Deutscher Bundestag Die rückwirkende Ablösung des Fremdrentenrechts für nach 1936 geborene Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR im Rahmen der Rentenüberleitung Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2012 Deutscher Bundestag WD 6 – 3000-030/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-030/12 Seite 2 Die rückwirkende Ablösung des Fremdrentenrechts für nach 1936 geborene Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR im Rahmen der Rentenüberleitung Aktenzeichen: WD 6 – 3000-030/12 Abschluss der Arbeit: 29. Februar 2012 Fachbereich: WD 6: Arbeit und Soziales Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-030/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Zusammenfassung 5 2. Die rückwirkende Ablösung des Fremdrentenrechts für Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR im Gesetzgebungsverfahren zum Renten-Überleitungsgesetz (RÜG) 5 2.1. Gesetzentwürfe der Bundesregierung und der Fraktionen der CDU/CSU und FDP 6 2.1.1. Begründung für die Ablösung des FRG für Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR 6 2.1.2. Übergangsregelung für rentennahe Jahrgänge 7 2.2. Stellungnahme des Bundesrats 8 2.3. Beratungen des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung 9 2.4. Beschluss des Deutschen Bundestages 9 2.5. Information der Betroffenen und Berichterstattung in den Medien 10 3. Die Änderung der Übergangsregelung im Gesetzgebungsverfahren zum Renten-Überleitungsergänzungsgesetz (Rü-ErgG) 11 3.1. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP 11 3.2. Beratungen des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung 12 3.3. Beschluss des Deutschen Bundestages 13 3.3.1. Information der Betroffenen und Berichterstattung in den Medien 13 4. Auswirkung der geltenden Regelung für nach 1936 geborene Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR 14 4.1. Lohnunterschiede in Ost und West 14 4.2. Rentenminderung aufgrund fehlender Beitragszahlung zur FZR 15 4.3. Rentenminderung auch bei Beitragszahlung zur FZR möglich 16 5. Bisherige Rechtsprechung zu den das Fremdrentenrecht betreffenden Regelungen der Rentenüberleitung 17 5.1. Urteil des Bundessozialgerichts vom 29. Juli 1997 17 5.2. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Juni 2006 17 5.3. Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 1998 18 6. Hindernisse, die einer Rückkehr zu den FRG-Tabellenentgelten entgegenstehen 19 6.1.1. Vorgabe aus dem Einigungsvertrag 19 6.1.2. Jahrzehntelange Anwendung unterschiedlichen Rechts 20 6.2. Verstoß gegen das Prinzip der Beitragsbezogenheit 20 6.3. Besserstellung gegenüber in der DDR verbliebenen Versicherten 21 6.4. Begrenzung der auf das FRG entfallenen Rente bei Aussiedlern bzw. Spätaussiedlern 21 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-030/12 Seite 4 6.5. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Rückkehr zur alten Rechtslage 21 7. Einheitliche Rechtsanwendung versus Vertrauensschutz 22 8. Anzahl der von einer Rückkehr zu den FRG-Tabellenentgelten betroffenen Personen 23 9. Abschließende Beurteilung 23 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-030/12 Seite 5 1. Zusammenfassung Vor 1992 wurden in Ostdeutschland zurückgelegte Zeiten einer Erwerbstätigkeit von Übersiedlern und Flüchtlingen aus der DDR nach § 15 i. V. m. § 17 Abs. 1 des Fremdrentengesetzes (FRG) als Beitragszeiten zur gesetzlichen Rentenversicherung anerkannt. Die Bewertung dieser Beitragszeiten richtete sich gemäß § 22 Abs. 1 FRG nach dem Eingliederungsprinzip und erfolgte über die Tabellenentgelte der Anlage 1-16 FRG, durch die die Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR so gestellt wurden, als hätten sie ihre bisherige Erwerbsbiographie in den alten Bundesländern zurückgelegt. Die Einstufung in die Leistungsgruppen und die daraus folgende Berücksichtigung der FRG-Tabellenentgelte wurden von den Rentenversicherungsträgern durch Bescheid festgestellt. Seit der Rentenüberleitung fließen in Ostdeutschland zurückgelegte Zeiten einer Erwerbstätigkeit einheitlich gemäß § 256a des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) nach dem dort versicherten Verdienst in die Rentenberechnung ein. Dies gilt auch für nach 1936 geborene Übersiedler und Flüchtlinge, so dass die erteilten Feststellungsbescheide über die Eingliederung spätestens im Rentenverfahren rückwirkend aufzuheben sind. Lediglich für zum Zeitpunkt der Rentenüberleitung rentennahe Jahrgänge kamen nach § 259a SGB VI weiterhin die Tabellenentgelte der Anlagen 1-16 FRG zum Tragen. Die geänderte Rechtslage führt in einigen Fällen zu geringeren Rentenbeträgen, insbesondere, wenn von der Möglichkeit, Beiträge zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) zu zahlen, kein Gebrauch gemacht wurde. Die Beantwortung der Frage, ob eine Rückkehr zur Bewertung der in der DDR zurückgelegten Zeiten zur gesetzlichen Rentenversicherung nach den FRG-Tabellenentgelten auch für nach 1936 geborene Übersiedler und Flüchtlinge angebracht ist, hängt von der Gewichtung nicht miteinander vereinbarer Faktoren ab. Ist das in die Bestandskraft der früher erteilten Feststellungsbescheide nach dem FRG gesetzte Vertrauen der Betroffenen höher zu werten, als das Ziel der Rentenüberleitung , in ganz Deutschland ein einheitliches Rentenrecht zu schaffen. Dies ist in erster Linie eine politische Wertung. 2. Die rückwirkende Ablösung des Fremdrentenrechts für Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR im Gesetzgebungsverfahren zum Renten-Überleitungsgesetz (RÜG) Grundsätze und Maßgaben für die Rentenüberleitung sind bereits mit den zwischen beiden deutschen Staaten geschlossenen Staatsverträgen vorgegeben worden. Artikel 20 des Staatsvertrags über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18. Mai 1990 sah die Angleichung der in der DDR geltenden Regelungen zur Alterssicherung an das in der Bundesrepublik bestehende Rentenrecht vor. Nach Artikel 23 § 1 des Gesetzes zum Staatsvertrag wurde ferner die Anwendung des FRG auf in Ostdeutschland zurückgelegte Zeiten vor dem 19. Mai 1990 für Personen, die sich bereits am 18. Mai 1990 gewöhnlich in Westdeutschland aufgehalten haben, begrenzt. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-030/12 Seite 6 Artikel 30 Abs. 5 des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 enthält die Aufforderung an den gesamtdeutschen Gesetzgeber, die erforderlichen Vorschriften für die Überleitung des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) auf die neuen Länder zu schaffen. Im Rahmen der Rentenüberleitung sind auch die Regelungen zum Fremdrentenrecht aufgrund des Umbruchs in den osteuropäischen Vertreibungsgebieten angepasst worden. Mit der Zielsetzung , ein einheitliches Rentenrecht in ganz Deutschland zu schaffen, sollte sich die Berücksichtigung von in Ostdeutschland zurückgelegten Zeiten für die Rente unabhängig vom Wohnort nach denselben Kriterien richten. Für Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR sollte das Fremdrentenrecht deshalb auch für in der Vergangenheit liegende Zeiten keine Anwendung mehr finden . 