© 2016 Deutscher Bundestag WD 6 - 3000 - 030/16 Ersatzzeiten vor dem 14. Lebensjahr für Berechtigte nach dem Ghettorentengesetz unter Beachtung des Gleichbehandlungsgebots Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 030/16 Seite 2 Ersatzzeiten vor dem 14. Lebensjahr für Berechtigte nach dem Ghettorentengesetz unter Beachtung des Gleichbehandlungsgebots Aktenzeichen: WD 6 - 3000 - 030/16 Abschluss der Arbeit: 7. März 2016 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 030/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Rentenanspruch bei Beschäftigung in einem Ghetto 4 2. Berücksichtigung von verfolgungsbedingten Ersatzzeiten als Nachteilsausgleich 4 3. Verfassungsrechtliche Prüfung am Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes 5 3.1. Inhalt des Gleichheitssatzes 5 3.2. Vergleichbare Normadressaten 6 3.3. Ungleichbehandlung 6 3.4. Sachliche Rechtfertigung 6 3.4.1. Legitimer Zweck 7 3.4.2. Geeignetheit 7 3.4.3. Erforderlichkeit 7 3.4.4. Angemessenheit 7 3.5. Fazit 9 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 030/16 Seite 4 1. Rentenanspruch bei Beschäftigung in einem Ghetto Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs sind in den annektierten, dem Deutschen Reich angegliederten Gebieten wie um Łódź und den übrigen von deutschen Truppen besetzten Gebieten in Osteuropa, dem Baltikum und auf dem Balkan so genannte jüdische Wohnbezirke als Ghettos eingerichtet worden. Für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto gelten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 2 des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (Ghettorentengesetz – ZRBG) vom 20. Juni 20021 als gezahlt . Voraussetzung für die Entstehung eines Anspruchs auf Regelaltersrente ist gemäß §§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 und 4 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI)2 die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit als Mindestversicherungszeit von fünf Jahren mit Beitrags- und Ersatzzeiten. Wird die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt, besteht kein Rentenanspruch. Die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit ist auch dann erforderlich, wenn Zeiten der Beschäftigung in einem Ghetto vorliegen . Das ZRBG enthält keine eigene Anspruchsgrundlage für die Gewährung einer Altersrente und stellt lediglich eine Ergänzung der Vorschriften des SGB VI dar.3 2. Berücksichtigung von verfolgungsbedingten Ersatzzeiten als Nachteilsausgleich Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Versicherungsbiographien durch Kriegsereignisse und deren Folgen häufig durchbrochen. Lücken durch fehlende Beitragszeiten waren deshalb bereits vor dem Inkrafttreten des heute geltenden Systems der bruttolohnbezogenen dynamischen Rente im Jahr 1957 aufgrund besonderer gesetzlicher Regelungen durch Ersatzzeiten aufzufüllen. Für Zeiten, in denen die Versicherten durch besondere Umstände an der Beitragszahlung gehindert waren, wird ein Versicherungsverhältnis fingiert, mit dem der durch eine Lücke im Versicherungsverlauf entstandene versicherungsrechtliche Nachteil ausgeglichen werden soll.4 Die Entschädigung rentenrechtlicher Nachteile aufgrund nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen erfolgt unter anderem durch die Berücksichtigung der Verfolgungszeiten als Ersatzzeit gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI in der Versicherungsbiographie des oder der Verfolgten. Im Übrigen regelt das Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) vom 22. Dezember 19705 den Ausgleich von verfolgungsbedingten Nachteilen in der gesetzlichen Rentenversicherung. 1 BGBl. I S. 2074. 2 Artikel 1 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1992) vom 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337. 3 U.a. Urteil des Bundessozialgerichts vom 12. Februar 2009, Az. B 5 R 70/06 R, mit Verweisen auf vorherige Rechtsprechung. 4 Bundestags-Drucksache 2/2437 S. 71. 5 BGBl. I S. 1846. