abgesenkt wird und die Absicherung des Lebensstandards als vormals zentrales Sicherungsziel der gesetzlichen Rentenversicherung für den Einzelnen nicht mehr ohne eine zusätzliche kapitalgedeckte Altersvorsorge geschlossen werden könne.14 Mittelbar soll mit dem Entwurf des Betriebsrentenstärkungsgesetzes auch auf diese zukünftige Herausforderung reagiert werden.15 2.1.3.2. Geeignetheit und Erforderlichkeit Voraussetzung für eine verhältnismäßige Regelung ist zunächst ihre Geeignetheit zur Erreichung des gesetzten Zweckes, d.h. die Zweckerreichung muss zumindest gefördert werden.16 In diesem Zusammenhang ist zunächst die Frage von Bedeutung, ob die gesetzliche Privilegierung von betrieblichen und Riesterrenten bei der Grundsicherung im Alter und der Erwerbsminderung , zur Zweckerreichung tauglich ist. Die Schaffung eines bloßen Anreizes kann zunächst als weiches Mittel bewertet werden, denn es setzt im Gegensatz zu einer gesetzlichen Verpflichtung zur betrieblichen bzw. privaten Altersvorsorge auf die Freiwilligkeit und Entscheidungssouveränität des Individuums.17 Zu bedenken ist, dass dieses Setzen auf eine Anreizfunktion in seiner Wirksamkeit die Zielsetzung zu erreichen einer gesetzlichen Verpflichtung zur betrieblichen bzw. privaten Vorsorge unter Umständen nachsteht. Von Sachverständigen wird die Wirksamkeit der teilweisen Freistellung der Betriebs- und Riesterrenten kritisiert und die Verfassungsmäßigkeit wird in Frage gestellt: Die Schaffung eines Anreizes zu einer stärkeren Verbreitung von Betriebs- und Riesterrenten, also die Schließung einer Versorgungslücke, könne das Ziel verfehlen. Unter Berücksichtigung der derzeitigen Niedrigzinsphase und Unterstellung, dass diese sich fortsetzt, wird von ihnen in Zweifel gezogen, ob die Anreizfunktion greift und die zukünftige Versorgungslücke durch Betriebsrenten und private Altersvorsorge gedeckt werden kann.18 Ferner kritisieren sie, dass das Setzen einer Anreizfunktion gerade in den Einkommensgruppen leerläuft, in denen die gesamten Einkünfte zur Befriedigung aktueller Bedürfnisse benötigt werden. Diese Gruppe verfüge durch faktische Zwänge gerade nicht in demselben Maße über Entscheidungssouveränität in eigenen ökonomischen Belangen. Gerade bezogen auf diese Gruppe bestünde aber ein hohes Bedürfnis hinsichtlich der angestrebten Zwe- 13 BT-Drucksache 18/11286, S. 31. 14 Kreikebohm, Ralf: Die Lebensstandardsicherung der gesetzlichen Rentenversicherung als auslaufendes Modell?, SGb 2015, 181-192, 185. 15 BT-Drucksache 18/11286, S. 52. 16 BVerfG, Beschluss vom 16. März 1971 – 1 BvR 52/66 –, BVerfGE 30, 292-336, juris-Rn. 64. 17 Zur Beeinflussung von individuellen Entscheidungen durch verhaltensökonomischen Aspekten siehe: Haupt, Marlene: Nudging im Bereich der Alterssicherung - warum und wie? in: Wirtschaftsdienst 94 (11), 2014, 784, 785 f. 18 Ausschussdrucksache 18(11)971, u.a. S. 6, 20, 27, 50. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 030/17 Seite 8 ckerreichung, die Verbreitung von betrieblicher und privater Altersvorsorge zu fördern. Der Gesetzentwurf sei unter Umständen nicht geeignet, einer bestehenden Diskrepanz bei der Altersvorsorge zwischen gesellschaftlichen Gruppen (z.B. zwischen Frauen und Männern, zwischen Ost und West und zwischen verschiedenen Branchen) entgegenzuwirken und damit dem verfassungsrechtlichen Auftrag aus Art. 3 Abs. 2 GG nachzukommen.19 Ferner ginge der Gesetzgeber explizit davon aus, dass der Gesetzentwurf positive gleichstellungspolitische Auswirkungen habe und insbesondere auch Frauen zugutekomme.20 Denkbar sei aber auch ein Szenario, nach dem die über die Neuregelung in § 82 SGB XII gesetzte Anreizfunktion bei den herkömmlich benachteiligten Gruppen nicht greift bzw. Arbeitgeber nach wie vor nicht motiviert werden, die betriebliche Altersvorsorge von Beschäftigten mit geringem Einkommen zu unterstützen.21 Schon die abstrakte Möglichkeit der Zweckerreichung begründet jedoch die Geeignetheit des gesetzgeberischen Mittels.22 Grundsätzlich ist dem Entwurf des Betriebsrentenstärkungsgesetzes eine ab-strakte Möglichkeit zur Zweckerreichung nicht abzusprechen. Konkret wird sich erst nach einer - vom Gesetzesentwurf auch explizit vorgesehenen23 - Evaluation sicher sagen lassen, ob das Betriebsrentenstärkungsgesetz die gewünschten Ziele fördert. Nach der Grundrechtsdogmatik ist ein Gesetz dann erforderlich, wenn der Gesetzgeber nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder doch weniger fühlbar einschränkendes Mittel hätte wählen