2.1. Gesetzentwürfe der Bundesregierung und der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Die Bundesregierung und die Fraktionen der CDU/CSU und FDP haben in der 12. Wahlperiode gleichlautende Gesetzentwürfe zum RÜG vorgelegt1. Nach Eingang der Stellungnahme des Bundesrates hat die Bundesregierung einen geänderten Gesetzentwurf vorgelegt.2 Im weiteren Verlauf wurden die Gesetzentwürfe gemeinsam beraten. Die Neufassung des § 15 Abs. 1 FRG und die Streichung des § 17 Abs. 1 FRG war von Beginn an in Art. 13 der Gesetzentwürfe enthalten.3 Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens änderte sich die Nummerierung. Die Änderungen des FRG waren letztlich in Art. 14 RÜG enthalten. 2.1.1. Begründung für die Ablösung des FRG für Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR In der Gesetzesbegründung wurde hinsichtlich der für die Rente von Übersiedlern und Flüchtlingen zu berücksichtigenden Zeiten in Ostdeutschland Folgendes ausgeführt: A. Allgemeiner Teil - I gesetzliche Rentenversicherung – 6. Fremdrentenrecht:4 „Bereits der Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 18. Mai 1990 zog erste rentenrechtliche Konsequenzen aus den tiefgreifenden Veränderungen , die sich für die Menschen in Deutschland vor allem seit Öffnung der deutschdeutschen Grenzen am 9. November 1989 vollzogen haben. Er schloß u. a. Leistungsansprüche nach dem Fremdrentengesetz für Bürger der ehemaligen DDR aus, wenn sie nach dem 18. Mai 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nach dem Stand vom 2. Oktober 1990 verlegen. Maßgeblich für diese Regelung war insbesondere auch die Erwägung, daß infolge der eingetretenen Änderungen ein Druck zum Verlassen der DDR nicht mehr bestand. …“ 1 Bundesrats-Drucksache 197/91, Bundestags-Drucksache 12/405. 2 Bundestags-Drucksache 12/630. 3 Bundesrats-Drucksache 197/91, Bundestags-Drucksache 12/405, jeweils S. 93, 94. 4 Ebenda, S. 114, 115. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-030/12 Seite 7 Zu Nummer 14 (§ 15)5 Zu Buchstabe a „Die Änderung schließt die weitere Anerkennung von Beitragszeiten, die im Beitrittsgebiet zurückgelegt worden sind, auf der Grundlage dieses Gesetzes (also des FRG) aus. Die Anrechnung und Bewertung von Beitragszeiten im Beitrittsgebiet ist ab 1. Januar 1992 ausschließlich in dem ab diesem Zeitpunkt für das ganze Bundesgebiet geltenden Sechsten Buch Sozialgesetzbuch geregelt.“ Zu Nummer 16 (§ 17) Zu Buchstabe a „…Zeiten im Beitrittsgebiet sind ab 1. Januar 1992 Beitragszeiten nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch. Ihre Anrechenbarkeit wird dann – da es sich nicht um Beitragszeiten bei einem fremden Versicherungsträger handelt – nicht mehr von besonderen persönlichen Voraussetzungen abhängen. ...“ Die Anerkennung von in Ostdeutschland zurückgelegten Beitragszeiten war nunmehr auch für Übersiedler und Flüchtlinge über § 248 Abs. 3 SGB VI und die Berücksichtigung für die Rentenhöhe in § 256a SGB VI geregelt. 2.1.2. Übergangsregelung für rentennahe Jahrgänge Auch die durch Art. 1 Nr. 75 geschaffene Übergangsregelung des § 259a SGB VI als Ausnahme zu § 256a SGB VI war bereits Gegenstand der Gesetzentwürfe und betraf zunächst - unabhängig vom Geburtsjahrgang - Renten, die vor 1996 beginnen6. Die Begründung der Gesetzentwürfe sieht vor: A. Allgemeiner Teil - I gesetzliche Rentenversicherung – 2. Übertragung des SGB VI auf das Beitrittsgebiet – e) Rentenberechnung – Ermittlung der Entgeltpunkte aus Beitragszeiten im Beitrittsgebiet:7 „Nach der Vereinigung Deutschlands hat die Bewertung von im Beitrittsgebiet zurückgelegten Zeiten nach dem Fremdrentenrecht ihre Legitimation verloren. Für die Rentenberechnung sollen vorrangig die tatsächlichen individuellen Entgelte maßgebend sein. Aussagefähige Daten sind für die Zeit bis etwa 1960 und dann wieder für die Zeit ab 1971 in den Sozialversicherungsausweisen vorhanden. Die individuellen Entgelte sind hilfsweise über Bescheinigungen nachzuweisen oder glaubhaft zu machen. Für Zeiten, für die dies 5 Ebenda, S. 162 6 Ebenda, S. 23; im Entwurf ursprünglich Art. 1 Nr. 71. 7 Ebenda, S. 110. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-030/12 Seite 8 nicht möglich ist, wurde ein Tabellenwerk erstellt, das sich branchenbezogen an der tatsächlichen Einkommenssituation im Beitrittsgebiet orientiert.“8 Ferner:9 Zu Nummer 71 (§ 259 a) „Die Vorschrift enthält in Absatz 1 aus Vertrauensschutzgründen eine von der in §§ 256a und b vorgesehenen Ermittlung von Entgeltpunkten abweichende Regelung. Für versicherte , die am 18. Mai 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in den alten Bundesländern hatten , verbleibt es bei der Ermittlung der Entgeltpunkte grundsätzlich bei dem bis 30. Juni 1990 geltenden Recht; d. h. Entgeltpunkte werden weiterhin nach den Tabellenwerten der Anlagen 1 bis 16 zum FRG ermittelt. …“ 2.2. Stellungnahme des Bundesrats Die Stellungnahme des Bundesrats zum Gesetzentwurf der Bundesregierung enthält keine Ausführungen , die die Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR betreffenden Regelungen berühren. Im Zusammenhang mit der Frage der Weitergeltung des FRG bzw. der vom Bundesrat geforderten weiteren Absenkung des Niveaus für Aussiedler aus den Vertreibungsgebieten wird lediglich am Rande auf die Übersiedler aus der DDR eingegangen, ohne die in den Gesetzentwürfen enthaltenen Regelungen zur Berücksichtigung von in Ostdeutschland zurückgelegten Zeiten zu thematisieren :10 19. Zu Artikel 13, 14 (FRG, FANG) a) „… Von der Beitragsleistung her gesehen ist …eine Besserstellung von Aussiedlern bei erster Wohnsitznahme in den alten Bundesländern gegenüber Übersiedlern11 aus der früheren DDR nicht zu rechtfertigen. Schließlich haben sie Beiträge zu der jetzt vereinten Solidargemeinschaft gezahlt, während eine Beitragsleistung zur deutschen Rentenversicherung bei den Aussiedlern fehlt. Rentenpolitisch können Beitragszeiten nicht geringer bewertet werden, als außerhalb der Solidargemeinschaft verbrachte Zeiten.“ Diese Aussage bezieht sich auf die im Gesetzentwurf ursprünglich geplante Absenkung des FRG- Niveaus auf 80 vom Hundert, nach der Aussiedler als Rentenbezieher bessergestellt worden wären als ostdeutsche Rentner, die nach dem 18. Mai 1990 nach Westdeutschland umziehen und dabei die auf dem ostdeutschen Lohnniveau basierende Rente weitergezahlt bekommen. Mit In- 8 Vgl. § 259b i. V. m. Anlage 13 und 14 SGB VI. 9 Bundestag-Drucksache 12/405, S. 128; im Entwurf ursprünglich Art. 1 Nr. 71. 10 Bundesrat-Drucksache 197/1/91 AS, S. 34, gleichlautend Bundestag-Drucksache 12/630, S. 15. 11 Eigentlich dürfte der Begriff Übersiedler hier nicht verwandt werden, da es sich nur noch um Umzüge innerhalb Deutschlands handeln kann. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-030/12 Seite 9 krafttreten des RÜG folgte in § 22 Abs. 4 FRG daher eine Absenkung des Niveaus auf 70 vom Hundert. Damit wurde die vom Bundesrat kritisierte Besserstellung von Aussiedlern behoben. Mit dem Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 25. September 1996 wurde das FRG-Niveau nochmals gesenkt und beträgt seitdem 60 vom Hundert. 