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 030/16 Seite 5 Für Zeiten, in denen Versicherungspflicht nicht bestanden hat, kommt die Anerkennung einer Ersatzzeit für Versicherte in Betracht, die nach ihrem vollendeten 14. Lebensjahr „…in ihrer Freiheit eingeschränkt gewesen oder ihnen die Freiheit entzogen worden ist (§§ 43 und 47 Bundesentschädigungsgesetz) oder im Anschluss an solche Zeiten wegen Krankheit arbeitsunfähig oder unverschuldet arbeitslos gewesen sind oder infolge Verfolgungsmaßnahmen a) arbeitslos gewesen sind, auch wenn sie der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden haben, längstens aber die Zeit bis zum 31. Dezember 1946, oder b) bis zum 30. Juni 1945 ihren Aufenthalt in Gebieten außerhalb des jeweiligen Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze oder danach in Gebieten außerhalb des Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze nach dem Stand vom 30. Juni 1945 genommen oder einen solchen beibehalten haben, längstens aber die Zeit bis zum 31. Dezember 1949, wenn sie zum Personenkreis des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes gehören (Verfolgungszeit ).“ Für Berechtigte nach dem ZRBG sind daher die nicht versicherten Zeiten der Verfolgung nach Vollendung des 14. Lebensjahres als Ersatzzeit auf die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren für einen Anspruch auf Regelaltersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung anzurechnen. Darüber hinaus werden Ersatzzeiten im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung gemäß § 63 Abs. 3 SGB VI in der Rentenberechnung als beitragsfreie Zeiten auch rentensteigernd berücksichtigt. Nachfolgend ist zu prüfen, ob eine gesetzliche Regelung über die Anerkennung von Ersatzzeiten für Berechtigte nach dem ZRBG auch vor Vollendung des 14. Lebensjahres den Vorgaben des Grundgesetzes, hier dem Gleichbehandlungsgebot, entsprechen würde. 3. Verfassungsrechtliche Prüfung am Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes 3.1. Inhalt des Gleichheitssatzes Nach dem allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG ist wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Ein Verstoß gegen das Grundrecht liegt jedoch nur vor, wenn die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem bzw. die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. An die Stelle des früher vom Bundesverfassungsgericht vertretenen Willkürverbots ist die sogenannte Neue Formel getreten, nach der das bloße Vorliegen eines sachlichen Grundes nicht zur Rechtfertigung genügt, sondern „Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht [verlangt werden], dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen“.6 Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergeben sich damit je nach Differenzierungsmerkmal unterschiedliche Anforderungen an 6 BVerfGE 55, 72/88, 105, 73/110; 107, 205/214. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 030/16 Seite 6 die verfassungsrechtliche Rechtfertigung, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung reichen.7 3.2. Vergleichbare Normadressaten Gemeinsamer Bezugspunkt für die Prüfung eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist vorliegend die Gruppe der durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen Verfolgter, die bereits vor Vollendung des 14. Lebensjahres in ihrer Freiheit eingeschränkt gewesen waren oder denen die Freiheit entzogen worden war, soweit sie durch die Anrechnung von Beitragszeiten zum versicherten Personenkreis der gesetzlichen Rentenversicherung gehören. Eine gesetzliche Regelung über die Anerkennung von Ersatzzeiten vor Vollendung des 14. Lebensjahres für Berechtigte nach dem ZRBG hätte zwei vergleichbare Gruppen von Normadressaten zur Folge: Zum einen gäbe es die Berechtigen nach dem ZRBG und zum anderen die übrigen Verfolgten, denen keine Zeiten einer Beschäftigung in einem Ghetto anzurechnen sind. 3.3. Ungleichbehandlung Eine Ungleichbehandlung liegt vor, wenn die Berechtigten nach dem ZRBG, anders behandelt werden als andere von nationalsozialistischen Gewaltmaßnahmen betroffene Personen. Berechtigte nach dem ZRBG würden, soweit für sie auch vor Vollendung des 14. Lebensjahres Ersatzzeiten zu berücksichtigen wären, bevorzugt, da über die Anrechnung beitragsfreier Ersatzzeiten auf die allgemeine Wartezeit die Anspruchsvoraussetzungen leichter erfüllbar wären. Ersatzzeiten vor Vollendung des 14. Lebensjahres würden für Berechtigte nach dem ZRBG im Gegensatz zu den übrigen Verfolgten, denen die Ersatzzeiten weiterhin erst ab Vollendung des 14. Lebensjahres anzurechnen wären, in der Rentenberechnung rentensteigernd berücksichtigt. Der Gesetzgeber würde die genannten wesentlich gleichen Personengruppen somit ungleich behandeln. 