können.24 Ein solches ist hier zumindest nicht offensichtlich ersichtlich, sodass das Gesetz grundsätzlich auch erforderlich erscheint.25 Letztendlich ist zu beachten, dass das Grundgesetz dem Gesetzgeber in der Bestimmung der zur Verfolgung seiner Ziele geeigneten und erforderlichen Maßnahmen einen weiten Gestaltungsspielraum zubilligt.26 Für die Rechtfertigung verfassungsrechtlich relevanter Ungleichbehandlung steht dem Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des BVerfG grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Bei der Überprüfung eines Gesetzes auf seine Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz kommt es daher nicht 19 Zum Beispiel der sog. geschlechtsspezifischen Rentenlücke; Siehe hierzu auch Grabka/Jotzo/Rasner/Westermeier , Der Gender Pension Gap verstärkt die Einkommensungleichheit von Männern und Frauen im Rentenalter in: DIW Wochenbericht 5/2017, S. 87 ff.; Ausschussdrucksache 18(11)971 (Fn. 15), u.a. S. 28, 84 ff. 20 BT-Drucksache 18/11286, S. 41. 21 Ausschussdrucksache 18(11)971, S. 28, 84 ff. 22 BVerfG, Urteil vom 23. Januar 1990 – 1 BvL 44/86 –, juris-Rn. 136. 23 BT-Drucksache 18/11286, S. 41. 24 BVerfG, Beschluss vom 19. März 1975 – 1 BvL 20/73 –, BVerfGE 39, 210-247, juris-Rn. 56. 25 Nichtsdestotrotz finden sich Vorschläge zu alternativen Maßnahmen, wie z.B. Höchstbeträge, Negativsteuern oder direkte Leistungen. Siehe hierzu Ausschussdrucksache 18(11)971 (Fn. 15), S. 86. 26 BVerfG, Beschluss vom 16. Januar 1980 – 1 BvR 249/79 –, BVerfGE 53, 135-147, juris-Rn. 47. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 030/17 Seite 9 darauf an, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat, sondern allein darauf, ob sich die getroffene Regelung im Rahmen seines Gestaltungsspielraumes hält.27 Insbesondere im Bereich der Gestaltung von Systemen sozialer Sicherheit verfügt der Gesetzgeber nach ständiger verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung über einen weiten Gestaltungsspielraum mit nur eingeschränkter gerichtlicher Überprüfbarkeit.28 2.1.3.3. Angemessenheit Schließlich muss der Gesetzgeber bei der Schaffung neuer Normen darauf achten, dass die von der Regelung betroffenen Grundrechte und widerstreitende Positionen in einen schonenden Ausgleich gebracht werden. Entscheidend ist, dass der verfolgte Gemeinwohlbelang, und die damit verbundene Belastung für den Grundrechtsträger, in einem angemessenen Verhältnis stehen.29 Mit der Beschränkung der Freistellungstatbestände, wie sie die Gesetzeslage vor Schaffung des Betriebsrentenstärkungsgesetzes vorsieht, wird der sogenannte Nachranggrundsatz sichergestellt, demzufolge die Sozialhilfe eine subsidiäre Hilfe auf der untersten Stufe des Sozialleistungssystems zur Wahrung einer menschenwürdigen Existenz darstellt.30 Durch die Einführung von Freibeträgen für betriebliche bzw. private Altersvorsorge hinsichtlich der Anrechnung auf die staatliche Grundsicherung wäre dieser Grundsatz der Subsidiarität der Sozialhilfe berührt. Diese gesetzgeberische Entscheidung griffe damit in die Systemstruktur des Sozialrechts ein, in der die verschiedenen Sozialleistungen verschiedenen Funktionen dienen und sich in ihrer Finanzierung unterscheiden. Dies ist von Seiten der Verfassung für den Gesetzgeber aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Die Neuregelung des § 82 SGB XII wie sie der Entwurf des Betriebsrentenstärkungsgesetz vorsieht würde zwar eine Durchbrechung des Subsidiaritätsprinzips der Sozialhilfe bedeuten, die sich aber grundsätzlich im Rahmen des politischen Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers zu bewegen scheint. 2.1.4. Fazit Auch bei Anwendung des Verhältnismäßigkeitsmaßstabs kann sich die mit der teilweisen Freistellung der Betriebs- und Riesterrenten von der Anrechnung als Einkommen nach § 82 SGB XII-neu verbundenen Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich rechtfertigen lassen. Sie dient einem legitimen Ziel, zu dessen Erreichung sie grundsätzlich geeignet, erforderlich und angemessen erscheint . *** 27 Ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. u. a. BVerfGE 82, 126 und BVerfGE 122, 151 (174). 28 BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 2015 - 10 C 18/14, Rn. 28 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BVerfG. 29 BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 1999 – 1 BvR 1904/95 –, BVerfGE 101, 331-360, juris-Rn. 70. 30 Adolph in: Adolph, SGB II, SGB XII, AsylbLG, Stand: März 2017, § 82 Begriff des Einkommens, Rn. 1.