2.3. Beratungen des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung hat die Gesetzentwürfe zwischen dem 26. April und dem 19. Juni 1991 in sechs Sitzungen beraten. Am 16./17. Mai 1991 fand eine öffentliche Anhörung statt, zu der die Sozialpartner, Verbände, Rentenversicherungsträger und Einzelsachverständige geladen wurden. Die nicht-öffentliche Anhörung am 5. Juni 1991 betraf Verfassungsfragen des geplanten Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) und des Versorgungsruhensgesetzes (Artikel 3 und 4 RÜG). Aus dem im Parlamentsarchiv vorliegenden Referentenentwurf vom 21. Februar 1991, sowie den Protokollen und Stellungnahmen der Sachverständigen lassen sich Aussagen zur rückwirkenden Ablösung des FRG für nicht rentennahe Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR nicht entnehmen . Zum Fremdrentenrecht wurde lediglich auf die Änderungen zu den Renten von Aussiedlern aus den Vertreibungsgebieten eingegangen. Breiteren Raum nahmen in der Debatte über die Gesetzentwürfe die Rentenüberleitung als solche, die unter anderem vier Millionen Rentenbezieher 12 unmittelbar betraf, die Absicherung der Frauen und die Überführung der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme ein. Abgesehen von einer Ergänzung der Übergangsregelung des § 259a Abs. 1 SGB VI, die lediglich eine Klarstellung hinsichtlich bereits verstorbener Versicherter betrifft, enthält die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung keine Änderungen der Gesetzentwürfe zur Berücksichtigung von in Ostdeutschland zurückgelegten Zeiten. 13 Die Ausführungen zum Fremdrentenrecht beziehen sich ausschließlich auf die Renten von Aussiedlern aus den Vertreibungsgebieten .14 2.4. Beschluss des Deutschen Bundestages Auch im Plenum des Deutschen Bundestages wurde die rückwirkende Ablösung des Fremdrentenrechts für Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR nicht thematisiert. Angesichts der großen Aufgabe, das System der gesetzlichen Rentenversicherung auf die neuen Länder überzuleiten, behandelten die Redebeiträge überwiegend die Überführung der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme und die Alterssicherung der Frauen. Das Fremdrentenrecht wurde nur vereinzelt er- 12 Ritter, Gerhard A.(2010): Die Rentenversicherung im Prozess der deutschen Wiedervereinigung. In: Eichenhofer- Rische-Schmähl (Hrsg.). Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung SGB VI. Köln, Luchterhand. (Kapitel 3, Rd. 51) 13 Bundestags-Drucksache 12/786, S. 45 und 179. 14 Ebenda, S. IV A. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-030/12 Seite 10 wähnt. Dabei ging es wiederum um die Frage der Absenkung des FRG-Niveaus für Aussiedler aus den Vertreibungsgebieten.15 Die in den Gesetzentwürfen vorgesehenen Regelungen für Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR sind abgesehen von den lediglich die Nummerierung betreffenden und redaktionellen Änderungen unverändert am 21. Juni 1991 vom Deutschen Bundestag mit den Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Gruppen von PDS/Linke Liste und Bündnis 90/Grüne beschlossen worden und sind zum 1. Januar 1992 in Kraft getreten. Änderungsanträge hierzu sind nicht eingereicht worden. 2.5. Information der Betroffenen und Berichterstattung in den Medien Das SGB VI ist mit dem Rentenreformgesetz 1992 vom 18. Dezember 1989 auch in Westdeutschland zum 1. Januar 1992, also zeitgleich mit der Rentenüberleitung, in Kraft getreten. Die Berichterstattung in den Medien sowie die Öffentlichkeitsarbeit der Rentenversicherungsträger konzentrierte sich neben der Rentenüberleitung auf Ostdeutschland eher auf die mit der Rentenreform geänderte Rentenanpassung entsprechend der Nettolohnentwicklung, der Anhebung der Altersgrenzen für vorzeitige Altersrenten, der geringeren Anrechnung von Ausbildungszeiten und der neu geregelten Bewertung beitragsfreier Zeiten. Die Frage der rückwirkenden Ablösung des Fremdrentenrechts für Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR hat in den Medien, soweit ersichtlich, keinen Niederschlag gefunden haben. Wegen der verhältnismäßig geringen Anzahl der Betroffenen und der Übergangsregelung des § 259a SGB VI, nach der bei einem Rentenbeginn vor dem 1. Januar 1996 weiterhin die Tabellenentgelte der Anlagen 1-16 FRG zu berücksichtigen waren, wäre dies nur auf ein geringes öffentliches Interesse gestoßen. Die betroffenen Versicherten sollten über die Aufhebung der Feststellungsbescheide über die Eingliederung in die westdeutsche Rentenversicherung nach Art. 38 RÜG erst im Rentenfall, also frühestens ab 1996, informiert werden. Aus der Gesetzesbegründung geht hervor, dass die für die Umsetzung der Rentenreform 1992 und das RÜG erforderlichen Kapazitäten nicht durch die Überprüfung der erteilten Bescheide zum FRG gebunden werden sollten.16 Die Betroffenen dürften in den meisten Fällen von der Ablösung des Fremdrentenrechts keine Kenntnis erhalten haben und vertrauten auf den Bestand der Eingliederung in die westdeutsche Rentenversicherung. Hinzu kam, dass seit 1987 die länger als sechs Kalenderjahre zurück liegenden im Versicherungsverlauf enthaltenen Zeiten nach § 104 Abs. 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) / § 1325 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nach einer durchgeführten Kontoklärung verbindlich festgestellt worden waren. Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR, die nach ihrer Ankunft in Westdeutschland in vielen Fällen ihr Rentenversicherungskonto vor der Rentenüberleitung geklärt hatten, konnten aufgrund dieser Bescheide davon ausgehen, dass die verbindlich festgestellten Zeiträume und die Höhe der Entgelte später für die Rentenberechnung berücksichtigt werden, auch wenn eine Entscheidung über die Bewertung erst im Leistungsfall erfolgt. 15 Plenarprotokoll Drucksachen 12/24, S. 1611 (D), 1612 (A), 1618 (A), 1621 (C) sowie 12/35, S. 2940 (C). 16 Bundestags-Drucksache 12/405, S. 187. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-030/12 Seite 11 3. Die Änderung der Übergangsregelung im Gesetzgebungsverfahren zum Renten- Überleitungsergänzungsgesetz (Rü-ErgG) Nach Inkrafttreten der Rentenüberleitung ergab sich ein weiterer Regelungsbedarf für bestimmte Personenkreise. So stand die Überleitung der Zusatzversorgungssysteme der Parteien in der DDR sowie der Anwartschaften nach dem Pensionsstatut des VEB Carl-Zeiss Jena noch aus. Ferner stieg die Belastung der Rentenversicherungsträger durch die Umwertung und zahlreiche Neufeststellungen der Bestandsrenten und die hohe Anzahl an Anträgen deutlich an, so dass Beweiserleichterungen und Verwaltungsvereinfachungen zur Beschleunigung der Rentenberechnung und zum Abbau des Antragsstaus erforderlich wurden. 3.1. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP Am 27. April 1993 brachten die Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP daher einen gemeinsamen Gesetzentwurf eines Gesetzes zur Ergänzung der Rentenüberleitung (Rentenüberleitungs- Ergänzungsgesetz - Rü-ErgG) ein. Hinsichtlich der Ablösung des Fremdrentenrechts für Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR sieht der Gesetzentwurf vor, die Übergangsregelung des § 259a Abs. 1 SGB VI dahingehend neu zu fassen, dass für die weitere Anwendung der Tabellenentgelte der Anlage 1-16 FRG nicht mehr auf einen Rentenbeginn vor 1996 abgestellt wird, sondern dies für vor 1937 geborene Versicherte gelten soll.17 Begründet wurde die Neuregelung wie folgt:18 Zu Nummer 13 (§ 259a) „Das Ziel der derzeitigen Regelung besteht darin, aus Vertrauensschutzgründen von der in §§ 256a und b vorgeschriebenen Ermittlung von Entgeltpunkten für jene Versicherten abzuweichen , die am 18. Mai 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in den alten Bundesländern hatten und deren Rente vor dem 1. Januar 1996 beginnt. Für diesen Personenkreis soll es grundsätzlich bei der Ermittlung der Entgeltpunkte nach dem bis zum 30. Juni 1990 geltenden Recht verbleiben. Die bestehende Vertrauensschutzregelung wird beibehalten. Durch die vorgeschlagene Neuregelung läßt sich eine erhebliche Verwaltungsvereinfachung erreichen, weil bis zum Jahre 1990 die Zeiten im Beitrittsgebiet entsprechend gespeichert worden sind. Das Abstellen der Vertrauensschutzregelung auf Versicherte, die vor einem bestimmten Stichtag geboren sind, hat darüberhinaus den großen Vorteil, daß die Versichertenkonten – unabhängig von einem ohnehin nicht genau vorhersehbaren Rentenbeginn – endgültig sind bzw. den Berechtigten endgültige Anerkennungsbescheide erteilt werden können. Schließlich beinhalten nach dem SGB VI erteilte Rentenauskünfte auch dann ihre Gültigkeit, wenn der Rentenbeginn erst nach 1995 liegt.