3.4. Sachliche Rechtfertigung Zu prüfen ist, ob für die potentielle Ungleichbehandlung durch die Privilegierung der Berechtigten nach dem ZRBG gegenüber anderen Verfolgten ein sachlicher Grund gegeben sein könnte. Dabei ist zu beachten, dass der Gleichheitssatz dem Gesetzgeber nicht jede Ungleichbehandlung verwehrt. Die erforderliche Rechtfertigung ist umso strikter, je mehr der Gleichheitssatz an den Merkmalen einer Person ansetzt. Der Raum für gesetzgeberische Gestaltungen ist größer, wenn allgemeine Lebenssachverhalte geregelt werden.8 Vorliegend geht es um die Vollendung eines bestimmten Lebensalters, ab dem eine verfolgungsbedingte Ersatzzeit zu berücksichtigen sein soll. Das Merkmal beträfe folglich den Einzelnen in 7 BVerfGE 129, 49 = NVwZ 2011, 1316. 8 BVerfGE 88, 87 (96f.). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 030/16 Seite 7 seiner Person. Somit ist eine strenge Prüfung nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vorzunehmen . Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass ein Grundrechtseingriff einem legitimen Zweck dient und als Mittel zu diesem Zweck geeignet, erforderlich und angemessen ist.9 3.4.1. Legitimer Zweck Fraglich ist, ob mit der Privilegierung der Berechtigten nach dem ZRBG ein legitimer Zweck verfolgt werden kann. Hierzu müsste die Ungleichbehandlung ein mit dem geltenden Recht in Einklang stehendes Ziel verfolgen. Berechtigte nach dem ZRBG, die die allgemeine Wartezeit für eine Regelaltersrente nach geltendem Recht nicht erfüllen, erhalten aus den Beschäftigungszeiten in einem Ghetto bisher keine Rentenzahlung. Mit der Berücksichtigung verfolgungsbedingter Ersatzzeiten vor Vollendung des 14. Lebensjahres könnte ihnen zu einem Rentenanspruch verholfen werden. Ein legitimer Zweck der Ungleichbehandlung liegt somit vor. 3.4.2. Geeignetheit Die Privilegierung der Berechtigten nach dem ZRBG müsste geeignet sein, Rentenzahlungen aus den Beschäftigungszeiten in einem Ghetto zu ermöglichen, die nach geltendem Recht aufgrund der nicht erfüllten allgemeinen Wartezeit ausgeschlossen sind. Geeignet ist jede Maßnahme, die die Zielerreichung fördert. Hierfür genügt die Tauglichkeit der Maßnahme, ohne dass diese die bestmöglichste sein muss.10 Durch die Anrechnung zusätzlicher Monate mit Verfolgungszeiten vor Vollendung des 14. Lebensjahres als Ersatzzeit kann die allgemeine Wartezeit für einen Rentenanspruch leichter erfüllt werden. Die Privilegierung der Berechtigten nach dem ZRBG wäre geeignet, Rentenzahlungen aus den Beschäftigungszeiten in einem Ghetto zu ermöglichen. 3.4.3. Erforderlichkeit Erforderlich ist die Privilegierung der Berechtigten nach dem ZRBG dann, wenn es kein anderes, gleich wirksames, aber weniger belastendes Mittel zur Erreichung des Zwecks gibt.11 Zunächst ist festzustellen, ob eine Handlungsalternative besteht. Diese könnte darin liegen, für durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen Verfolgte generell Ersatzzeiten vor Vollendung des 14. Lebensjahres anzurechnen. Dem steht jedoch das Ziel entgegen, lediglich Rentenzahlungen aus einer Beschäftigung in einem Ghetto zu ermöglichen. Die Privilegierung der Berechtigten nach dem ZRBG wäre mithin erforderlich. 3.4.4. Angemessenheit Schließlich müsste die Privilegierung der Berechtigten nach dem ZRBG angemessen sein. Eine unterschiedliche Behandlung vergleichbarer Sachverhalte wäre nur dann angemessen, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn 9 BVerfGE 120, 274 (318f.). 10 BVerfGE 115, 276 (308). 11 BVerfGE 30, 292 (316; 90, 145 (172); 91, 207 (222). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 030/16 Seite 8 rechtfertigenden Gründe steht.12 Hier ist das Interesse der Berechtigten nach dem ZRBG auf erleichterten Zugang zu einer Rentenzahlung mit dem Anspruch auf Gleichbehandlung der übrigen Verfolgten und dem Allgemeinwohl abzuwägen. Berechtigten nach dem ZRBG sind nach dem geltenden Recht Ersatzzeiten gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI nach denselben Voraussetzungen anzuerkennen wie für andere Versicherte. Dies gilt auch dann, wenn bereits vor dem 14. Lebensjahr Beitragszeiten nach dem ZRBG aufgrund einer Beschäftigung in einem Ghetto vorliegen. Für Zeiten vor dem 14. Lebensjahr ist die Anerkennung als Ersatzzeit ausgeschlossen, da kein zu ersetzender versicherungsrechtlicher Nachteil vorliegt . Zwar kann aus Zeiten einer Beschäftigung in einem Ghetto bei nicht erfüllter Wartezeit keine Rentenzahlung erfolgen, dies lässt sich jedoch mit der Funktion als Mindestversicherungszeit in einem verpflichtenden Alterssicherungssystem begründen. Durch die Erfüllung einer bestimmten Mindestversicherungszeit