“ Im Gesetzentwurf ist ferner eine Ergänzung des Art. 38 RÜG hinsichtlich der Überprüfung von Feststellungsbescheiden nach dem Fremdrentenrecht vorgesehen, nach der die vor 1992 an DDR- Übersiedler und Flüchtlinge erteilten Feststellungsbescheide über die Eingliederung in die west- 17 Bundestags-Drucksache 12/4810, S. 6. 18 Ebenda, S. 24, 25. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-030/12 Seite 12 deutsche Rentenversicherung nach dem FRG erst mit dem Rentenbescheid rückwirkend und ohne die sonst im Sozialrecht üblichen Form- und Fristerfordernisse aufzuheben sind.19 3.2. Beratungen des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung hat den Gesetzentwurf zum Rü-ErgG in seinen Sitzungen am 12., 24. und 25. Mai 1993 beraten. Öffentliche Anhörungen fanden nicht statt. Im Zuge der Beratungen wurden von einem Vertreter des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung die Ergebnisse von sieben beispielhaften Berechnungen auf Basis relativ normaler Berufsverläufen von DDR-Übersiedlern oder Flüchtlingen vorgestellt. Dabei sind jeweils die Rentenhöhen verglichen worden, die sich nach Anwendung der FRG-Tabellenentgelte und der Tabellenentgelte nach den Qualifikationsgruppen des Branchenmodells ergeben hätten. Bei dem Branchenmodell handelt es sich um die Tabellenentgelte aus den Anlagen 13 und 14 SGB VI. Diese dienen vornehmlich der Berücksichtigung nicht nachgewiesener aber glaubhaft gemachter Beitragszeiten zur gesetzlichen Rentenversicherung und sind daher bereits auf fünf Sechstel gekürzt .21 Grundlage der Tabellenentgelte sind die nach statistischen Angaben ermittelten, mit den Werten der Anlage 10 SGB VI auf das westdeutsche Niveau hochgewerteten, Durchschnittsentgelte der verschiedenen Wirtschaftsbereiche in der DDR.22 Insoweit beruhen die vergleichenden Musterberechnungen auf Erwerbsbiographien zum einen nach dem Eingliederungsprinzip des Fremdrentenrechts und zum anderen auf der Lohnstruktur der DDR. Hintergrund der durchgeführten Vergleichsberechnungen des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung war der mit der im Gesetzentwurf enthaltenen Neuregelung mögliche Mehraufwand für die Rentenversicherungsträger . Im Ergebnis hätten sich in zwei Fällen kaum Unterschiede ergeben. Zwei Berechnungen hätten bei der Anwendung der FRG-Tabellenentgelte zu günstigeren und drei Berechnungen zu ungünstigeren Ergebnissen geführt. Mehraufwendungen seien nicht zu erwarten. Desweiteren sind Äußerungen zur Ablösung des Fremdrentenrechts für Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR in den im Parlamentsarchiv befindlichen Unterlagen nicht enthalten. Letztlich hat der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung in seiner Beschlussempfehlung dem Plenum des Deutschen Bundestages empfohlen, den Gesetzentwurf in geänderter Fassung anzunehmen. 23Die Änderungen bezogen sich nicht auf Regelungen, die Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR betreffen. 19 Ebenda, S. 17 und 39 (Artikel 15, Änderung von Artikel 38 Renten-Überleitungsgesetz). 21 Die Fünf-Sechstel-Kürzung für glaubhaft gemachte Beitragszeiten ist ein seit dem zweiten Weltkrieg in der gesetzlichen Rentenversicherung genutztes Mittel zur Rekonstruktion von Versicherungsverläufen, wenn keine Nachweise vorhanden sind. Vgl. u. a. auch § 22 Abs. 3 FRG. 22 Bundestags-Drucksache 12/405, S. 128, Zu Nummer 68 (§ 256b SGB VI). 23 Bundestags-Drucksache 12/5017. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-030/12 Seite 13 3.3. Beschluss des Deutschen Bundestages Die Beratungen zum Entwurf des Rü-ErgG im Plenum des Deutschen Bundestages befassten sich vor allem mit den Regelungen über die Begrenzung von Leistungen aus in die gesetzliche Rentenversicherung überführten Zusatz- und Sonderversorgungssystemen. Eine Debatte zur Übergangsregelung des § 259a SGB VI fand nicht statt.24 Das Rü-ErgG ist mit einigen Änderungen, die nicht die Übergangsregelung für Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR betrafen, „bei einer Reihe von Gegenstimmen und Stimmenthaltungen“ angenommen worden. Die Vorschriften sind später überwiegend rückwirkend zum 1. Januar 1992 in Kraft getreten. 3.3.1. Information der Betroffenen und Berichterstattung in den Medien Wie zuvor beim Inkrafttreten des RÜG fanden die Folgen des Rü-ErgG für nach 1936 geborene Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR in den Medien keinen Niederschlag, vermutlich weil die übrigen Regelungen einen weitaus größeren Personenkreis betrafen und das öffentliche Interesse eher auf die Rentenansprüche für so genannte staatsnahe Personen der DDR ausgerichtet gewesen sein dürfte. Durch die Verschärfung der Regelung über die Prüfung der Feststellungsbescheide nach dem Fremdrentenrecht in Artikel 38 RÜG waren die Rentenversicherungsträger auch nicht gehalten, die Versicherungsverläufe vor dem Rentenverfahren von sich aus der neuen Gesetzeslage anzupassen . Hierfür hätten aufgrund der hohen Belastung durch die Rentenüberleitung wohl auch keine Kapazitäten bestanden. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass die Betroffenen weiter in den Bestand der vor der Rentenüberleitung ergangenen Feststellungsbescheide vertraut haben und erst im Rentenverfahren von der Aufhebung der Eingliederung in die westdeutsche Rentenversicherung und Gleichstellung mit ostdeutschen Versicherten erfahren haben. Aus diesem Grund sind Beschwerden, mit denen sich Betroffene gegen die geltende Rechtslage wenden, erst Jahre später eingelegt worden ; der erste betroffene Jahrgang vollendete im Jahre 2002 die Regelaltersgrenze. Noch in der 1997 erschienenen vierten Auflage der vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen „Übersicht über das Sozialrecht“ sind die einleitenden Worte zum Fremdrentenrecht wie folgt formuliert:25 „Die rentenrechtlichen Ansprüche der Flüchtlinge, Vertriebenen, Aussiedler sowie derjenigen , die vor Öffnung der deutsch-deutschen Grenze aus der DDR in das alte Bundesgebiet übergesiedelt sind, sind im Fremdrentengesetz geregelt. … Danach werden Zuwanderer so in das bundesdeutsche Rentenversicherungssystem einbezogen, als ob sie ihr bisheriges Berufsleben statt im Herkunftsland in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt hätten.“ 24 Siehe Plenarprotokoll Drucksache 12/161 27.05.1993 S. 13821D-13832C, 13843B-13844C. 25 Übersicht über das Sozialrecht, 4. neubearbeitete und erweiterte Auflage, Stand 1. Januar 1997, Herausgeber: Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Seite 180, Rd. 245. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-030/12 Seite 14 4. Auswirkung der geltenden Regelung für nach 1936 geborene Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR Nach dem Eingliederungsprinzip des FRG wurden für Übersiedler und Flüchtlinge vor der Rentenüberleitung anhand ihrer in der DDR zurückgelegten Erwerbsbiographie Tabellenentgelte für die Rentenberechnung berücksichtigt, die der westdeutschen Lohnstruktur entsprachen. Nach geltendem Recht ist für die Rentenhöhe nach dem SGB VI dagegen der versicherte Verdienst, für den Beiträge zur Sozialpflichtversicherung und zur FZR gezahlt wurden und folglich die ostdeutsche Lohnstruktur maßgebend. Allgemeingültig lässt sich nicht klären, ob die west- oder die ostdeutsche Lohnstruktur für die Rentenhöhe der nach 1936 geborenen Übersiedler und Flüchtlinge günstiger oder ungünstiger ist.26 4.1. Lohnunterschiede in Ost und West In der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP vom 11. Juni 2007 wird darauf hingewiesen, 27 „dass sich die Regelungen des RÜG, abhängig vom persönlichen Versicherungsverlauf, sowohl günstiger als auch ungünstiger für den Versicherten auswirken können. Die Anwendung der Regelungen des FRG kann sich insbesondere bei Frauen trotz gleicher Qualifikation , gleicher Berufserfahrung und gleicher Beschäftigung, deutlich ungünstiger auswirken als die Anwendung der Regelungen des RÜG. Grund hierfür ist, dass die nach dem FRG für Frauen bestimmten Tabellenwerte die Einkommenssituation von Frauen in den alten Bundesländern und somit auch das dort bestehende Einkommensgefälle zwischen Männern und Frauen widerspiegeln.“ Auch bestanden zwischen West- und Ostdeutschland Lohnunterschiede in den verschiedenen Branchen und Wirtschaftsbereichen.28 Das Verhältnis der Nettolöhne von Arbeitern und Angestellten entsprach in der DDR gegenüber der Bundesrepublik nicht einer leistungsgerechten Bezahlung . Hoch- und Fachschulkader verdienten in der DDR nur etwa 15 vom Hundert mehr als Produktionsarbeiter, während sie in Westdeutschland etwa 70 vom Hundert mehr verdient haben .29 Klarheit über die Auswirkung der rückwirkenden Ablösung des Fremdrentenrechts für Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR dürfte sich somit nur durch individuelle Vergleichsberechnungen einstellen. 26 Vgl. auch die in Ziff. 3.2 erwähnten Berechnungen des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. 27 Bundestags-Drucksache 16/5571, S. 7, Beantwortung zur Frage 8. 28 Vgl. hierzu Anlagen 13 und 14 SGB VI. 29 Stephan, Helga und Wiedemann, Eberhard in: Lohnstruktur und Lohndifferenzierung in der DDR. Sonderdruck Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt und Berufsforschung, 23. Jg., 1990, S. 561. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-030/12 Seite 15 4.2. Rentenminderung aufgrund fehlender Beitragszahlung zur FZR In der gesetzlichen Rentenversicherung sollten sich nach der Rentenüberleitung nur Verdienste auswirken, für die auch Beiträge gezahlt worden sind. Die aus der Sozialpflichtversicherung der DDR gezahlte Altersversorgung erreichte aufgrund der auf einen monatlichen Verdienst von 600 Mark begrenzten Beitragspflicht nur ein geringes Niveau. Zur Vermeidung von Altersarmut führte die Staatsführung der DDR deshalb im Jahre 1971 die FZR ein. Wer mehr als 600 Mark im Monat verdiente und auch im Ruhestand über eine höhere Rente verfügen wollte, konnte seitdem über die Beiträge zur Sozialpflichtversicherung hinaus freiwillig Beiträge zu seiner Altersversorgung zahlen. Hiervon machte etwa 80 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung Gebrauch.30 Vom Prinzip der Lohn- und Beitragsbezogenheit ausgehend wurde mit der Rentenüberleitung festgelegt, der Berechnung von Renten aus in den neuen Bundesländern zurückgelegten Zeiten nach dem SGB VI grundsätzlich das durch Beiträge zur Sozialpflichtversicherung der DDR und zur FZR versicherte Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen zugrunde zu legen. Eine am letzten Einkommen orientierte Altersversorgung war in der DDR regelmäßig nur über eine Beitragszahlung zur FZR unter Verzicht auf einen höheren Nettolohn zu erreichen. Wer der FZR nicht beigetreten war, musste sich über die daraus entstehenden Lücken in seiner Alterssicherung bewusst sein. Für Versicherte, die langfristig die DDR über eine genehmigte Ausreise oder Flucht verlassen wollten, hätte sich ein Beitritt zur FZR jedoch nicht ausgezahlt. Die Ausreise aus der DDR wurde regelmäßig mit Eintritt des Rentenalters bewilligt31, so dass eine Leistung aus der FZR nicht gewährt worden wäre. Vielmehr konnte bei Wohnsitznahme in Westdeutschland mit einer Rentenleistung nach dem FRG gerechnet werden. Deshalb dürfte sich unter dem Personenkreis der Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR ein Anteil befinden, der von einem Beitritt zur FZR Abstand genommen hat. Diese haben heute eher mit Rentenminderungen aufgrund der Ablösung des Fremdrentenrechts zu rechnen und aus diesem Grunde eine Reihe von Petitionsverfahren angestrengt. Auf der Basis eines Durchschnittsverdieners ergibt sich zum 1. Juni 2007 ein monatlicher Unterschied von brutto 114,65 Euro.32 Rentenminderungen von mehreren Hundert Euro im Monat sind für ehemalige besonders qualifizierte Angestellte mit leitenden Tätigkeiten denkbar und hängen insbesondere von der Dauer der nicht erfolgten, aber möglichen Beitragszahlung zur FZR ab. Dabei wird die Abweichung mit zunehmender Zeit größer, d. h. je später entsprechende Zeiten in Ostdeutschland zurückgelegt wurden, desto ungünstiger fällt die Anwendung des geltenden Rechts gegenüber dem FRG aus. 30 Ritter, Gerhard A., a. a. O, Rd. 8. 31 § 2 der Anordnungen über Regelungen im Reiseverkehr von Bürgern der DDR, Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik 1982 Teil II S. 187. 32 Bundestags-Drucksache 16/5571, S. 7, Beantwortung zur Frage 8. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-030/12 Seite 16 4.3. Rentenminderung auch bei Beitragszahlung zur FZR möglich In der Regel dürften bei einkommensgerechter Beitragszahlung zur Sozialpflichtversicherung und zur FZR gegenüber der Berücksichtigung der FRG-Tabellenentgelte keine Nachteile hinsichtlich der Bewertung der Beitragszeiten entstehen. Aufgrund der unterschiedlichen Lohnstrukturen in Ost- und West sind jedoch trotz Beitritt zur FZR Rentenminderungen denkbar. Hierzu dient ein Vergleich der Tabellenentgelte der Anlagen 1-16 FRG mit den Anlagen 13 und 14 SGB VI für bestimmte ausgeübte Beschäftigungen. Während es sich bei den Anlagen 1-16 FRG um Tabellenentgelte auf der Grundlage der westdeutschen Lohnstruktur nach bestimmten Leistungsgruppen handelt, liegen den Anlagen 13 und 14 SGB VI fiktive Entgelte der einzelnen Wirtschaftsbereiche nach dem Lohnniveau der DDR zugrunde, die bereits auf westdeutsches Niveau angehoben sind, jedoch zum Zwecke der Anerkennung nicht nachgewiesener Beitragszeiten auf fünf Sechstel gekürzt wurden. Für den direkten Vergleich sind die Tabellenentgelte der Anlage 14 SGB VI deshalb um ein Fünftel auf dann sechs Sechstel zu erhöhen. Die nachstehenden Ergebnisse von Modellrechnungen zeigen, dass auch mit Beitragszahlungen zur FZR durch die Ablösung des Fremdrentenrechts Rentenminderungen eintreten können. Den Vergleichsberechnungen liegen zehn Beitragsjahre von 1979 bis 1988 zugrunde. Bezogen auf die zurzeit aktuellen Werte zur Rentenberechnung ergibt sich