als Wartezeit wird der Erwerb eines Rentenanspruchs auf einen geschützten Personenkreis beschränkt. Damit handelt es sich mit Blick auf das Allgemeinwohl um eine versicherungstechnische Regelung, mit der die ungünstigsten Risiken pauschal vermieden werden sollen. Die Risikovermeidung erfolgt bei privaten Versicherungen dagegen unter anderem durch gesundheitliche Überprüfungen im Vorfeld des Abschlusses.13 Wie oben bereits ausgeführt, soll durch die Anerkennung von Ersatzzeiten ein Versicherungsverhältnis fingiert werden, um durch nicht von den Versicherten zu vertretene Lücken im Versicherungsverlauf sonst entstehende versicherungsrechtliche Nachteile auszugleichen. Ersatzzeiten sind aus diesem Grunde nur für Zeiten nach Vollendung des 14. Lebensjahres zu berücksichtigen , da zuvor wegen des jungen Lebensalters im Allgemeinen nicht davon auszugehen ist, dass eine Beitragszahlung sonst stattgefunden hätte. Typischerweise erfüllten Kinder seinerzeit mindestens bis zum 14. Lebensjahr ihre Schulpflicht und konnten erst danach eine versicherte Beschäftigung aufnehmen. In der Zeit vorher war eine Beschäftigung zum Beispiel als Arbeiter in Fabriken nach dem Gesetz über Kinderarbeit und über die Arbeitszeit der Jugendlichen vom 30. April 1938 rechtswidrig.14 Von wenigen Ausnahmen abgesehen trat die Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen der Rentenversicherung frühestens mit 14 Jahren ein. Ein durch die Anerkennung von Ersatzzeiten auszugleichender Schaden durch eine Lücke im Versicherungsverlauf ist damit in der Rentenversicherung im Allgemeinen erst für die Zeit nach der Vollendung des 14. Lebensjahres denkbar. Sinn der Ersatzzeitregelung ist es jedoch nicht, einen Ausgleich dort zu gewähren, wo ein Schaden allenfalls denkmöglich , aber äußerst unwahrscheinlich ist.15 12 BVerGE 118, 168 (195). 13 U.a. Reichert, Karlheinz (2011). Rentenrechtliche Zeiten und Wartezeiten, in: . In: Eichenhofer-Rische-Schmähl (Hrsg.). Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung SGB VI. Köln: Luchterhand, Kapitel 14, Rn 106. 14 RGBl. I 437. 15 Urteil des Bundessozialgerichts vom 14. April 1981 – 4 RJ 27/80 und vorhergehende Entscheidungen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 6 - 3000 - 030/16 Seite 9 Bei der Ordnung von Massenerscheinungen wie der gesetzlichen Rentenversicherung ist der Gesetzgeber nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts berechtigt, generalisierende , typisierende und pauschalierende Regelungen zu verwenden.16 Die Festlegung des Mindestalters von 14 Lebensjahren zur Anrechnung von Ersatzzeiten zwecks Schließung von Lücken in der Erwerbsbiographie ist insoweit angebracht, selbst wenn im Einzelfall bereits jüngere Beschäftigte der Rentenversicherungspflicht unterliegen konnten. Liegen für Berechtigte nach dem ZRBG vor Vollendung des 14. Lebensjahres Verfolgungszeiten vor, kann daher für sie nichts anderes gelten, als für die übrigen Verfolgten. Diese können bei nicht erfüllter Wartezeit ebenfalls keine Rentenzahlung erwarten. Der Umstand, dass nicht in jedem Fall aus einer nach dem ZRBG anzuerkennenden Beschäftigung eine Rentenzahlung erfolgt, ist eine zwangsläufige Folge der generellen Einbeziehung der Beschäftigung in einem Ghetto in die gesetzliche Rentenversicherung. Der Gesetzgeber hatte sich bei der Verabschiedung des ZRBG anstelle einer anderweitigen Entschädigungsleistung dafür entschieden, lediglich die Regelungen des SGB VI zu ergänzen. Die in Rede stehende Privilegierung der Berechtigten nach dem ZRBG durch die Berücksichtigung verfolgungsbedingter Ersatzzeiten vor Vollendung des 14. Lebensjahres scheint bei Abwägung aller Interessen nicht in einem ausgewogenen Verhältnis zu dem verfolgten Zweck zu stehen , ihnen bei sonst nicht erfüllter allgemeiner Wartezeit zu einem Rentenanspruch zu verhelfen. Mithin bestehen schwerwiegende Bedenken an der Angemessenheit der Ungleichbehandlung. 3.5. Fazit Die Privilegierung von Berechtigten nach dem ZRBG durch die Anrechnung von vor Vollendung des 14. Lebensjahres erlittener Verfolgung als Ersatzzeit dürfte gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, da die unterschiedliche Behandlung gegenüber den übrigen durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen Verfolgten nicht ausreichend gerechtfertigt erscheint. Diese würden durch eine entsprechende Ausnahmeregelung unverhältnismäßig stark benachteiligt. Ende der Bearbeitung 16 Z. B. BVerfGE 111, 115 – 146.