folgendes Bild: a) Facharbeiter mit Berufsausbildung, Tischler, Produzierendes Handwerk Anlage 1 FRG = Leistungsgruppe 1 Rentenversicherung der Arbeiter außerhalb Land- und Forstwirtschaft (männliche Versicherte), maßgebliche Tabellenentgelte der Anlage 5 FRG Anlage 13 SGB VI = Qualifikationsgruppe 4 Anlage 14 SGB VI = Wirtschaftsbereich: Produzierendes Handwerk = Tabelle 13 Der Vergleich der Rentenhöhen, die sich aus den Tabellenentgelten der Anlage 5 FRG und den auf sechs Sechstel erhöhten Tabellenentgelten der Anlage 14 Tabelle 13 SGB VI errechnen , ergibt eine monatliche Rentenminderung von 92,01 Euro. b) Qualifizierte Angestelltentätigkeit mit Berufsausbildung, sonstige nichtproduzierende Bereiche Anlage 1 FRG = Leistungsgruppe 3 Rentenversicherung der Angestellten (männliche Versicherte ), maßgebliche Tabellenentgelte der Anlage 9 FRG Anlage 13 SGB VI = Qualifikationsgruppe 4 Anlage 14 SGB VI = Wirtschaftsbereich: sonst. nichtproduzierende Bereiche = Tabelle 21 Der Vergleich der Rentenhöhen, die sich aus den Tabellenentgelten der Anlage 9 FRG und den auf sechs Sechstel erhöhten Tabellenentgelten der Anlage 14 Tabelle 21 SGB VI errechnen , ergibt eine monatliche Rentenminderung von 114,76 Euro. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-030/12 Seite 17 c) Angestelltentätigkeit, angelernte Tätigkeit als Verkäuferin 30 - 45 Jahre, Handel Anlage 1 FRG = Leistungsgruppe 4 Rentenversicherung der Angestellten (weibliche Versicherte ), maßgebliche Tabellenentgelte der Anlage 11 FRG Anlage 13 SGB VI = Qualifikationsgruppe 5 Anlage 14 SGB VI = Wirtschaftsbereich: Handel = Tabelle 17 Der Vergleich der Rentenhöhen, die sich aus den Tabellenentgelten der Anlage 11 FRG und den auf sechs Sechstel erhöhten Tabellenentgelten der Anlage 14 Tabelle 17 SGB VI errechnen, ergibt eine monatliche Rentenminderung von 9,69 Euro. 5. Bisherige Rechtsprechung zu den das Fremdrentenrecht betreffenden Regelungen der Rentenüberleitung Die von Betroffenen angestrengten sozialgerichtlichen Verfahren konnten wegen der eindeutigen Rechtslage zu keinem anderen Ergebnis kommen, als dass die Klagen gegen die Bescheide nach den geltenden gesetzlichen Regelungen zurückgewiesen werden mussten. Eine höchstrichterliche Rechtsprechung ist bisher nicht erfolgt, weil in der Regel bereits die Berufung von den Landessozialgerichten zurückgewiesen wurde und die Betroffenen an der Nichtzulassung der Revision scheiterten. Die Ablösung des FRG für nach 1936 geborene Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR durch die Anwendung der §§ 256a, 259a SGB VI ist bisher weder durch das Bundessozialgericht noch durch das Bundesverfassungsgericht beanstandet worden. Zu vergleichbaren Änderungen des Fremdrentenrechts nach der Wiedervereinigung Deutschlands haben das Bundessozialgericht und das Bundesverfassungsgericht in folgenden Urteil Stellung bezogen: 5.1. Urteil des Bundessozialgerichts vom 29. Juli 1997 In einem Revisionsverfahren hat das Bundessozialgericht die Verfassungsmäßigkeit der Vertrauensschutzregelung § 259 a Abs. 1 SGB VI i. d. F. des Rü-ErgG geprüft.33 Dabei ging es um die weitere Anwendung der FRG-Tabellenentgelte für einen vor 1937 geborenen DDR-Übersiedler, der die zusätzliche Berücksichtigung einer Rentenleistung aus den zur FZR gezahlten Beiträgen geltend gemacht hat. Hier handelt es sich also um einen Fall, in dem die Anwendung des FRG für den Versicherten ungünstiger ist. Im Ergebnis wurde kein Verstoß gegen Art. 14 GG festgestellt. Der Gesetzgeber habe bei der Ausgestaltung des Rentenanspruchs nicht in eine eigentumsgeschützte Rechtsposition eingegriffen, als er die FZR-Beiträge unberücksichtigt ließ, da sie nicht dem Eigentumsschutz des Art. 14 GG unterfielen. 5.2. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Juni 2006 Das Bundesverfassungsgericht hat im Zusammenhang mit der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Absenkung der auf das FRG entfallenen Rente an Aussiedler und Spätaussiedler festgestellt, dass die durch das Fremdrentengesetz begründeten Rentenanwartschaften nicht dem Schutz des 33 BSG 4 RA 56/95. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-030/12 Seite 18 Art. 14 GG unterliegen, wenn ihnen ausschließlich Beitrags- und Beschäftigungszeiten zu Grunde liegen, die in den Herkunftsgebieten erbracht oder zurückgelegt wurden. Die rentenrechtlichen Rechtspositionen, die in der DDR begründet wurden, gelangten dagegen mit dem Beitritt und mit der Anerkennung durch den Einigungsvertrag wie andere vermögenswerte Rechtspositionen in den Schutzbereich des Art. 14 GG.34 Die Übersiedler und Flüchtlinge hatten zum Zeitpunkt des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland keine dort begründeten rentenrechtlichen Rechtspositionen mehr, da sämtliche Anwartschaften und Ansprüche, die sie in den Alterssicherungssystemen der DDR erworben hatten , mit der Ausreise oder Flucht erloschen waren. Daher konnten diese auch nicht durch den Einigungsvertrag in den Schutzbereich des Art. 14 GG gelangen. Fraglich ist deshalb, ob für die aus dem versicherten Verdienst zur Sozialpflichtversicherung und zur FZR gezahlten Beiträge oder die aus den FRG-Tabellenentgelten erworbenen Rentenanwartschaften von Art. 14 GG erfasst werden. 5.3. Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 1998 Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde gegen § 259 a Abs. 1 SGB VI i. d. F. des Rü-ErgG nicht zur Entscheidung angenommen, da sie nicht hinreichend substantiiert begründet worden war.35 Im Beschluss wird ausgeführt: „Die Beschwerdeführer haben selbst sinngemäß vorgetragen, daß ihre nach neuem Recht zu berechnenden Rentenanwartschaften im Falle einer Zahlung von Beiträgen zur FZR deutlich höher gewesen wäre. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist es aber grundsätzlich nicht zu beanstanden, daß der Gesetzgeber aus Anlaß des Ereignisses der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands bei der Berechnung der Renten darauf abstellt, daß die Versicherten in der Deutschen Demokratischen Republik die dort rechtlich eröffneten und zur angemessenen Alterssicherung auch gebotenen Möglichkeiten ausschöpften und nur bei Ausschöpfung dieser Sicherungsmöglichkeiten den Versicherten in der früheren Bundesrepublik Deutschland gleichzustellen sind, die maximal bis zur Beitragsbemessungsgrenze Beiträge gezahlt haben. Die durch den vorliegenden Sachverhalt aufgeworfene Frage, ob der im Grundgesetz, insbesondere in den Grundrechten und dem Rechtsstaatprinzip, enthaltene Grundsatz des Vertrauensschutzes eine andere Regelung als die des § 259a SGB VI 1993 gebietet, wäre im vorliegenden Verfahren der Verfassungsbeschwerde nur erheblich, wenn die Beschwerdeführer dargelegt hätten, daß ihnen auch bei einer von ihren finanziellen Möglichkeiten bestimmten Beitragszahlung zur FZR eine nicht unerhebliche Sicherungslücke in ihren Rentenanwartschaften entstanden wäre.“ Nach dem unter Ziff. 4.3 dargestellte Ergebnisse der Vergleichsberechnungen sind eine Rentenminderung auch bei Beitragszahlung zur FZR in einigen Fällen denkbar. Damit ist eine weitere 34 BVerfG 1 BvL 9/00 u.a. 35 BVerfG BvR 2007/95. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-030/12 Seite 19 Beschäftigung des Bundesverfassungsgerichts mit der Übergangsregelung des § 259a SGB VI nicht ausgeschlossen. 6. Hindernisse, die einer Rückkehr zu den FRG-Tabellenentgelten entgegenstehen Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales vertritt die Auffassung, dass aufgrund der Vorgaben des Einigungsvertrags, in ganz Deutschland ein einheitliches Rentenrecht auf der Grundlage des lohn- und beitragsbezogenen westdeutschen Rentenversicherungssystems zu schaffen, die in Ostdeutschland zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten unabhängig von einer Übersiedlung oder Flucht aus der DDR gleich zu behandeln seien. Das geltende Recht entspreche durch die Heranziehung der tatsächlich in der DDR versicherten Verdienste anstelle von auf den westdeutschen Löhnen und Gehältern beruhenden fiktiven Tabellenentgelten den der gesetzlichen Rentenversicherung zugrunde liegenden Grundsätzen der Lohn- und Beitragsbezogenheit. Die Bundesregierung führt hierzu aus:36 „Kernziel der Vereinheitlichung des Rentenrechts war, dass grundsätzlich für alle Versicherten bei der Rentenberechnung die versicherten Entgelte zugrunde gelegt werden sollen . In einem vereinigten Deutschland sollte es längerfristig nicht zu einer unterschiedlichen Behandlung der im Beitrittsgebiet zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten kommen. Haben zwei Versicherte, zum Beispiel in Rostock, unter den gleichen Bedingungen gearbeitet und die gleichen Verdienste erzielt und diese Verdienste auch in gleichem Umfang versichert, so sollen beide auch gleich hohe Entgeltpunkte erhalten und zwar unabhängig davon, ob und ggf. wann sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in die alten Bundesländer verlegt haben. Hätte der Gesetzgeber bei der Vertrauensschutzregelung ausschließlich auf den Zeitpunkt des gewöhnlichen Aufenthalts in den alten Bundesländern abgestellt, so hätte das die Anwendung unterschiedlichen Rechts noch über Jahrzehnte hinweg zur Folge gehabt.“ Für eine Änderung der geltenden gesetzlichen Regelungen sieht die Bundesregierung auch in der laufenden Wahlperiode keinen Handlungsbedarf.37 6.1.1. Vorgabe aus dem Einigungsvertrag Nach Artikel 30 Abs. 5 des Einigungsvertrags war das zum 1. Januar 1992 zunächst nur für Westdeutschland vorgesehene SGB VI auf Ostdeutschland durch ein Bundesgesetz überzuleiten.38 Die damit zu schaffende Vereinheitlichung des Rentenrechts setzt aber nicht zwingend voraus, bereits festgestellte rentenrechtliche Zeiten in der westdeutschen Rentenversicherung rückwirkend neu bewerten zu müssen. 36 Bundestags-Drucksache 16/5571, S. 3 und 4. 37 Antworten auf schriftliche Fragen: Bundestags-Drucksachen 17/2748, Antwort zu Frage 53; 17/3256, Antwort zu Frage 77. 38 Kerschbaumer, Judith (2011): Das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung und die Deutsche Einheit, S. 108, Wiesbaden: VS-Verl. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-030/12 Seite 20 6.1.2. Jahrzehntelange Anwendung unterschiedlichen Rechts Die gesetzliche Rentenversicherung umfasst mit der Erwerbsbiographie und der Rentenlaufzeit regelmäßig mehrere Jahrzehnte. Dabei ist seit jeher auf bereits abgelaufene Tatbestände Rücksicht zu nehmen. Das SGB VI ist so konzipiert, dass das fünfte Kapitel ausschließlich Regelungen enthält , die sich irgendwann durch Zeitablauf erledigen. Insoweit ist eine jahrzehntelange Anwendung unterschiedlichen Rechts in der gesetzlichen Rentenversicherung nichts Ungewöhnliches. Im Zusammenhang mit der Rentenüberleitung ist für vergleichbare Sachverhalte unterschiedliches Recht anzuwenden. So sind beispielsweise nach dem AAÜG einmalig gezahlte Zuwendungen , wie die Jahresendprämie, für Berechtigte aus in die gesetzliche Rentenversicherung übergeleiteten Zusatzversorgungen - die so genannten Intelligenzrenten - rentensteigernd zu berücksichtigen , während sie sich für Renten aus der Sozialpflichtversicherung und der FZR nicht auswirken .39 6.2. Verstoß gegen das Prinzip der Beitragsbezogenheit Vom Prinzip der Beitragsbezogenheit wird in der gesetzlichen Rentenversicherung in mehreren Fällen abgewichen. So stehen beispielsweise vor 1957 zurückgelegte Beitragszeiten zur Rentenversicherung im Saarland, das seinerzeit der Bundesrepublik Deutschland beigetreten ist, wie die in der DDR gezahlten Beiträge, den nach Bundesrecht gezahlten Beiträgen nach § 248 Abs. 3 SGB VI gleich. Hierfür werden nach § 258 Abs. 3 SGB VI aber auch Entgeltpunkte für in Franken gezahltes Arbeitsentgelt rentensteigernd berücksichtigt, denen keine entsprechende Beitragsleistung gegenübersteht. Auch in Bezug auf die Überleitung der Zusatzversorgungssysteme der DDR in die gesetzliche Rentenversicherung durch das AAÜG können die Rentenleistungen nicht immer auf den tatsächlich gezahlten Beiträgen beruhen, da hier in den einzelnen Versorgungsordnungen eine Vielzahl unterschiedlicher Regelungen zur Beteiligung der Beschäftigten an ihrer Alterssicherung vorgesehen war und insoweit keine einheitliche Beitragszahlung erfolgt ist.40 So ist anstelle des versicherten Verdienstes nach § 256a SGB VI für in Zusatz- und Sonderversorgungsystemen zurückgelegte Zeiten gemäß § 259b SGB VI i. V. m. § 5 AAÜG nicht der versicherte Verdienst, für den Beiträge gezahlt wurden, sondern der tatsächlich erzielte Verdienst bis zur Beitragsbemessungsgrenze zu berücksichtigen. Aufgrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts41 können zudem einige Personenkreise unter bestimmten Voraussetzungen nachträglich fiktiv in die Altersversorgung der Intelligenz einbezogen werden. Die Bewertung dieser Zeiten erfolgt auch in diesen Fällen unabhängig von der tatsächlichen Beitragszahlung. Die nachträgliche Einbeziehung der Übersiedler und Flücht- 39 Vgl. BSG-Urteil vom 23.8.2007, Az. B 4 RS 4/06 R. 40 Kerschbaumer, a. a. O., S. 130. 41 Vgl. hierzu Ganske-Gerhardt, Anja (2005) „30.6.1990 - Ein Stichtag und seine Folgen“ in: DAngVers, Jahrgang 52, S. 361 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-030/12 Seite 21 linge aus der DDR in ein Zusatzversorgungssystem ist jedoch nicht möglich, weil zum Stichtag 30. Juni 1990 kein hierfür erforderliches Beschäftigungsverhältnis bestehen konnte. Eine weitere Abweichung von der Beitragsbezogenheit der Rentenhöhe ist in § 256a Abs. 3a SGB VI geregelt. Danach richtet sich die Rentenberechnung für in Berlin (West) Beschäftigte der Reichsbahn nach den FRG-Tabellenentgelten. Eine Bewertung nach dem versicherten oder nach dem tatsächlichen Verdienst hätte nach der Gesetzesbegründung zu sozialpolitisch unvertretbaren Ergebnissen geführt.42 Für langjährig Beschäftigte der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post im Beitrittsgebiet wird für die Rentenberechnung die Zahlung von Beiträgen zur FZR nach § 256a Abs. 2 Sätze 2 und 3 SGB VI unterstellt und insoweit ebenfalls vom Grundsatz der einheitlichen Rechtsanwendung und vom Prinzip der Beitragsäquivalenz abgewichen. 6.3. Besserstellung gegenüber in der DDR verbliebenen Versicherten Eine Rückkehr zur Berücksichtigung der FRG-Tabellenentgelte würde die Übersiedler und Flüchtlinge zwar gegenüber in der DDR verbliebenen Versicherten in den Fällen, in denen sich das geltende Recht nachteilig auswirkt, besserstellen. Jedoch wäre lediglich der vor der Wiedervereinigung bestehende Rechtszustand wieder hergestellt, auf den die Betroffenen vertrauen konnten. 6.4. Begrenzung der auf das FRG entfallenen Rente bei Aussiedlern bzw. Spätaussiedlern Mit dem Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz erfolgte eine weitere Begrenzung der für Aussiedler bzw. Spätaussiedler zu gewährenden Renten.43 Unabhängig vom Zeitpunkt des Zuzugs müssen die Berechtigten nach dem FRG, deren Rente nach dem 30. September 1996 begonnen hat, hinnehmen, dass die aus den Tabellenentgelten errechneten Entgeltpunkte als Werte für die Rentenberechnung nach § 22 Abs. 4 FRG nur noch in Höhe von 60 vom Hundert zu berücksichtigen sind. Sollte für alle Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR wieder auf die Tabellenentgelte der Anlagen 1 bis 16 FRG zurückgegriffen werden, müsste dennoch keine Kürzung der Entgeltpunkte vorgenommen werden, da sich die Bewertung der in der DDR zurückgelegten Beitragszeiten nicht nach § 22 FRG, sondern nach § 259a als Ausnahmeregelung zum § 256a SGB VI zu richten hätte. Im Übrigen ist die Begrenzung der Berechnungswerte nach dem FRG gemäß Artikel 6 § 4 Abs. 5 Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz (FANG) für Berechtigte nach dem deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommen, nicht anzuwenden. Vor 1991 zugezogene deutschstämmige Aussiedler aus Polen genießen insoweit Vertrauensschutz und werden weiterhin in vollem Umfang in das frühere westdeutsche Rentensystem eingegliedert. 6.5. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Rückkehr zur alten Rechtslage Mit Beschluss vom 13. Juni 2006 hat das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit der Absenkung der auf das FRG entfallenen Rente auf 60 vom Hundert für Aussiedler bzw. Spätaus- 42 Bundestags-Drucksache 13/2590, S. 9, 28, 29. 43 Vgl. Ziff. 2.2, Stellungnahme des Bundesrats zum RÜG. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-030/12 Seite 22 siedler festgestellt, dass die durch das Fremdrentengesetz begründeten Rentenanwartschaften nicht dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG unterliegen. Hinsichtlich der Ausgestaltung nicht beitragsbezogener Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung besteht ein weiter Gestaltungspielraum für den Gesetzgeber.44 Sollte auch für nach 1936 geborene Übersiedler und Flüchtlinge eine Regelung geschaffen werden , nach der für in der DDR zurückgelegte Zeiten wieder die Tabellenentgelte des FRG gelten würden, könnte die Ungleichbehandlung mit anderen Berechtigten nach dem FRG problematisch sein, für die die Absenkung der auf das FRG entfallenen Rente auf 60 vom Hundert gilt. Ferner liegt auf der Hand, dass in der DDR verbliebene Versicherte, die der FZR nicht beigetreten sind, geltend machen, mit den Übersiedlern und Flüchtlingen gleichgestellt zu werden. Die Ungleichbehandlung müsste entsprechend gerechtfertigt werden. Als Rechtfertigung könnte herangezogen werden, dass es sich letztlich um verschiedene Personenkreise handelt, für die voneinander abweichende Regelungen geboten sind. Eine Rückkehr zur alten Rechtslage ohne Rücksicht auf die nach geltendem Recht höheren Anwartschaften und Ansprüchen aus dem in der DDR versicherten Verdienst würde wiederum in Rechte von Versicherten, die in den Bestand der nach der Rentenüberleitung erfolgten Feststellungsbescheide vertrauen können, eingreifen. Als Abhilfe käme eine Günstigkeitsprüfung in Betracht , die dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung jedoch grundsätzlich fremd ist. Lediglich in den besonderen Fällen der §§ 309 ff. SGB VI ist eine Neufeststellung einer Rente auf Antrag aufgrund von nachträglichen Rechtsänderungen vorgesehen. Dabei sind der neu festgestellten Rente nur in besonderen Fällen mindestens die bisherigen Berechnungswerte zugrunde zu legen. 7. Einheitliche Rechtsanwendung versus Vertrauensschutz Die Ablösung des FRG für nach 1936 geborene Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR wirkt auf noch nicht abgeschlossene Rentenrechtsverhältnisse für die Zukunft ein und kann insoweit die betroffene Rechtsposition nachträglich verschlechtern. Eine solche unechte Rückwirkung ist verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig. Hierfür ist zwischen dem Recht des Staates, seine Gesetzgebung weiterzuentwickeln und neuen Problemlagen anzupassen und dem Vertrauen des Bürgers in den Fortbestand der für ihn günstigeren Rechtsvorschriften abzuwägen. Eine unechte Rückwirkung ist dann unzulässig, wenn sie sich für die Erreichung des Gemeinwohlzwecks als nicht verhältnismäßig erweist, also zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen des Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen.45 Im Gegensatz zur Absenkung der auf das FRG entfallenen Rente auf 60 vom Hundert für Aussiedler bzw. Spätaussiedler durch das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz, handelt es sich bei der Ablösung des FRG für nach 1936 geborene Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR nicht um unvermeidbare Anpassungen aufgrund einer geänderten gesamtwirtschaftlichen oder finanzwirtschaftlichen Situation, mit der die Funktions- und Leistungsfähigkeit der RV zu erhal- 44 BVerfG, 1 BvL 9/00, Leitsätze und Absatz-Nr. 65 u. 83. 45 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 20 (63. Erg.Lfg.) Rn. 88 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 6 – 3000-030/12 Seite 23 ten war. Vielmehr spielten finanzielle Erwägungen keine Rolle, zumal sich die Rechtsänderung je nach Erwerbsbiographie positiv oder negativ auswirken kann. Es stellt sich somit die Frage, ob die einheitliche Bewertung der in der DDR zurückgelegten Beitragszeiten und damit die Ablösung des FRG für nach 1936 geborene Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR unbedingt erforderlich war. 8. Anzahl der von einer Rückkehr zu den FRG-Tabellenentgelten betroffenen Personen 9. Abschließende Beurteilung Die durch das RÜG erfolgte Ablösung des FRG für Übersiedler und Flüchtlinge verfolgte nachvollziehbar das Ziel einer einheitlichen Bewertung von in der DDR zurückgelegten Beitragszeiten unabhängig vom Aufenthaltsort. Dabei wurde außer Acht gelassen, dass sich durch den Wechsel von der bisher für Übersiedler und Flüchtlinge berücksichtigten fiktiven westdeutschen auf die durch Beiträge versicherte ostdeutsche Lohnstruktur für bestimmte Berufsgruppen Rentenminderungen ergeben können, die so nicht beabsichtigt gewesen sein dürften. Besonders offenbart sich dies bei Versicherten, die, aus welchen Gründen auch immer, keine Beiträge zur FZR gezahlt haben. Die betroffenen Versicherten haben auf die vor der Wiedervereinigung per Bescheid von den Rentenversicherungsträgern vorgenommene Eingliederung in die westdeutsche Rentenversicherung vertraut. Es bestand aus Anlass der Rentenüberleitung auch keine Verpflichtung für eine rückwirkende Ablösung des FRG. Eine entsprechende Abwägung zwischen dem Vertrauen der Versicherten in den Bestand der Feststellungsbescheide nach dem FRG und dem Ziel einer einheitlichen Rechtsanwendung hat in den Gesetzgebungsverfahren zum RÜG und Rü-ErgG nicht stattgefunden. Dies ist zuletzt mit der parlamentarischen Behandlung der Anträge der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „DDR-Altübersiedler und -Flüchtlinge vor Rentenminderung schützen - Gesetzliche Regelung im SGB VI verankern“ in der laufenden Wahlperiode nachgeholt worden. Letztlich sind die Anträge mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen SPD, DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abgelehnt worden.46 46 Bundestags-Drucksache 17/6390.